Marktplatzangebote
13 Angebote ab € 0,99 €
  • Gebundenes Buch

Das Leben im Dickicht der Großstadt Selena hat viele Namen, nennt sich Hanna, Mimi oder Alice, je nach Belieben. Doch sie alle entspringen nur ihrer Phantasie, denn sie ist auf der Flucht, sucht das Glück in der Fremde. Ihre Heimat liegt weit entfernt irgendwo im Osten. In Berlin lebt sie illegal, ohne Adresse und meist auch ohne Geld. Menschen sind nur Stationen auf ihrer rastlosen Reise. Schlaglichtartig erzählt sie von den Außenseitern und Randexistenzen der Großstadt. So wird sie zum Seismographen des Lebens in einer hysterischen Welt, erschafft Bilder von eindringlicher und entlarvender Schärfe.…mehr

Produktbeschreibung
Das Leben im Dickicht der Großstadt Selena hat viele Namen, nennt sich Hanna, Mimi oder Alice, je nach Belieben. Doch sie alle entspringen nur ihrer Phantasie, denn sie ist auf der Flucht, sucht das Glück in der Fremde. Ihre Heimat liegt weit entfernt irgendwo im Osten. In Berlin lebt sie illegal, ohne Adresse und meist auch ohne Geld. Menschen sind nur Stationen auf ihrer rastlosen Reise. Schlaglichtartig erzählt sie von den Außenseitern und Randexistenzen der Großstadt. So wird sie zum Seismographen des Lebens in einer hysterischen Welt, erschafft Bilder von eindringlicher und entlarvender Schärfe.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.06.2005

Sieben Stiefmuttersprachen
Magdalena Felixas Romanpsychogramm einer Ortlosigkeit

Es dauert ein wenig, bis man merkt, daß man ein Märchen liest, denn Magdalena Felixa beginnt ihren ersten Roman "Die Fremde" wie einen Augenzeugenbericht aus dem "Ganz unten" von Berlin, aus der Parallelwelt derer, die ohne Aufenthaltsgenehmigung in der deutschen Hauptstadt leben und daher nie länger als zum Luftholen die Oberfläche erreichen. Man erwartet also eher grimmigen, Schuldbewußtsein weckenden Realismus, so etwas wie "Wir Illegalen vom Bahnhof Zoo". Doch die in Polen geborene und in der Schweiz lebende Weltbürgerin Felixa möchte es noch etwas allgemeingültiger haben, und Berlin dient ihr nur aus logischen, nicht aber notwendigen Gründen als Schauplatz.

Die Fremde ist die Ich-Erzählerin des Romans, und sie wird von Felixa gleich auf den ersten Seiten als die archetypisch Heimatlose aufgebaut, wenn sie sie von sich selbst sagen läßt: "Die Menschen, die mir jemals etwas bedeutet haben, sind entweder ans Ende der Welt gezogen oder tot. Ich habe alles verloren, Vater, Mutter, Heimat, Liebe, Geld und Stolz. Ich habe keine Muttersprache, ich habe sieben Stiefmuttersprachen und kein Vaterland." So eine könnte man im Prinzip überall antreffen. Allerdings scheint es momentan, zumindest in der literarischen Vorstellungskraft, kaum einen Platz zu geben, der sich besser als Fluchtpunkt gefühlter wie tatsächlicher Heimatlosigkeit eignet als Berlin.

Die Fremde jedenfalls trifft im schnell geschnittenen Verlauf des Romans auf alles, was man sich für sein Berliner Großstadtmärchen nur ausdenken kann: Da ist der alternde russische Gigolo, der noch immer mit dem Nostalgiegeruch des alten Zarenreichs gelangweilte höhere Damen betört. Da ist die stets gutgelaunte achtköpfige schwarzafrikanische Band, deren Mitglieder so lange fröhlich kochen und singen, bis die Spießernachbarn die Polizei verständigen, außerdem warmherzige afghanische Taxifahrer sowie eine Untergrundkünstlerin aus gutem Schweizer Hause, die, kaum findet ihre Installationskunst Anklang in der oberflächlichen Galeristenszene, von ihren eigenen Neurosen eingeholt wird.

