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Nach dem Ende des 1. Weltkriegs zieht der junge Schweizer Schauspieler Raben Drahtzaun nach Deutschland, um sein Glück zu suchen. Sein erstes Engagement ist ein grandioser Reinfall: sein schweizerisches Deutsch sorgt für unfreiwillige Komik und wird zum Makel seines Lebens. Ihn loszuwerden wird zu seinem einzigen Ziel, mit zunehmend grotesken Folgen. In seiner Reihe Kollektion Nagel & Kimche gibt Peter von Matt diesen erheiternden und scharfsinnigen Roman neu heraus.

Produktbeschreibung
Nach dem Ende des 1. Weltkriegs zieht der junge Schweizer Schauspieler Raben Drahtzaun nach Deutschland, um sein Glück zu suchen. Sein erstes Engagement ist ein grandioser Reinfall: sein schweizerisches Deutsch sorgt für unfreiwillige Komik und wird zum Makel seines Lebens. Ihn loszuwerden wird zu seinem einzigen Ziel, mit zunehmend grotesken Folgen. In seiner Reihe Kollektion Nagel & Kimche gibt Peter von Matt diesen erheiternden und scharfsinnigen Roman neu heraus.
Autorenporträt
Arnold Kübler, 1890-1983, arbeitete 1919-26 als Schauspieler und Dramatiker in Berlin. Ein früher Erfolg war seine Komödie Schuster Aiolos, die später von Leonhard Steckel auch in Zürich inszeniert wurde. Ab 1931 war Kübler Chefredaktor der Zürcher Illustrierten und Mentor der neuen Schweizer Fotografie, 1941 Mitbegründer der Zeitschrift du und deren Leiter bis 1957. Er schrieb u.a. die Öppi-Romane, Paris-Bâle à pied (1967) sowie Israel, ein Augenschein (1970). 1963 erhielt Arnold Kübler den Literaturpreis der Stadt Zürich.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.10.2006

Leben ist Sprechen
Arnold Kübler läßt einen Schauspieler sehr unglücklich werden

Wer sich in jungen Jahren dazu entschlossen hat, Schauspieler zu werden und die Welt von der Bühne herab in vielerlei Rollen zu beglücken, der nimmt vieles auf sich, um seinen Traum zu verwirklichen. Raben Drahtzaun, der helvetische Bauernsohn mit dem seltsam sperrigen Namen, scheint seinem Lebensziel nahe, als ihn kurz nach Ende des Ersten Weltkriegs das Örlewitzer Stadttheater per Telegramm als neuen "Männerspieler" engagiert. Den Herzog Alba im "Egmont" soll der junge Mann in der Provinzstadt geben, hinter deren Phantasienamen sich, wie man vermuten darf, das sächsische Görlitz verbirgt. Das Engagement klingt vielversprechend, nur hat der geschäftstüchtige Theaterleiter angesichts der verlockend niedrigen Gage, die er für den Neuling aus der Schweiz zahlen muß, auf das branchenübliche Vorsprechen verzichtet. Die Katastrophe läßt sich nicht mehr aufhalten, denn Drahtzauns einzige Bühnenerfahrung besteht darin, daß er in einer Zürcher Inszenierung des "Gestiefelten Katers" gefühlvoll "I-A" gekrächzt hatte.

Über das Krächzen aber kommt der heisere Mime zum Spott seiner Zuschauer auch in Goethes Stück nicht hinaus, und, schlimmer noch, sein schweizerischer Zungenschlag stößt in der neuen Umgebung überall auf Ablehnung. So barbarisch dürfe kein Schauspieler sprechen, versichern ihm Kollegen, Zuschauer und Kritiker, die ihre Sprachbelehrungen allesamt in ihrer eigenen Mundart vortragen. Das Vertraute gilt eben überall schnell als das Normale, und da Raben Drahtzaun ohnehin von der kulturellen Überlegenheit der Deutschen überzeugt ist, zieht er bald nach Dresden, um dort verbissen Sprachunterricht zu nehmen. Der erneute Mißerfolg ist abzusehen, denn Drahtzauns Lehrer hat selbst so gar keine Vorstellung davon, wie die Übungssätze und -laute, mit denen er seinen eifrigen Schüler traktiert, in korrektem Hochdeutsch zu klingen haben. Raben Drahtzaun aber träumt unverdrossen seinen Traum von der reinen deutschen Sprache und opfert dieser Obsession seine Freundschaften, sein Vermögen und am Ende sogar sein Leben.

Diese tragikomische Geschichte vom krächzenden Raben, die 1934 zum erstenmal erschien, handelt von nichts Geringerem als von der scheiternden Aneignung der Welt durch Sprache, was immer sonst an schweizerischer Selbstkritik und Selbstparodie darin stecken mag. Erfunden hat sie und ihren unglücklichen Helden ein erfolgreicher Autor: Arnold Kübler, der 1890 geboren wurde, gehörte, als er 1983 hochbetagt im Alter von dreiundneunzig Jahren starb, zu den großen Intellektuellen der deutschsprachigen Schweiz. In seiner Jugend lebte er selbst eine Zeitlang in Deutschland und trat dort auch als Schauspieler auf, bis eine stümperhafte Operation sein Gesicht mit einer großen Narbe entstellte. So wurde er Schriftsteller, schrieb selbst Theaterstücke, die einigen Erfolg hatten, und gründete nach deutschem Vorbild die "Zürcher Illustrierte", die den modernen Fotojournalismus in der Schweiz populär machte. Daraus ging, ebenfalls unter Küblers Leitung, die Monatsschrift "du" hervor, die bis heute Maßstäbe für anspruchsvollen Kulturjournalismus setzt.

