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Hoch über der Stadt sitzt Maurizio und schlägt die Glocke. Unerbittlich registriert er alles, was unten auf dem Domplatz passiert: wie der Anführer der Katharer gehängt wird oder wie Mussolini herumschreit. Maurizio ist der eigentliche Chronist Orvietos. Spielerisch knüpft Dante Andrea Franzetti mit seinen Erzählungen ein Fangnetz und entführt den Leser in eine phantastische Welt.

Produktbeschreibung
Hoch über der Stadt sitzt Maurizio und schlägt die Glocke. Unerbittlich registriert er alles, was unten auf dem Domplatz passiert: wie der Anführer der Katharer gehängt wird oder wie Mussolini herumschreit. Maurizio ist der eigentliche Chronist Orvietos. Spielerisch knüpft Dante Andrea Franzetti mit seinen Erzählungen ein Fangnetz und entführt den Leser in eine phantastische Welt.
Autorenporträt
Dante Andrea Franzetti, 1959 in Zürich geboren, wuchs zweisprachig auf, studierte Germanistik, italienische Literatur und Soziologie, arbeitete beim Rundfunk in Zürich und Lugano, war Italienkorrespondent bei Rom und Redaktor mehrerer grosser Schweizer Wochenzeitungen. Seine Bücher wurden mehrfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Adalbert-von-Chamisso-Preis.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 23.11.2000

