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Havanna im 19. Jahrhundert. Eine Stadt, die von Sklaven, Mulatten, Freigelassenen und Entlaufenen wimmelt. Und von einer unüberschaubaren Kinderschar, in die Welt gesetzt von niemand anderem als dem Bischof der Stadt, dem tatsächlichen Engel vom Engelsberg. Hier treibt's der Don mit der Mulattin, die Doña aus Rache mit dem schwarzen Koch. Cecilia will einen weißen Mann. Leonardo sein Vergnügen und Isabels Geld. Isabel will Ordnung halten, Jose Dolores die Geliebte Cecilia erobern. Und die Engländer wollen, daß endlich Schluß ist mit der Sklaverei. Bigotterie und Grausamkeit bestimmen das…mehr

Produktbeschreibung
Havanna im 19. Jahrhundert. Eine Stadt, die von Sklaven, Mulatten, Freigelassenen und Entlaufenen wimmelt. Und von einer unüberschaubaren Kinderschar, in die Welt gesetzt von niemand anderem als dem Bischof der Stadt, dem tatsächlichen Engel vom Engelsberg. Hier treibt's der Don mit der Mulattin, die Doña aus Rache mit dem schwarzen Koch. Cecilia will einen weißen Mann. Leonardo sein Vergnügen und Isabels Geld. Isabel will Ordnung halten, Jose Dolores die Geliebte Cecilia erobern. Und die Engländer wollen, daß endlich Schluß ist mit der Sklaverei. Bigotterie und Grausamkeit bestimmen das tägliche Leben in Havanna, dazwischen aber scheint jeder einzelne auf der Suche zu sein nach dem idealen geliebten Wesen, das letztendlich doch ein Spiegelbild seiner selbst sein müßte. Und so ist es dann fast zwangsläufig der ungekannte weiße Stiefbruder, in den sich die scheinbar elternlose Mulattin Cecilia rettungslos verliebt... Reinaldo Arenas zeichnet mit fast magischer Fabulierkunst und bitterbösem Humor ein Sittengemälde der havannischen Gesellschaft. Ein Generalangriff auf alle Konventionen und Vorurteile der damaligen Zeit und zugleich die traurig-schöne Geschichte von Menschen voller Sehnsucht nach Anerkennung und Liebe, auf der Suche nach Erlösung, einer Suche, die trotz immer neuer Niedertracht - oder gerade wegen ihr - niemals enden wird.
Autorenporträt
Reinaldo Arenas (1943-90), geb. in in Kuba, ist Autor vieler Romane, Gedicht- und Erzählungsbände.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.03.2006

Tragikomische Triebe
Insel der Inzeste: Reinaldo Arenas' kubanische Kolonialgesellschaft

"Cecilia Valdés oder der Engelsberg" hieß der Roman, mit dem Cirilo Villaverde zwischen 1839 und 1882 den Erzählklassiker der kubanischen Literatur schlechthin schuf. Bereits vom Autor mit den eigenen Initialen ausgestattet, wurde Cecilia, die aus einer inzestuösen gemischtrassigen Liebesbeziehung hervorgegangene Mestizin, zu einer Art literarischem Nationalemblem der karibischen Insel - jener besonders von den Literaturhistorikern der Revolution beschworenen "Cuba mulata". Wer in heutiger Zeit auf die Idee käme, einen Wiedergänger dieses Monuments realistischen Erzählens zu verfassen, für den gibt es aus Sicht eines kubanischen Publikums eigentlich nur zwei mögliche Schicksale: entweder des Sakrilegs am Nationalerbe geschmäht oder aber als skurriler Plagiator zum Gespött zu werden wie jener Pierre Ménard, der unter der Feder von Jorge Luis Borges den Don Quijote des Cervantes noch einmal schrieb.

