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Fünf Novellen, die im Südwesten von Berlin spielen und durch die sich der Teltowkanal mit seinen schwarzen Krähen, versteckten Villen und unwegsamen Waldstücken wie ein roter Faden zieht. Darüber ein Himmel, der durch eine Aschewolke plötzlich verschlossen wird.

Produktbeschreibung
Fünf Novellen, die im Südwesten von Berlin spielen und durch die sich der Teltowkanal mit seinen schwarzen Krähen, versteckten Villen und unwegsamen Waldstücken wie ein roter Faden zieht. Darüber ein Himmel, der durch eine Aschewolke plötzlich verschlossen wird.
Autorenporträt
Hartmut Lange, geboren 1937 in Berlin-Spandau, studierte an der Filmhochschule Babelsberg Dramaturgie. Für seine Dramen, Essays und Prosa wurde er vielfach mit Preisen ausgezeichnet. Er lebt als freier Schriftsteller in Berlin.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 05.02.2013

Topografie
der Verunsicherung
Ein Gemälde als verzweifelter Versuch, der verstorbenen Frau wieder näherzukommen; Krähen vom Kanal, die die Psyche eines Mannes bedrohen; Shakespeares Mohr von Venedig als fatales Vorbild, um eheliche Verwerfungen zu deuten; die Macht einer Cellistin auf einen Mann ausgeübt lange nach ihrem Tod. Und als letzter Beitrag, das geheimnisvolle Schattenspiel eines Mannes mit seiner Frau, die bald die Realität nicht mehr erträgt.
  Fünf Protagonisten der neuen Novellen von Hartmut Lange sind – getrieben von Irritationen, die ihren Alltag immer mehr bestimmen – dem Grauen ihrer Vorstellungen und Empfindungen ausgeliefert. In allen Erzählungen taucht, verbunden durch die Topografie des Ortes, taucht immer wieder das ausgefranste Grenzgebiet zwischen Urbanität und Natur um den Teltowkanal in Berlin auf. Als Ausgangspunkt der Irritationen durchstreifen sie es, minutiös verfolgt von einem Erzähler als Chronist ihres Weges in seelisches Niemandsland. Hartmut Langes genaue, knappe Sprache tarnt die Verwerfungen der Psyche, die das scheinbar reale Leben bedrohen, und das Unausweichliche nur ahnen lassen.
ROSWITHA BUDEUS-BUDDE
  
Hartmut Lange:
Das Haus in der Dorotheenstraße. Novellen.
Diogenes Verlag, Zürich 2013. 124 Seiten, 19,90 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Bezaubert zeigt sich Walter Hinck von der Novellenkunst des Autors, die, in den fünf Stücken in unterschiedlichen Überzeugungsgraden zu bewundern, ihm in "Die Cellistin" am stärksten sich zu zeigen scheint. Wie der Autor anhand von kleinen Begebenheiten Wahrnehmungsgewohnheiten infragestellt, gefällt dem Rezensenten ohnehin. Wenn der besagte Text poetisch, rhythmisch sich als novellistisches Gleichnis vom Überdauern der Kunst offenbart, findet Hinck das Verhältnis zwischen Wirklichkeit und Möglichkeit nahezu perfekt ausbalanciert.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.05.2013

Wer der Krähe folgt, ist halb schon verloren

Abgründig, poetisch, zugespitzt: Mit den fünf Novellen seines neuen Bandes "Das Haus in der Dorotheenstraße" erweist sich Hartmut Lange als Meister dieses Genres.

Zwei Standortwechsel markieren die literarische Entwicklung des Schriftstellers Hartmut Lange: der Wechsel des Dramatikers und Dramaturgen am Ost-Berliner Deutschen Theater nach West-Berlin im Jahre 1965 und der Übergang vom Drama zur Novelle, den Lange mit den fünf Texten vollzieht, die 1984 unter dem Titel "Die Waldsteinsonate" erscheinen. Theodor Storms Formel von der Novelle als der "Schwester des Dramas" wird hier plausibel, denn die Werkstatt des Dramatikers Lange war die beste Schule für die Technik des novellistischen Spannungsaufbaus. Zugleich nimmt kein Autor der Gegenwart Goethes Formel von der Novelle als einer "sich ereigneten unerhörten Begebenheit" so sehr beim Wort wie Lange, schon in der Sammlung "Die Waldsteinsonate". In der Tat unerhört sind die Situationen Nietzsches vor dem Ausbruch des Wahnsinns, Kleists und Henriette Vogels vor dem Selbstmord am Wannsee und - surrealistisch zugespitzt - der Besuch des toten Franz List bei Goebbels im Führerbunker vor der Selbstauslöschung der Familie.

In den mehr als zehn weiteren Bänden, bis zu den Novellen "Der Abgrund des Endlichen", verstärkt sich eine Tendenz zum Mysteriösen. Ihren vorläufigen Höhepunkt erreicht die Verfremdung einer scheinbar augenfälligen Erfahrungswelt und einer scheinbar verbürgten historischen Vergangenheit in den "unheimlichen Begebenheiten" des Bandes "Im Museum" (2011). Untergraben wird hier aller Optimismus mathematisch-naturwissenschaftlichen Denkens, die heutige und die geschichtliche Welt vermessen zu können. Das "Deutsche Historische Museum" wird zum schaurigen Labyrinth, aus dem Menschen verschwinden, ohne je den Ausgang erreicht zu haben, zu einem diffusen Albtraum, zur Diskussionsbühne für eine unbeirrbare Skepsis: Menschlicher Erfindergeist ist kriegerisch, und kriegerisches Töten wird sich "durch die Perversion des Denkens bis in alle Ewigkeit" fortsetzen.

