Produktdetails
  • Verlag: Haffmans
  • Seitenzahl: 287
  • Deutsch
  • Abmessung: 190mm
  • Gewicht: 362g
  • ISBN-13: 9783251005024
  • ISBN-10: 3251005022
  • Artikelnr.: 23927974
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 16.06.2001

Im Spiegel der Enkel
Ludwig Homann erkennt den Menschen als „Hunnen am Tor”
Ein Kunstwerk der Ausweglosigkeit war Ludwig Homanns 1998 erschienener Roman Der weiße Jude, eine Geschichte, die einen nicht los ließ. Auch für den Autor war sie offenbar nicht abgeschlossen. Jetzt hat er noch einmal – ja fast wie unter Zwang, wie in einem kathartischen Prozess – auf sie zurückgegriffen, nicht nur um der Selbsterklärung des Protagonisten willen, sondern zugleich auch, um ein Szenario unserer Tage zu erhellen.
Im Weißen Juden ist der junge Arztsohn Fridtjof Beese ein irregeleiteter Idealist, der sich gegen Ende des Krieges in eine schreckliche Lage bringt. Vom Gift des Nationalsozialismus infiziert, verrät er seinen Schulkameraden und dessen Familie, die drei schwerbehinderte Kinder versteckt halten; eine Tat, die er in seinem Innersten nicht begehen wollte. Danach lebte er – wenngleich er sich später für andere aufopferte – in selbst gewählter Erniedrigung und Isolation wie neben sich her, wie der Mann ohne Schatten, den nach dem Krieg die Furien der Vergangenheit nicht los ließen.
In Andeutungen erfahren wir dieses Geschehen noch einmal im neuen Roman Der Hunne am Tor. Es ist ein Balanceakt eigener Art, wie Homann auf den ersten zwanzig, dreißig Seiten – manchmal auch etwas fiebrig nervös –, die alte und die neue Geschichte zusammenführt. Ging es im Weißen Juden um Nazizeit, Krieg und Nachkrieg, gespiegelt und gebrochen durch die Seelenlage des Protagonisten Fridtjof – so sind wir jetzt mitten im deutschen Alltag der neunziger Jahre mit seinen antidemokratischen, orientierungslosen Jugendlichen, ihrem Rechtsradikalismus, ihrem Fremdenhass. Und das alles erlebt nun ein Mann, eben jener Fridtjof Beese, der immer noch an seiner alten Schuld würgt. Jetzt ist er siebzig Jahre alt und sieht junge Menschen zu ähnlich abstrusen Ideen und Zielen verleitet, wie denen, die ihn zur Zeit seiner Jugend okkupierten. Wenn das kein Thema ist – und wenn das kein zeitgemäßer Roman ist!
Wieder spielt das Geschehen auf dem Land (wo Homann sich vorzüglich auskennt), dort wo man Ressentiments und Vorurteilen noch rascher zugänglich ist, wo schwarze Jogger, „Russendeutsche”, Containerbewohner, Behinderte leichter als die „Anderen”, die Fremden, auffallen. Und wo schwer in ihrem Tun zu begreifende Söhne aus Bürger- und Bauernfamilien sich mit ihrem Antihumanismus als „Persönlichkeiten” hervortun wollen.
Im Weißen Juden hatte Fridtjof statt der vergebens umworbenen schönen Bauerstochter Rixa schließlich deren wenig anmutige ältere Schwester geheiratet; jetzt sind sowohl Fridtjof als auch Rixa verwitwet. Rixa bestellt ihren Hof allein; ihr 40-jähriger Sohn tummelt sich in einer rechtsradikalen Wehrsportgruppe, die ihre Zelte ungefragt auf Rixas Anwesen aufgeschlagen hat. Als der alte Fridtjof merkt, dass sich auch sein Enkel in der Gruppe befindet, versucht er, ihn zu retten, wodurch er auf verhängnisvolle Weise in deren Bannkreis gerät. Die nicht gesühnte Schuld Fridtjofs und die Wiederkehr des Ungeistes in Form des neuen Rechtsradikalismus, das sind die beiden Themenstränge, die Homann zu enormer Spannung verknüpft.
Fridtjof sucht seinen Richter; (auf furchtbare Weise bekommt er auch einen, den er nicht erwartet hatte). Aber erst die Bekanntschaft mit dem israelischen Schriftsteller und Journalisten Weinberger (der souveränsten Figur des Romans), der zu einer Lesung in die nahe gelegene Stadt gekommen ist, macht ihm klar: „Sie sind noch der Idealist von damals, der das ganz Große will und an Selbstopfer denkt. Jetzt suchen Sie es in der Sühne. Die Opfer sollen die Richter sein, ich soll Ihnen Ihre Buße auferlegen ... Sie monumentalisieren. Nüchtern betrachtet ist so vieles Trivialität, Zufälligkeit. Auch das vielleicht, dass Sie zu den Tätern gehören und ich zu den Opfern. Täterschaft und Opferschaft scheinen mir auf eine blinde, gleichgültige Weise verteilt...” Und Weinberger kommt, indem er Fridtjof von seinen journalistischen Recherchen erzählt – wie sich etwa Polen, Holländer oder Franzosen gegenüber Juden und anderen Minderheiten verhalten hatten –, kommt zu der Erklärung, dass jeder seinen „Hunnen” in sich trage. Die Hunnen sind die, die Geißel Gottes sein wollen, um als Todesengel über andere herzufallen. „Was ist Mensch: Hunne am Tor”.
Keiner zeigte Reue
Schwerlich lassen sich Schriftsteller nennen, die ein vergleichbares Engagement eingehen, sich als Erzähler solcher brisanter Thematik das Äußerste abverlangen wie Ludwig Homann (Jahrgang 1942). Er hatte, wie er einmal in einem Interview mitteilte, als junger Mann den Auschwitz- Prozess in Frankfurt am Main mitverfolgt, und am meisten zu schaffen gemacht hatte es ihm, dass nicht ein einziger der Angeklagten eine Schuld zuzugeben bereit war, geschweige Reue gezeigt hätte.
Manchmal wirkt der Roman aus Fridtjofs Perspektive zu argumentativ erklärend, als fürchte Homann, dass der Leser den dargestellten Konflikt immer noch nicht begreife. Doch dieser Roman hat viele Facetten. Zu den Stärken gehört, wie Homann seine Figuren durch ihre Sprechweise charakterisiert: den Gewaltmenschen Herbert Mehl durch seinen aggressiven Gestus; Rixas Sohn durch seine im Stakkato vorgebrachten Stereotypen; den jungen Hasselfeld – zuweilen fast ein problematischer Alter Ego des jungen Beese im Weißen Juden durch sein gefährliches pseudo-intellektuelles Niveau, mit dem er sich über seine „Kampfgenossen” erhebt.
Homann entlässt seine Leser bis zum Schluss nicht aus dem von ihm konstruierten Spannungsfeld. Kein Zugeständnis wird gemacht, wenngleich, zumindest, zwischen Rixa und Fridtjof, den nun Altgewordenen, sich doch noch eine Liebe andeutet, und ein Moment von Versöhnung aufkommt.
Ludwig Homann hat für seinen Roman den Droste-Hülshoff-Preis erhalten. Geehrt wurde ein Autor, der sich trotz des Funktionswandels, dem unsere Literatur seit Jahren unterliegt, nicht davon abbringen lässt sein Schreiben in den Dienst der verpönten Aufklärung zu stellen.
HANS-JÜRGEN SCHMITT
LUDWIG HOMANN: Der Hunne am Tor. Roman. Haffmans Verlag, Zürich 2001. 388Seiten, 39Mark.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.04.2001

