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Als Martin Luther am 31. Oktober 1517 seine 95 Thesen an die Kirche zu Wittenberg schlägt, wird in der spanischen Stadt Valladolid der Junge Cipriano Salcedo geboren. Eine Laune des Schicksals, die das Leben des Jungen auf immer mit dem Luthers zu verknüpfen scheint. Als Erwachsener schließt sich Cipriano, inzwischen ein erfolgreicher Kaufmann, der reformatorischen Bewegung an, die heimlich auch auf die iberische Halbinsel vordringt. Doch die Inquisition setzt alles daran, die Anhänger des neuen Glaubens den Flammen ihrer Scheiterhaufen zu übergeben.

Produktbeschreibung
Als Martin Luther am 31. Oktober 1517 seine 95 Thesen an die Kirche zu Wittenberg schlägt, wird in der spanischen Stadt Valladolid der Junge Cipriano Salcedo geboren. Eine Laune des Schicksals, die das Leben des Jungen auf immer mit dem Luthers zu verknüpfen scheint. Als Erwachsener schließt sich Cipriano, inzwischen ein erfolgreicher Kaufmann, der reformatorischen Bewegung an, die heimlich auch auf die iberische Halbinsel vordringt. Doch die Inquisition setzt alles daran, die Anhänger des neuen Glaubens den Flammen ihrer Scheiterhaufen zu übergeben.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.11.2000

Der Schatten des Körpers des Ketzers
Miguel Delibes läßt die Geschichte zu kurz kommen / Von Andreas Kilb

In Spanien, hört man, sind historische Romane auf dem Vormarsch. Das kommt nicht unerwartet, schließlich schreitet das Genre seit dem Erfolg von Ecos "Name der Rose" in ganz Europa flott voran. Überraschend ist eher die Verspätung, mit der Ecos Erbe die Schriftsteller der Iberischen Halbinsel erreicht. Nun hat auch Miguel Delibes, der im Oktober achtzig Jahre alt geworden ist und neben Juan Goytisolo und Camilo José Cela als Großmeister der spanischen Literatur bezeichnet wird, einen historischen Roman geschrieben.

"Der Ketzer" erzählt die Lebensgeschichte eines Kaufmanns, der seine Anständigkeit mit dem Tod auf dem Scheiterhaufen bezahlen muß. Cipriano Salcedo, Sohn des Pachtherrn Bernardo und seiner Frau Catalina, kommt am 31. Oktober 1517 im nordkastilischen Valladolid zur Welt, am gleichen Tag, an dem viele hundert Meilen weiter nördlich der Mönch Martin Luther seine Thesen ans Portal der Wittenberger Schloßkirche schlägt. Von dieser schicksalhaften Koinzidenz ahnt Cipriano freilich lange Zeit nichts. Nur von fern dringen die theologischen Debatten der Zeitgenossen an sein Ohr, während er eine beinahe sorglose Kindheit und Jugend in der Residenzstadt am Rio Pisuerga verlebt, eine Schafschererin heiratet und das von seinem Vater ererbte Wollhandelsgeschäft zum Blühen bringt.

Erst die Bekanntschaft mit einem Dorfpfarrer, welcher der neuen Lehre anhängt, treibt den erfolgreichen Unternehmer und frustrierten Ehemann Salcedo in die Arme der Lutheraner. Cipriano liest die in Spanien zirkulierenden Streitschriften Luthers und Erasmus' von Rotterdam, entsagt der Doktrin vom Fegefeuer und der irdischen Statthalterschaft des Papstes und wird zu einem der eifrigsten Mitglieder der protestantischen Gemeinde Valladolids. Schließlich schicken ihn seine Glaubensbrüder sogar nach Deutschland, damit er Kontakt mit Melanchthon und anderen führenden Reformatoren anknüpft. Mit Ciprianos Rückkehr von dieser Reise beginnt das Buch.

