Produktdetails
  • Verlag: Aufbau-Verlag
  • Seitenzahl: 190
  • Abmessung: 220mm
  • Gewicht: 320g
  • ISBN-13: 9783351023850
  • ISBN-10: 3351023855
  • Artikelnr.: 24563698
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.07.2000

Weißt du noch, die Kreppschuhe?
Schöne Endzeit: Klaus Schlesinger und die DDR der siebziger Jahre

So kann es einem ergehen, packt ihn die Sentimentalität. Plötzlich, von einer Stunde auf die andere, verliert er den Verstand. Sogar die 50000 DM, die Strehlow aus Düsseldorf in der Brusttasche trägt, die Schmiergelder, mit denen er, ganz rheinischer Kapitalist, in West-Berlin das große Geschäft machen wollte, sind da bald schon vergessen - vergessen, nur weil der Held den Ausstieg verpasste, die letzte Station der U-Bahn im Westen. Was danach folgt, ergibt sich zwangsläufig: Alles hat die literarische Vorsehung geregelt im Osten.

Schlimmes ist zu vermuten, als es den Verirrten gleich nach der zufälligen Ankunft am Bahnhof Friedrichstraße, "mitten im Kommunismus", weiter in die Stadt hineinzieht, weg von den dunklen Machenschaften des Westens in den Rauch eines schummerigen Cafés, an den Tisch eines Mannes, der - wären Haare und Bart nur besser gepflegt - sein Doppelgänger sein könnte. Denn die Männer passen nicht nur im Alter und in der Größe zusammen, auch ihre Schicksale sind zum Vergleich geschaffen. Beide haben sie Architektur studiert, und beide sind sie irgendwie gescheitert, der eine, der mit dem Westgeld, indem er zum Makler wurde, der andere, der mit dem DDR-Pass, indem er die Karriere aufgab, um sich als "Komparse", als Heizer und Gemüsehändler treu zu bleiben, nicht schonend die "feingliedrigen, von dünnen Adern durchzogenen Klavierspielerhände". Sicher, scheint es ihm, haben sie alle die Ideale bewahrt, die er fahren ließ, damals, 1962, als er selbst in den Westen floh, weil er die Enge nicht mehr ertrug. Jetzt erst, im reifen Alter, kann er ihren Reiz neu entdecken. Immer wieder, mehrere Tage hintereinander zieht es ihn vom Ku'damm zurück über die Grenze in das kleine Café, zu den burschikosen Kellnerinnen Traudl und Mausi und zu dem Unbekannten.

Nicht bloß die Adresse, die der fremde Freund nennt, ist einmal seine eigene gewesen, auch über die Frau, von der er sich vor Zeiten trennt, kann der eine dem anderen manches erzählen. Auf der denkbar kürzesten Strecke führt der Weg zurück in die alte Wohnung. Im Bett seiner Jugendliebe, beim "flackernden Schein einer fast heruntergebrannten Kerze", endet Strehlows Geschichte notgedrungen. "Glücklich" kann der Heimkehrer nach zweiundzwanzig Jahren feststellen, "dass ihre Körper zueinander passten". Wie seine, so werden "die Vorstellungen" des Lesers "in einem nicht für möglich gehaltenen Maße übertroffen": Zwar kann der Held die Kreppschuhe, die er einst ausziehen musste, weil er sonst, mit den dicken Sohlen, nicht ins Fluchtauto gepasst hätte, zwar kann er sie nicht wieder finden, dafür aber entdeckt er bei der Geliebten das Bild eines jungen Mannes, der ihm verdächtig ähnlich sieht. Gern, glaubt die Mutter, werde ihn der Sohn, ein angehender Offizier, kennen lernen.

Als eine kleine, aber menschlich großzügige Welt entpuppt sich ganz unverhofft die alte DDR, jene Gesellschaft, die der Autor Klaus Schlesinger, zerfallen mit der Kulturpolitik, 1980 selbst verlassen hatte und von der er doch nie wirklich losgekommen ist. Diesen Verlust, das Resultat der Geschichte, kann der Schriftsteller so schnell nicht verschmerzen. Die Sehnsucht wenigstens muss damit versöhnen; freundlich lenkt sie den Blick zurück auf die Ost-Berliner Szene, auf das freiere, auf das billige Leben in den provisorisch möblierten Wohnungen in bröckelndem Altbau, auf die schöne Endzeit, auf das Dasein an der Grenze. Dort, wo man die Nähe des Westens spürte, ohne dass man ihn aushalten musste, im Milieu der sozialistischen Boheme fühlt sich der Erzähler geborgen.

