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Sie kamen im Februar ohne Jacken in Leipzig an, weil man ihnen nicht erklärt hatte, wie man sich im Winter in Mitteleuropa anziehen muß. Sie erwarteten eine Ausbildung und wußten nicht, daß sie nur die Schulden ihres Landes am Fließband abarbeiten sollten. Man hatte ihnen von Solidarität erzählt, aber sie begegneten einer Kälte, die schlimmer war als die des Winters - Moçambiquaner in der DDR.Landolf Scherzer, der selbst in Moçambique gearbeitet hatte, wollte 1982 wissen, wie diese fremden Arbeiterin der "neuen Heimat" behandelt wurden, wie die Hiesigen über sie dachten. Nun, zwanzig Jahre…mehr

Produktbeschreibung
Sie kamen im Februar ohne Jacken in Leipzig an, weil man ihnen nicht erklärt hatte, wie man sich im Winter in Mitteleuropa anziehen muß. Sie erwarteten eine Ausbildung und wußten nicht, daß sie nur die Schulden ihres Landes am Fließband abarbeiten sollten. Man hatte ihnen von Solidarität erzählt, aber sie begegneten einer Kälte, die schlimmer war als die des Winters - Moçambiquaner in der DDR.Landolf Scherzer, der selbst in Moçambique gearbeitet hatte, wollte 1982 wissen, wie diese fremden Arbeiterin der "neuen Heimat" behandelt wurden, wie die Hiesigen über sie dachten. Nun, zwanzig Jahre später, als das Gespenst der Fremdenfeindlichkeit in Deutschland umgeht, nimmt er die Spuren der wenigen hiergebliebenen Moçambiquaner auf, und aus ihren Erzählungen entsteht ein nuanciertes Bild vom Fremdsein in Deutschland damals und heute.
Autorenporträt
Landolf Scherzer wurde 1941 in Dresden geboren. Von 1962 - 65 absolvierte er ein Journalistikstudium in Leipzig und wurde wegen kritischer Reportagen, die er mit Klaus Schlesinger und Jean Villain für die NBI geschrieben hatte, exmatrikuliert. Bis 1975 war er als Redakteur beim "Freien Wort" in Suhl tätig. Er lebt als freier Schriftsteller in Thüringen.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 07.01.2003

