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Ein Geheimnis verbindet Jolan und K., ein Geheimnis, das die ungleichen Schwestern aneinanderkettet und unerbittlich miteinander ringen läßt. Seit dem rätselhaften Verschwinden ihrer Mutter, die von einem gemeinsamen Bergausflug mit Jolan nicht wiederkehrt, nimmt die Haßliebe zwischen den Schwestern bedenkliche Formen an. K. hat Jolan nie verziehen, um so weniger, als sie aus ihr nicht herausbekommt, was an jenem Oktobertag, der voller unguter Vorzeichen begann, eigentlich geschehen ist. Einem Familienrätsel gilt es auf die Spur zu kommen, das sich über Generationen hinweg zu wiederholen…mehr

Produktbeschreibung
Ein Geheimnis verbindet Jolan und K., ein Geheimnis, das die ungleichen Schwestern aneinanderkettet und unerbittlich miteinander ringen läßt. Seit dem rätselhaften Verschwinden ihrer Mutter, die von einem gemeinsamen Bergausflug mit Jolan nicht wiederkehrt, nimmt die Haßliebe zwischen den Schwestern bedenkliche Formen an. K. hat Jolan nie verziehen, um so weniger, als sie aus ihr nicht herausbekommt, was an jenem Oktobertag, der voller unguter Vorzeichen begann, eigentlich geschehen ist.
Einem Familienrätsel gilt es auf die Spur zu kommen, das sich über Generationen hinweg zu wiederholen scheint, während den Männern, bei denen sich die Wege der Frauen kreuzen, meist nur die Flucht bleibt.
Wie eine Berglandschaft von rätselhafter und zugleich bestechend klarer Schönheit eröffnet der Text immer neue Perspektiven auf die Abgründe und Höhen eines vielschichtigen Familiendramas und zieht die Lesenden magisch hinein in die Suche nach der Wahrheit jenes verhängnisvollen Bergtags.
Autorenporträt
Christina Viragh, geboren 1953 in Budapest, emigrierte 1960 in die Schweiz und lebt heute in Rom. Sie ist Schriftstellerin und übersetzt aus dem Ungarischen und Französischen. 2012 wurde sie mit dem Hauptpreis des Europäischen Übersetzerpreises Offenburg für ihre Übersetzungen aus dem Ungarischen ausgezeichnet.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Eine "geballte Ladung Aggression" hinterließ die Lektüre von Christina Viraghs Roman bei Rezensentin Meike Fessmann - und dies nicht, weil er misslungen wäre, sondern weil Fessmann den Eindruck hatte, die Autorin wolle "direkt auf unser Gehirn zugreifen - als wäre es eine Festplatte, auf der sich Daten beliebig manipulieren ließen". Das Buch ist und schildert eine verbalen Gewalttat, berichtet die Rezensentin: das Wortduell der Schwestern Jolan und K., deren Mutter bei einer Wanderung auf den nahe Luzern gelegenen Berg "Pilatus" verschollen ist und die in Briefen und Mails um die "Deutungshoheit" dieser Familiengeschichte kämpfen, wobei "jedes ihrer Worte eine Täuschung ist" und der "Vernichtung" des andren dient; es ist eine Gewalttat, indem es jede gegebene Informationen sofort wieder zurücknimmt, verändert oder in Zweifel zieht, so Fessmann, die indessen der Präzision, mit der Viragh jedes Wort und jeden Satz platziert, ebenso wie der "Konsequenz" der Autorin durchaus "Bewunderung" zollt: "Wer so mit seinen Lesern umgeht, der rechnet damit, keine zu haben. Und das ist das Thema."

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.10.2003

Reim dich, oder ich versteh dich!
In der Lesefamilie: Christina Viragh wirft Nebelkerzen in den Wald

Ein Déjà-vu-Buch wird uns vorgelegt. So muß es jedenfalls jenen Lesern erscheinen, die sich im Herbst 1997 durch Christina Viraghs Roman "Mutters Buch" gemüht haben. Nicht nur, daß die Personage im älteren wie im neuen Roman "Pilatus" weitgehend identisch ist, die dargestellten Leute werden auch von den gleichen Sorgen und Problemen gequält, und hier wie dort wird ihnen ihre Pein auf recht verwirrende Weise auferlegt.

Wie gehabt, begegnen wir auch diesmal einer Rumpffamilie aus Ungarn, die nach dem Zweiten Weltkrieg in die Schweiz auswandert und dort zerfällt. Denselben Emigrantenweg hat einst auch die Autorin Viragh zurückgelegt, die, 1953 in Budapest geboren, als Siebenjährige in den Alpenstaat kam. Sie lebt heute in Rom, ein Ortswechsel, den sie ihren Romanheldinnen voraushat. Diese Hauptfiguren, in "Mutters Buch" eine Mutter und deren Tochter Jolan, sind in "Pilatus" um eine zweite Tochter angereichert. Ihr erkennt die Autorin keinen Namen zu, sondern nur einen Buchstaben: K.

