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Carson McCullers - Die RomaneIn revidierter Übersetzung und in der Lieblingsausstattung von Carson McCullers»Was bleibt, ist ihr Werk, es ist unvergänglich.« Neue Zürcher Zeitung»Jeder sollte Carson McCullers lesen.« Frankfurter Allgemeine Zeitung"

Produktbeschreibung
Carson McCullers - Die RomaneIn revidierter Übersetzung und in der Lieblingsausstattung von Carson McCullers»Was bleibt, ist ihr Werk, es ist unvergänglich.« Neue Zürcher Zeitung»Jeder sollte Carson McCullers lesen.« Frankfurter Allgemeine Zeitung"
Autorenporträt
Carson McCullers, geboren 1917 in Columbus (Georgia), wollte eigentlich Pianistin werden. Mit 500 Dollar fuhr sie mit achtzehn alleine nach New York, um an der renommierten Juilliard-Musikschule zu studieren. Das Geld verschwand auf mysteriöse Weise, doch sie blieb in New York, arbeitete als Sekretärin, Kellnerin, Barpianistin und beschloss, Schriftstellerin zu werden. Mit 23 erlitt sie den ersten von drei Schlaganfällen, ihr Leben wurde bestimmt durch die Krankheit, der sie ihr Werk abrang, und durch Einsamkeit, besonders nach dem Suizid ihres Mannes 1953. Carson McCullers starb 1967 in Nyack (New York).
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.11.2011

An den Rissen der Welt

Die große Südstaaten-Dichterin Carson McCullers kann uns heute noch aufrütteln. Das beweist eine exzellente Neuausgabe ihrer großen Romane.

Von Daniel Haas

Kennen wir diese Rede nicht von den Demonstranten der Occupy-Wallstreet-Bewegung? "In unserem Land herrscht ein großes, wahres Prinzip, nämlich Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit", ruft der wütende Mann. "Und was ist daraus geworden? Auf der einen Seite milliardenschwere Konzerne - auf der andern Seite Hunderttausende, die nichts zu essen haben." Nun aber ist die Zeit der Aufklärung gekommen: "Der Wissende sieht, wie das Kapital und die Macht langsam eins wurden. Er sieht das ganze verdammte Heer von Arbeitslosen und sieht, wie Milliarden von Dollars vergeudet werden. Er sieht, dass die Menschen vor lauter Leid gemein und hässlich werden und dass irgendwas in ihnen abstirbt."

Die Stimme dieses Wissenden war nicht in Manhattan zu hören. Sie stammt aus dem amerikanischen Süden, schon lange hallt sie durch die Literaturgeschichte. Es sind die Worte von Jake Blount, dem unheiligen Trinker aus dem Roman "Das Herz ist ein einsamer Jäger". Das Debütwerk von Carson McCullers erschien 1940; Amerika kämpfte mit den Folgen der Weltwirtschaftskrise, die Reformen des New Deal sorgten zwar für Konsolidierung, eine wirkliche Umverteilung des Reichtums aber fand nicht statt. Roosevelt selbst sagte, seine Regierung habe das System privaten Profits und freien Unternehmertums gerettet. Kein Wunder, dass "Monopoly" das Brettspiel der Dekade war.

Nun wird wieder kräftig gezockt und geschachert, und im grellen Licht der aktuellen Lage kann man McCullers in neuer Weise lesen, als eminente Kritikerin gesellschaftlicher Strukturen. Als ihr Werk zu Beginn der fünfziger Jahre erstmals in deutscher Übersetzung erschien, war man hierzulande auf Hemingway und Steinbeck fixiert; es musste ein bisschen markiger sein, handlungsorientierter. McCullers empfand man als zu leise, zu lyrisch. Dann setzten sich prominente Leser wie Heinrich Böll und Horst Bienek für sie ein. Letzterer schwärmte: "Sie behandelt einen Stoff, bis er an den Rand seiner Aussagekraft getrieben wird." Das stimmt. Heute, in Zeiten der transatlantischen Katastrophen, erreicht uns der "Jäger"-Roman mit der Wucht der politischen Streitschrift. Das liegt auch an seinem zweiten Sujet: Rassismus und wie er eine Nation kulturell aushöhlt und zerstört.

