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Wie Hitler schon wieder zum Führer der Deutschen wird
Der Bann ist gebrochen: Vom Dritten Reich wird wieder erzählt, als hätte es nur ein unschuldiges Volk und lauter Opfer gegeben. Der Blick durchs Schlüsselloch, die Intimisierung der Apokalypse, macht jeden Zuschauer zum "Zeitzeugen". Unbeschwert von geschichtlichem Wissen weiß er, wie die Geschichte gelaufen ist: Hitler war's!

Produktbeschreibung
Wie Hitler schon wieder zum Führer der Deutschen wird

Der Bann ist gebrochen: Vom Dritten Reich wird wieder erzählt, als hätte es nur ein unschuldiges Volk und lauter Opfer gegeben. Der Blick durchs Schlüsselloch, die Intimisierung der Apokalypse, macht jeden Zuschauer zum "Zeitzeugen". Unbeschwert von geschichtlichem Wissen weiß er, wie die Geschichte gelaufen ist: Hitler war's!
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 04.09.2006

Fixiert auf den „Führer”
Eine auf Hitler reduzierte Geschichtsschreibung der NS-Zeit
In seinem grandiosen Buch seziert Hannes Heer, der durch die erste „Wehrmachtsausstellung” bekannt gewordene Historiker und Filmregisseur, Kronzeugen einer Geschichtsdarstellung, die den Anschein erweckt, Hitler als jemand darzustellen, der „die Sache” ganz allein, ohne Hilfe irgendeines Deutschen durchgezogen hat. An den Beispielen des „Hitler- und Speerexperten” Joachim C. Fest, Bernd Eichingers Film „Der Untergang” und den Fernsehserien von Guido Knopp wird gezeigt, wie mit dem Faszinosum „Hitler” Quote gemacht wird und en passant Geschichte umgeschrieben oder erfunden wird – bis zur Fälschung.
Schon 1973 hatte sich Fest mit seiner opulenten Hitler-Biografie der Person des Weltzerstörers genähert und ihn als schicksalhafte „Verdichtung” der Geschichte begriffen, von unersetzlicher Bedeutung für sein Volk und anregend für die Phantasie seines Zeitalters. Hätte ein Attentat Hitlers Leben 1938 beendet, hätte ihn die Mehrheit der Deutschen zu einem seiner „größten Staatsmänner” und vielleicht zum „Vollender” seiner Geschichte erklärt. Damit mag die Wahrnehmung der damaligen Zeitgenossen zutreffend beschrieben sein. Doch ist es wohl nicht Aufgabe der Geschichtsschreibung, ein einzigartiges Verbrechen zu verklären. In atemberaubender Weise malte Fest ein Bild des Diktators der Superlative: Ihn habe „eine außerordentliche Kühnheit” ausgezeichnet, „ein ungewöhnliches Einfühlungsvermögen”, „eine Kunst der Menschenbehandlung”, „ein propagandistisches Alleskönnertum”, „verwegene Modernität” usw.
Bei so viel geballter Genialität war Hitlers Weg zur Macht scheinbar unaufhaltsam. Heer findet für die Hitler-Apologetik Fests ein brisantes Beispiel nach dem anderen: Den Kriegsausbruch 1939 lastete Fest auch der „polnischen Indolenz” an, was heißt, der fehlenden polnischen Sensibilität für die damalige politische Situation. Die Polen hätten letzten Endes den Krieg verhindern können – was sie aber nicht taten! Selbst schuld . . .