Das Mädchen K. ist es weitgehend, die uns erzählt, was ihre Erfinderin für erzählenswert hält. Sie vermittelt neuen Viragh-Lesern auch, was erprobte Viragh-Leser schon aus dem früheren Buch kennen: die Vergangenheit in der einst großbürgerlichen Budapester Wohnung, das Zusammenleben mit den zickigen alten Tanten und der forschen Haushälterin Frau Franz, den Umzug in die Schweiz und das Unglück, das dort über die Frauen hereinbricht.

Die Mutter - im neuen Roman wird ihr der Name Lia zugemessen - verschwand eines Tages. Sie kehrte von einem Ausflug, den sie und Jolan auf den Berg Pilatus unternahmen, nicht zurück. Was ist ihr zugestoßen? Jolan müßte es eigentlich wissen, doch die gibt keine Auskunft. Nur so viel ist sicher, daß sie Mutter Lia nicht mochte. Keine Ahnung, warum. Vielleicht deshalb, weil sie ihr die Umstände ihrer Zeugung beleidigt anrechnete. Jolan stammt nämlich aus einer sowjetischen Vergewaltigung, und der Übeltäter war obendrein noch asiatischer Herkunft, was man der Tochter auch ansieht - offenbar keine willkommene Morgengabe für ein europäisches Mädchen.

Weshalb aber hat K. so wenig Verständnis für die gebrandmarkte Schwester? Die Autorin Viragh sagt es uns nicht. Statt dessen hüllt sie uns in die Ungewißheiten einer weiteren Herkunftsstory: K. ging anscheinend aus einer Beziehung Lias mit dem Schweizer Paul hervor. Paul, ein Hallodri, lebt nach Lias Verschwinden im Verhältnis mit Jolan. Im Fortgang der Fabel kann man sogar nicht ausschließen, daß zwischen Paul und K. auch etwas wabert. Darauf allerdings läßt sich nicht wetten, denn wenn dieser Roman uns etwas vorenthält, so ist es Deutlichkeit im Vermitteln der Handlung.

Infolgedessen ist es dem Leser nicht möglich, zu tun, was der Klappentext ihm rät: nämlich "einem Familienrätsel auf die Spur zu kommen". Was in diesem ungarisch-schweizerischen Frauen-Trio vor sich geht oder vor sich gegangen ist, bleibt letzten Endes undurchschaubar. Da nützt es auch nichts, daß K. ausführlich zitiert, was Jolan äußert, nicht eben zur Sache, aber irgendwie in Verbindung mit der Sache. Jolan gibt nämlich Sätze von sich, die keinerlei Mitteilungswert haben, sondern sich nur durch unentwegte Schlußreime auszeichnen. Wo Lia geblieben ist, was Jolan tat oder nicht, was das alles für Wirkungen auf K. ausübt - Nebel und nochmals Nebel. Wenn man das alles zur Kenntnis genommen hat, bleibt nur eins: der Ruf nach Aufklärung, die der Roman verweigert.

SABINE BRANDT

Christina Viragh: "Pilatus". Roman. Ammann Verlag, Zürich 2003. 236 S., geb., 18,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 16.03.2004

