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Am 9. Juli 2002 könnte Hermann Burger seinen 60. Geburtstag feiern. Der Autor der Romane "Schilten" und "Die künstliche Mutter" ist am 28. Februar 1989 freiwillig aus dem Leben geschieden. Im deutschen Sprachraum ging sein Stern als Schriftsteller mit dem "Hydrotestament in fünf Sätzen", so der Untertitel zu der Parabel "Die Wasserfallfinsternis von Badgastein", auf, die er 1985 in Klagenfurt vorgetragen und die ihm den Ingeborg-Bachmann-Preis eingebracht hat. Die beiden Sammlungen "Diabelli" (1979) und "Blankenburg" (1986) sind bleibende Zeugnisse der hohen artistischen Erzählkunst des…mehr

Produktbeschreibung
Am 9. Juli 2002 könnte Hermann Burger seinen 60. Geburtstag feiern. Der Autor der Romane "Schilten" und "Die künstliche Mutter" ist am 28. Februar 1989 freiwillig aus dem Leben geschieden. Im deutschen Sprachraum ging sein Stern als Schriftsteller mit dem "Hydrotestament in fünf Sätzen", so der Untertitel zu der Parabel "Die Wasserfallfinsternis von Badgastein", auf, die er 1985 in Klagenfurt vorgetragen und die ihm den Ingeborg-Bachmann-Preis eingebracht hat. Die beiden Sammlungen "Diabelli" (1979) und "Blankenburg" (1986) sind bleibende Zeugnisse der hohen artistischen Erzählkunst des Autors. Sie werden als Hommage an Hermann Burger hier erstmals gemeinsam in einem Band veröffentlicht.
Autorenporträt
Hermann Burger, geboren 1942 in Burg bei Menziken, studierte Germanistik und Kunstgeschichte in Zürich und arbeitete nach Promotion und Habilitation als Privatdozent für Neuere deutsche Literatur an der ETH Zürich und als Feuilletonredakteur beim Aargauer Tagblatt. Für sein literarisches Werk erhielt er unter anderem 1980 den Conrad-Ferdinand-Meyer-Preis, 1983 den Hölderlin-Preis und 1985 den Ingeborg-Bachmann-Preis. Hermann Burger verstarb 1989.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.07.2002

Vom Lügen und Locken
Täuschungskünstler: Eine neue Textsammlung Hermann Burgers

In einem Punkt machte er zwischen Leben und Werk nie einen Unterschied: Zaubern, täuschen und eskamotieren gehörten zu Hermann Burgers bevorzugten Spielen. Schon als Kind, so berichtet der alternde Magier in der Geschichte "Diabelli", habe ihn alles Künstliche, Gemimte und Spiegelbildliche fasziniert. Vor dem Badezimmerspiegel probte er die Maske eines Tausendkünstlers. Als er entdeckte, daß man, vor dem Spiegel stehend, mit einem zweiten, hinter das Ohr gehaltenen Frisierspiegel das Ich multiplizieren könne bis ins Unendliche, habe er das Badezimmer blockiert.

Das waren Diabellis und das waren Burgers Trick: sich vervielfachen bis zur Selbstauflösung und: auftauchen und wieder verschwinden. Am Ende ist der exzentrische Schriftsteller und Privatdozent der deutschen Literatur nicht wiederaufgetaucht. Er starb 1989 an einer Überdosis Tabletten - ob der Suizid beabsichtigt war, wird nie ganz sicher sein. Die Wurzel seiner magischen Berufung, so rechtfertigt sich Diabelli in seinem Bericht an den Mäzen Kesselring, liege wahrscheinlich im Wunsch, daß man sich unausgesetzt seiner annähme als einer Denksportaufgabe in Person.

Innerhalb der Schweizer Literatur der letzten Jahrzehnte bleibt Hermann Burger eine singuläre Erscheinung. Nicht nur, weil er ein Aufschneider und Schwadroneur war. Auch nicht, weil sein Werk vor aberwitzigen Einfällen nur so strotzt. Von den braven Germanistenkollegen wurde der respektlos zwischen Wissenschaft und Literatur schweifende Dichter mißtrauisch beobachtet. Von den Schriftstellern wurde er gleichzeitig vergöttert und verschmäht. Herausragend bleibt er in der helvetischen Literaturlandschaft, weil er tollkühner war als die meisten seiner Bewunderer und Neider: ausgefallener in seinen Erfindungen, ausgelieferter in seiner Empfindsamkeit, ausschweifender in seiner Belesenheit. Diese Mischung konnte ihm im Land des Mittelmaßes einfach nicht nur Freunde einbringen.

Zu seinem sechzigsten Geburtstag, den er heute hätte feiern können, sind jetzt die beiden Erzählsammlungen "Diabelli" (1979) und "Blankenburg" (1986) in einem Band vereint neu erschienen. Das ist eine gute Auswahl, denn man entdeckt in diesen Erzählungen die typischen Ingredienzien der Poetik, die dieser Dichter aus dem aargauischen Menzingen für sich entwickelt hat.