Das Leben, ein Kunstwerk
Dante Andrea Franzetti, der Grabräuber Homer und Herr Kleist
Weil er mit acht Jahren das Feld der Eltern anzündete und ihnen auch sonst nicht zur Zierde gereichte, knüpfte ihn der Vater an einen Olivenbaum und ließ ihn eine Winternacht lang dort hängen. Homer starb nicht, stattdessen fasste er am hohen Ast den Plan, ganz hinabzusteigen, in die Gräber der Etrusker. Er raubt sie aus, verkauft die Schätze, wird darüber zum Millionär. Später verlegt er sich aufs Fälschen. Erst als Homer die Fälschungen als eigene Werke ausgibt, wird er angezeigt und verhaftet: „Sie haben sein Kunstwerk nicht verstanden, weil sein Leben ein Kunstwerk war. ”
Am Schluss des neuen Erzählbandes von Dante Andrea Franzetti, der mit der Titelgeschichte „Curriculum eines Grabräubers” beginnt, blickt wieder jemand von hoch oben tief nach unten: die Figur auf dem Dach des Turms über dem Domplatz von Orvieto, die die Stunden schlägt – zugleich Kunstwerk und Chronist vieler Leben. Zwischen dem Olivenbaum in der Maremma und dem Turm Orvietos spannt sich ein Netz voll von Geschichten: von Spitzeln und Spionen, Schriftstellern und Reportern, von Mördern und Selbstmördern – von Lebenden und Toten und dem Schritt, der sie weniger voneinander trennt als miteinander verbindet. Von dem Leben, das ein Traum ist, wie es zweimal heißt, also nicht gebunden an die Realität, und Stoff für Erzählungen. Es sind die Geschichten, die Franzettis Figuren umtreiben. Fast in jeder Erzählung drängt es jemanden, etwas zu erzählen, von sich oder von anderen, aus dem eigenen Leben oder dem Leben anderer. Und wie es der Grabräuber Homer präludiert hat und die Turmfigur beschließt, ist das Leben die Kunst, ein Leben zu erschaffen, die Vergangenheit mit der Gegenwart zu verbinden, aus „Bruchstücken und Bildern die ganze Geschichte” zu machen. Nur, was ist die „ganze Geschichte”, die Franzettis Figuren so obsessiv zu erzählen drängt?
Dante Andrea Franzetti: geboren 1959 in Zürich, zweisprachig aufgewachsen und nun in Italien lebender Autor und Journalist, der 1985 mit seinem Erstling, der Erzählung „Der Großvater”, auf sich aufmerksam machte und 1994 den Adelbert-von-Chamisso-Preis erhielt. Weitere Bücher von ihm – zwischen 1987 und 1996 veröffentlicht – sind die Romane „Cosimo und Hamlet”, „Die Versammlungen der Engel im Hotel Excelsior”, „Das Funkhaus” und „Liebeslügen” sowie der Essay „Die Sardinennacht”. Nach einer Pause hat Franzetti nun mit dem „Curriculum eines Grabräubers” eine Sammlung von elf Prosastücken vorgelegt, ineinander geschachtelte kurze Texte, denen es gelingt, aus Anekdoten Lebensgeschichten zu machen, ohne die knappe Form, die klare Sprache, das charakteristisch Merkwürdige der Anekdote aufzugeben. Die Texte stehen in vielschichtiger Verbindung miteinander – nicht nur, weil viele Figuren Probleme mit dem haben, was eine Figur gemeinhin auszumachen scheint: Identität, Authentizität und das, was in der Geschichte von Fernanda, die im Koma liegt, aber eigentlich in Soviano spazieren geht, die „wirkliche Welt” genannt wird.
Identitäten können einem gegeben und genommen werden: „Da Ihr Staat untergegangen ist, Herr Kleist, haben Sie kein Anrecht auf eine eigene Identität”, heißt es in der Erzählung „Zensur”, in der ein Schriftsteller in seinem Staat, „dieser Parodie eines sowjetischen Satelliten”, seinen Zensor und damit seine Muse verliert und per Inserat 1991 einen Ersatz aus dem Stab ehemaliger Zensurbehördler sucht – und findet. Und besser ist es, gleich selbst aus Vergangenheit und Gegenwart einen Entwurf seiner selbst zu wagen, als sich wie in „Juan Arnaldo Tristo” dem Authentizitätswahn eines Regisseurs ausgeliefert zu sehen, der Literatur in das Medium des Films transformieren möchte und dabei den Umweg über die Realität des Autors nimmt, was zur Zerstörung dessen privater Existenz führt. Diese Existenz ist mit allerlei Fußnoten versehen, die den Leser allerdings auf die Fährte einer anderen Geschichte setzt, nämlich „Civitas Fall”, in der es wieder um Mord und Mörder und die Rekonstruktion einer Geschichte geht. Hier zitiert der Erzähler zwei Kollegen, Borges und Juan Rodolfo Wilcock, der sagte: „Jede Frage setzt die Behauptung einer Tatsache voraus. ” Und vielleicht ist der Tod in vielen Geschichten Franzettis die notwendige Voraussetzung für die Frage, die wiederum die notwendige Voraussetzung einer Geschichte ist. Und das könnte man den Zweifeln der Turmfigur hoch über Orvieto entgegenhalten, die angesichts des Bilderzyklus „Das Jüngste Gericht” von Luca Signorelli fragt: „Wozu noch erzählen? Wozu sich erinnern?”
KATJA SCHNEIDER
DANTE ANDREA FRANZETTI: Curriculum eines Grabräubers. Erzählungen. Verlag Nagel & Kimche, Zürich 2000. 176 Seiten, 34 Mark.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.11.2000

Schräger Wille
Dante Andrea Franzetti dreht sich auf doppeltem Boden

Es ist nicht leicht, im ersten Satz eines Buches einen guten Witz unterzubringen. Manche halten es für unmöglich. Der Schweizer Autor Dante Andrea Franzetti könnte sie vom Gegenteil überzeugen: "Seine Eltern besaßen den schlechten Geschmack, ihn Homer zu nennen." Leider ist dieser erste Satz bereits der komische Höhepunkt einer Sammlung von parabelartigen Erzählungen, die allerdings auch weniger amüsieren als erstaunen wollen.

