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Dieses Buch handelt vom Glück. Von der Freiheit. Von der Würde. Und siebenunddreißig weiteren Königswörtern, bekannt aus Andacht und Werbung, die Navid Kermani literaturhistorisch schüttelt, philosophisch zersägt und eiskalt gegen die Wand schmeißt um am Ende jene Winzigkeit wundervoll poetisch ausgekratzt zu haben, die an ihnen noch sagbar ist, ohne zu relativieren. Wie groß diese Winzigkeit ist, wie unendlich: Holgers Sehnsucht nach der Dunstabzugshaube im Saturn (oder ist es die Sehnsucht nach der blaugewandeten Verkäuferin?). Adornos Wahrheit in der Falschheit seines Whiskysatzes.…mehr

Produktbeschreibung
Dieses Buch handelt vom Glück. Von der Freiheit. Von der Würde. Und siebenunddreißig weiteren Königswörtern, bekannt aus Andacht und Werbung, die Navid Kermani literaturhistorisch schüttelt, philosophisch zersägt und eiskalt gegen die Wand schmeißt um am Ende jene Winzigkeit wundervoll poetisch ausgekratzt zu haben, die an ihnen noch sagbar ist, ohne zu relativieren. Wie groß diese Winzigkeit ist, wie unendlich: Holgers Sehnsucht nach der Dunstabzugshaube im Saturn (oder ist es die Sehnsucht nach der blaugewandeten Verkäuferin?). Adornos Wahrheit in der Falschheit seines Whiskysatzes. Überhaupt Whisky. Und die Demut am Tresen. Und Fußball natürlich, der jämmerliche 1.FC Köln. Was kann es da noch mehr geben? Allenfalls Sex, und Anke Pannkes Tapferkeit im witzfreien Ehebett. Spätestens aber, wenn Jesus durch den Deutzer Planet Büschel schreitet oder Thorsten den Tod in Gegenwartsform schildert, weiß man, daß Heilige verschroben, gottlos oder tieftraurig sein mögen, nur eines nicht: harmlos. In vierzig Leben, vierzig Heiligenviten aus Köln-Eigelstein und Umgebung gelingt Navid Kermani nichts Geringeres als ein Katechismus unserer Zeit.
Autorenporträt
Navid Kermani, geboren 1967, promovierter Islamwissenschaftler und Publizist, gilt als führender Iran-Experte in Deutschland und hat zwischen 1995 und 2000 für die Frankfurter Allgemeine Zeitung die Entwicklung in Iran verfolgt. Für das Studienjahr 2000/2001 ist er an das Wissenschaftskolleg in Berlin berufen worden. 2010 wurde Navid Kermani mit der "Buber-Rosenzweig-Medaille 2011" ausgezeichnet und 2011 erhielt er den "Hannah-Arendt-Preis" für seine "lagerüberwindenden, religionswissenschaftlichen und politischen Analysen". Im Jahr 2012 wurde er für seine gesellschaftliche Auseinandersetzung mit den Religionen sowie den von ihm betriebenen Dialog der Kulturen mit dem "Kölner Kulturpreis" ausgezeichnet, im Oktober erhielt er den "Cicero Rednerpreis" für "herausragende rhetorische Leistungen". Im November desselben Jahres wurde ihm der "Kleist-Preis" verliehen. 2014 erhielt er den "Joseph-Breitbach-Preis" für sein Gesamtwerk, 2015 wurde ihm der "Friedenspreis des Deutschen Buchhandels" verliehen.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 21.08.2004

