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James Wilson bricht in seinem Buch mit gängigen Klischees. Er nähert sich der Problematik der indianischen Bevölkerung in Nordamerika nicht nur von historischer, sondern auch von ethnographischer Seite und läßt seine eigenen ausgedehnten Forschungen einfließen. Der Autor eröffnet dem Leser so eine ganz neue Sicht der indianischen Tradition. Fraglos eines der wichtigsten Bücher über die Geschichte der Indianer Nordamerikas.

Produktbeschreibung
James Wilson bricht in seinem Buch mit gängigen Klischees. Er nähert sich der Problematik der indianischen Bevölkerung in Nordamerika nicht nur von historischer, sondern auch von ethnographischer Seite und läßt seine eigenen ausgedehnten Forschungen einfließen.
Der Autor eröffnet dem Leser so eine ganz neue Sicht der indianischen Tradition. Fraglos eines der wichtigsten Bücher über die Geschichte der Indianer Nordamerikas.
Autorenporträt
James Wilson, geboren 1948, studierte in Oxford und lebt mit seiner Familie in Bristol. Er hat eine Geschichte der Ureinwohner Nordamerikas veröffentlicht.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.07.2000

Das Bleichgesicht schreibt mit gespaltener Zunge
Wehe, wehe Wortbruch: James Wilson nimmt lebhaften Anteil am Leiden der Indianer, doch das finanzielle Glück im Kasino gönnt er ihnen nicht

Ihre Nachbarn nannten sie verängstigt "Tötervolk"; sie selbst sahen sich weitaus weniger kriegerisch als "Volk, das Langhäuser baut". Als die ersten weißen Händler und Siedler mit ihnen in Kontakt kamen, übernahmen sie - natürlich - den kriegerischen Namen: Irokesen. Als "Hotinonshonni" dagegen finden sich die Indianerstämme des Nordostens der Vereinigten Staaten bis heute nur in der Fachliteratur bezeichnet. Dabei galt das Sozialleben der Hotinonshonni als geradezu vorbildlich, und Friedrich Engels sah im Zusammenleben der Irokesen die marxistische Idee eines primitiven Kommunismus verwirklicht. Auch hier handelte es sich um eine der vielen eurozentrischen Fehldeutungen der Indianer Nordamerikas. Entweder man betrachtete sie als edle Wilde, die in Einklang mit der Natur in göttlicher Unschuld lebten, oder man sah sie als verrohte Barbaren, die ausgerottet oder zu ihrem Glück in Form westlicher Zivilisation gezwungen werden mussten. James Wilson fragt nur nebenbei nach dem westlichen Blick auf die Fremden, der in der jüngeren Kolonial- und Entdeckungsgeschichte die Debatten beherrschte. Zwar schreibt auch er eine Beziehungsgeschichte, allerdings aus der Perspektive der amerikanischen Ureinwohner.

Ohne es auszusprechen, macht sich Wilson das Paradigma zu Eigen, dass unterschiedliche Landschaften eigenständige Kulturentwicklungen bedingen. Sechs Großregionen der Vereinigten Staaten und ihre Besiedlungsformen stellt Wilson in der Reihenfolge des - keineswegs exakt fixierbaren - Kontakts mit den Europäern vor. Die präkolumbische Zeit wird dabei nur kursorisch abgehandelt, für breite kulturgeschichtliche Schilderungen nimmt sich Wilson kaum Zeit. Für den Nordosten, dessen indianische Überlieferung allerdings auch vollständig ausgelöscht ist, handelt Wilson die Entwicklung zwischen der ersten menschlichen Besiedlung vor 12 000 Jahren bis zur Zeit um 1500 in drei kurzen Abschnitten ab. Die Kultur der Pueblo-Indianer im Süden und Südwesten vor 1500, deren Spuren noch heute sichtbar sind, wird ebenfalls nur knapp gestreift. Dabei lassen die fast stichwortartig hingeworfenen Hinweise über die Stadtentwicklung und die Formen der Landwirtschaft eine faszinierende Kultur erahnen, die den Einfluss mittelamerikanischer Kulturen nicht verleugnen kann.