Schwarz-Rot-Braun
Moçambiquaner als Fremdarbeiter in der ehemaligen DDR
LANDOLF SCHERZER: Die Fremden. Unerwünschte Begegnungen und verbotene Protokolle, Aufbau-Verlag, Berlin 2002. 239 Seiten, 15 Euro.
Anfang der achtziger Jahre, als die DDR mit großem Brimborium 15 000 Moçambiquaner ins Land holte, kamen zweihundert von ihnen in die Bezirksstadt Suhl. Der Reportageschriftsteller Landolf Scherzer macht sich in seinem neuesten Buch „Die Fremden” auf Spurensuche. Was ist aus den Vertragsarbeitern von damals geworden, die heute noch in der Stadt im Thüringer Wald leben?
Vor zwanzig Jahren arbeiteten sie im VEB Fahrzeug- und Jagdwaffenwerk Suhl (Fajas), dem mit 7000 Beschäftigten weit und breit größten Betrieb. Nach außen hin war das ein Akt internationaler Solidarität. Im Kreise der Genossen jedoch wusste jeder: Die meisten Schwarzafrikaner waren nicht da, um – wie sie glaubten – als Fachkräfte für den jungen sozialistischen Staat ausgebildet zu werden, sondern um die Schulden Moçambiques abzuarbeiten. Das sollte bereits 1984 in Scherzers Reportagebuch über seinen Aufenthalt in Moçambique stehen, in „Bom dia, weißer Bruder”. Die Zensur hatte die Passagen gestrichen.
Anfang 2002 nahm der Reporter die Fährte wieder auf. Scherzer erzählt von seinem Gang durch eine Brachlandschaft, in der einst die Wohnheime für die Vertragsarbeiter standen. Vor seinen Augen nichts als Bruchstücke, zwischen denen er Spuren der Erinnerung an das Leben im Heim sucht, das damals Ausgangsort seiner Recherchen war. Scherzer wird trotzdem fündig. Er entdeckt Gesprächspartner von damals, Deutsche und Moçambiquaner. Manche verweigern sich seinen Fragen, andere öffnen sich ihm nach anfänglichem Misstrauen. Der Autor stellt ihre Erfahrungen heute neben die von 1982 und kommt zur Erkenntnis, dass sich an der Substanz der Fremdenfeindlichkeit im Lande zwar nicht viel geändert hat, an der Form ihrer Extreme hingegen schon. Der Moçambiquaner Adelino bringt es beiläufig auf den Punkt: „In der DDR hatte jede Schlägerei ihren logischen Grund: mal zu viel Alkohol, mal Streit wegen eines Mädchens. Doch heute gehst du friedlich durch die Stadt, und plötzlich tauchen ein paar Gestalten auf, die du nicht kennst, die dich nicht kennen, mit denen du weder Bier getrunken, noch um ein Mädchen gestritten hast, sie kommen und schlagen dich einfach grundlos zusammen.”
Die ganz alltägliche, unspektakuläre Fremdenfeindlichkeit findet Scherzer selbst in der aufgeräumtesten Wohnstube; gelegentlich trägt sie realsatirische Züge. Suhl 1982, O-Ton des Direktors für Kader und Ausbildung bei Fajas, einem verdienten Internationalisten: „Wir sehen es als eine unserer Hauptaufgaben an, die moçambiquanische Leitung der Einsatzgruppe zu lehren, wie man arbeiten muss, um Erfolg zu haben.' Und etwas später, als das Tonband aus ist: „Also, wenn meine Tochter mit einem Schwarzen ankäme, ich würde sie rausschmeißen.”
Am Heikelsten ist es, die Freundinnen der Afrikaner zum Erzählen zu bewegen, denn sie leiden immer noch unter den Ressentiments ihrer Umgebung. Manchmal enden die Wege des Reporters nach grotesken Windungen im Nichts. Manchmal aber führen sie zu erstaunlichen Resultaten. Bestes Beispiel dafür sind die Ereignisse in Vachdorf: Im Sommer 1995 kam der kleine Ort Vachdorf nach dem Bericht einer Lokalzeitung für kurze Zeit in die Schlagzeilen: Ein älterer Dorfbewohner hatte sich geweigert, Post aus den Händen eines schwarzen Aushilfsbriefträgers entgegenzunehmen. Ein paar Tage später wurde der Ort von Journalisten belagert, Vachdorf über Nacht zum Exempel für den wieder aufkeimenden Rassismus in Ostdeutschland.
Urteil über ein ganzes Dorf
Sieben Jahre später stößt Scherzer nach Gesprächen mit dem betroffenen Moçambiquaner auf Details, die in keiner Zeitung standen. Er beschreibt aber auch die fatalen Folgen der Ereignisse für die Gemeinde sowie den Automatismus, mit dem sich die öffentliche Meinung verfestigte und zur Verurteilung eines ganzes Dorfes führte.
Scherzers Gesprächsprotokolle ähneln in Inhalt und Form seinem anfänglichen Gang durch die Brachlandschaft. Auf den ersten Blick sieht der Leser nur Bruchstücke aus einem von der Geschichte erschütterten Alltagsleben, hört ein Durcheinander aus direkter und indirekter Rede der Zeitzeugen. Manchmal lässt Scherzer die Menschen weitschweifig von Dingen reden, die niemanden zu interessieren scheinen oder die jeder oft genug gehört zu haben glaubt. Plötzlich aber fallen unerwartete Sätze, wie die des verdienten Internationalisten. Hier findet sich die Banalität des Bösen in trauter Nachbarschaft mit der Banalität des Guten, dem allerdings häufig die richtigen Worte fehlen.
SIGGISEUSS
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Im Jahr 1982 verfasste Landolf Scherzer eine Reihe von Reportagen über Vertragsarbeiter aus Mosambik in der DDR, die, offiziell als Freunde tituliert, im Alltag weitgehend isoliert lebten und oft angefeindet wurden, berichtet der "hau." zeichnende Rezensent eingangs über Scherzers Buch "Die Fremden". Scherzers Reportagen, so der Rezensent, passten freilich nicht zu den Propagandaklischees des SED-Regimes und blieben unveröffentlicht. Zwanzig Jahre später sprach Scherzer mit den wenigen Mosambikanern, die nach dem Ende der DDR und der folgenden Ausländer-Entlassungswelle an ihrem alten Arbeitsort geblieben waren, und kontrastiert nun diese Interviews mit den Tonbandprotokollen von 1982, hält der Rezensent fest. Dabei meide Scherzer zwar die Polemik, verzichte aber nicht auf eine Wertung. Entstanden ist ein Band, der nach Ansicht des Rezensenten nicht nur vom latenten und offenen Rassismus in der DDR und der BRD zeugt, sondern auch das Unverständnis und die Verantwortungsscheu kommunaler Verwaltungen dokumentiert.

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