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"Warum machst Du das?" war jedesmal die unvermeidliche Frage, wenn Hans Christoph Buch in eines der Krisengebiete dieser Erde aufbrach. Und wenn er heimkehrte, mehrmals zum Beispiel vom schwarzen Kontinent, hieß es: "Wie war's in Afrika?" Sobald aber die Antwort mehr umfasst als das Wörtchen "heiß", ist meist die Grenze des Zumutbaren überschritten, weil die sogenannte Dritte Welt der blinde Fleck, das Trauma, das Verdrängte, die Unterwelt ist. Um Europa, um unserer abendländischen Zivilisation willen. Hans Christoph Buch ist nicht nur Reporter, der für Zeitungen das Elend und die Konflikte…mehr

Produktbeschreibung
"Warum machst Du das?" war jedesmal die unvermeidliche Frage, wenn Hans Christoph Buch in eines der Krisengebiete dieser Erde aufbrach. Und wenn er heimkehrte, mehrmals zum Beispiel vom schwarzen Kontinent, hieß es: "Wie war's in Afrika?" Sobald aber die Antwort mehr umfasst als das Wörtchen "heiß", ist meist die Grenze des Zumutbaren überschritten, weil die sogenannte Dritte Welt der blinde Fleck, das Trauma, das Verdrängte, die Unterwelt ist. Um Europa, um unserer abendländischen Zivilisation willen. Hans Christoph Buch ist nicht nur Reporter, der für Zeitungen das Elend und die Konflikte dieser Welt aufsucht, er erlebt in dem Fremden, dem Ausgesetztsein und der Verzweiflung immer seine eigene Biografie. Afrika wird zum Roman seines Lebens, denn in Europa, vor allem in diesem behäbigen Deutschland, kann er nicht zu Hause sein, solange der Hass andernorts Millionen von Menschen verschlingt. Ob er 1995 nach Kigali kommt und die Verfolgung der Hutu durch die Tutsi erlebt, wie i n diesem Roman erzählt wird, oder ob er der Zeuge eines anderen Völkerverbrechens ist: Verzweifelt versucht er, die Gemarterten und Getöteten als einzelne zu erfassen, und dabei macht er die schmerzliche Erfahrung, dass der Kain von heute morgen an Abels Stelle sein kann.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 01.06.2001

