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Im Mai 1819 brach der Dreißigjährige August von Goethe mit seiner Frau nach Preußen und Sachsen auf. Erst jetzt, 188 Jahre später, erscheint sein Reisetagebuch mit vielen teils unveröffentlichten Briefen aus dem Umfeld. Es ist ein anrührender, fortgesetzter Brief an den Vater in vielerlei Spiegelung.

Produktbeschreibung
Im Mai 1819 brach der Dreißigjährige August von Goethe mit seiner Frau nach Preußen und Sachsen auf. Erst jetzt, 188 Jahre später, erscheint sein Reisetagebuch mit vielen teils unveröffentlichten Briefen aus dem Umfeld. Es ist ein anrührender, fortgesetzter Brief an den Vater in vielerlei Spiegelung.
Autorenporträt
Gabriele Radecke, Jg. 1967, lebt in München. 1989-1995 Studium der Germanistik, Politik- und Rechtswissenschaft in Mainz. Promotion über Theodor Fontanes Roman "L'Adultera", den sie 1998 innerhalb der Großen Brandenburger Fontane-Ausgabe des Aufbau-Verlages neu herausgab. 1999 legte sie die vielbeachtete Erstveröffentlichung des Italien-Tagebuchs August von Goethes "Auf einer Reise nach Süden" vor.

August von Goethe (1789-1830), einziges überlebendes Kind von Christiane Vulpius und Johann Wolfgang Goethe, 1808-1811 Studium der Kameral- und Rechtswissenschaften in Heidelberg und Jena, zunächst Kammerassessor, seit 1815 Kammerrat in Weimar, 1817 Ehe mit Ottilie von Pogwisch (1796-1872), Geburt der Söhne Walther (1818) und Wolfgang (1820) sowie der Tochter Alma (1827). August von Goethe starb auf seiner letzten Reise nach Italien am 27. Oktober 1830 in Rom.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.09.2007

Ehre dem großen Abwesenden
Flucht ins Kneipchen: Goethes Sohn August reist 1819 nach Berlin

August von Goethe stellt eine Verlegenheit dar. Umstands- und mitleidslos nannte Wilhelm Bode die erste Biographie über "Goethes Sohn" (1918) die "Geschichte einer Nebenperson". Immerhin gab er zu bedenken, es sei nicht leicht gewesen, der Sohn Goethes und Christianes zu sein und die Ottilie von Pogwisch zur Gattin zu haben. Das Beste, was es zu sagen gab, lautete: "Alles in allem: ein brauchbarer Beamter, dienstwilliger Sohn, gutmütiger Gatte, freundlicher Kamerad." Brave Mittelmäßigkeit - und doch schützte sie nicht vor der Tragödie der Söhne oder, wie es mit festem Blick auf den großen Schuldigen heißt, vor dem Schicksal, zum Opfer Goethes zu werden.

Diesmal freilich besteht für kritische Schwarzmalerei (noch) kein Anlass. Gabriele Radecke, die gemeinsam mit Andreas Beyer schon Augusts italienisches Tagebuch, das Dokument seiner letzten und tödlichen Reise, herausgebracht hatte (F.A.Z. vom 27. Oktober 1999), präsentiert mit allen Zutaten einer wohlinformierten Philologie (die etwa die Hälfte des Bandes ausmachen) die Zeugnisse jener Reise, die das junge Ehepaar August und Ottilie von Goethe 1819 nach Berlin und nach Sachsen führte, gut acht Wochen lang. August ist noch nicht ganz dreißig Jahre alt, Ottilie sieben Jahre jünger. Seit 1816 ist August Kammerrat, 1817 haben sie geheiratet, 1818 kam der Sohn Walther zur Welt; jetzt erhält August einen großen Urlaub, um eine Reise zu unternehmen, die eigentlich des Vaters Sache hätte sein sollen. Noch ist nichts zu sehen von Korpulenz, Schwerfälligkeit, Schwermut und Alkoholismus, die Augusts spätere Misere verkörpern. "Wir waren sehr heiter" - das ist in der Tat die Grundstimmung der Reise, die auch zu Recht den Titel abgibt.

