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Ruth Rothwax, eine 43-jährige Geschäftsfrau, führt nach drei Scheidungen ein angenehmes Single-Leben in New York. Nicht ihr perfekt organisierter Alltag macht ihr zu schaffen, sondern die Vergangenheit ihrer Eltern - polnische Juden - die den Holocaust überlebten. Ruth reist nach Polen und überredet auch ihren 80-jährigen Vater, ihr auf den verwischten Spuren jüdischen Lebens zu folgen.

Produktbeschreibung
Ruth Rothwax, eine 43-jährige Geschäftsfrau, führt nach drei Scheidungen ein angenehmes Single-Leben in New York. Nicht ihr perfekt organisierter Alltag macht ihr zu schaffen, sondern die Vergangenheit ihrer Eltern - polnische Juden - die den Holocaust überlebten.
Ruth reist nach Polen und überredet auch ihren 80-jährigen Vater, ihr auf den verwischten Spuren jüdischen Lebens zu folgen.
Autorenporträt
Lily Brett, geb. 1946 in Deutschland, 1948 Übersiedlung der Familie nach Australien. Mit 19 Jahren Beginn ihrer journalistischen Arbeit bei einem Rockmagazin. Heute arbeitet sie als freie Autorin und Kolumnistin. L. Brett lebt in New York.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 22.03.2001

SZ BUCH-TIPP
Eigentlich ist Ruth Rothwax eine stresserprobte New Yorker Geschäftsfrau, die so schnell nichts aus der Ruhe bringt. Doch als sie mit ihrem Vater, einem Holocaust-Überlebenden, eine Reise nach Polen unternimmt, um mehr über das Leben und Leiden der Eltern zu erfahren, ist es mit ihrer Ruhe vorbei. Die New Yorker Schriftstellerin Lily Brett, in Deutschland längst keine Unbekannte mehr, wagt sich in ihrem neuen Roman Zu viele Männer nicht nur geografisch ganz nah an das Thema Auschwitz heran. Sie schildert eine bedrückende Reise durch das heutige Polen und die zu Touristenattraktionen aufgemotzten Gedenkstätten des Horrors – und doch fehlt es auch in diesem Buch nicht am für die Autorin so typischen skurrilen Witz. Lily Brett liest am Mittwoch, 28. März, 20 Uhr im Literaturhaus, Salvatorplatz 1, Telefon 29 19 34 27.
aw
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.06.2001

Schienen im Gras
Reise nach Auschwitz: Lily Bretts Roman "Zu viele Männer"

Der zweite Roman der in Deutschland geborenen, in Australien aufgewachsenen und in New York lebenden jüdischen Autorin Lily Brett spielt in Polen. Auch in ihm geht sie ihrem Lebensthema, der Trauerarbeit eines Kindes von Holocaust-Opfern, nach. "Zu viele Männer" handelt von einer Reise an die Orte, an denen die Eltern der New Yorker Protagonistin Ruth Rothwax gelebt und gelitten haben. Es gelingt Ruth, ihren verwitweten Vater Edek zur Teilnahme an dieser Gedächtnisfahrt zu überreden. Gemeinsam besuchen sie das Ghetto und die frühere Wohnung der Familie in Lodz und nehmen anschließend Auschwitz auf sich, wo Edek und seine Frau seit 1944 interniert waren. Der Gegenstand ist traumatisch. Das Ende aller Geschichten, das die nationalsozialistischen Lager für Edek und Ruth bedeuten, läßt sich schwer erzählen.

Und schon auf den ersten Seiten scheint dieser Versuch, mit dem Grauen umzugehen, erbärmlich zu scheitern. Ruth stellt sich dem Leser als ressentimentgeladene, verbitterte Person dar, die ihre Privatsphäre hysterisch verteidigt und ihre frühmorgendlichen Warschauer Joggingpfade als Exerzierfeld für einen übersteigerten Narzißmus nutzt. Alles, was ihr begegnet, stößt sie ab, mit irrationaler Heftigkeit reagiert sie auf den alten Ostblock-Trott und versteht die New York-ferne Nachlässigkeit im Aufzug und Benehmen der Bevölkerung als persönlichen Affront. Besonderen Zorn erregen die Goldketten und an diversen Stellen sprießenden Haarbüschel eines Hotel-Türstehers, der den Fehler macht, Ruth die persönliche Überprüfung ihres Zimmers anzubieten: "Er war wirklich ekelhaft. Abscheulich genug, um einen an der eigenen Haltung zum Genozid irre werden zu lassen. Man hätte ihn schon vor Jahren erschießen sollen." Der zügellose Ausbruch erhält seine ganze Komik erst durch die Vorstellung, daß diese Kafkasche Figur, um Ruths Standard zu genügen, alle acht Tage eine Kosmetikerin zum Zupfen der Ohr- und Nasenhaare aufsuchen müßte.