Nun zieht der Autor ein anderes literarisches Kaninchen aus dem Hut. Cipriano, der Glückliche, hat nämlich auch ein Händchen fürs Geschäft: Mit einer veredelten Version des "zamarro", jenes Schafpelzmantels, den die Hirten der kastilischen Hochebene im Winter tragen, macht er ein Vermögen. Cipriano Salcedo bringt das kapitalistische Ethos nach Valladolid, doch der Platz neben ihm im Bett bleibt leer, bis er Teodomira begegnet, der Tochter des Schafzüchters Don Segundo. "Es war in der ganzen Gegend bekannt, daß sie keinen Tag brauchte, um hundert Schafe zu scheren."

"Der Nebel hob sich, und die Küste kam, viel näher nun, wieder in Sicht, wurde im schwachen Sonnenlicht bewegt und greifbar. In der sanften Hügellandschaft lagen zwischen Buchen- und Eschenwäldchen kleine Höfe verstreut, und auf den angrenzenden Wiesen weideten Kühe und Pferde . . ." Es ist ein Idyll, das man da erblickt, und ein idyllischer, manchmal ironischer, gelegentlich gleichgültiger Ton regiert auch die folgenden dreihundert Seiten des Romans. Sie schildern, nach der Einfahrt des Erzählers durch das Prunktor des Anfangskapitels, den Weg Cipriano Salcedos von seiner Geburt bis zu seiner Verhaftung durch die Schergen der Inquisition. Ciprianos Mutter stirbt am Kindbettfieber, so daß der Knabe in der Obhut seiner Amme Minervina aufwächst. Das schlichte Mädchen wird auch seine Geliebte, als Cipriano nach dem Pesttod seines Vaters und ein paar Lausbubenjahren an der Waisenschule des Städtchens ins Haus seines Onkel Ignacio zieht: "Instinktiv gab sie ihm wieder die Brust, säugte ihn, und er klammerte sich an sie wie an ein Gnadenbild." Man könnte meinen, nun begänne ein christlich-erotischer Schelmenroman, doch das Paar wird entdeckt und Minervina davongejagt; Delibes spart sie sich für später auf.

Unser Held führt Teodomira heim und durchlebt mit ihr die Freuden - "als liebte man eine mit warmem Wasser gefüllte Marmorvenus" - und Qualen der ehelichen Gemeinschaft. Denn die Ehe bleibt kinderlos, und Teo, die eine launische Landschöne ist, verfällt zunächst in hektische Aktivität, dann in Schwermut und endet schließlich im Wahnsinn. Und so dreht sich das Buch, ganz langsam, wie ein Mühlrad, das von den Fluten eines allzu trägen Flusses getrieben wird, auf die Nachtseite der von ihm beschriebenen Welt. Wir sehen Cipriano Salcedo, der nach dem Tod seiner Frau Armut und Keuschheit gelobt hat, mit Gleichgesinnten um den rechten Glauben ringen; dann wird ein entferntes Mitglied der Gruppe festgenommen, die Gemeinde löst sich auf, und Cipriano versucht zu fliehen. Kurz vor der französischen Grenze wird er abgefangen und nach Valladolid zurückgebracht, wo der Henker auf ihn wartet.

Dies alles könnte sehr bewegend sein, wenn es bewegend erzählt wäre. Aber Delibes, der in Spanien für seine "Sprache aus Gold" verehrt wird, schreibt einen kargen, knarrenden Stil, der nicht selten die Grenze zur Platitüde überschreitet. So, als Cipriano von seiner enttäuschten Gattin aus dem gemeinsamen Schlafzimmer verbannt wird: "Einmal losgelassen, war Teo wie eine Lawine, die immer größer und gewaltiger wurde. An diesem Punkt angekommen, zögerte Cipriano. Sollte er auf ihren Vorschlag eingehen oder sich widersetzen? Wenn er kampflos nachgab, konnte aus dem zunächst meist nichtigen Anlaß eine Auseinandersetzung um persönlichere, brisantere Dinge entstehen." Für das Ende einer Ehe ist das, selbst wenn man die ästhetischen Verluste der Übersetzung ins Deutsche einrechnet, ein ziemlich mattes sprachliches Echo.