Den Kern bildet Augusts Reisetagebuch, das hier zum ersten Mal vollständig veröffentlicht wird, die Grundlage für die Briefe an den Vater. Eingefügt hat die Herausgeberin die Briefe Goethes an die "Kinder", Briefe von und an Ottilie, ein Tagebuchfragment Ottilies und manche andere Reisereminiszenz, so dass ein reizvolles "mosaikartiges Gebilde" entsteht.

Als Literat allerdings kommt Goethes Sohn nicht in Frage. Fleißig, brav und in kammerrätlicher Biederkeit erledigt er, gleich nach dem Aufstehen, sein Schreibpensum, das hauptsächlich im Memorieren von Fakten und Personen besteht und nahezu ohne persönliche Sentiments auskommt. Ottilie hingegen kann ihren Witz nirgends verbergen. "Und ich kabalierte und liebte meinen Mann trotz seiner Müdigkeit in Kabale und Liebe hinein", schreibt sie aus Potsdam. Und: "Denke Dir meine preußischen Wonnen, mir gegenüber ist das Schloß und mein König ist darin; und in wenig Stunden sind wir in Berlin." Das ist ihre "Herzensstadt".

Die Reise ist denkbar gut vorbereitet. Goethe hat (unter anderen) Zelter, in dessen Haus an der Friedrichstraße das Ehepaar wohnt, den Staatsrat Schultz und die Familie Nicolovius mobilisiert. Und die sorgen dafür, dass der Besuch der Geistesfürstenkinder zum gesellschaftlichen Ereignis ersten Ranges wird. Keiner seiner vielen Berliner Freunde und Bekannten, so wollte es Goethe, durfte übergangen werden. Und alle wollten ihm huldigen, indem sie die Besucher mit Aufmerksamkeiten überhäuften. Besuche, Empfänge, Diners, Hauskonzerte und allabendlich Theater und Oper führten das Ehepaar mit den Spitzen der Berliner Gesellschaft zusammen.

Sie wurden in Monbijou dem König und dem Kronprinzen vorgestellt, sie dinierten beim Kronprinzen und beim Minister von Altenstein, sie hörten das brillante Vierhändig-Spiel der Mendelssohn-Kinder (die Hegels waren dabei), sie erlebten die Inszenierung der "Zauberflöte" mit dem berühmten Bühnenbild Schinkels, sie wohnten der Uraufführung von "Faust"-Szenen bei, die der Fürst Radziwill komponiert hatte - ein Großereignis in Anwesenheit des Hofes, das natürlich dem großen Abwesenden galt, der denn auch mächtig in Erscheinung trat. Was August trocken genug notiert: "Großer Monolog des Faust bis dahin wo Wagner ihn stört, Scene mit Wagner, als Erdgeist erschien das Brustbild des Vaters."

Pflichtgemäß aber werden auch große Kunst- und Gemäldesammlungen, naturkundliche und philanthropische Institute, moderne Fabriken, eine Badeanstalt und sogar ein importierter "Wallfisch" besichtigt. Ein denkbar buntes Bild und ein unaufhörlicher Wirbel, den August nur einmal mit einem Seufzer quittiert: "und so geht es denn fort, wenigstens verlernt man das Dämmern und wenn ich mich nicht manchmal allein eine Stunde in ein Kneipchen flüchtete so könnte ich es nicht aushalten." Insgesamt kann man den schön illustrierten und dabei aufs kundigste kommentierten Band als spannenden, wertvollen Beitrag zur Goetheschen Familiengeschichte lesen. Eine nicht weniger gute Figur macht er aber auch als kulturgeschichtlicher Führer durch das Berlin des frühen neunzehnten Jahrhunderts.