Das ist zum einen die Sprachbesessenheit, Sprachartistik und Sprachangst, die wiederum nur die alles infiltrierende Todesangst kaschieren soll. Und zum anderen: die Durchsetzung des Redeflusses mit Neologismen, Fachsprachen und Fremdwörtern. Diese Texte enthalten - noch sorgfältig verschnürt zwar - die autobiographischen Leidensthemen, die den Autor umgetrieben haben und die er später in seinen großen Romanen "Die Künstliche Mutter" (1982) und "Brenner 1 und 2" (1989, 1992) komplett auseinanderfaltet. Am aufschlußreichsten in dieser Beziehung ist die Titel-Geschichte "Diabelli, Prestidigitateur. Eine Abschiedsvolte für Baron Kesselring". Wie dieser verdichtete Text vollgestopft ist mit autobiographischen Einsprengseln, die beinahe hellseherisch das eigene Schicksal herbeireden, erstaunt schon. Wie die im Alltag übermütig praktizierte Kunst der Tarnrede und des Maskenspiels ins Werk hinein verlängert wurde, frappiert über zwanzig Jahre später erst recht. Diabelli, der gealterte Zauberkünstler, ist kurz vor dem Zerschellen. Seine Karriere ist dahin, ihr Abbruch unwiderruflich, und in der Rede an den Mäzen Kesselring rechtfertigt er sich noch einmal in einer finalen Volte. Er habe illudiert und illudiert und dabei sein Selbst verjuxt. Die Wurzel seiner Zauberei ortet er in einer frühkindlichen emotionalen Mangelsituation, die er als blinde Hypothek durch sein halbes Leben geschleppt habe: Erst viel später habe er erfahren, daß seine Mutter bei der Geburt gestorben und er von einer kalten Stiefmutter aufgezogen worden sei. So habe er, der Magieversessene, der Camoufleur und Täuschungskünstler, sein halbes Leben darauf verwendet, die Mutter, die er durch den Akt der Geburt umgebracht habe, wieder herbeizuzaubern.

Dies ist natürlich, bezogen auf die Person des Autors, eine "reine Lüge", wie Hermann Burger in seiner Frankfurter Poetikvorlesung "Die allmähliche Verfertigung der Idee beim Schreiben" (1986) später ohne Umschweife zugibt. Die Mutter lebte noch, als er "Diabelli" schrieb. Plötzlich wieder ganz Germanist, zieht Hermann Burger vor den Augen seiner Studenten ruckartig den Schleier von der prekären poetischen Erfindung. Das Wort "Lüge" sei verwandt mit "leugnen" und "locken", die Lüge eine Form der Allegorie und der ganze dichterische Kraftakt, dieses Andersreden, ein Mittel der poetischen Beschwörung, um die innere Wahrheit ans Tageslicht zu bringen.

Die poetische Beschwörung ist eine charakteristische Strategie dieses Schriftstellers. Zwar betäubt er damit seine Leser, bis auch sie in einen somnambulen Zustand fallen. Aber sie holt auch den Dichter selbst ein. Verirrt im Labyrinth von Erfindung und Wahrheit, betört durch die selbsterfundenen Geschöpfe, verführt von den eigenen Einfällen, hat Hermann Burger wohl zuletzt den Ausweg nicht mehr gefunden. Zurückgelassen hat er ein phantastisches Werk, das seine Leser immer wieder von neuem verzaubert.

PIA REINACHER

Hermann Burger: "Diabelli - Blankenburg". Erzählungen. Ammann Verlag, Zürich 2002. 275 S., br., 13,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Bevor Pia Reinacher sich den beiden Erzählsammlungen widmet, die jetzt in einem Band posthum zum sechzigsten Geburtstag des Autors erschienen sind, legt sie uns den Autor ans Herz: Eine "Ausnahmeerscheinung" sei er gewesen in der Schweizer Literatur, ein "Aufschneider und Schwadroneur", dessen tollkühne Einfälle ihm im "Land des Mittelmaßes" nicht nur Freunde einbrachte. Die beiden Erzählsammlungen lobt sie als "gute Auswahl", weil sie die "typischen Ingredienzien" von Burgers Poetik vermitteln. Reinacher versteht seine "Sprachbesessenheit, Sprachartistik und Sprachangst", die sich in einer Fülle von Einfällen, Wortschöpfungen und Fachsprachen niederschlägt, vor allem als ein Indiz für die "Todesangst", die damit verdeckt werden soll. Besonders die titelgebende Erzählung "Diabelli" beeindruckt die Rezensentin, weil sie hier "beinahe hellseherisch" das Schicksal des Autors vorgezeichnet sieht, der 1989 durch Tabletten starb.

© Perlentaucher Medien GmbH