Wo bleibt Westfalens Polizei?
Ludwig Homanns Roman "Der Hunne am Tor"

Man darf Fridtjof Beese im außerironischsten Sinne des Wortes wohl einen guten Menschen nennen - wenn zum Gutsein die Bereitschaft zählt, eine einmal anerkannte Schuld zu sühnen, ohne auf Gottes Gnade oder die Segnungen des Vergessens zu rechnen. Fridtjof Beese hat gefehlt: Davon und von den Folgen seiner Jugendsünde erzählte Ludwig Homanns Roman "Der weiße Jude", der vor zwei Jahren erschien und große Anerkennung für seinen moralischen Ernst und die Unerbittlichkeit seiner Gewissenserforschung fand.

Fridtjof, der aus Familientradition beschnittene HJ-Pimpf, hat mehr aus Konfusion als mit Vorsatz sein arisches Idol, den Müllerssohn Dahn, verraten, als ihm dieser offenbart hatte, daß er drei geistesgestörte Kinder auf seinem westfälischen Gehöft verborgen hielt. Der Rest von Fridtjofs Leben ist tätige Buße und die trotzdem peinigende Gewißheit, mit dem Verrat auch das eigene Leben verpfuscht zu haben. Man würde sich nicht wundern, wenn sich der alte Mann, wie in der Bachkantate, auf seinen Tod freuen würde.