Daß es aber noch einen dritten Weg gibt, bewies zur allgemeinen Verblüffung der kubanische Exilschriftsteller Reinaldo Arenas. 1987 veröffentlichte er einen Roman, der bis in den Titel hinein das große Vorbild imitierte: "Der Engelsberg". Sowohl inhaltlich als auch bis hinein in die äußere Kapitelstruktur der Vorlage verfolgt der Erzählfluß in minutiöser Weise die Handlung aus dem neunzehnten Jahrhundert. Cecilia, Frucht der unstandesgemäßen Liebschaft des Feudalherrn Cándido Gamboa mit einer Mulattin aus dem Viertel um die titelgebende Kirche vom "Engelsberg", wird zur Verheimlichung ihrer illegitimen Herkunft in einem Waisenhaus großgezogen. Zur schönsten jungen Frau des kolonialen Havanna herangewachsen, läßt sich Cecilia, das Schicksal ihrer Mutter wiederholend, von einem jungen Herrn aus guter Familie namens Leonardo Gamboa verführen. Was beide nicht wissen: Er ist der legitime Sohn ihres leiblichen Vaters. Als die Familien von dem Skandal erfahren, versuchen sie, die Liaison zu verhindern. Leonardo heiratet standesgemäß die Großgrundbesitzerin Isabel Ilincheta. Doch bevor die Hochzeit zu Ende geht, brechen Mord und Gewalt über sämtliche Protagonisten herein - und ein Ende, das an Finsternis und kruder Hoffnungslosigkeit kaum zu übertreffen ist.

Die Stärke von Villaverdes Roman ist, darin sind sich Kritiker aller Epochen stets einig gewesen, nicht diese an Heftchenromane erinnernde Handlung. Seine herausragende Stellung in der lateinamerikanischen Literatur der Zeit erhält er vielmehr durch sein minutiöses Sittenporträt in der Tradition des europäischen Realismus. Geschult an den Werken von Balzac, Stendhal und Dickens, malt Villaverde "eine kolossale Leinwand, in der sich eine gesamte Epoche bewegt, ein Cuba in Miniatur", wie der Zeitgenosse Manuel de la Cruz über "Cecilia Valdés oder der Engelsberg"schrieb. Der einzigartige Mut von Reinaldo Arenas besteht darin, der Vorlage ebenjenes Element zu rauben, das ihre Größe ausmacht - und gerade dadurch einen der ungewöhnlichsten und erfrischendsten kubanischen Romane der letzten Jahrzehnte zu schaffen. Seiner Rolle als Enfant terrible der kubanischen Literatur treu, zertrümmert Arenas Villaverdes breite realistische Beschreibungen, amputiert seine ausladenden Dialoge und läßt das voluminöse Werk auf das Skelett seiner Handlungselemente zusammenschrumpfen.

Mehr und mehr steigert sich dabei, so, als sei Meister Cirilo mit einem Male in Kokainrausch verfallen, die entblößte Handlung in eine geschwindigkeitsberauschte Überzeichnung, in der die Triebe, die ausbeuterische Willkür und ein allgegenwärtiger Hang zum Inzest den Ton angeben. Cecilias verbotene Liebschaft führt in Sekundengeschwindigkeit zur Geburt eines Töchterchens, das sich durch diese Zeitraffer-Schwangerschaft listig der vorgesehenen Abtreibung entzieht. Tanzwütige hundertjährige Negerinnen brechen bei einem Fest vor hüftschwingender Erschöpfung tot zusammen.

Nicht besser ergeht es den Damen der hellhäutigen Gesellschaft. So lassen die grimmigen Blicke des verhaßten spanischen Monarchen Fernando VI., obwohl er sie nur von einem Porträt des Malers Goya aus wirft, die Besucher eines Balls augenblicklich tot umfallen. Seinen Höhepunkt erfährt diese absurde Drastik, die mehr an amerikanische Zeichentrickfilme denn an europäischen Realismus denken läßt, in einer alles andere als romantischen "Romanze im Palmenhain". Nachdem sich fluchtbereite Sklaven auf der Zuckerrohrplantage der Herrschenden durch das Sicherheitsventil einer explodierenden Dampfmaschine in die Luft haben schießen lassen, in der Meinung, sie flögen dadurch nach Afrika, regnen sie, im Fall von Palmenbäumen aufgespießt, auf das Brautpaar nieder, das somit keinen Ort zum Turteln findet.