Die siebziger Jahre, als man unter Honecker über Ulbricht schon sagen durfte, was Schlesinger jetzt noch einmal wiederholt, sind seine Zeit gewesen. Ihren Ton trifft er durchaus überzeugend. Gelungen ist ihm ein Buch von gestern, keines über Vergangenheit. Im Regal der älteren Namen wird es seinen Platz finden. Bekannte stehen ringsum: zu hören ist die vertraute Sprache. Auch Christa Wolf hätte diese Fortsetzung ihres "Geteilten Himmels" - philosophisch vertiefter - einfallen können; auch Hermann Kant wäre die Geschichte zuzutrauen, dann freilich gewürzt mit einer Ironie, die bei Schlesinger nur leise Wellen schlägt, kurz vor dem Ende, als sich der Doppelgänger, der Idealist, mit dem gestohlenen Pass des anderen nach dem Westen absetzt, während Strehlow im Osten zurückbleibt, erschrocken und "glücklich" zugleich - glücklich verführt von der Sentimentalität.

THOMAS RIETZSCHEL

Klaus Schlesinger: "Trug". Roman. Aufbau Verlag, Berlin 2000. 190 S., geb., 32,- DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 22.03.2000

Die Sache mit Strehlow und Skolud
Doppelgängerschaft Ost/West: Klaus Schlesingers neuer Roman „Trug”
Ist der Titel Trug nicht schon eine kleine, gewollte Irreführung des Lesers? Weder verrät er, dass Klaus Schlesingers Roman die Atmosphäre eines Agenten-Thrillers hat, noch lässt er den Schwung des Erzählflusses, die mysteriösen Spiegelbildern oder die listig positionierten „Fallen” erwarten. Im Wort „Trug”, das ja nur noch in der Verbindung „Lug und Trug” gebraucht wird, steckt Täuschung; das mittelhochdeutsche „trugebilde” deutet auf „Teufelsbild”, „Gespenst” hin.
Aber Klaus Schlesinger führt uns nicht ins dunkle Mittelalter, sondern in ein, je nach Perspektive der handelnden Personen, bald fremdes, bald vertrautes West- und Ost-Berlin, in dem Täuschungen und Irrungen wahrscheinlich und persönliche Geschichten untrennbar mit den Zeitläufen verquickt sind.
Fast alle seine Erzählungen und Romane hat Schlesinger im Spannungsfeld Berlin situiert, vom Berliner Traum über Alte Filme bis zum letzten Roman Die Sache mit Randow. Auch Trug – ein so gemildert, fast schon wertfrei wirkendes Wort, hier als ein literarisches Understatement eingesetzt –, eröffnet sich zunächst vom Ort des Geschehens her als ein Berlin-Roman. Zeit der Erzählgegenwart: Mitte der achtziger Jahre des 20. Jahrhunderts an drei Wochentagen, Mittwoch, Donnerstag und Freitag. Schlesingers Erzählintention erweist sich jedoch von weit reichender historischer Komplexität und Konsequenz: Denn während wir atemlos der Handlung folgen – den „sonderbaren Geschehnissen, durch die Strehlows Leben eine ebenso jähe wie ironische Wendung nahm” –, entwickelt der Autor in seiner kunstvoll gebauten, novellesken Erzählung lebhafte, in sich wohl akzentuierte Bilder und Gegenbilder von Ansichten, Lebensweisen, Entwicklungen vor allem zweier Menschen, der beiden Protagonisten, die schicksalhaft verstrickt scheinen, ähnliche Viten haben und doch einander fremd sind.
Der eine, Strehlow, arbeitet in einem Düsseldorfer Immobilienmaklerbüro, der andere, Skolud, von der Staatsmacht geschasster Architekt, lebt in Ost-Berlin. Strehlow ist 1962 im Kofferaum eines Diplomatenwagens in den Westen geflüchtet. Jetzt will er durch Vermittlung seines in Berlin lebenden Freundes und Geschäftspartners Strack mit 50 000 Mark bar offenbar einen großen Immobiliencoup landen. Aber um nach Lichterfelde zu dem verabredeten Treffen zu gelangen, nimmt er nicht die S-Bahn, sondern die U-Bahn, und mit der bleibt er im Bahnhof Friedrichstraße hängen. Von da an wirkt der „Held” immer ein wenig tumb, wenn es um die DDR-Realität und Mentalität geht.
Um mal schnell nach Lichterfelde telefonieren zu können, wie er glaubt, reist er nun nach Ost-Berlin ein . . . Und da beginnt dann das Verhängnis . . . das – wie ein Märchen ausgeht. Wir verraten nicht, wie der Knoten sich löst. Nur dies: Strehlow verliert und gewinnt etwas – durch die Falle, in die er gerät.
Es ist längst schon zu spät für ihn, als sein Freund ihn warnend bittet: „Tu dir den Gefallen. Flieg zurück. Du kannst Samstag mit der ersten Maschine wieder hier sein. Diese Stadt ist nichts für dich. ”