Katastrophe in Turnschuhen
Hans Christoph Buch bastelt aus seinen Afrika-Reportagen einen Roman
1995 und in den zwei darauf folgenden Jahren war Hans Christoph Buch mehrmals in Afrika, in Ruanda und im Kongo, einer Region, die durch die schrecklichen Gemetzel zwischen Tutsi und Hutu von sich reden machte. Damals schrieb Buch über seine Reisen, bei denen er selbst einen Akt der mörderischen Tragödie beobachtete, einige Reportagen für Die Zeit. Nun hat er einen Roman veröffentlicht, in dem er diese „traumatischen Erlebnisse”, wie er sie in der Nachbemerkung nennt, noch einmal aufgreift. So viel brandaktuelle Welthaltigkeit gibt es in der deutschen Literatur nicht alle Tage. Die fiktionale Verwandlung des Materials dürfte jedoch sparsam ausgefallen sein. Auch der Romanheld schreibt für eine Wochenzeitung und tritt vermutlich noch in manch andere Fußstapfen seines Autors.
Hausschatz der Banalitäten
In dem Buch findet sich als Kapitelnachschrift eine Reflexion über die blutbefleckten Turnschuhe, die der Beobachter am Schauplatz eines Massakers getragen hat. Diese Passage verrät das Wesentliche über Stil und Gedankengänge des Romans. Sie zeigt, wie sonderbar leichtfüßig – oder sollte man sagen: ungeniert? – der Autor zwischen Betroffenheitsbekundungen und sentenziösen Floskeln hin und her hüpft.
Das Postskriptum beginnt mit der Überlegung des Reporters, wie sich gegen die gleichmacherische Monotonie der Flüchtlingsströme dennoch das Bewusstsein von der Würde des einzelnen Menschen aufrechterhalten ließe. Was fällt ihm nun zuhause dazu ein? Da war doch was mit Strömen, Flüssen – genau: „Niemand, so sagt man, bade zweimal im gleichen Fluß.” Nicht dass der Mann im Flüchtlingsstrom gebadet hätte. Aber ein besserer Vergleich war wohl gerade nicht zur Hand. Sicherheitshalber fischt der Weitgereiste dann doch nochmal im Hausschatz der Allerweltsweisheiten, um wenigstens im Text den Einzelnen vorm Untergang in der todgeweihten Masse zu retten. Und siehe da, mit Fallada und einem geistlichen Trostspruch schafft er es auf die sichere Seite: „Jeder stirbt für sich allein, und jedes lebendige Individuum ist eine Welt, die durch nichts und niemanden zu ersetzen ist.” Wer so locker zitiert, muss sich den Kopf nicht lange zerbrechen.
Doch nun zu den Turnschuhen. Obwohl es auch hier erst noch mal durch ein paar Zitatschleifen geht. Jetzt aber mythologisch gebildet. Der Reporter in romanesker Maske durchquert also im nächsten Absatz den Lethe-Fluss des Vergessens und kommt – noch ein bisschen prominenter – gleich als Orpheus aus dem Totenreich wieder zurück, gibt aber wenigstens zu, dass er, anders als sein Vorläufer, Turnschuhe anhatte, erworben im Duty-free-Shop. Was soll nun mit den blutbefleckten Tretern geschehen? Fleckenentferner hilft nicht! Nach einer kurzen Erinnerung an Massengräber zeichnet sich indes auch dafür eine Lösung ab, noch dazu eine richtig flotte, operettenbeschwingte: „GLÜCKLICH IST WER VERGISST, WAS NICHT MEHR ZU ÄNDERN IST. Auch du wolltest vergessen, doch vorher mußte das Corpus delicti aus der Welt.” Die Turnschuhe eben. Das scheitert aber daran, dass sie dem skrupelhaften Mann (wenn es nicht ums Schreiben geht) noch zu neu sind und er nicht weiß, ob Wertstoff- oder Biomülltonne. Und weiter im O-Text: „Wohin damit? Die Antwort auf diese Frage ist der vorliegende Roman ...”
Kaum zu glauben, dass der Autor das selber glaubt. Auch wenn man in den Turnschuhen ein metonymisches Symbol erkennen wollte, eine poetische Spiegelung des unsagbaren großen Schreckens in seinem banalen, kleinen Relikt – selbst dann bliebe dieser Kunstgriff fürchterlich schief und abstrus.
Drei Reisen in die „Unterwelt”
Natürlich geht es in Buchs groß betiteltem Roman „Kain und Abel in Afrika” noch um anderes als die Turnschuhentsorgung: Um Völkermord, afrikanische Katastrophen, um Kolonialismus und den begrenzten Einfluss internationaler Helfer und Beobachter, und um einen Mann, der sich darüber mancherlei Gedanken macht und gelegentlich erschüttert nach sexueller Kommunion mit seinen afrikanischen Begleiterinnen sucht.
Den großen Rahmen bildet die Schilderung von drei Reisen in die afrikanische „Unterwelt” der Gemetzel, Flüchtlingsströme und Guerillakriege. Befremdliche, schockierende, paradoxe und auch komische Erlebnisse und Eindrücke wechseln sich ab. Das ist interessant zu lesen, weil das Thema interessiert und erschüttert, ungeachtet des Umstands, dass die Erzählung nirgendwo Intensität oder sonstiges literarisches Gewicht entwickelt.
Als Parallelhandlung dazu sind die auf dokumentarischer Basis fingierten Aufzeichnungen eines deutschen Afrikaforschers eingeschaltet. Richard Kandt brach 1897 in die Gebiete der Tutsi und Hutu auf, um die Quellen des Nils zu suchen. Als Expeditionsbericht ist das nicht schlecht nachgebildet. Trotzdem wirkt es innerhalb des Romans wie narrativer Füllstoff aus zweiter Hand. Denn der Nutzen und Nachteil dieser historischen Episode für die Beleuchtung des heutigen Leidens und Mordens verdämmert im Unerheblichen. Es sei denn, man gäbe sich mit dem immer halbrichtigen Hinweis auf den Kolonialismus als der Wurzel aller afrikanischen Übel zufrieden. Dafür wäre aber Kandt wiederum, so wie er hier als romantischer Deutschland-Flüchter geschildert wird, kein triftiges Beispiel.
Viele Teile, keine Idee
Was Buch außerdem über die Konflikte zwischen Tutsi und Hutu herausgefunden hat, geht über gängiges Lexikonwissen nicht hinaus. Er erzählt eben gerne noch mal, was schon weithin bekannt ist, und seine Entdeckungen macht er vorwiegend am Rande von Gemeinplätzen. Wenn sein dichterisch befreites Alter Ego im Roman eine afrikanische Journalistin namens Madeleine trifft, muss gleich der zum Bildungskalauer herabgesunkene Hinweis auf Prousts Erinnerungsgebäck folgen. Anschließend wird eine von der Dame verschuldete Versteifung in der Heldenhose hervorgehoben. Was den Verdacht, dass es hier gelegentlich ziemlich billig und verschmockt zugeht, nicht unbedingt ausräumt.
An einer gewissen enzyklopädischen Fülle des Gebotenen fehlt es in Buchs Romanen übrigens nie. Wer vieles bringt, wird manchem etwas bringen, gewiss. Doch ein Romancier, der sich hauptsächlich darauf verlässt, bringt leicht als erstes seinen Roman um. Da hätte es die vielen eitlen Stilblüten gar nicht gebraucht. Woran es fehlt, das ist eine schlüssige Romanidee und eine Konzeption, die mehr darstellt als ein Mixtum compositum aus nur vage verbundenen Teilen.
Hans Christoph Buch ist zweifellos ein vielseitiger Literat: Erzähler, Kritiker, Essayist, Literaturwissenschaftler, Tagebuchautor, Reporter. Die Romane, die er manchmal auch schreibt, konnten jedoch sein Ansehen nicht sonderlich vermehren. Sein neues Erzählwerk wird daran nichts ändern.
EBERHARD FALCKE
HANS CHRISTOPH BUCH: Kain und Abel in Afrika. Roman. Verlag Volk& Welt, Berlin 2001. 222 Seiten, 38 Mark.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.05.2001