Raben Drahtzaun aber, der unglückliche Held, arbeitet weiter an der Vervollkommnung seiner Aussprache, ob in Sachsen, Italien, Paris oder in Berlin, wohin es ihn bald nach den Dresdener Artikulationsübungen zieht. Dort übernimmt der erfolglose Schauspielaspirant kleine dramaturgische Aufgaben an einem Privattheater und lebt während der Inflation recht komfortabel von den Schweizer Franken, die ihm sein sparsamer Vater hinterlassen hat. Als Spekulant ist Drahtzaun aber ebenso unbegabt wie als Schauspieler: "Die deutsche Sprache war's, woran er hing. Er wollte keine Dinge besitzen, er wollte gut davon sprechen lernen." Diese Maxime bestimmt sein Verhältnis zur Welt im großen, und das ist selten ein Rezept für Erfolg. Schließlich gerät der Unglücksrabe an die falschen Berater und läßt sich, ohne daß er etwas vom Wirtschaften versteht, für den Rest seines Geldes dann doch einen Besitz aufschwatzen, eine schlecht beleumdete Kneipe.

Küblers verhinderter Schauspieler indes bleibt bei all seinen Fahrten durch die Welt ein Kind der Schweiz. Als Sohn einer biederen Bauernfamilie trägt er schwer an dem Ballast seiner Herkunft, den er durch die fortwährende Flucht vor allem Heimatlichen abzuwerfen sucht. Von Zufällen läßt er sich durch die Welt treiben, lernt nichts aus seinen Niederlagen und bleibt bis zum Ende ein kauziger Träumer. Nicht einmal die besondere Anteilnahme der Leser des Romans dürfte ihm zuteil werden; zu verbissen hält er an seiner fixen Idee der reinen Sprache fest: "Sprechen war Leben. Sprechen war Gestalten."

Küblers komische Raben-Tragödie ist auch ein Zeitroman über das Berlin der zwanziger Jahre. Die Schilderungen der Bierpreise und Schanksitten, der dubiosen Praktiken der Makler und Brauereivertreter lassen ein facettenreiches Bild der Berliner Halbwelt entstehen. "Wie bei Zille!" kommentiert ein Besucher die düstere Idylle, die dann aber doch mehr Ähnlichkeiten mit Milieuschilderungen aus der Zeit der Neuen Sachlichkeit hat - vieles, vor allem die detaillierten Beschreibungen der finanziellen Geschäfte, erinnert an die Romane Kästners, Falladas oder Fleißers.

Auch die Nebenfiguren gewinnen ein markantes Profil. Verarmte Zimmerwirtinnen, ehrgeizige Schauspieldebütantinnen und heruntergekommene Kneipenbesucher - sie alle kreuzen den Weg des sprachbesessenen Schweizers, ohne daß er sich in seinem Streben aufhalten läßt. Auch für die Hingabe der liebenswürdigen Kathrin, die ihm aus der Schweizer Provinz nach Paris folgt, bleibt Raben blind, weil seine Ohren nicht ihre Liebesbeteuerungen, sondern allein ihren Schweizer Tonfall hören. Schließlich ereilt ihn das Schicksal aller Fanatiker: Seine wenigen Freunde verlassen ihn, denn "immer weniger kam er mit den Gewohnheiten der Welt zurecht".

So wird Küblers Roman zum Spiegel der Orientierungslosigkeit, die die verführbare junge Generation nach dem Ersten Weltkrieg erlebte und vor der, wie wir hier erfahren, auch die Schweizer Neutralität nicht schützte. Um so erfreulicher, daß die Geschichte von Raben Drahtzauns mißglückter theatralischer Sendung nun in der "Kollektion" des Nagel & Kimche-Verlags neu erschienen ist, die sich seit geraumer Zeit die Wiederentdeckung helvetischer Romane zur Aufgabe gemacht hat.

SABINE DOERING

Arnold Kübler: "Der verhinderte Schauspieler". Roman. Mit einem Nachwort von Peter von Matt. Nagel & Kimche im Carl Hanser Verlag, München und Wien 2006. 318 S., geb., 24,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Sabine Doering zeigt sich hoch erfreut über der Wiederentdeckung von Arnold Küblers 1934 erstmals erschienenem Roman "Der verhinderte Schauspieler". Die tragikomische Geschichte über den aus biederen Verhältnissen stammenden Schauspieler Raben Drahtzaun, der alles daran setzt, seinen Schweizer Zungenschlag loszuwerden und endlich Hochdeutsch zu sprechen, handelt für sie vom Scheitern des Versuchs, sich die Welt sprachlich anzueignen. Zudem reflektiert der Roman ihres Erachtens nach die Orientierungslosigkeit, die eine "verführbare junge Generation nach dem Ersten Weltkrieg erlebte". Schließlich erinnert sie das Buch in mancher Hinsicht an einen Zeitroman, vermittelt es mit seinen Schilderungen doch ein "facettenreiches Bild" der Halbwelt im Berlin der zwanziger Jahre.

© Perlentaucher Medien GmbH