Da Wilson eine Beziehungsgeschichte schreibt, behandelt er vor allem die Zeit nach dem ersten Kontakt mit den transatlantischen Eindringlingen. Trotz aller unterschiedlichen indianischen Traditionen zeichnete sich hier schnell ein durchgängiges Muster ab. Innerhalb weniger Jahrzehnte wurde in allen Regionen aus der indianischen Bevölkerungsmehrheit eine Minderheit. Eingeschleppte Krankheiten dezimierten die Bevölkerung in dramatischer Weise. Die irokesische Bevölkerung im Jahr 1700 zählte nur noch ein Viertel ihrer Größe von 1630. Auf der anderen Seite des Kontinents in Kalifornien ging die Zahl der Indianer zwischen 1850 und 1870 von 100 000 auf 31 000 zurück. Wer Pocken und Grippe überlebt hatte, wurde von der Gier der Weißen nach Land, Gold und sonstigen Rohstoffen hinweggefegt. Unter diesen Gesichtspunkten könnte das Buch auf Seite 141 enden. Denn hier schildert Wilson für die Zeit um 1640 eine Vorgehensweise, die für die folgenden Jahrhunderte den Umgang der europäischen Siedler mit den Ureinwohnern bestimmen sollte. Nach einem vernichtenden Feldzug gegen die Pequot, der bereits unverkennbar Züge "späterer genozidaler Kriege" trug, wurden die verbliebenen Indianer in kleinen Gebietseinheiten versammelt, wo sie gegen Anpassungsleistungen Almosen von Seiten der Regierung bekamen. Das Reservatssystem war geboren.

Aber es lohnt sich, weiterzulesen. Nicht nur, weil es in diesem Drama der Vernichtung auch einige wenige retardierende Momente gab. So standen beispielsweise die Beziehungen zwischen den Indianern des Südens und Südwestens und den spanischen Eroberern unter ganz anderen Vorzeichen. Den Stämmen der Apachen gelang es in New Mexico vor 1700 gar, die Eroberer vernichtend zu schlagen und nach Mexiko zurückzutreiben. Vor allem lohnt sich die Lektüre, da Wilsons Buch eben auch eine Minderheitengeschichte ist. Ausführlich schildert er die innerindianischen Konflikte, die um die Pole Assimilation und Widerstand, Anpassung an die westliche Kultur und Wahrung eigener kultureller Identitäten kreisten. Hier und in dem Kapitel "Den Indianer töten, um den Menschen zu retten", das den brutalen amerikanischen Anpassungsdruck in die Analyse einbezieht, schreibt er eine überzeugende, moderne Geschichte der Indianer Nordamerikas.

Einbezogen in dieses realgeschichtliche Panorama werden die in mündlicher Tradition überlieferten indianischen Mythen. Diese werden ernst genommen, ohne dass sich der Autor auf mystische Abwege einer New-Age-Philosophie begibt. Der Vergleich zwischen dem Schöpfungsbericht der Shastika in Kalifornien, die wie alle anderen Stämme in ihren religiösen Erzählungen keine Vertreibung aus dem Paradies kannten, und der jüdischen Genesis erhellt völlig unterschiedliche Denkwelten. Auf der einen Seite ein in sich ruhendes Weltbild, das die historische Zeit nicht als Linie, sondern als Kreis interpretierte, auf der anderen Seite die zielgerichtete, ständig weiter drängende ewige Erkenntnisunruhe der okzidentalen Gedankenwelten.

In seinem umfassenden Blick, der Einbeziehung verschiedener Erklärungsebenen und ihrer Verknüpfung vermittelt das Buch auf den ersten Blick den Eindruck eines Standardwerks. Allerdings trüben einige Punkte dieses Bild. Eine Geschichte der Indianer Nordamerikas, nicht der Vereinigten Staaten, verspricht der Untertitel, doch der Kulturkreis der Inuit ist völlig ausgeblendet. Die im ersten Moment bestechende Gliederung des Buches nach regionalen Einheiten bei gleichzeitiger chronologischer Vorgehensweise bringt auch erhebliche Probleme mit sich. Da die Beschreibung der regionalen Kulturen immer dann abbricht, wenn andere Regionen durch die Inbesitznahme durch Weiße in den Vordergrund rücken, werden Entwicklungslinien einzelner Stämme beschnitten, die der Leser mühsam selbst vervollständigen muss. Die Entwicklung der Cherokee, die schon 1828 eine eigene Zeitung herausgaben, in ihrem Siedlungsgebiet ein politisches System nach amerikanischen Vorbild eingerichtet und eine eigene Schrift entwickelt hatten, taucht im Buch zweihundert Seiten später wieder auf, als sie nach 1900 um die Selbstverwaltung über ihr Gebiet gebracht wurden.