Mit dem Griff nach der Festplatte
Die Zwangslektüre: Christina Viraghs Roman „Pilatus”
Das Tagebuch ist normalerweise die intimste Form der Schrift. Es kennt keine Autor- und keine Leserfunktion. Der Schreibende und der Lesende sind ein und dieselbe Person, wenn auch durch den Abgrund der Jahre getrennt. Das kleine Schloss am pubertären Tagebuch oder die Tarnung durch ein geschicktes Versteck bezeugen, dass der Schreiber nichts so sehr fürchtet wie heimliche Mitleser. Dennoch soll es Fälle geben, wo das Buch mit Bedacht offen liegen bleibt, damit ein anderer all die Gemeinheiten (oder Schmeicheleien) lesen kann, die einer sich im Stillen ausgedacht hat. Doch das ist die Ausnahme. Christina Viraghs vierter Roman, „Pilatus”, erhebt diese Ausnahme zum Erzählprinzip. „Ich weiß, dass Du nie liest, was ich schreibe, und ich will, dass Du das weißt”, schreibt eine der beiden traurigen Heldinnen, es sind Schwestern, per E-Mail an die andere. Das könnte auch als Zettelchen auf einem unberührt gebliebenen Tagebuch kleben. Mehr noch: es ist die Formel dieses überaus eigenwilligen Romans, die nicht nur innerhalb des Erzählgefüges gilt, sondern auch in Bezug auf den (externen) Leser.
Der Roman „Pilatus” ist ein höchst ausdifferenziertes Kunstwerk. Kein Satz, kein Wort, kein Zeichen wird hier zufällig platziert. Alles ist wohl kalkuliert, und zwar in Hinsicht darauf, Verwirrung zu stiften. Die meisten Informationen, die der Leser erhält, werden im nächsten Moment wieder gelöscht oder zumindest verunsichert. Niemals soll er wissen, was er liest. Das fühlt sich so an, als wolle die Autorin direkt auf unser Gehirn zugreifen – als wäre es eine Festplatte, auf der sich Daten beliebig manipulieren ließen. Ein schönes Gefühl ist das nicht. Aber es erklärt, warum wir am Ende der Lektüre mit einer geballten Ladung Aggression dasitzen und am liebsten jedes Mitgehen, jede Interpretation verweigern würden.
Und dann ist da doch eine gewisse Bewunderung: für die ungeheure Konsequenz, mit der Christina Viragh den Zweikampf der beiden Schwestern um die Deutungshoheit über die Familiengeschichte auf uns überspringen lässt. Wer so mit seinen Lesern umgeht, der rechnet damit, keine zu haben. Und das ist das Thema. Wie kann ich jemanden nötigen, meiner Interpretation zu folgen? Wie kann ich ihn zwingen, sich anzuhören, was ich sage oder schwieriger noch: zu lesen, was ich über ihn geschrieben habe?
Die beiden Frauen, die Christina Viragh bis an die Zähne bewaffnet mit Worten in Frontstellung bringt, kennt man bereits aus „Mutters Buch”, dem Vorgängerroman aus dem Jahr 1997: Jolan und ihre neun Jahre jüngere Schwester, von deren Namen wir nur den Anfangsbuchstaben erfahren, „K.”. Aus ihrer Perspektive wird der Roman erzählt. Scheinbar ist K. – man denkt sofort an das Kafka-Kürzel – nichts wichtiger, als das Verschwinden ihrer Mutter aufzuklären, die von einer Wanderung auf den Pilatus nicht zurückgekehrt ist. Jolan hatte sie begleitet und müsste also wissen, was mit Lia, so nannte sich die Mutter als junges Mädchen, geschehen ist. Aber sie weiß es nicht. Oder sie will es nicht wissen, täuscht Unaufmerksamkeit, Ablenkung und Bewusstseinstrübungen vor und verweigert dem Aufklärungsprojekt der Schwester jede Mithilfe.
Raus mit dem Stecker
Eine ist gerissener und perfider als die andere, kein Wunder also, dass sie es vermeiden, sich zu sehen. Statt dessen führen sie Telefonate, schreiben Briefe oder Mails. Jedes ihrer Worte ist eine Täuschung. Schweigen dient ebenso der Vernichtung wie Schreiben: „Ich werde Dir einen Text schicken, der Dich an die Wand drückt”, mailt Jolan der unerbittlich auf Kommunikation bestehenden K. Als auch ein „Leck mich am Arsch” nicht hilft, die Schwester abzuwimmeln, bleibt nur noch eins: „Ich scheiße auf Deine Zusammenhänge. Man darf Dich nicht in die Nähe kommen lassen, hat Lia gesagt. Ich ziehe den Stecker heraus.”
So handfest geht es allerdings selten zu im Rätselbergwerk von Christina Viragh. Alles wird aufgefahren, was sich an Mythen um den nahe Luzern gelegenen Pilatus rankt. Von Pontius Pilatus, der hier seine Absencen gehabt haben soll, bevor er sich in den Vierwaldstätter See stürzte, bis zu jener Legende von den zwei Wanderern, die dort verschwanden, um vierzig Jahre später vor den Toren Luzerns wieder aufzutauchen. Man versteht die Botschaft wohl. Es geht um Abwesenheit, um das Verwischen von Spuren, ums Verschwinden. „Es ist kein Selbstvergewissern, sondern der Augenblick des Vergessens, den man, wenn man will, Gott nennen kann.” Nur ist die Schrift das denkbar ungeeignetste Medium, um das Vergessen zu feiern. Von daher rührt die paradoxe Struktur des Romans, seine Löschungs- und Vernichtungsorgien, die nicht nur den Figuren, sondern auch dem Leser Gewalt antun.
MEIKE FESSMANN
CHRISTINA VIRAGH: Pilatus. Roman. Ammann Verlag, Zürich 2003. 236 Seiten, 18,90 Euro.
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