Kain erschlägt Kain
Mitleidig distanziert: Hans Christoph Buchs Afrikaroman

Kigali, Kamenge, Kabila, Kagame - die Namen rufen Erinnerungen wach. Bilder werden lebendig, die vor ein paar Jahren über den Bildschirm in unser Bewußtsein drangen: Bilder von Flüchtlingsströmen, entkräftete, ausgemergelte Menschen, Verletzte mit tiefen Wunden im Gesicht, abgehackten Gliedmaßen, Überlebende von Massakern. Der Völkermord in Ruanda, wir erinnern uns: Hutu gegen Tutsi, Tutsi gegen Hutu - so genau wußte man dies nicht zu unterscheiden von hier aus. Gemordet, verstümmelt, vertrieben wurde von beiden Seiten. Der Hunger trug das Seine zum millionenfachen Sterben bei.

Damals, Mitte der neunziger Jahre, ging ein Aufschrei um die Welt. Angehörige von Hilfsorganisationen machten sich auf den Weg, Journalisten und Fotografen brachen nach Afrika auf. Was nicht bildlich festgehalten und schriftlich dokumentiert ist, findet im Medienzeitalter nicht statt. Zu Hause starrten wir auf die Bilder und wußten uns vor Ohnmacht nicht zu helfen. Afrika - verlorener Kontinent. Und wie, wenn Europa an diesen Toten seinen direkten Anteil hätte?

Bis 1918 gehörten Ruanda und Burundi zu Deutsch-Ostafrika. 1897 war der deutsche Arzt Richard Kandt dorthin aufgebrochen, um die Quelle des Nils zu suchen, das Land zu kartographieren und in Ruandas Hauptstadt eine kaiserliche Residenz zu errichten. Er war nicht der Schlimmste von allen, versuchte die traditionelle Herrschaft zu vereinen mit den Geboten der Humanität und trug doch zur Destabilisierung eines gesellschaftlichen Systems bei, die bis heute nachwirkt.

Einhundert Jahre später kommt der Schriftsteller Hans Christoph Buch in die gleiche Gegend. Er kommt als Reporter, um im Auftrag einer deutschen Wochenzeitung über Völkermord und Flüchtlingselend zu berichten. Er versucht zu verstehen, was hier geschieht, und begreift bald, daß dies ohne Kenntnis der Geschichte nicht möglich ist. Deshalb erzählt er in seinem Roman "Kain und Abel in Afrika" zwei Geschichten: diejenige des deutschen Arztes Richard Kandt und diejenige des deutschen Autors Hans Christoph Buch. Geschickt flicht er die beiden Stränge ineinander. Die Deutung geht aus dem hervor, was nicht gesagt wird, und ist doch unauffällig immer präsent. Es war Europa, es waren die Kolonialmächte, die mit ihrem Zugriff auf Afrika den Keim späterer Konflikte und Kriege gelegt hatten.