Das ist die Situation, mit der Homanns neuer Roman, "Der Hunne am Tor", das zweite Buch über Fridtjof Beese, beginnt. Seine Frau ist gestorben, Methi, die er statt ihrer Schwester Rixa, die er in Wahrheit liebte, geheiratet hatte. Fridtjof Beeses Leben besteht aus routinemäßigen Gängen, zum Friedhof mit Rundweg durch die Bauernschaft oder ins Dorf zum Kaffeetrinken.

Aber eigentlich ist dieser Mann kein Spaziergänger, sondern ein Meldegänger des kommenden Unheils, für das ihm die Vokabeln noch oder wieder im Kopf herumschwirren: ",Fremdvolk' - ,Schädlingsrasse' - ,unsere große volkliche Sorge'."

Am Dorfrand, neben Beeses Anwesen, ist eine Asylantenunterkunft errichtet worden. Draußen im Moor probt eine Wehrsportgruppe den arischen Widerstand, mit Fridtjofs Neffen als Übungsleiter und seinem Enkel als Fußsoldaten. Ausgerechnet den Onkel hat sich die Gruppe zum Ehrenmitglied auserkoren, weil der einst sich an die Spitze einer Bürgerwehr zum Kampf gegen marodierende Russen gestellt hatte. Daß sich der alte Mann dem völkischen Gedankengut radikaler entsagt hat als irgendwer in seinem Dorf, will ihnen nicht in die Köpfe. Warum fraternisiert Fridtjof Beese mit den Schwarzen in der Unterkunft, warum will er ihnen sogar das Lauftraining auf der kommunalen Aschenbahn ermöglichen? Es sieht so aus, als würde die Zivilcourage des Büßers auf seine alten Tage auf eine harte Probe gestellt.

Ludwig Homann hat seine Hauptfigur mit einem totalen Amnesieverlust, mit einem gleichsam fotografischen Gedächtnis für die Sprache des Dritten Reiches geschlagen. So kann es geschehen, daß etwa bei Betrachtung einer Gruppe von Behinderten im Dorfcafé in Fridtjof Beeses Kopf ein schauerlicher NS-Sprachkrampf entsteht und nach Abfuhr ruft.

"Es war nicht zu unterdrücken", heißt es, "quoll herauf und schmetterte ihm durch die Hirnschale": Jargonfetzen wie: "Dürre Stecken wässern! Ausmerzen ist Heilhandeln" oder "Die eugenische Reinigung unseres Volkskörpers" und vieles mehr. Noch immer, so scheint es, kann den Pimpf von vorgestern die Nazipropaganda durchzucken wie ein epileptischer Anfall. So jedenfalls hat Homann diesen Charakter konstruiert: daß er den völkischen Phrasenvorrat als dessen widerwilliger Behälter mit sich führen muß. Fridtjof Beese ist das lebende Archiv einer Ideologie, die ihn eine Zeitlang verführt und zur Strafe ein Leben lang kontaminiert hat.

Interessanterweise beschäftigt Homann an Beeses Jugendsünde die Sünde sehr und die Jugend gar nicht. So wie sich Fridtjof selber keine mildernden Umstände zubilligt, hat auch der Roman die Möglichkeit nicht vorgesehen, daß Alter, Vergessen oder moralische Bewährung auch das heftigste Schuldgefühl mildern können.

Der Erinnerungsrigorismus, den der Roman und sein Held gegen andere, schlampigere Varianten der Vergangenheitsbewältigung ins Feld führen, wirkt forciert und unglaubwürdig und, was schwerer wiegt, ausgesprochen unheilsam. Alles, auch die Beulen, die er sich bei seinen unachtsamen Selbstgesprächen holt, soll Beese wissen lassen, "daß man nichts loswurde . . . Daß auch Alter nichts bedeutete. Daß es kein Vergessen und keine Entlassung gab, daß alles erhalten blieb, ein Leben lang." In Umkehrung des bekannten Vorwurfs an Martin Walser, er habe es sich mit seiner Jugend im Nationalsozialismus "zu leicht" gemacht, müßte man von Homann vielleicht sagen, daß er es sich und Fridtjof Beese zu schwer gemacht hat.