Unabdingbar wäre zur Veranschaulichung der Entwicklung der Abdruck mehrerer Landkarten gewesen. Die dicht belegte neueste amerikanische Literatur zur Geschichte der Indianer hätte durch den Verlag für das deutsche Publikum durch deutschsprachige Titel ergänzt werden müssen. Angesichts der zahlreichen Bücher zu diesem Thema - und der Masse oberflächlicher Darstellungen - wäre hier ein knapper Leitfaden sinnvoll gewesen. Schließlich obsiegt bei Wilson doch hin und wieder die ideologische Holzhammermethode. Oder wie anders lässt sich der Kommentar zur Errichtung von Spielkasinos im Indianerreservat der Pequot verstehen (siehe F.A.Z. vom 2. Oktober 1999), wenn sich Wilson zu dem Satz versteigt, die Kasinos seien für die indianische Kultur der "vielleicht zerstörerischste Faktor seit den Zeiten der Landzuteilungspolitik"? Wahrscheinlich ließen hier in wenigen Jahren weiße Amerikaner mehr Geld zugunsten der Indianer, als von Regierungsseite je in die Reservate floss. Sollen die Indianer weiter in der von Wilson ebenfalls ausführlich geschilderten Armut leben? Trägt etwa die Armut der Sioux im Pine-Ridge-Reservat zur Wahrung indianischer Kultur bei? Man möchte glauben, diese Sätze stammten nicht von einem Autor, der sein Buch mit den treffenden Sätzen enden lässt: "Erlebt haben die Indianer während der vergangenen fünf Jahrhunderte eine Geschichte fast unvorstellbaren Leides und Elends, aber auch einer außerordentlichen Wandlungsfähigkeit und Erneuerungskraft. Der verschlagene, gestaltenreiche, widersprüchliche, heroische Trickster, den viele heutige Indianer für die Schlüsselfigur der amerikanischen Ureinwohnerkultur halten, wird uns auch in Zukunft immer wieder überraschen."

Für alle, die mehr hören wollen als die alten Geschichten von der Schlacht am Little Bighorn, von Pocahontas oder Sitting Bull, die sich zum Beispiel auch für den Zusammenhang zwischen Roosevelts New-Deal-Politik und einer Neuorientierung der Indianerpolitik interessieren, ist Wilsons Buch auf dem deutschen Buchmarkt, da Wolfgang Lindigs Darstellung zur Geschichte der Indianer Nordamerikas nicht mehr lieferbar ist, derzeit unersetzlich.

JÜRGEN SCHMIDT

James Wilson: "Und die Erde wird weinen". Die Indianer Nordamerikas - ihre Geschichte, ihre Spiritualität, ihr Überlebenskampf. Aus dem Englischen von Ulrich Enderwitz und Rüdiger Hentschel. Franz Deuticke Verlag, Wien, München 1999. 588 S., geb., 68,- DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Eine sehr differenzierte Kritik dieses Buches liefert Jürgen Schmidt in seiner Besprechung, die er mit einer kenntnisreichen Diskussion eurozentrischer Fehldeutungen der Indianer einleitet: als "edle Wilde" oder "rohe Barbaren" wurden sie gleichermaßen missverstanden. Wilsons Problem aber ist dies nicht, denn er schreibt aus der "Perspektive der amerikanischen Ureinwohner", und ihm ist eine "überzeugende, moderne Geschichte der Indianer Nordamerikas" gelungen, findet der Rezensent. Zwar gibt es Lücken und Ungereimtheiten: so ist die präkolumbianische Zeit allzu verkürzt dargestellt und sind die Inuit völlig ausgelassen. Und Schmidt moniert auch, dass die "Entwicklungslinien einzelner Stämme beschnitten" werden, wenn der Autor ihre Region verlässt um andere, historisch in den Vordergrund tretende Gebiete und die Konflikte dortiger Stämme mit den Weißen zu behandeln. Zudem fehlen dem Rezensenten Landkarten und eine auf den deutschsprachigen Stand gebrachte Bibliographie. Positiv wiederum vermerkt er, dass der Autor in das "realgeschichtliche Panorama" die indianischen Mythen einbezogen hat und sich damit überraschende Erkenntnisgewinne ergeben - beispielsweise aus dem Vergleich des Schöpfungsberichts der Shastika und der jüdischen Genesis. Insgesamt bleibt der positive Eindruck: für jeden, der sich für die Geschichte der nordamerikanischen Indianer interessiert, ist dies Buch derzeit "unersetzlich" - dies gilt aber nur, weil, wie Jürgen Schmidt bekümmert anmerkt, Wolfgang Lindigs Darstellung zur Geschichte der nordamerikanischen Indianer nicht mehr lieferbar ist.

© Perlentaucher Medien GmbH
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