Nicht, daß Afrika vor einhundert Jahren ein Paradies gewesen wäre. Diesem Trugschluß verfällt Hans Christoph Buch nicht. Sein oder, besser, Kandts Blick auf den Schwarzen Kontinent ist ein mitleidiger, aber kein kritikloser. Als Richard Kandt ruandischen Boden betrat, fand er zwar eine paradiesische Landschaft vor, aber keine paradiesischen Zustände. Die Herrschaft der Tutsi über die Hutu war drakonisch. Kandt meinte es gut, als er das Hände-Abhacken und Pfählen bei lebendigem Leib verbot. Daß er durch seine Unterstützung der von den Tutsi unterdrückten Hutu-Mehrheit ein über Jahrhunderte gewachsenes Herrschaftssystem aus dem Gleichgewicht brachte, konnte er nicht sehen. Die Folgen davon erlebt ein Jahrhundert später sein Landsmann Buch, der Zeuge wird, wie erst die Hutu die Tutsi und dann die Tutsi die Hutu überfallen, vertreiben und zu Tausenden und aber Tausenden massakrieren. Opfer und Täter sind kaum mehr auseinanderzuhalten. Sie "sitzen im selben Boot", schreibt Buch, "und schlagen sich mit Enterhaken die Köpfe ein."

Hans Christoph Buch versucht das Unmögliche: festzuhalten, was ist, zu beschreiben, was er sieht, nicht nur Einzelheiten, sondern alles. Er weiß, daß er damit scheitern muß, und versucht es trotzdem. Versucht, in Sprache zu fassen, was ihm die Sprache verschlägt. "Dein Vorrat an einschlägigen Substantiven und Adjektiven ist erschöpft", schreibt er, "und anders als das wirkliche Leben, das jedem Menschen seinen eigenen, unverwechselbaren Tod reserviert, gibt dein Text den Opfern die verlorene Würde nicht zurück." Doch indem er nach Namen fragt, nach Alter, Herkunft und den Ursachen des Elends, gelingt ihm ein Stück weit genau dies: Er gibt den Opfern etwas von ihrer Würde zurück.

Über weite Strecken des Buches ist der Autor nur Auge, das beobachtet und registriert. Sich selbst verschanzt er hinter dieser Du-Form, die auf die Dauer enervierend wirkt und doch vielleicht nötig ist, um Distanz zu wahren - auch zu sich selbst. Der Autor sieht sich genau so von außen wie die Flüchtlinge, die an ihm vorüberziehen. Er ist keine Instanz, die richtet. Er ist einer wie alle, nicht schlechter, aber auch nicht besser als etwa der Fotograf, der einem Sterbenden mit der Kamera zu Leibe rückt, oder die Blauhelmsoldaten, die inmitten von Schwerverletzten ihre Konservendosen aufwärmen. Hans Christoph Buch gesteht sich ein, daß die Motive, die ihn nach Afrika geführt haben, nicht alle so selbstlos sind, wie es den Anschein hat. Er ist sich bewußt, daß Gewalt auch für ihn ein Faszinosum ist, dem er unter Umständen erliegen könnte, und daß es, mit Sophokles gesprochen, nichts Schrecklicheres gibt als den Menschen.

Mit dieser Einsicht und der Gewißheit, daß die Tragödie in Afrika nicht zu Ende ist, überläßt der Autor den Leser sich selbst. In der Erkenntnis, wieviel diese Tragödie mit uns zu tun hat, liegt der Gewinn der Lektüre.

KLARA OBERMÜLLER

Hans Christoph Buch: "Kain und Abel in Afrika". Roman. Verlag Volk & Welt, Berlin 2001. 221 S., geb., 38,- DM.

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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Eberhard Falcke hält diesen Roman vor allem deshalb für missglückt, weil er keine "schlüssige Romanidee und eine Konzeption" erkennen kann, die mehr ist als eine lose Mischung aus verschiedenen Teilen. So bemängelt er etwa, dass die eingeschobenen Passagen fingierter Notizen des Afrika-Forschers Richard Kandt, der 1897 die Hutu und Tutsi besuchte, wie ein Fremdkörper im Kontext wirken und die Bedeutung dieser Parallelhandlung nicht klar wird. Möglich wäre es nach Falcke, dass damit ein Hinweis auf die Folgen der Kolonialisierung gegeben werden soll. Doch dafür wäre gerade Kandt nicht unbedingt ein treffendes Beispiel, wie der Rezensent meint. Interessant findet er zwar die verschiedenen Erlebnisse des Romanhelden in Afrika, die oft entsetzlich, manchmal jedoch auch komisch sind. Doch die literarische Verarbeitung entfaltet seiner Ansicht nach an keiner Stelle Intensität. Über die Auseinandersetzungen zwischen Hutu und Tutsi erfahre man leider auch nichts Neues, und die Art und Weise, mit der Buch einige erotische Abenteuer schildert, findet Falcke "gelegentlich ziemlich billig und verschmockt".

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