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Produktdetails
  • Verlag: Unionsverlag
  • Originaltitel: Engeregin gözündeki kamasma
  • Seitenzahl: 189
  • Abmessung: 195mm
  • Gewicht: 268g
  • ISBN-13: 9783293002753
  • ISBN-10: 3293002757
  • Artikelnr.: 25048791
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 20.12.2000

Ja und Harem
Der türkische Lieder- und Filmemacher Zülfü Livaneli hat seinen ersten Roman geschrieben
Auch wenn Titel und Aufmachung – eine auf dem Lotterbett hingekauerte Odaliske – es geradezu suggerieren: Zülfü Livanelis Debüt-Roman Der Eunuch von Konstantinopel” ist keine Haremsgeschichte der gängigen orientalisierenden Art. Der Autor wählte den Rahmen der großherrlichen Frauengemächer als Schauplatz des makabren Wechselspiels von Willkür und Unterwerfung, als düsteres Szenario der Verführbarkeit des Menschen durch die Macht. Mit diesem Paradigma des inneren Gefüges der orientalischen Despotie hat sich der als Sänger, Komponist und Filmemacher international bekannte Livaneli auch als Schriftsteller von beachtlichem Talent erwiesen. In den siebziger Jahren wurde er zur Kultfigur einer politisch hellwachen Generation. Ein türkischer Biermann sozusagen! Damals, als türkische Studenten und Regimegegner zu Tausenden in den Gefängnissen verschwanden oder auf den Straßen von Istanbul und Ankara starben, waren seine Lieder in der Türkei verboten. Livaneli ging für einige Zeit ins Exil. Nach seiner Rückkehr trat er – gemeinsam mit seinem Freund, dem Romancier und Friedenspreisträger Yasar Kemal – öffentlich auf gegen Menschenrechtsverletzungen, Folter und staatliche Gewalt. Zuletzt beim großen Hungerstreik der politischen Gefangenen des Jahres 1996.
Auch sein Roman (dessen assoziativer Originaltitel als „Das geblendete Auge der Natter” zu übersetzen wäre) hat eine politische Botschaft: Es geht um die Strukturen der Herrschaft und der Macht. Aus gutem Grund verlegt Livaneli das Geschehen zurück ins 17. Jahrhundert, in eine der finstersten Epochen der osmanischen Geschichte. Die Zeit der großen Sultansgestalten von Mehmed dem Eroberer bis Süleyman dem Prächtigen ist vorbei. Eine Reihe schwacher, meist debiler Herrscher hatte das mächtige Osmanenreich an die Schwelle des äußeren und inneren Zerfalls geführt. Rebellionen, Janitscharenaufstände und Palastintrigen waren an der Tagesordnung. Seitdem die Sultane ihre Residenz in den Harem verlegt hatten, war dieser Bereich des Palastes das Zentrum der Macht. Die dicken Mauern hatten nur den Zweck, den Ort der Intrigen und Verbrechen, des Todes und der Angst vor allen Augen zu verstecken. Es war die Ära der „Weiberherrschaft”, wie die Historiker es nennen. Der Padischah hörte auf zu regieren, die Macht ging über an die Valide Sultan, die Mutter des jeweiligen Regenten. Sie spielte ihre politische Rolle vor allem in der Frage der Thronfolge aus, entschied über Leben und Tod ihrer Rivalinnen und deren Kinder.
Dies ist der historische Stoff aus dem Livaneli Literatur gemacht hat. Wieweit Fiktion und Fakten sich in dieser spannend wie ein Krimi erzählten Geschichte vermischen, lässt der Autor offen. Doch ein Blick in die Geschichtsbücher zeigt, dass er sehr gründlich recherchiert hat. Die Protagonisten sind leicht als historische Gestalten zu erkennen. Und auch die meisten Ereignisse wurden – bis in ihre grausamsten Details – nicht frei erfunden. Selbst der Ich-Erzähler, der schwarze Obereunuch des großherrlichen Harems dürfte ein Wiedergänger Sünbüllü Agas, des „Hyazinthenreichen” sein. Als Zwölfjähriger wurde er aus den Wüsten Abessiniens entführt, seiner Männlichkeit beraubt und als Sklave an die Hohe Pforte verkauft. Durch Gelehrigkeit und Gehorsam stieg er dort zum absoluten Herrscher über Hunderte von unglücklichen Mädchen aus, die man aus allen Ecken der Welt verschleppt hatte und die er wie eine Herde Gänse hütete. Wenn er sie mit seinem Stock gefügig machte, hielt er sich – trotz seines Makels als Beschnittener – für den stärksten Mann der Welt. Auch als Liebhaber fehlte es ihm nicht an Selbstvertrauen: „Denn es ist ja wohl bekannt, dass Frauen, die einmal Geliebte eines Eunuchen waren, für den Rest ihres Lebens keinen anderen Mann mehr anschauen. ” Er seinerseits beugte seinen kraushaarigen Kopf in blinder Ergebenheit vor seinem Herrn, dem Padischah, Herrscher über ein Viertel des Erdkreises. In dieser mit großem psychologischem Gespür gezeichneten Gestalt ist unschwer der einzige überlebende Bruder Murads IV. – eines der grausamsten Herrscher des Osmanischen Reiches – zu erkennen. Als „Ibrahim der Verrückte” ist er in die Geschichte eingegangen. Verrückt nach Frauen, Wohlgerüchen und Zobelpelzen – ein geiles, perverses Monster, dass seine Untertanen wie Hühner abschlachten oder in seiner grenzenlosen Güte „nur blenden” ließ, „um ihre Herzen sehend zu machen”. Am Ende suchte er nur noch Zuflucht bei einer einzigen Geliebten, im Schoß des fettesten Weibes der Welt, „der so riesig und schutzspendend war, dass er das ganze Reich hätte aufnehmen können”.