Auch als Sammler und Vermittler historischer Daten macht Delibes keine bessere Figur. So erfahren wir zwar, daß die Oberinnen der drei größten Klöster Valladolids Eufrosina Rios, María de Rojas und Catalina de Reinoso hießen und daß die Schwestern Margarita de Santisteban, Marina de Guevara, María de Miranda, Francisca de Zuñiga, Felipa de Heredia und Catalina de Alcázar sich zu der neuen Lehre bekannten, doch über das Leben in jenen Klöstern sagt der Autor nichts. Er erschlägt die Phantasie mit Listen, statt sie mit Bildern zu beflügeln.

Miguel Delibes gilt als Dichter der España profunda, des ländlichen und kleinstädtischen Spaniens, das die Segnungen der Moderne erst mit großer Verspätung kennenlernte. In den Büchern, die ihn berühmt gemacht haben, hat er Kindern, Bauern, Witwen und Narren seine Stimme geliehen. Für den "Ketzer" wählte Delibes dagegen die Rolle des allwissenden Erzählers. Außerdem entschied er sich, die Erlebnisse seines Helden in Deutschland wegzulassen. Beide Entscheidungen waren falsch. Die Reise Salcedos ins Heimatland des Protestantismus hätte dem Ketzerroman die nötige theoretische Grundierung gegeben, an der es ihm so ersichtlich mangelt; und als allwissender Erzähler ist Delibes eine Fehlbesetzung, denn er weiß viel zuwenig über seine Figuren. Die Skizzen, die er von Don Bernardo, Teodomira und selbst Cipriano zeichnet, reichen über ein paar grobe Striche nicht hinaus. So bietet "Der Ketzer" das Beispiel eines Geschichtsromans ohne Geschichte. Zum Sittenbild fehlt ihm die Sitte, zum Zeitbild das Bildliche, in dem die Buchstaben aus den Archiven sich lösen und lebendig werden.

Erst ganz zum Schluß löst die Erzählung das Versprechen ihres Titels ein. Im Kerker der Inquisition erlangt Cipriano, während seine Mitgefangenen einander schmählich verraten, die Würde eines Märtyrers. "Irgendwann", flüstert ihm sein Onkel Ignacio, ein prominentes Mitglied der Hofkanzlei Philipps II., ins Ohr, "wird man diese Vorfälle als einen Angriff auf die Freiheit ansehen, die Christus uns schenkte." In einem Hollywoodfilm würden jetzt Geigen aufschluchzen und bis zum Ende des Dramas weiterweinen. Bei Delibes dagegen tritt Minervina aus der Kulisse und streicht ihrem Ziehkind über die erblindeten Augen. ",Mein Junge', sagte sie, ,was hat man mit dir gemacht?'" Da möchte man dem Autoren alles verzeihen. Doch es ist zu spät.

Miguel Delibes: "Der Ketzer". Roman. Aus dem Spanischen übersetzt von Lisa Grüneisen. Ammann Verlag, Zürich 2000. 438 S., geb., 48,- DM.

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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Hans-Jörg Neuschäfer ist begeistert von diesem Buch, und er nutzt sein Erscheinen in deutscher Übersetzung zu einer Hommage an den Autor. Auf fast einer ganzen Seite gerät er über den Roman ins Schwärmen: Er sei ein "erstaunlicher Text", der es meisterhaft verstehe, historische Realität auch für das breite Lesepublikum "lebendig" zu machen, preist der Rezensent. In der fiktiven Biografie verbinde sich "amüsant und ironisch" die Geschichte mit der Lebensgeschichte des Protagonisten und ermögliche einen neuen Blickwinkel auf die bekannten Geschehnisse in Spanien zur Zeit der Reformation. Der Roman sei ein "außergewöhnliches Leseerlebnis", resümiert der Rezensent, denn noch nie sei die historische Auseinandersetzung mit der Reformation in Spanien so "spannend und zusammenhängend und für jedermann verständlich" vermittelt worden.

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