Die Filmregisseur Fest hat seiner Verachtung gegenüber der Weimarer Republik freien Lauf gelassen. Hitlers „Mein Kampf” – das Drehbuch der späteren Verbrechen – erwähnte er an keiner Stelle. Sein Film zeigt, wie die Menschen in Nazideutschland damals Politik wahrnahmen und was daraus folgte – Führerglaube und Heilsgewissheit. Fest hatte keinen Film über Hitler, sondern einen Hitlerfilm gemacht. Wir lernen über die Jahre und Jahrzehnte der Arbeiten Fests – auch der Historikerstreit 1986 belegt es – einen wichtigen deutschen Journalisten kennen, der an Hitlers Hof Platz genommen hat. Diese Rolle findet ihre Vollendung in der Reinwaschung des KZ-Baumeisters und Rüstungsministers Albert Speer. Der war nicht nur Hitlers genialer Leibarchitekt, sondern ein ebenso talentierter „Architekt des Todes”. Von dessen Verantwortung für die Entjudung Berlins und der Vernichtung der Juden erfährt man in Fests Biografie über Speer nichts, wo doch die Beweislage längst erdrückend war.
Für Bernd Eichingers Film „Der Untergang” lieferte Fest die Vorlage. Der Furore machende Film präsentiert zwölf geschichtslose Tage im Bunker und verfälscht Wirklichkeit und Darstellung. Alle Bunkerinsassen hatten ihre Nazigeschichte, die der „ungeübte” Zuschauer nicht vermisst. So wird ein Meisterwerk genannt, was sich frei macht vom „Diktat” der Fakten, was heißt, die von der Geschichtswissenschaft gelieferten Befunde beiseite zu schieben. Eigentümliche Varianten dieser „Hitlerei” sind die Hitler-Serien des Fernsehhistorikers Guido Knopp, wo die Geschichte als „Nazi-Clip” zurückkehrt, häppchenweise und kommod aufbereitet.
Was Hannes Heers Darstellung nun eigentlich bedeutend macht, ist nicht einmal die sorgfältige Auseinandersetzung mit den marktgängigen Geschichtsmythen, die an frühe Nachkriegszeiten anknüpfen. Ihre eigentliche substanzielle Hinfälligkeit wird deutlich, indem der Autor in drei Gegenreden das einfließen lässt, was in den letzten Jahren durch neue Perspektiven in der Historiografie und Geschichtswissenschaft ans Licht gebracht worden ist – zu dem der Autor selbst wesentlich beigetragen hat. Dietrich Bonhoeffers Analyse von Nationalsozialismus und Bürgertum und die aufkommenden Familienromane, jedenfalls zu einem Teil, widerlegen die ganze Hitlerei. Schließlich zeigt das abschließende Beispiel des Buchs, die Einübung des Holocaust am Beispiel Lembergs im Juni/Juli 1941, dass für die Massaker die Wehrmacht als Institution Verantwortung trug. Bemühungen, diese Verantwortung wieder zu relativieren, entbehren jeder Faktizität, können gleichwohl einen wachsenden Einfluss auf den Zeitgeist vermelden.
JOHANNES KLOTZ
HANNES HEER: Hitler war’s. Die Befreiung der Deutschen von ihrer Vergangenheit. Aufbau-Verlag, Berlin 2005. 438 Seiten, 24,90 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Johannes Klotz preist begeistert dieses Buch über die zunehmende Tendenz in der Geschichtsschreibung und deren filmischer Aufbereitung, den Nationalsozialismus und den Holocaust ausschließlich der Figur Hitler zuzuschreiben. Vorzüglich analysiere der Autor insbesondere die Biografien Hitlers und Albert Speers von Joachim Fest sowie die Fernsehdokumentationen von Guido Knopp und komme überzeugend zu dem Schluss, dass es sich bei diesen Darstellungen um eine spezielle Form von Geschichtsklitterung, wenn nicht gar Geschichtsfälschung handelt, so der Rezensent beeindruckt. Am Ende entkräftet Heer die "marktgängigen Geschichtsmythen", die alles Unheil einem genialen und übermächtigen ?Führer' zuschreiben will, durch die von der Forschung zutage geförderte Faktenlage, worin der begeisterte Rezensent die eigentliche Bedeutung dieses Buches sieht.

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"Es gibt auch noch die Stimmen der unbeirrten Aufklärer." (Die Zeit)