Nun saß er – der Schatten Gottes auf Erden – eingemauert in einem der tausend Zimmer seines Palastes – Opfer einer Rebellion, an der seine eigene Mutter, die mächtigste Frau des Reiches, beteiligt war. Anstelle des aufmüpfigen, verschwenderischen Sohnes wollte sie dessen Sohn, ihren siebenjährigen Enkel, auf den Thron bringen. Er, der in den Jahren seiner Herrschaft eine Aura des Schreckens um sich verbreitet hatte, war nur noch ein winselnder Haufen Elend – ausgeliefert den zwischen Hass, Rachegefühlen und Mitleid schwankenden Launen seines einstigen Sklaven. Die Rolle von Herr und Knecht hatte sich umgekehrt. Der schwarze Eunuch – ein Ausbund an Verschlagenheit und Opportunismus – witterte im Intrigenspiel des Palastes die größte Chance seines Lebens: Großwesir des zweitgrößten Reiches der Welt zu werden.
Zülfü Livanelis Roman ist auch eine Parabel auf die Frage „Was ist der Mensch?” Erst als man ihn seines Machtapparates beraubt hatte, wurde der blutrünstige Despot zum Menschen, der seine Gefühle als Vater entdeckte und in den Tod ging, um seine Söhne zu retten. Livanelis Erzählstil und die sarkastische Ironie seiner Sprache verraten den Einfluss seiner orientalischen Quellen. Wie viele der zeitgenössischen türkischen Romanciers ist er inspiriert von den Meistern der islamischen Mystik. Er gehört zu einer Generation, die – im Gegensatz zu den strammen Kemalisten der ersten Stunde – sich wieder auf ihre Wurzeln zu besinnen beginnt, auf eine Geschichte, zu der nicht nur der orientalische Despotismus, sondern auch die Weisheit eines Dschelal ad-Din Rumi gehört.
Die an sich reizvolle Auflösung der linearen Chronologie mag den Leser gelegentlich verwirren. Umso bedauerlicher ist es, dass dem Roman nicht ein kurzer historischer Abriss mit einer Zeittafel vorangestellt worden ist. Auch fehlen im Glossar die Erklärungen mancher Namen und Begriffe. Besonders ärgerlich aber ist der schlampige Umgang mit dem Text. Es wimmelt von Fehlern. Das Buch hätte mehr Sorgfalt verdient von einem Verlag, der sich seit Jahren mit großem Engagement für die türkische Literatur einsetzt.
ERDMUTE HELLER
ZÜLFÜ LIVANELI: Der Eunuch von Konstantinopel. Roman. Aus dem Türkischen von Wolfgang Riemann. Unionsverlag, Zürich 2000. 190 Seiten, 29 Mark.
Eine der Hauptfiguren des Protests gegen Machtmissbrauch in der Türkei: Zülfu Livaneli.
Foto: Verlag
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Monika Garbe zeigt sich spürbar fasziniert von diesem Buch - auch wenn sie den deutschen Titel unnötig plakativ zu finden scheint. Zwar dürfe der Leser auch "Lüsternheit" erwarten, doch für sie steht viel mehr das System von Macht und Gewalt im Harem im Vordergrund - ein System, das plötzlich und unerwartet deutlich aus den Fugen gerät. Garbe sieht in diesem Buch eine Parabel auf andere totalitäre Systeme, ohne dass dabei jedoch das Lesevergnügen auf der Strecke bleibe. Neben der ausgezeichneten Recherche lobt sie vor allem Livanelis literarisches Geschick, die Spannung der Geschichte, das Gruselige, aber auch die subtile, distanzierte Ironie. Und die Übersetzung von Wolfgang Reimann findet die Rezensentin schlicht "ausgezeichnet".

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