Elfmal werden sonderbare Begebenheiten von merkwürdigen Menschen berichtet: Ein Grabräuber plündert die Ruhestätten seiner Vorfahren, bis die etruskischen Gräber keine einzige Vase mehr hergeben. Sodann überzieht er die Museen der Welt mit frisch getöpferten Stücken, wird aber erst als Fälscher angeklagt, als er sie unter seinem Namen verkauft. Ein Ex-Agent will die Memoiren des Markus Wolf widerlegen und dem ehemaligen Geheimdienstchef beweisen, daß der wichtigste Doppelagent der DDR ein Tripelagent der Gegenseite war. Manchmal beschleichen ihn Zweifel, es könne sich doch im einen Quadrupelagenten gehandelt haben. Die Wirklichkeit ist undurchsichtig, sie wankt wie die Dame, die im Café einen jungen Mann davon überzeugt, eigentlich im Krankenhaus im Koma zu liegen und ihr Gespräch nur zu träumen.

Franzettis Welt hat schräge Wände. Aber den Kopf stößt sich keiner daran. Allenfalls das Spiel mit alten Formen lehrhaften Erzählens überrascht. Denn auch, wenn es heißt, "man sollte nicht nach einer Moral in solchen Geschichten suchen", wird sie hier und dort angeboten, werden fleißig Lehren gezogen, die allerdings oft ins Ungewisse führen. Einem Kollegen, der "Parabeln, mit einem surrealen und grotesken Einschlag" schreibt, widmet Franzetti dann auch die dritte Geschichte, in der ein Todgeweihter ertrinkt.

Heinrich von Kleist hingegen erhält nur eine indirekte Grußadresse und ist Opfer einer unschönen Witzwiederholung. Denn wenn es in Geschichte Nummer sechs heißt, "hören Sie zu, Kleist", ist damit nicht jener Meister der Anekdoten gemeint, sondern ein mäßiger Schriftsteller gleichen Namens. Den Band beschließt der Bericht einer Metallfigur, die auf dem Kirchturm von Orvieto die Geschichte der Stadt übersieht. Sie betrachtet die Kämpfe der Adelsgeschlechter, das Wüten der Pest, hört die Reden des Duce. Das Leben auf dem Domplatz erscheint ihr als einziger Zusammenhang von Gewalt und Leid. "Mir genügten die ersten Lebensjahre, um dies zu verstehen", bemerkt die Uhrenfigur recht didaktisch. Als nachdenkliches Stück Metall demonstriert sie den Willen zum Schrägen. Leider bedient sie sich nicht der gleichen leichten Sprache wie der Grabräuber, der Ex-Agent und Kleist, sondern hat eine Vorliebe für schwer klingende Glockentöne.

SANDRA KERSCHBAUMER

Dante Andrea Franzetti: "Curriculum eines Grabräubers." Erzählungen. Verlag Nagel & Kimche, Zürich 2000. 174 S., geb., 34,- DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Am Schluss des neuen Erzählungsbandes von Dante Andrea Franzetti, verrät Katja Schneider, "blickt wieder jemand von hoch oben tief nach unten", und man schaut auf viele Leben. Das Buch ist eine Sammlung von elf Prosastücken, denen es gelingt, "aus Anekdoten Lebensgeschichten zu machen". Gleichzeitig stehen die einzelnen Geschichten in "vielschichtiger Verbindung", bemerkt die Rezensentin und belegt dies auch mit einigen Beispielen. Das bindende Element der Figuren sind vor allem die Fragen nach Identität, Authentizität und der `wirklichen Welt`, wie es in einer Geschichte heißt. Aber als notwendige Voraussetzung, überhaupt eine Geschichte erzählen zu können, stehe bei Franzetti der Tod, meint die Rezensentin.

© Perlentaucher Medien GmbH
"Mit solcher Erzählkunst ist der 1959 in Zürich geborene und bei Rom lebende Autor nach seinen frühen Erfolgen und einer längeren Pause wieder in die erste Reihe deutschsprachiger Prosa zurückgekehrt." Christoph Klimke, Die Literarische Welt, 12.08.2000