Die Atmosphäre ändert sich schlagartig, als Edek mit dem Flugzeug aus Melbourne ankommt und zum Sparring-Partner seiner Tochter wird. Von nun an verwandelt sich das Buch in einen lebhaften und fesselnden Bericht über die schrittweise Konfrontation mit den schwarzen Löchern im Gedächtnis der Familie. Über Edeks Vergangenheit erfährt Ruth an Ort und Stelle mehr, als sie zu hoffen gewagt hat, und manchmal mehr, als sie erträgt. Das jahrelange Schweigen der Eltern reißt Stück für Stück ein; die Reise an die Stätten des Verstummens verschafft Ruth Zugang zu ihrer Geschichte.

Furchtlos geht Lily Brett die wundesten Stellen der Auseinandersetzung mit dem Holocaust an. Dazu gehört die Ohnmacht der Überlebenden. Sie wird greifbar, wenn die Stimme des Vaters, der ein neugieriger und begeisterungsfähiger Mensch ist, plötzlich ins Lakonische umkippt. "Es gibt nichts mehr zu weinen, Ruthie", sagt er zu seiner Tochter, als sie vor dem Auschwitzer Lagertor stehen: "Es ist alles passiert. Zum Weinen ist es zu spät." Ein gewagter dramaturgischer Eingriff verschafft der Hilflosigkeit und der daraus erwachsenden Aggressivität der Nachgeborenen ein überraschendes Ventil: Ruth hört Stimmen; während sie joggt oder im Hotelfoyer sitzt, beginnt der Auschwitzer Lagerkommandant Rudolf Höß mit ihr zu sprechen. Was sie zunächst für eine Halluzination ihrer überspannten Nerven hält, erweist sich als Exklusivkanal in das "Zweite Himmelslager", einer euphemistischen Bezeichnung für die Hölle, wie Ruth bald erschließt.

Die Sprachregelung nimmt einen Verbalsadismus aus Auschwitz beim Wort, wo der Weg zu den Gaskammmern "Himmelsweg" hieß. Höß befindet sich in einem jenseitigen "Sensibilisierungstraining", das er durch den Kontakt mit Ruth erfolgreich abzuschließen hofft. Statt dessen gestalten sich ihre Gespräche als eine Geisteraustreibung, die Ruth vom Albdruck des "Übermenschen" befreit. Sie durchschaut in Höß' Rhetorik nicht nur das Auswendiggelernte der prosemitischen Phrasen, sondern entdeckt auch, daß sie durch das Eingraben ihrer Hacken auf sehr unmittelbare Weise zu seiner Disziplinierung beitragen kann. Immer wenn ihm eine Frechheit entschlüpft, stemmt sie den Fuß in den Boden und hört befriedigt seine spitzen Schreie. "Zu viele Männer" weiß den absurden Witz souverän zu orchestrieren. Auf dem Auschwitz-Gelände wird Ruth durch eine lachende Schulklasse verstimmt, doch als eine kolossale Fliege sie sticht, brechen Tochter und Vater selbst in schallendes Gelächter aus: "Es muß der Führer aller Fliegen gewesen sein", bemerkt Ruth, und Edek versichert, daß es jedenfalls kein bloßer SS-Untersturmführer war. Solche befreienden Momente stehen neben anderen, bei denen das Lachen in der Kehle steckenbleibt. Es irritiert Ruth, daß ihr Vater sich in den polnischen Städten nur im Laufschritt vorwärtsbewegt. Sein jungenhaft wildes Rennen steht in eigenartigem Kontrast zu ihren disziplinierten Jogging-Rationen. Erst als Edek auch in Auschwitz unversehens wieder losläuft, um "seine" Baracke zu suchen, zuckt das Bild des gehetzten Häftlings auf, und die rätselhafte Eigenart fällt wie ein Puzzlestück an ihren Platz. Auch Ruth hat zahlreiche befremdliche Gewohnheiten, "metaphorische Macken". Ihre strenge Diät, das Hygienebedürfnis, die geographische Unsicherheit, der zweimalige Weckruf und das abergläubische Wimpernzucken - all diese Kaprizen stehen in der einen oder anderen Weise mit den Todeslagern in Kontakt.

Am stärksten ist vielleicht ihre Berufswahl mit der verschütteten Vergangenheit vernetzt. Ruth Rothwax betreibt in New York eine Korrespondenz-Agentur. Stellvertretend für ihre Kunden setzt sie Briefe mit zum Teil sehr privatem Inhalt auf, Liebesbriefe sind dabei und sogar Letzte Worte, die eine Mutter ihrem Testament für die Tochter beilegen möchte. Meist kommt es indessen darauf an, eine Vielzahl individueller Schreiben in derselben Angelegenheit zu formulieren: zweihundert Danksagungen nach einer Hochzeit, sechzig Briefe, die nach einer Herzoperation die Freude über das erwiesene Mitgefühl zum Ausdruck bringen. Daß es hier um mehr als bloßen Gelderwerb geht, zeigt sich schon daran, daß Ruth von ihren eigenen Formulierungen nicht selten zu Tränen gerührt wird. Doch nicht nur sie, auch ihre Kunden ergreifen die Briefe; sie bewirken nicht selten eine Wende im Verhältnis zu den darin Angesprochenen. Ruths berufliche Tätigkeit arbeitet der Anonymität menschlicher Beziehungen entgegen, und man kann nicht umhin, sie im Kontext der Opferstatistiken des Zweiten Weltkriegs zu sehen. Zugleich leistet die Agentur selbst eine Art von "Sensibilisierungstraining" und erscheint insofern als Schlüssel zum Roman, der - wie die Auftragsbriefe - bewegen und erbauen soll. Und das gelingt ihm in beispielhafter Weise.