In der vollständig überarbeiteten Übertragung ist der klare Ton von McCullers nun besser vernehmbar. Die geschraubte Syntax älterer Übersetzungen weicht einer schlanken, eleganten Diktion. So zeigt sich noch deutlicher, dass in diesen Erzähldramen das Persönliche immer auf gesellschaftliche Regeln bezogen ist. Man tut McCullers unrecht, wenn man sie ausschließlich als Symbolistin verehrt, die den Menschen als zwischen Lust und Gewalt gestelltes Rätsel entwirft. Das gilt auch für die Darstellung der Pubertät, einem wesentlichen Thema dieses Romanwerks. Adoleszenz ist für McCullers dabei weniger das Feld zur Erprobung psychologisch-darstellerischer Finessen als eine kritisch aufzuladende Konstruktion. Im "Jäger"-Roman lernen wir Mick kennen. Die Dreizehnjährige leidet am ideologischen Mief der Zeit. Mick hört Beethoven, spart für Klavierstunden, die Kunst könnte ein Ausweg sein. Aber wie gnadenlos McCullers diesen Menschen zurückzwingt in die Verhältnisse! An der Kasse von Woolworth endet der Traum vom musikalischen Virtuosentum.

Mit Frankie, der Heldin des gleichnamigen, 1946 erschienenen Buches, erhielt Mick eine Schwester im Geiste. Das Werk galt als sensationell: Anhand einer einzigen Mädchenfigur wesentliche Daseinsfragen darzustellen, das war neu. Die Verlorenheitsgefühle der Pubertät, das Empfinden des Anders- und Fremdseins, all dies wird in kammerspielartiger Intensität gezeigt. Aber auch hier ein über die Seelenkunde hinausgehender Blick: Frankie, androgyn, launenhaft, begeistert von Jazzmusik und Literatur, ist ein utopischer Typus. Als Wanderin zwischen der vergehenden Kindheit und dem aufziehenden Erwachsenenalter ist sie ein Wesen der Differenz, belegt mit dem Fluch, überall und nirgends zu Hause zu sein. Ihre Gefühlswallungen sind mehr als nur die theatralischen Posen der Jugend, sie belegen ein Gespür für die Verlorenheit des verwalteten Menschen. "Die Welt kam ihr riesig vor, rissig und wackelig. Am liebsten würde sie die ganze Stadt niederreißen." Ist das nicht auch der Traum des Anarchisten, der den Glauben an die Erneuerung der Gesellschaft aus sich selbst heraus aufgegeben hat? Frankie wird dieses Begehren nach dem Anderen verlieren und zur kichernden Göre werden. Es gibt auch hier kein Peter-Pan-Glück, sondern nur das Beruhigende der Konvention, das immer auch eine Beschämung ist.

Man hat in den beiden Mädchengestalten Widergängerinnen der Autorin erkannt. Carson McCullers wollte Musik studieren und verließ dafür im Alter von siebzehn ihren Heimatort Columbus in Georgia. Dass ihr in New York eine Freundin angeblich das letzte Geld für Klavierstunden klaute, ist ein schöner Gründungsmythos dieser Literatur, und wir, die Leser, sind der Diebin dankbar.

Die Musik wandelte sich in der Folge zum Motiv, mit der sich Konflikte illustrieren ließen, am eindrucksvollsten im letzten Roman, "Uhr ohne Zeiger". Da drischt Sherman, ein schwarzer Dienstbote, auf ein Klavier ein und erklärt: "Ich vibriere bei jeder Ungerechtigkeit, die meiner Rasse angetan wird. Ich vibriere, vibriere und vibriere." Es ist eine fatale Schwingung, die hier einsetzt, denn der Junge muss für seinen weißen Arbeitgeber rassistische Briefe schreiben. Das Buch erschien 1961 in Amerika, im selben Jahr stürmten Weiße in Alabama eine Kirche, um eine Predigt von Martin Luther King zu verhindern. Ein Jahr später kam es zu Krawallen, weil sich ein Schwarzer an der Universität von Mississippi einschreiben wollte.