Damit aber im Gesellschaftspanorama keine Einseitigkeit herrscht, gibt es auch den vereinsamten Pathologen mit der leeren Designerwohnung, den Unternehmer, der großkotzige Kulturempfänge in seiner Villa gibt, sowie den unvermeidlichen, frisch arbeitslos gewordenen Karrieristen. Die Erzählerin springt, fast ohne ihr Zutun, wie ein Ball im Flipper zwischen den Marginalisierten und den Arrivierten hin und her, wenn auch nicht ohne jeweils deutlich werden zu lassen, daß ihr das eine wie das andere gleichermaßen suspekt ist. Sie folgt längst keinem Traum mehr, weder dem von Erfolg und Wohlstand noch dem von Liebe und Geborgenheit.

Daran merkt man, daß Felixa eben nicht das ungerechte Schicksal einer Illegalen in Deutschland beschreiben will, sondern ein Psychogramm absoluter und dabei selbstgewählter Entwurzelung und Ortlosigkeit. Zumindest scheint dies das Ziel der Autorin zu sein, nimmt sie der Gesellschaftsrelevanz ihrer Geschichte doch durch die Anlage ihrer Protagonistin weitgehend den Wind aus den Segeln. Denn "der gute Wind", wie es im Buch heißt, ist ganz für die Fremde reserviert, sie ist stets auf der Suche nach ihm und läßt sich von ihm treiben. Ein Schuft, wer dabei an Juliette Binoche im Film "Chocolat" denkt.

Gegen Ende des Romans entwickeln sich dann doch zwei Handlungen, die über das bloß Episodische hinausgehen. Beide haben ihren Ursprung in einer der vielen Tätigkeiten, mit denen die Erzählerin sich über Wasser hält. Durch ihre Dolmetscherarbeit für einen windigen russischen Immobilienmakler zieht sie das Mißtrauen der Mafia auf sich, denn nachdem der Makler mitsamt einer Menge Geld verschwunden ist, erhofft man sich von ihr Informationen über seinen Verbleib und hetzt ihr daher zwei tumbe Schläger auf den Leib. Die dürfen dann in regelmäßigen Abständen plötzlich auftauchen und für ein wenig Spannung sorgen, bis die Erzählerin entweder geflohen ist oder im Krankenhaus wieder aufwacht. Von größerer Konsequenz aber ist ihre Arbeit als Pflegerin eines sterbenden Industriellen und Kunstsammlers, mit dem sie sich fast anfreundet und dem sie bei der Durchführung seines letzten Willens hilft. Doch auch diese Geschichte führt letzten Endes nur dazu, daß es auch über den Roman hinaus weitergehen wird, und zwar möglichst weit weg, in eine neue Fremde. Und wie bei ihren Liebhabern und Freunden verläßt uns die Fremde gerade dann, wenn wir sie ein wenig liebgewonnen haben.

SEBASTIAN DOMSCH

Magdalena Felixa: "Die Fremde". Roman. Aufbau Verlag, Berlin 2005. 198 S., geb., 17,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Magdalena Felixas Roman "Die Fremde" kommt Rezensent Sebastian Domsch zunächst vor wie ein realistischer Augenzeugenbericht aus dem Berlin derer, die ohne Aufenthaltsgenehmigung in der deutschen Hauptstadt leben. Nach einer Weile aber wird ihm klar, dass es sich eigentlich um ein Märchen handelt. So sieht er Felixas Protagonistin als eine "archetypisch Heimatlose" konzipiert, die man im Prinzip überall antreffen könnte. Allerdings scheint es, wie Domsch bemerkt, momentan kaum einen Platz zu geben, "der sich besser als Fluchtpunkt gefühlter wie tatsächlicher Heimatlosigkeit eignet als Berlin." Zumal Felixas Protagonistin auf alles treffe, was man sich für ein Berliner Großstadtmärchen nur ausdenken könne, und so neben den Marginalisierten auch den Arrivierten begegne. Domsch hebt hervor, dass es der Autorin nicht um eine Beschreibung des Schicksals einer Illegalen in Deutschland geht, sondern um ein "Psychogramm absoluter und dabei selbstgewählter Entwurzelung und Ortlosigkeit".

© Perlentaucher Medien GmbH