Von der nahezu apokalyptischen Vision des Bandes "Im Museum" ist Horst Lange jetzt in den fünf Novellen des Bandes "Das Haus in der Dorotheenstraße" zu den kleineren "unerhörten Begebenheiten" zurückgekehrt. Der Erzähler zieht seinen Figuren und dem Leser allmählich den Boden seiner Wahrnehmungsgewohnheiten weg, aber ohne gleich den Blick in Abgründe freizugeben.

Alle fünf Novellen sind auf Schauplätzen an einer Achse angesiedelt, die im Süden Berlins zwischen Teltow-Zehlendorf beginnt, dem Verlauf des Teltow-Kanals in westlicher Richtung folgt und im Raum um Potsdam endet. In der Novelle "Die Ewigkeit des Augenblicks" stimmt Krähenflug und -geschrei auf Unheimlichkeit ein. Den früheren Architekten und jetzigen Taxifahrer Denninghoff treibt ein zwanghaftes Ungenügen um. Er hatte die Asche seiner Frau auf hoher See ins Wasser gestreut, nun nimmt mehr und mehr ein Gefühl der Leere von ihm Besitz. Er sucht nach einem bestimmten Beweis für die frühere Existenz seiner Frau, nach dem Bild eines impressionistischen Malers, "Regentag in Paris", von dem eine Kopie in der früheren Wohnung hing. Dieses Bild wird zur Obsession. Er sucht es vergeblich im Pariser Museum, kehrt zurück. Am Teltowkanal findet man seinen leeren Wagen.

Das Krähenmotiv erhält seine Zuspitzung im "Bürgermeister von Teltow". In der Titelnovelle des Bandes, "Das Haus in der Dorotheenstraße", übernimmt den Part des Unheilsboten der Ausbruch jenes isländischen Vulkans Grimsvötn, dessen Aschenwolke den Luftverkehr über Europa eine Zeitlang lahmlegte. Zum literarischen Alarmzeichen wird hier der Besuch des nach London versetzten Zeitungskorrespondenten Klausen im Theater, wo "Othello", Shakespeares Eifersuchtstragödie schlechthin, aufgeführt wird. Ungewiss endet das Ehebruchsdrama, das den Korrespondenten aus der Bahn geworfen hat, im Haus in der Dorotheenstraße. - Um das Thema Ehebruch kreist auch das im Potsdamer Raum spielende Geschehen in "Der Schatten", dem in diesem Band am wenigsten eindringlichen Text.

Glanzstück aber ist in Langes neuem Novellenquintett "Die Cellistin". Schon dass hier der Autor seine Geschichte in der Rolle eines Ich-Erzählers vermittelt, deutet ihre Sonderstellung an. Am nördlichen Ufer des Griebnitzsees entdeckt er im Zwielicht der Dämmerung (oder meint er zu entdecken) eine junge Frau, die auf einem Felsvorsprung Cello spielt und deren Gesicht ihm bekannt vorkommt. Zu Hause findet er in der Broschüre zu einer Kassette das Foto der berühmten englischen Cellistin mit französischem Namen, auf dem er das Gesicht wiedererkennt. Die Fünfundzwanzigjährige wurde von einer Krankheit heimgesucht, die es der Künstlerin bei zunehmender Lähmung unmöglich machte, ihren Beruf weiter auszuüben. Mit einem CD-Player und einem Lautsprecher begibt sich nun der Ich-Erzähler an den geheimnisvollen Ort am Griebnitzsee und lässt eine Aufnahme der Cellistin mit dem Londoner Symphonieorchester ertönen. Die Musik beschwört das Bild. Was er jetzt in der Nähe des Ufers auf und ab gehen sieht, ist die Cellistin. Und wenn auch infolge einer Windbö der CD-Player in die Tiefe stürzt, hat er doch, so denkt der Erzähler, jene "menschenfreundliche Ewigkeit" herbeigezaubert, worauf die Cellistin "offenbar nicht zu hoffen gewagt hatte".

Ein novellistisches Gleichnis vom Überdauern großer Kunst! Und es muss nicht unbedingt Walter Benjamins berühmter Essay "Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit" gewesen sein, der die Anregung zu dieser Novelle gegeben hat. Aber gedanklich steht sie ihm nicht fern. Das originale Ereignis der Schauspielaufführung und des Konzerts, die originale Leistung des Künstlers oder gar Virtuosen war nicht konservierbar - Schillers "Dem Mimen flicht die Nachwelt keine Kränze" galt sinngemäß auch für den musikalischen Instrumentalisten. Erst ihre technische Reproduzierbarkeit reißt für diese Künste "die Grenzen vom Leben zum Tode" nieder.

Unter allen Novellen Hartmut Langes ist "Die Cellistin" wohl die poetischste, reich an sprachlichen Nuancen. Sie nimmt einerseits das Echo einer altehrwürdigen Literaturgattung auf, bleibt aber offen für die Zeichen einer fortschreitenden Technisierung der Kunstpraxis. Mehr als ohnehin schon ist hier Langes Erzählsprache (musikalisch) rhythmisiert. Und wie nie zuvor hält Langes Novellenkunst hier den Abstand zwischen dem Wirklichen und dem Möglichen in der Schwebe.

WALTER HINCK

Hartmut Lange: "Das Haus in der Dorotheenstraße". Novellen.

Diogenes Verlag, Zürich 2013. 128 S., geb., 19,90 [Euro].

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