McCullers war zu diesem Zeitpunkt bereits eine Legende, todkrank und literarisch unsterblich. "Uhr ohne Zeiger" ist deshalb auch eine autobiographische Reflexion: Im Zentrum des Buches steht der Apotheker Malone; er wird an Leukämie sterben, und wie die pubertierenden Heldinnen schreitet er die Grenzen zwischen Seinsbereichen ab. Erschütternde Lektion des Texts: Selbst die Tiefe der Sterbenserfahrung kann die etablierte Ordnung nicht erschüttern, noch auf dem Sterbebett löst die Nachricht von der Aufhebung der Rassentrennung Bestürzung aus.

Carson McCullers verwendet das Todesmotiv nicht als Ausrufezeichen, sondern als Gedankenstrich. Mit welcher Lakonie sie Akteure vom Schachbrett ihrer Geschichten räumt, das ist schockierend. Der radikalste Text in dieser Hinsicht ist "Spiegelbild im goldenen Auge". In einer Garnison geschieht ein Mord, "an dieser Tragödie waren beteiligt: zwei Offiziere, ein Soldat, zwei Frauen, ein Filipino und ein Pferd". So beginnt das komplexe Drama um heimliche Lust und sozialen Dünkel, verleugnete Homosexualität und seelische Grausamkeit. Auch diesen Text darf man nicht herauslösen aus unserem Zeithorizont; er ist eine messerscharfe Inspektion einer Männergesellschaft, wo Liebe und Eros durch Machtstrukturen gelenkt werden. Erlösung gibt es auch diesmal keine, McCullers ist schonungslos in Fragen der Metaphysik. "Über Jesus hatte sie gehört, dass er einmal irgendwo auf einem Esel geritten war", heißt es von der Frau jenes Majors, dessen Affäre für alle zum Verhängnis werden wird. "Aber wer ritt schon freiwillig auf einem Esel?"

Der kürzlich verstorbene Diogenes-Verleger Daniel Keel hatte sich diese Ausgabe gewünscht, gegen den Willen so mancher Verlagskollegen. Es gäbe doch gar kein Jubiläum, hieß es, oder sonst einen offiziellen Anlass. Jetzt ist diese wunderbare Edition da, und Keel behält wieder einmal recht: Carson McCullers braucht den Kalender nicht. Ihr Werk beglaubigt sich durch Zeitgebundenheit über die Zeiten hinweg, durch seine aus der Geschichte herandrängende Aktualität.

Carson McCullers: "Die Romane".

In revidierter Übersetzung von Elisabeth Schnack, Susanna Brenner- Rademacher, Richard Moering. Diogenes Verlag, Zürich 2011. 4 Bde., 1488 S., 69,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 20.12.2011