Zwei Kölsch, eine Wasserpfeife
Chronik der Missgeschicke: Navid Kermanis „Vierzig Leben”
Als Dariusch Nikolai Oelmüller, aufgewachsen in Hamburg-Blankenese, wohnhaft in einer der besseren Gegenden Kölns, seine Frau und seine drei fröhlichen Kinder verließ, ohne dass seine Geliebte ihm je Hoffnung gemacht hätte, ihn zu erhören, zog er in ein Appartement in ihrer Nähe, nach Köln-Ossendorf, und verwahrloste Schritt für Schritt. Dariusch Nikolai, dessen persischer Familienteil ursprünglich aus der Ukraine stammt, hatte im Direktorium einer Versicherung gearbeitet, wurde dort bald entlassen und verschwand für einige Zeit. Am Ende der Geschichte, vier Jahre nach dem Umzug, hofft er, inzwischen Sachbearbeiter bei seiner alten Versicherung, auf ein Wiedersehen mit seinen Kindern und seinem Vater. Er ist ohne Hoffnung verliebt. Das Leben ist eine Spirale, die allmählich abwärts führt.
Das ist die Kurzfassung einer Kurzfassung, denn alle Geschichten in Navid Kermanis neuem Erzählband „Vierzig Leben” sind Miniaturen, zwei bis neun Seiten lang. Schmal und streng entkleiden sie das Leben ihrer Figuren. Sie haben kein Interesse an großflächiger Malerei, es geht ihnen um die Linie, die im Titel der Erzählung angeschlagen ist: „Von der Hoffnung” heißt Oelmüllers Geschichte, „Vom Scherz” eine andere, „Vom Glauben”. Barocken Allegorien ähnlich, wirken sie nicht selten wie Deutungen der Bilder, die sie im Verlauf der Erzählung selbst erschaffen.
Zu den besten Texten gehört „Von der Lust”, eine Geschichte vom Zuhören, über die der Ich-Erzähler einen Auszug aus dem Schicksal von Wolli und Frau erfährt. Wolli nämlich berichtet einem Kneipenfreund vom Wunder, das manchmal möglich ist, wenn zwei lange bekannte, abgenutzte Ehepartner abends zusammen liegen, am besten nach einem Umzug oder nach der langen Autofahrt von der Bretagne nach Hause, dann kann sich, so Wolli, aus der völligen Erschöpfung eine große Gelassenheit ergeben, die winzigste Ereignisse der Lust zu solchen macht, die alles übertreffen. „Gerade die eigene Ambitionslosigkeit ist es, so folgere ich aus dem Gespräch der beiden Kumpel, die dazu befähigt, noch die minimalen Regungen des anderen aufzunehmen und dienend zu vollenden.”
Ägyptisches Alpenpanorama
Der als Islamexperte bekannte Kermani, der schon mit seinem „Buch der von Neil Young Getöteten” als Schriftsteller überzeugte, formuliert seine kleinen Geheimlehren des Lebens mit viel Sorgfalt und Genauigkeit. Wie sein Kneipenerzähler bemüht er sich um das Schwierigste, dem, was der Fall ist, gerecht zu werden. Das heißt hier: ihn interessiert die Existenz durchschnittlicher Individuen, die er wie einer jener klassischen Moralisten verfolgt, die nichts ändern, die die Wahrheit anderer Leben nur erkunden wollen.
Eine Stärke dieses Buches ist, dass Kermani seinen entschiedenen Anspruch so vollkommen unprätentiös einlöst. Die Hauptfiguren der kleinen moralischen Geschichten, die er erzählt, leben mehr für das Schicksal des 1.FC Köln als für die Philosophie. Sie sind allesamt Kleinbürger, etwa Anton Kurz, ein Mann mit Glatze und Bart, ein Filmvorführer, der mit einer trüben Frau verheiratet ist und über seinem straffen Bauch als Zeichen des Genusses gern ein schwarzes T-Shirt trägt. Aber was Anton Kurz am meisten interessiert, ist die Zeit zwischen Vorfilm und Film, die er selber gestalten kann. Bruno dagegen ist ein melancholischer Bühnenarbeiter, dem, trotz aller Versuche lustig zu sein, seine Schwermut lebenslang im Gesicht sitzt. Und auch nach seinem Tod weicht sie nicht.
Die freundliche Unerbittlichkeit von Kermanis Geschichten ist gut getarnt durch eine Menge Skurriles an der Oberfläche, das manchmal überhand nimmt. Dann drohen die Mini-Erzählungen ihren Reiz zu verlieren, wirken gar wie formale Experimente und Übungen, deren Schachtelsätze an Kreuzworträtsellöser adressiert scheinen. Zu den besten Geschichten gehören hingegen jene, die das Skurrile als Element menschlicher Existenz schlicht voraussetzen.
Araber, Perser, Schweizer, Deutsche, die Bewohner von Kermanis Land sind auf eine Weise gemischt, die nicht vollmundig „die andere Kultur”, sondern die individuelle Haltung in den Vordergrund rückt. Bei den meisten Figuren, einige von ihnen kehren in mehreren Geschichten wieder, spielt es eine kleine Rolle, welcher Nationalität ihre durchschnittliche Existenz entstammt.
Nur eine der Erzählungen springt offen auf den Kulturvermittlungsexpress, die ebenso komische wie lehrreiche Geschichte des stellvertretenden Geschäftsführers eines Kölner Kunstverlags, der sich, zum erstenmal in Kairo, in das Café asch-Schams verliert, und daraufhin in insgesamt sieben deutschen Städten eine Kette aufziehen will, die so originalgetreu gehalten sein soll, dass der Putz aufgetragen und Tage danach wieder abgeblättert werden muss. Der Wandschmuck aus Familienfotos, kalligraphischen Drucken und Alpenpanoramas wird aus Ägypten eingeflogen. Wie die ausgesucht minderwertige Musikanlage, die ägyptischen Wasserpfeifenzubereiter oder die abgenudelten, immer wieder hin und her kopierten arabischen Kassetten ist er ein Zeichen für Albert Weinrichs Bemühungen um Ursprünglichkeit. Die Kette geht nach neun Monaten ein. Albert Weinrich ist verschwunden.
HANS-PETER KUNISCH
NAVID KERMANI: Vierzig Leben. Ammann Verlag, Zürich 2004. 205 Seiten, 19,90 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Kurz sind Navid Kermanis Geschichten, "Miniaturen", die sich für die großen Linien interessieren, nicht für die Ausschmückung im Detail. Was nicht heißen soll, da will der Rezensent Hans-Peter Kunisch keinen falschen Eindruck aufkommen lassen, dass es hier ums große philosophische Ganze geht. Auf den ersten Blick banal nämlich ist das, was Kermani für des Erzählens an jedem der vierzig Leben wert befindet. Das aber sei, der "Sorgfalt und Genauigkeit" wegen, mit der er dabei vorgehe, gerade die Stärke des gänzlich "unprätentiösen" Buches. Kermani erzählt von Leuten, tendenziell wie du und ich: ein Filmvorführer, der die Pausen zwischen den Filmen bevorzugt, einem Mann, der sich sinnlos verliebt und verkommt. Die "Unerbittlichkeit" der Geschichten komme "freundlich" daher, aber das täusche durchaus, warnt unser Rezensent. Und nur dass das Skurrile manchmal zu sehr die Oberhand gewinnt, hat ihn ein wenig gestört. Der Gesamteindruck aber ist ein sehr positiver.

© Perlentaucher Medien GmbH
Kermani schreibt virtuos, dabei immer präzise und logisch, manchmal sogar derart, dass einem schwindelig wird. Doch meist dürfte baffes Staunen und ein vergnügliches Lächeln auf dem Gesicht des Lesers zu sehen sein, denn viele der Vierzig Leben stecken, bei aller Würde und Ernsthaftigkeit, die der Autor ihnen verleiht, voller Überraschung und Komik. Berliner Zeitung