Selten ist die menschenverachtende Absurdität der auf Sklaverei basierenden spanischen Kolonialwirtschaft in einem derart prägnanten Bild festgehalten worden. Durch seine respektlose Imitation gelingen Arenas zugleich ein Meisterwerk der literarischen Parodie und eine epochenübergreifende Allegorie der kubanischen Geschichte. Neben der hohen literarischen Qualität der Übersetzung ist es als größtes Verdienst der deutschen Ausgabe zu betrachten, durch das Nachwort des eminenten Arenas-Kenners Ottmar Ette (dessen Namen der Verlag mysteriöserweise bis zur Unkenntlichkeit versteckt) hier aber noch eine weitere Ebene aufzutun.

Der Potsdamer Romanist führt eindrucksvoll vor, in welch gezieltem Maß der Bruch mit den realistischen Formen einen Akt der literarischen Befreiung bedeutet. Einer Befreiung nicht zuletzt auch von den doktrinären Rezepten eines sozialistischen Realismus, der im Havanna Castros eine späte Blüte erlebte. "Er schuf eine Literatur, die einer wahnwitzigen Welt trotzt", so das Fazit Ettes. Angesichts der biographischen Parallele zwischen den Autoren - wie Villaverde verfaßte Arenas seinen Roman im Exil in New York - erscheinen die allgegenwärtige Unterdrückung durch die Herrschenden und die inzestuöse Selbstbezogenheit der kubanischen Kolonialgesellschaft zugleich als ein Spiegel jenes Willkürregimes, vor dem sich Arenas erst durch seine Emigration zu befreien wußte. "Cuba wird frei sein. Ich bin es schon": Reinaldo Arenas' eigenes Lebensresümee, das auch die deutsche Ausgabe des Romans schmückt, ist daher hinter der Maske des historischen Stoffs unübersehbar.

FLORIAN BORCHMEYER

Reinaldo Arenas: "Der Engelsberg". Roman. Aus dem kubanischen Spanisch übersetzt von Klaus Laabs. Mit einem Nachwort von Ottmar Ette. Ammann Verlag, Zürich 2006. 208 S., geb., 18,90 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Florian Borchmeyer sieht eine Neuerzählung von Cirilo Villaverdes "Cecilia Valdes oder der Engelsberg", eine Art literarisches "Nationalemblem" Kubas, von vornherein mit vielen Risiken behaftet. Umso mehr würdigt er den Erfolg, den der Kubaner Reinaldo Arenas mit seinem 1987 erschienenen Roman "Engelsberg" feierte, drei Jahre vor seinem Tod. Arenas folge dem Vorbild aus dem 19. Jahrhundert sowohl inhaltlich als auch strukturell "minutiös". Doch scheue sich der als "Enfant terrible" bekannte Autor nicht, die Geschichte um eine Beziehung zwischen einem Feudalherrn mit einer Mulattin mit ihren "breiten realistischen Beschreibungen" und "ausladenden Dialogen" rigoros auf ihr Handlungsskelett zusammenschrumpfen zu lassen, stellt der Rezensent fest, der gerade darin den "einzigartigen Mut" Arenas' bewundert. In der Raffung der Ereignisse, die den Rezensenten mitunter an einen "amerikanischen Zeichentrickfilm erinnert", gewinnt die Handlung enorm an "Drastik". Zudem entstehe ein in dieser Prägnanz "selten" dargestelltes Bild der "menschenverachtenden Absurdität" des spanischen Kolonialsystems. Zudem lobt Borchmeyer die "hohe literarische Qualität der Übersetzung" von Klaus Laabs sowie Ottmar Ettes kenntnisreiches Nachwort.

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