Der Trost des einsamen Jägers
Die Romane von Carson McCullers in einer schönen neuen Ausgabe – aber leider in veralteten Übersetzungen
Keiner wird die Romane von Carson McCullers je mit etwas anderem verwechseln. Das hat nicht nur mit ihrem Stoff zu tun – immer ist es der alte Süden der USA, immer ein langweiliger kleiner Ort, immer die Zeit zwischen den dreißiger und den fünfziger Jahren; und immer geschieht ewig lang überhaupt nichts, bis plötzlich die Katastrophe herabfährt wie ein Blitzstrahl. Vor allem liegt es daran, dass McCullers das Mittel einer multizentrischen personalen Erzählperspektive (um es so trocken philologisch auszudrücken) mit einer unvergleichlichen emotionalen Kraft handhabt, die umso stärker wirkt, als das Leben ihrer Protagonisten so still und ereignislos zu verlaufen scheint.
Alle ihre Figuren sind zur Einsamkeit verdammt. Aber das hemmt nicht ihre Liebe, die häufig abstruse, einseitige, missverständliche Formen annimmt, Toten oder Entrückten gilt, kein Maß und kein Muster kennt. Nie jedoch denunziert McCullers sie als etwas Törichtes, selbst wo es sich um haltlose Schwärmereien oder Schlimmeres handelt. Auch wenn sie unerwidert bleiben und in der Sprachlosigkeit verharren, legen sich die Gefühle doch wie ein dichter atmosphärischer Kreis um die Personen, die sie hegen, und diese Kreise berühren einander auf schwer erklärliche Art. Jeder versteht den anderen nicht oder falsch, und doch gehören sie zusammen, sogar wenn sie einander töten wollen oder es tatsächlich tun. Schwermütig sind diese Romane. Trotzdem besitzen sie eine geheimnisvoll tröstliche Qualität, die man beim Lesen intensiver empfindet als die doch so offensichtliche Vergeblichkeit menschlichen Strebens, von der alle diese Bücher sprechen. Bei Carson McCullers ist in die Trauer das Beglückende eingesenkt.
Ihr alter Hausverlag für den deutschsprachigen Raum, Diogenes, legt die vier Romane nunmehr in einer schönen neuen Edition vor – willkommener Anlass, sie sämtlich auf einmal zu lesen. Ihr Erscheinungsdatum liegt zwischen 1940, als das Erstlingswerk der erst 23-Jährigen, „Das Herz ist ein einsamer Jäger“, ihr sogleich Anerkennung als erstrangige Autorin verschaffte, und 1961; da war McCullers, die von Kindheit an unter schwersten Krankheiten litt, vom Alkohol abhing und den Selbstmord ihres Mannes (mit dem sie zweimal verheiratet war) zu verkraften hatte, schon gelähmt und kaum noch bewegungsfähig. Sie starb 1967, erst 50 Jahre alt.
Der zweite Roman, „Spiegelbild im goldnen Auge“, spielt in einer Garnison irgendwo in Georgia, wo die Offiziere und ihre Frauen ausreiten, sich gegenseitig zu Partys einladen und ansonsten zu Tode langweilen – und dennoch verstricken sie sich in beschämende und tödliche Leidenschaften. Im dritten, „Frankie“ (im Original „The Member of the Wedding“), geht es um ein 15-jähriges Mädchen, das während der endlos sich dehnenden Sommerferien die Tage verbringt, indem sie mit ihrem fünfjährigen Cousin und der einäugigen schwarzen Haushälterin in der Küche Karten spielt.
Immer mehr gewinnt die Vorstellung Macht über sie, dass sie ihren Bruder und dessen Braut – die Hochzeit steht unmittelbar bevor – um jeden Preis in die Flitterwochen begleiten will. „Nehmt mich mit!“, ruft sie ihnen nach, als das Auto des Brautpaars entschwindet: ein umso herzzerreißender Augenblick, als dieser Herzenswunsch natürlich ganz und gar hoffnungslos ist. Und das vierte Buch, „Uhr ohne Zeiger“, folgt dem Apotheker J. T. Malone durch sein letztes Lebensjahr, nachdem er die Diagnose Leukämie erhalten hat. Ein Jahr lang erlebt er alles, was ihm bislang banal vorgekommen ist, vom Anblick des Gemüsegartens bis zur Liebe seiner Frau, mit einer ganz neuen Inständigkeit; dann stirbt er.