HANS-JÜRGEN SCHINGS

August von Goethe: "Wir waren sehr heiter". Reisetagebuch 1819. Hrsg. von Gabriele Radecke. Aufbau-Verlag, Berlin 2007. 334 S., geb., 24,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 19.07.2007

Wie man spröden Verehrern die Zunge löst
August von Goethes Reise nach Berlin und Dresden im Frühjahr 1819
Der Schatten, in dem Goethes Sohn August für Mit- und Nachwelt seit jeher lebte, hat sich nicht verzogen. Doch haben sich die Augen inzwischen etwas besser an das Halbdunkel gewöhnt, sodass man genauer sieht, was es mit dem unglücklichen Sprössling eines überragenden Geistes auf sich hat. Dazu haben jüngste Quelleneditionen beigetragen, 1999 die Ausgabe der Berichte von jener Italienreise, auf der August 1830 in Rom starb, 2005 die vollständige Edition des Briefwechsels mit dem Vater und nun eine liebevolle Sammlung der Tagebücher, Briefe und Berichte von einer Reise nach Berlin und Dresden, die das junge Ehepaar August und Ottilie von Goethe im Frühjahr 1819 unternahm.
Diese sorgfältig vorbereitete Fahrt sollte – wie es im Zeitalter vor der Eisenbahn und der Fotografie, als das Reisen aufwendig und selten war – einen möglichst großen Eindrucksgewinn für die jungen Reisenden abwerfen, und so war das Programm vollgepackt mit Besichtigungen aller Art, Museen und Theater zuvörderst, daneben aber auch technische Einrichtungen oder eine Taubstummenanstalt. Vor allem aber handelt sich, jedenfalls im Berliner Teil, um eine Art von Staatsbesuch, den der Sohn des unbestrittenen Haupts der deutschen Literatur am intellektuell lebhaftesten Ort Deutschlands in dieser Zeit – denn das war Berlin ohne Frage – abstattete.
August und Ottilie waren familiär untergebracht bei Goethes Brieffreund Zelter, aber sie wurden in der ganzen Berliner Gesellschaft herumgereicht, bis hinauf zum König und zum Kronprinzen, saßen zu Tisch mit Hegel, Savigny und Gneisenau, wurden von Schinkel zur Baustelle des Schauspielhauses geführt, bewunderten dessen große Operndekorationen in Aufführungen wie der „Zauberflöte”, erlebten musikalische Faust-Szenen, bei denen der Erdgeist in Gestalt des Vaters Goethe zu sehen waren, besuchten die teuersten Konditoreien Unter den Linden und ein schickes Bad in der Friedrichstadt, tranken Bier Unter den Zelten im Tiergarten. Der Wirbel der Erlebnisse teilt sich noch in der pedantischen Auflistung mit, die August zuerst im Tagebuch und dann in den danach abgefassten Briefen an den Vater erstellte.
Unverkennbar ist, dass es sich für den eher gemütlichen, gern lang schlafenden und sich in einem „Kneipchen” von den Tagesanstrengungen wiederherstellenden August um teilweise harte Arbeit handelte. Zu allen wollte ein gutes Wort gefunden werden, kein Herandrängender durfte vernachlässigt oder zurückgesetzt werden. Und selten konnten die jungen Leute sich selbst gemeint fühlen, wenn man sie mit Freundlichkeit und Ehrerbietung behandelte – außer bei den Verwandten Ottilies in Dessau und den Nachkommen von Goethes Schwester Cornelia in Berlin. Doch bewältigte das Paar diese Anforderungen mit gutem Erfolg, machte repräsentable Figur, wie brieflich sogleich nach Weimar berichtet wurde, wo die begierig erwarteten Rapporte des Sohnes sogleich freundliche Ermunterung hervorriefen.
Tausend kleine Zeichen