Schlesinger, geboren 1937 am Prenzlauer Berg in Berlin, ist bis in sein Timbre durch und durch der Berliner Autor der älteren DDR-Generation, der wie kein zweiter Berliner östliches wie westliches Gelände, Träume, Szenen, Chronikalisches exemplarisch zu erzählen versteht. Anfang der Achtziger ließ ihn Honecker nach West-Berlin ausreisen. (Im Roman gibt es die witzige Begegnung des Protagonisten Skolud mit dem „kleinen Staatsmann”). Heute lebt Schlesinger wieder im Ostteil der Stadt.
Der Erzähler führt seine Figuren mit feiner Ironie, verlebendigt sie gleichsam durch Transfusionen erlebter Geschichte, durch Erfahrungen mit einer Stadt (Berlin Ost/West) und zwei Systemen.
Hauptschauplatz des Romans ist ein Café, Ecke Friedrichstraße / Unter den Linden. Dort begegnet Strehlow Skolud, den er kurz zuvor meint im Fensterglas des Cafés wie sein Alter ego gespiegelt gesehen zu haben. Die Beiden stellen nach und nach fest: Sie haben zur selben Zeit am selben Ort (Weißensee) Architektur studiert . . . Und viel später im Gang des Geschehens kommt heraus: „der Andere” wohnt in der Rykestraße in dem Haus, in dem Strehlow 1962 gewohnt hatte. Wie die Übereinstimmungen noch um eine so tragische wie komische Stufe weiterreichen (sie liebten dieselbe Frau) – so sind auch die Differenzen beider, was Leben, Lieben, Zeit und Geld anbelangt, unübersehbar. Freilich ist Schlesinger in seiner Novelle ein viel zu eleganter Erzähler, als dass er karikaturhaft oder polemisch hie Ost, hie West festmachte. Man lese den feinen Unterschied im „Dialog über einen Eiersalat” heraus und den zwischen einem Tauschvorgang und einer komplexen Beziehung, den Widerspruch zwischen Karriere und Arbeit oder den Zusammenhang von „Rendite und Ehrfurcht”.
Nicht ohne das spürbare Augenzwinkern des Erzählers – entwickelt sich alles wie spielerisch leicht – in den Gesprächen der beiden, unterstützt durch das Atmosphärische des Ambiente; dies gilt ebenso, wenn er das Publikum in einer Bar in Charlottenburg beschreibt.
In sich geschlossen und doch elementar dazugehörend: die Erzählung Skoluds über sein Scheitern als Architekt vor der Staatsmacht. Es geht darum, wie Ulbricht quasi im Vorbeigehen eine schon fast fertige Stadt wieder zerstört, indem er buchstäblich ins Modell eingreift. Heute wirkt die Geschichte wie ein wunderbarer Sketch. Aber das Verhalten der omnipotenten Staatsmacht war für die Betroffenen damals existenzbedrohend.
Klaus Schlesingers Roman ist wie ein Dreiakter strukturiert. Die drei Tage, an denen die Geschichte spielt, sind die drei dramatischen Akte einer Doppelgängerschaft. Die durchgängige Spannung ergibt sich einmal durch die souveräne Dialogführung, sodann durch die Zeitsprünge der Rückblenden und den auktorialen Erzähler, wenn er eine Geschichte seiner Figuren plötzlich unaufdringlich selbst zu Ende führt. Das bedeutet: Die Würze des Romans liegt auch und vor allem im Wie des Erzählens, in der artistischen Lenkung der Protagonisten, wie in den wie beiläufig „mitgelieferten” Nebenfiguren.
Nach dem Fall der Mauer sind die politisch-historischen Gegensätze, die die beiden einander feindlichen Systeme hervorgebracht hatten, verblasst, andere sind an deren Stelle getreten. Klaus Schlesingers liebevoll-ironischer Blick zurück – am Ende des 20. Jahrhunderts – lässt so einfach keine Option für nur eine der beiden Welten zu. Das von der Romantik gern und oft verwendete Doppelgängermotiv – in seinem neuen Roman feiert es eine glänzende, fabelhafte Renaissance. Der Trug, die Täuschung, ist allgemein.
HANS–JÜRGEN SCHMITT
KLAUS SCHLESINGER: Trug. Roman. Aufbau-Verlag, Berlin 2000. 190 Seiten, 32 Mark
In Berlins west- und östlichem Gelände wohlbewandert: Klaus Schlesinger
Foto: Ohlbaum
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Hans-Jürgen Schmitt charakterisiert Klaus Schlesinger als "DEN Berliner Autor der älteren DDR-Generation". Der Rezensent scheint die Lektüre dieses Doppelgänger-Romans, der mit den Mitteln eines Agententhrillers arbeitet, genossen zu haben. Er belegt durch seine Nacherzählung, wie genau Schlesinger die Atmosphäre Ost- wie West-Berlins in den achtziger Jahren trifft, und er delektiert sich an der klaren Gliederung des Romans, in dem die Handlung in drei Teilen, die an drei aufeinanderfolgenden Tagen spielen, konzentriert werde. Schlesingers Blick auf seine Helden und die Geschichte nennt Schmitt "liebevoll" und "ironisch".

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