Den grandiosen Auftakt aber bildet „The Heart is a Lonely Hunter“. Mit gutem Grund ist es bis heute Carson McCullers’ berühmtestes Buch. Es zeigt sie von Anbeginn im Vollbesitz ihrer Themen und auf der Höhe ihrer Kunst. Im Mittelpunkt steht der taubstumme Mr. Singer, in seinem Schweigen voll feinen Takts seinen Mitmenschen zugewandt. Als Untermieter wohnt er im Haus von Micks Familie. Mick, am Anfang des Buchs zwölf und am Ende knapp vierzehn Jahre alt, eine jüngere Schwester Frankies und wie diese wohl nicht zuletzt als jugendliches Selbstbild der Autorin zu begreifen, sucht nach irgendetwas Unbestimmtem, das über den Umkreis ihrer von ewigem Geldmangel beengten kinderreichen Familie hinausreicht.
Sie findet es in der Musik – und in der Gesellschaft Mr. Singers, dieses geisterhaft stillen und desto verständnisvoller scheinenden Wesens. Ihr gleich tun es Blount, ein von Schüben des Alkoholismus und der klassenkämpferischen Wut geschüttelter Herumtreiber; Doc Copeland, der schwarze Arzt der Stadt, selbst todkrank, der sein ganzes Leben weniger um die Rechte als um die Würde seiner Leute gekämpft hat; und Biff, Inhaber eines Cafés oder Diners, welches die ganze Nacht geöffnet ist und das zweite Gravitationszentrum des Romans bildet. Das erste ist natürlich Mr. Singers Zimmer, in dem ihn alle einzeln besuchen kommen.
Diese Figuren, die kaum in handfest zu nennenden Beziehungen stehen, bezeugen einander gleichwohl ihre Achtung auf ebenso beiläufige oder förmliche wie spontane Weise. Doc Copeland schreibt ein Billet an Mr. Singer, ob er ihm wegen eines stummen Kindes einmal seine Aufwartung machen dürfe; Biff gewährt Mick einen Preisnachlass auf bestimmte Süßigkeiten. Das bedeutet nicht wenig in einer Umgebung, in der Armut, Ressentiment und, nicht zu vergessen, grässliche sommerliche Schwüle herrschen. Was für ein anderes Land der Süden der USA gewesen sein muss, ehe die Klimaanlage Standard wurde! Jederzeit können hier wie aus dem Nichts Wahnsinn und Gewalt hervorbrechen.
Familiäre Bindungen dagegen heißen in McCullers’ Welt nicht viel; Micks Mutter z. B. findet kaum am Rand Erwähnung. Aber das konventionelle Verhältnis kann in einem freien Akt der Erkenntnis plötzlich umschlagen zu etwas Neuem. Micks Vater, unterbeschäftigter Uhrmacher, ruft sie eines Abends zu sich in die Werkstatt und gibt ihr ein bisschen Kleingeld, das er sich selbst vom Bier absparen muss.
„Sie hatte es so eilig, dass sie kaum stillstehen konnte. Ihr Papa merkte das. Er versuchte etwas zu sagen – aber er hatte sie ja aus keinem bestimmten Grund gerufen. Er wollte nur ein bisschen mit ihr plaudern. Er setzte zum Sprechen an und schluckte einmal. Sie sahen einander an. Die Stille breitete sich immer weiter aus, und keiner von ihnen brachte ein Wort heraus. Da wurde ihr auf einmal klar, was mit ihrem Papa los war. Eigentlich erfuhr sie damit nichts wirklich Neues – sie hatte es schon die ganze Zeit gewusst, nur nicht mit dem Verstand. Nun plötzlich wusste sie, dass sie über ihren Papa Bescheid wusste. Er war einsam, und er war ein alter Mann.“
Leider muss man sich das Aufleuchtende dieses Moments aus der deutschen Fassung eher herausklauben, als dass sie selbst es erschlösse. Im Original heißt es: „That was when she realized about her Dad.“ Hinter solcher Jähheit bleibt die Übersetzung schnaufend zurück: „Da wurde ihr auf einmal klar, was mit ihrem Papa los war.“ Das ist betulich und umständlich, und der „Papa“ stellt im Deutschen just die sofahafte familiäre Gemütlichkeit her, die McCullers nicht gemeint hat. Kleine Wörtlein genügen, um der Situation die Spitze abzubrechen, zum Beispiel das Ja in „aber er hatte sie ja aus keinem bestimmten Grund gerufen“ für „but he not called to tell her anything special“. Dieses „ja“ tut so, als wüssten beide selbstverständlich schon vorher, was geschehen wird – dabei gestaltet sich das Zusammentreffen mindestens für Mick, wahrscheinlich aber auch für ihren Dad, als eine existenzielle Überraschung. Und so geht es weiter, Zeile für Zeile, alles keine großen Fehler, doch insgesamt geeignet, die knappe Schärfe dieser Sätze und das Besondere dieses Buchs zu einem Allerweltsstück abzustumpfen.
