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2 Kundenbewertungen

25 Jahre >Das große Märchenbuch

Produktbeschreibung
25 Jahre >Das große Märchenbuch<: »Ein Prachtband. Ein Buch zum Schmökern und Stöbern, das aber richtig zum sinnlichen Vergnügen durch die vorzüglichen Zeichnungen und Aquarelle von Tatjana Hauptmann wird, die fast keine Seite ausgelassen hat, um sie mit einer oder zwei ihrer witzigen und frechen Zeichnungen zu versehen.« Der Tagesspiegel, Berlin
Autorenporträt
Tatjana Hauptmann, geboren 1950 in Wiesbaden, Besuch der Werkkunstschule Offenbach, nach dreijähriger Grafiklehre an der Werkkunstschule Wiesbaden 1970 zum ZDF, wo sie unter anderem Mainzelmännchen zeichnete. Ab 1977 Veröffentlichungen.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Vor zweihundert Jahren erschien die erste Auflage der "Kinder- und Hausmärchen" der Brüder Grimm und der Diogenes-Verlag feiert dieses Jubiläum mit einer herausragenden Neuauflage des "Großen Märchenbuches", informiert der ganz hingerissene Rezensent Tilman Spreckelsen. Die Auswahl der hier versammelten Märchen hätte seiner Meinung nach nicht besser getroffen werden können: Kinder und Erwachsene werden die vorliegenden Märchen mit der gleichen Leidenschaft, aber mit unterschiedlichem Verständnis lesen, versichert der Kritiker, der darin das große Verdienst dieser Sammlung erkennt. Weder Sprache noch Anspielungen etwa auf Gesellschaftsstrukturen des neunzehnten Jahrhunderts dürften hier Verständnisschwierigkeiten bereiten. Das größte Lob des Rezensenten geht allerdings an die Illustratorin Tatjana Hauptmann: Ihre Bilder sind nicht "zimperlich", aber auch nicht zu grausam und auch ihr Vermögen, selbst den zahlreichen Bösewichten noch "Spuren früherer Menschlichkeit" ins Gesicht zu zeichnen, ringt dem Kritiker höchste Anerkennung ab.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.11.2012

Als der Wunsch noch geholfen hatte

Märchenbücher gibt es viele, zumal im Grimm-Jahr. Wer da noch punkten möchte, braucht ein gutes Gespür für die Textauswahl. Und eine Illustratorin wie Tatjana Hauptmann

Als vor zweihundert Jahren, am 20. Dezember 1812, die erste Auflage der "Kinder- und Hausmärchen" der Brüder Grimm erschien, signalisierte schon der Titel der Sammlung, dass dies kein Buch war, das eine ehrwürdige Tradition ungebrochen fortsetzen wollte. Stattdessen sollte eine neue begründet werden. Märchen, so kann man sich den Titel deuten, sind nun nicht mehr nur die bis dahin übliche Unterhaltungslektüre kürzeren Umfangs vorwiegend für Erwachsene. Sie richten sich jetzt dezidiert auch an Kinder.

Genau darin liegt die Ursache zu einer fortdauernden Irritation, die bis in die Gegenwart unter den Erwachsenen, die sich mit Märchen beschäftigen, zu kuriosen Volten führt. Denn selbstverständlich sind die Texte, wenigstens in ihren frühen Fassungen, nach wie vor voller Dinge, die man heute rundweg als "nicht kindgerecht" bezeichnen würde. Da wird gefoltert und gemordet, Gliedmaße werden abgeschlagen, zerstückelte Leichen aufgegessen, und wer sich auch als erwachsener Leser nicht bei Märchen wie der verstörenden "Frau Trude" der Brüder Grimm gehörig gruselt, dem fehlt alle Phantasie.

Das alles ist bekannt, die Strategien aber, mit denen Märchenvorleser, -sammler, -nacherzähler und -verleger darauf reagieren, beleuchten jeweils nicht nur die Verfasstheit dieser Vermittler, sondern auch die ihrer Zeit. Schon die Brüder Grimm haben ihre eigene Märchensammlung in den folgenden Auflagen in dieser Hinsicht entschärft, andere taten es ihnen nach, in der Absicht, die mit den Märchen konfrontierten Kinder nicht zu verstören.