Andererseits muß man Homann dafür loben, wie konsequent er den erzählerischen Kampf mit bestimmten Milieus sucht, die in dieser Schärfe und Präzision sonst kaum von der Literatur observiert werden. Die Bauern und Behinderten, die Asylanten und Wehrsportler dieses Romans hat Homann in ihren Worten, Gesten und Taten genau vermessen. Es ist bemerkenswert, was etwa die Barttracht eines Neonazis alles an Distinktionen hergibt, wenn man so genau hinsieht wie Homann:

"Er hatte", heißt es über den Neffen, "nicht mehr den Mongolenbart, von dem Helmut gesprochen hatte, sondern einen fädigen Schnauzer, der ihm über den Mund hing und einem zerschlissenen Vorhang glich. Er hatte wahrscheinlich einen Seehundsbart im Sinn gehabt, zu dem es nicht reichte." Die jungen Neonazis bei Homann sind so gut und wahr getroffen, weil sie nicht nur in ihrer Schrecklichkeit begriffen sind, sondern auch in der unfreiwilligen Komik ihrer Jargon- und Kostüm-Maskerade: "Und wir passen auf", meint einer, der das Asylantenheim "entsetzen" will. "Die Kakaogesichter kriegen Sperrstunden, basta. Sperrzonen und Sperrstunden. Hier werden arteigene Lebensräume behauptet." Manchmal fragt man sich bei Homanns Schilderung solcher Umtriebe allerdings, wo die Polizei bleibt. In Westfalen auf dem Dorf scheint sie abgedankt zu haben.

Je weiter man in Homanns Roman vorankommt, desto deutlicher kann man erkennen, warum er dem alten Fridtjof Beese, dessen Leben am Ende des ersten Romans so gut wie abgeschlossen dalag, ein zweites Buch gegönnt hat. Er will offenkundig seine Hauptfigur erlösen, und zwar auf dreierlei Weise: durch eine nachgetragene Liebe, durch ein kathartisches Gespräch und durch ein finales Sühnezeichen.

So geschieht es, daß Beeses Liebe zu Rixa, der Schwägerin, spät, aber nicht zu spät wieder aufleben darf. So geschieht es, daß Weinberger, ein Journalist aus Israel, in die Gegend kommt, um das Schicksal seines Verwandten, des von Beese seinerzeit verratenen Müllerssohnes, zu erforschen; zum ersten Mal hat Fridtjof einen Gesprächspartner, der willens scheint, ihn zu verstehen. Und so geschieht es, daß in der krassesten Szene des Romans die Hakenkreuzbande ihrem ehemaligen Idol wegen Verrats an der völkischen Sache das große SS-Eisen auf die Brust brennt - "statt der kleinen Brandmarkung unterm Arm", wie einer der Akteure faselt, "eine große auf der Brust, wie sie bis jetzt noch keiner hat. Du bist dann kein Chamäleon mehr und darfst deine Beschnittenheit als gelöscht betrachten."

Das alles ist schwer zu ertragen, es ist nicht nur peinigend in einem womöglich moralisch läuternden, sondern peinlich im literarischen Sinn. Dicker als in Beeses letztem Femegericht und Fegefeuer kann man die Symbolik nicht auftragen: Ein Mann wird für eine gute Tat mit dem Zeichen seiner früheren Verfehlung gebrandmarkt, er wird zum Märtyrer der guten Sache in dem Moment, da er das Brandmal der schlechten Sache empfängt, der er einmal diente. Solange Fridtjof Beese nicht endlich ein bißchen erlöst oder, in Homanns Diktion, "entlassen" ist, müssen, so ließe sich mit geringer Übertreibung konstatieren, leider alle anderen Nazis bleiben.

CHRISTOPH BARTMANN

Ludwig Homann: "Der Hunne am Tor". Roman. Haffmans Verlag, Zürich 2001. 288 S., geb., 39,- DM.

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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Jörg Plath ist von diesem zweiten Teil der Lebensgeschichte des Fridjof Breese enttäuscht. Wie im ersten Roman "Der weiße Jude", informiert er vorab, geht es um Idealismus und Verrat, Schuld und Buße. Eigentlich durchlebe der Romanheld hier noch einmal dieselben Konflikte wie damals als Hitlerjunge. Beeindruckend findet der Rezensent, wie nah der Erzähler dem beschädigten Leben des Fritjof Breese ist und dies durch kurze, karge, häufig elliptisch verknappte umgangssprachliche Sätze transportiert. Dies macht jedoch den negativen Gesamteindruck des Romans nicht wett. Besonders missfällt Plath "das dicke Ende", Homanns passiver Begriff der Buße und das analog dazu konstruierte Verständnis der "Sünde als historischer Staffelstab", der Erlösung von Schuld nur dann zu gewähren scheint, wenn ein anderer sie übernimmt.

© Perlentaucher Medien GmbH