Die Übersetzungen von Richard Moering, Elisabeth Schnack und Susanna Rademacher sind durch die Bank ein rundes halbes Jahrhundert alt, so alt eben wie die deutsche Erstausgabe. Zwar spricht der Verlag davon, sie seien „überarbeitet“ worden; dennoch stehen sie nicht auf der Höhe heutiger Standards. Man hätte die altgedienten Karossen nicht reparieren, sondern auswechseln sollen. Der Süden, von dem die Romane sprechen, mag zeitlich ferner gerückt sein; dafür sind uns die USA heute räumlich weit näher als in den Fünfzigern. Man muss einen „nickel“ heute nicht mehr als „Fünfcentstück“ verdeutlichen. Mit den Realien des amerikanischen Lebens sind die Übersetzer erkennbar unvertraut.
Handelt es sich wirklich um eine „Apotheke“ in unserem Sinn, wenn in diesem Geschäft auch Sandwiches und Cola verkauft werden, oder nicht vielleicht doch eher um einen Drugstore? Sind die „elektrischen Fächer“ an der Decke nicht am Ende einfach Ventilatoren (englisch „fans“)? Welchen Zweck könnte es haben, wenn es auf einem Platz getrennte „Brunnen“ für Weiße und Schwarze gibt? Eines Brunnens könnten sich doch beide Rassen auch im damaligen bigotten Süden recht gut gemeinsam erfreuen. Es muss um jene „drinking fountains“ gehen, die in Amerika zum Straßenbild gehören, bei uns jedoch fehlen.
Ja, und dann stellt sich natürlich noch ein Problem, an dem auch der beste Übersetzer verzweifeln muss: Das ist die Sprache der Schwarzen, die in drei der vier Romane eine wichtige Rolle spielt. Zu McCullers’ hoher Kunst gehört es, das den Schwarzen eigentümliche Idiom genau nachzubilden, ohne sie dabei im mindesten in ihrer Würde herabzusetzen. Im Deutschen hat man da vermutlich nur die Wahl zwischen einer sehr farblosen Farbenblindheit und einem bizarr-willkürlichen Kunstgebilde, also gewissermaßen zwischen Weiß und Lila anstatt des unmöglichen Schwarz. Die drei Übersetzer haben sich, trotz einiger eigenwilliger Schlenker, im Großen und Ganzen für Weiß entschieden. Das ist korrekt und matt und unvermeidlich.
BURKHARD MÜLLER
CARSON McCULLERS: Das Herz ist ein einsamer Jäger. Roman. Aus dem Englischen von Susanna Rademacher.
Spiegelbild im goldnen Auge. Roman Aus dem Englischen von Richard Moering.
Frankie. Roman. Aus dem Englischen von Richard Moering.
Uhr ohne Zeiger. Roman. Aus dem Englischen von Elisabeth Schnack.
Vier Romane im Schuber. Diogenes Verlag, Zürich 2011. Zusammen 1462 Seiten, 69 Euro.
Schwermütig sind diese Romane,
doch ist in ihre Trauer
das Beglückende eingesenkt
Sind die „elektrischen Fächer“
an der Decke nicht am Ende
einfach Ventilatoren?
Die 24-jährige Carson McCullers 1941 zu Hause in Columbus Foto: AP Photo
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Sehr dankbar ist Rezensent Daniel Haas dem verstorbenen Verleger Daniel Keel, dass er sich für eine überarbeitete Neuedition der Romane von Carson McCullers eingesetzt hat. Denn man kann im vorliegenden Band nicht nur die Entdeckung machen, dass die Romane der Südstaaten-Autorin erstaunlich aktuell sind in der Kritik gesellschaftlicher Strukturen. Die überarbeitete Übersetzung findet auch einen klaren, "eleganten" Duktus, wie der Rezensent zufrieden bemerkt, mit der die Autorin aus der symbolistischen Ecke, in die sie gern gestellt wurde, ein Stück weit herausgeholt wird. Schon im Debütroman, "Das Herz ist ein einsamer Jäger" von 1940, findet Haas Sätze, die so auch direkt von Anhängern der Occupy-Wallstreet-Bewegung gesagt werden könnten und deshalb liest man ihren Romanen heute die "Wucht der politischen Streitschrift" ab, wie der Rezensent meint. Neben der Kritik von Kapitalismus und Rassismus ist es vor allem die "Verlorenheit des verwalteten Menschen", die McCullers in ihren Romanen thematisiert, so Haas. Er glaubt, dass ihre Romane eine "aus der Geschichte herandrängende Aktualität" besitzen, die sie auch behalten werden und nicht zuletzt deshalb findet er diese Neuausgabe einfach "wunderbar".

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»Jeder sollte Carson McCullers lesen.« Frankfurter Allgemeine Zeitung Frankfurter Allgemeine Zeitung