August erweist sich in den Aufzeichnungen und Briefen als vorzüglich unterrichteter, kunsthistorisch gebildeter Reisender, der vor allem ein Auge für Malerei und antike Statuen hat. Auch zu den Theateraufführungen hat durchweg differenzierte Urteile, die zuweilen sogar zwischen Tagebuch und Brief wechseln, so bei der Einschätzung einer etwas bombastisch geratenen Dekoration zum Kabinett der Eboli in Schillers „Don Carlos”.
Es ist freilich Ottilie, die in einem Brief aus Dresden, schon fast am Ende der Reise, dem Vater Goethe gegenüber den entscheidenden Punkt zur Sprache bringt: „Lieber Vater ich bedaure Sie recht oft; Sie wissen zwar, wie sehr die Welt Sie liebt und verehrt, doch Sie empfinden nicht die tausend kleinen Zeichen davon, wie wir sie empfunden haben, da ja die Meisten nicht wagen, sich Ihnen so zu nähern. So haben wir hier die Früchte der Liebe eingeärnted, und wer vielleicht Ihnen gegenüber stumm und gezwungen war, dem that es wohl, den Kindern zeigen zu können, wie ergeben er dem Vater sei.”
Immerhin gelang es den Kindern, einem besonders wortkargen Verehrer des Vaters die Zunge zu lösen. Der preußische General Gneisenau schrieb Goethe auf Ottilies Aufforderung in einem Brief eine karge, rührende Liebeserklärung: „Ein Brief errötet und stottert nicht darum wird es mir leichter, mich Ihnen schriftlich einzuführen, als vor jenen dreyßig Jahren mündlich, und somit gehorche ich um so williger jener jungen Frau.” Bedauerlich nur, dass der sonst so reiche Kommentar der Herausgeberin Gabriele Radecke hier schweigt. Denn worum kann es sich bei der Zeit „vor dreyßig Jahren" gehandelt haben, als Gneisenau sich nur mündlich stotternd bei Goethe hätte einführen können? Doch wohl am ehesten um den schlesischen Feldzug von 1790, auf den Goethe seinen Herzog begleitete und an dem auch der junge Gneisenau teilgenommen hatte – und wo dieser, als belesener preußischer Offizier, den berühmten Dichter nur von Ferne angestaunt haben mag.
Man erfährt viel über Berlin um 1820 in diesen Dokumenten, viel übers Reisen in jener Zeit und forscht als Leser doch vor allem in dem Schattenreich, das Johann Wolfgang Goethe um sich ausgebreitet hat und das seine Familie nicht verlassen konnte, auch nicht, wenn sie weit weg unterwegs war. GUSTAV SEIBT
AUGUST VON GOETHE: „Wir waren sehr heiter.” Reisetagebuch 1819. Herausgegeben von Gabriele Radecke. Aufbau Verlag, Berlin 2007. 334 Seiten, 24,95 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Gustav Seibt freut sich, dass nun auch August von Goethes Tagebuchaufzeichnungen und Briefe von seiner 1819 mit seiner Frau Ottilie unternommenen Reise nach Berlin und Dresden publiziert worden sind. August, der lebenslang und bis heute immer nur als Sohn seines Vaters wahrgenommen wurde, wird auch auf dieser Reise vor allem als Abkömmling und Gesandter Goethes hofiert, stellt der Rezensent fest, Daneben aber erfahre man viel über das Berliner Leben der Zeit, vor allem über die kulturellen Veranstaltungen, die das Ehepaar besuchte, und zudem stellt sich August auch als kunsthistorischer Kenner heraus, so Seibt interessiert. Den Kommentar von Gabriele Radecke, die den Band herausgegeben hat, lobt er insgesamt als Bereicherung, auch wenn er ihm eine rätselhafte Briefstelle über General Gneisenau nicht auflöst, wie er ein wenig bedauert.

© Perlentaucher Medien GmbH