Lily Brett nimmt sich nicht die Freiheit, ausgelöschte Biographien zu erfinden. Aber das Polen, das Ruth und ihr Vater durchfahren, wird zu einem machtvollen Brief in einer unbekannten Sprache, die nur Edek entschlüsseln kann. Ruth hat das alte Ehepaar, das in der Lodzer Wohnung der Rothwax wohnt, schon zweimal besucht, doch erst in Edeks Gegenwart beginnt das Porzellan, in dem man ihnen den Tee serviert, zu sprechen. Es hat Edeks Mutter gehört, wie die Vase auf dem Tisch und das Sofa, auf dem sie sitzen. An Aufschlüssen reich ist in diesem analytischen Roman auch die Auschwitz-Begehung. Als der gemietete Führer ihnen die Stelle zeigt, an der die Häftlinge die Züge verließen, erhebt Ruths Vater Einspruch: ",Es war nicht hier', sagte Edek. Er sah aus, als kämpfe er mit den Tränen." Der Führer beharrt darauf, daß sie die einzige Ausladestelle vor Augen haben. Erst als Edek vor den Toren in einer Wiese Schienen entdeckt, ist seine Erinnerung rehabilitiert.

Schon der Titel deutet an, daß die mit dem Polen-Besuch heraufbeschworene Krise eine sexuelle Dimension hat. Ruth beharrt darauf, daß sie in ihrem Leben keine Männer brauche. Polnische Männer scheinen ihre Ressentiments erst recht zu entzünden. Sie stehen für das Animalische, Triebhafte im Menschen, haben fettiges Haar und riechen nach Schweiß. Die Reise in Edeks Vergangenheit bewirkt für Vater und Tochter auch in erotischer Hinsicht eine Befreiung, als wäre ihnen die Lust verboten gewesen, solange sie der Trauer nicht ins Auge sahen. Edek läßt sich im Hotel von einer vollbusigen Polin verführen, und Ruth beginnt, was sie auf das feindliche Geschlecht projizierte, als Teil ihrer selbst zu erkennen: "Jetzt fand sie es verblüffend, wie vertraut ihr so vieles an polnischen Männern war. Die Unverblümtheit, die Direktheit, die Beschwerden, die resignierte und deprimierte Ausstrahlung - lauter Wesenszüge, die sie selbst besaß." Tatsächlich sind es gerade als maskulin geltende Eigenschaften, die Kraftworte, die Ruth benutzt, ihre Streitlust und radikale Zielstrebigkeit, die das Buch vor dem Absturz ins Sentimentale retten. Die Tatsache, daß sie am Hotelportier, dem ominösen Türsteher der jüdisch-deutschen Literaturtradition, umstandslos vorbeischießt, gibt zu verstehen, daß Bretts Figur über ihren Opferstatus hinauswill.

Ihre Unerschrockenheit kann sich dennoch auf einen jüdischen Autor berufen. Denn es ist der beharrliche Blick Sigmund Freuds, der sich in die Trümmerlandschaft der eigenen Vergangenheit versenkt. Die Zuversicht wird belohnt, sogar die Existenz eines verschollenen Bruders gesteht Edek ihr schließlich. "Wir besuchen ein Nichts nach dem anderen", sagt er einmal. Ruth hingegen weiß, daß die Luft "klamm vor Gespenstern" ist. Und wenn sie auch in der Geographie wirklicher Orte versagt, so erweist sie sich doch in der Geographie des Verschwindens als maßgebende Expertin. 

INGEBORG HARMS

Lily Brett: "Zu viele Männer". Roman. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Melanie Walz. Deuticke Verlag, Wien und Frankfurt am Main 2001. 655 S., geb., 49,90 DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Die Besprechung von Ingeborg Harms vermittelt ein recht genaues Bild dieses in Polen spielenden Romans, mit dem die Autorin "ihrem Lebensthema, der Trauerarbeit eines Kindes von Holocaust-Opfern" nachgeht. Harms folgt den Stationen einer "Gedächtnisfahrt" der Protagonistin ins Traumatische, einem "lebhaften und fesselnden Bericht über die schrittweise Konfrontation mit den schwarzen Löchern im Gedächtnis der Familie". Sie staunt über die Furchtlosigkeit der jüdischen Autorin im Umgang mit dem Holocaust, wie diese ihr Buch vor "dem Absturz ins Sentimentale" zu retten versteht und mit dramaturgischem Geschick Befreiendes und Beklemmendes kombiniert. Am Ende ein "an Aufschlüssen reicher analytischer Roman".

© Perlentaucher Medien GmbH