Umgekehrt gibt es eine reiche Tradition von Märchensammlungen, die als Material für ethnologische Forschung entstanden sind - und die sich mithin dezidiert an Erwachsene richten. Vor allem aber ist in den freieren erzählerischen Adaptionen oder auch den Filmen, die Motive aus Märchen aufgreifen, ohne die Texte insgesamt umzusetzen, die gegenläufige Tendenz zur vermeintlich kindgerechten Entschärfung zu beobachten: Moderne Autoren wie Henning Ahrens oder Cornelia Funke stellen die Grausamkeit der von ihnen benutzten Märchenstoffe geradezu heraus, und Illustratoren wie Susanne Janssen loten in ihren Bildern aus, welche Albträume etwa der Welt von "Hänsel und Gretel" zugrunde liegen. Janssen bekam für ihre Adaption des Märchens 2008 den Jugendliteraturpreis verliehen und sagte in ihrer Dankesrede, dass ihrer Wahrnehmung nach Kinder keine größeren Probleme mit der Düsternis dieses Buches hätten - anders als die Erwachsenen.

Wer also, wie vor 25 Jahren der Diogenes-Verlag, ein voluminöses "Großes Märchenbuch" herausbringt, das eine Auswahl aus mehr als zweihundert Jahren Märchendichtung in aller Herren Ländern verspricht, außerdem die übliche Trennung aus Kunst- und Volksmärchen fröhlich schleift, muss eine Antwort auf die Frage finden, an welche Rezipienten er sich richtet, was es ihnen zumutet und an welchen Hintergrund es appelliert. Das beginnt mit der Sprache und dem Umgang mit heute kaum mehr gebräuchlichen oder gar verständlichen Formulierungen, setzt sich fort über Anspielungen etwa auf Gesellschaftsstrukturen des neunzehnten Jahrhunderts und mündet schließlich in Darstellungen von Konflikten, für die es in der Welt der heutigen Kinder keine direkten Entsprechungen mehr gibt. Im Idealfall lassen sich die Texte von Kindern wie Erwachsenen mit derselben Intensität, aber auf ganz unterschiedliche Weise rezipieren, so wie Andersens hier vertretenes Märchen "Des Kaisers neue Kleider", das dem einen vorwiegend eine Burleske, dem anderen eine schwer auszulotende Darstellung von Massensuggestion ist: Haben die betrügerischen Schneider nicht vielleicht ganz recht, wenn sie die Hofschranzen bis hin zum Kaiser selbst, die den Stoff nicht sehen und ihn doch zu sehen vorgeben, als "dumm" und "ungeeignet für ihr Amt" entlarven?

Die Sammlung, die in diesem Herbst neuerlich und zum Jubiläumspreis aufgelegt wird, setzt aber nicht nur mit ihrer gediegenen Textauswahl Maßstäbe, sondern auch mit der Auswahl der Illustratorin Tatjana Hauptmann. Ihr ist es zu verdanken, dass auch in den Bildern die Frage nach dem Rezipienten angenehm in der Schwebe bleibt. Wo es im Text derb zugeht, wahrt sie künstlerische Distanz zur Burleske, ohne je zimperlich zu sein. Ihre Landschaften sind nicht selten traumverloren, während ihre Prinzessinnen meist ausgesprochen irdische Geschöpfe sind, mit denen man keinen Streit haben möchte. Vor allem aber hat sie einen sicheren Blick für die latente Hässlichkeit von Bosheit. Wer anderen übelwill, schreibt sich diese Disposition mit hartem Federstrich ins Gesicht und auf den Leib, der Teufel so gut wie die russische Hexe Baba Jaga, die sinnlos böse Ziege aus "Tischlein deck dich" ebenso wie die mörderischen Stiefmütter, von denen es im Märchen nur so wimmelt. Dass dabei immer Spuren früherer Menschlichkeit durchschimmern, ist Tatjana Hauptmanns großes Vermögen. Schön, dass diese Sammlung wieder vorliegt.

TILMAN SPRECKELSEN

Christian Strich (Hrsg.), Tatjana Hauptmann: "Das große Märchenbuch".

Jubiläumsausgabe. Diogenes Verlag, Zürich 2012. 672 S., geb., 25,- [Euro]. Ab 5 J.

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