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Produktdetails
  • Verlag: Böhlau Wien
  • Seitenzahl: 459
  • Deutsch
  • Abmessung: 35mm x 179mm x 245mm
  • Gewicht: 988g
  • ISBN-13: 9783205773146
  • ISBN-10: 3205773144
  • Artikelnr.: 13485772
Autorenporträt
Ernst Hanisch wurde 1940 in Thaya, Niederösterreich, geboren. Studium der Geschichte und Germanistik in Wien, Univ.-Prof. für Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der Universität Salzburg.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 10.01.2006

Tyrann und Nullnummer
Triumph der Machogeste: Männlichkeiten im 20. Jahrhundert
Ein guter Strudelteig, sagt man in Österreich, muss sich so dünn ausziehen lassen, dass man einen Liebesbrief durch ihn hindurch lesen kann. Seine Geschmeidigkeit sowie sein Fassungsvermögen - strudeln lässt sich so ziemlich alles, Äpfel, Kraut, etc. - scheinen das Muster für die Handhabung eines Themas zu sein, das verführerische Anziehung auf die Kulturwissenschaften ausübt: die Männlichkeit. 2003 hat Germaine Greer in ihren Schwulstband „Der Knabe” alles hineingedreht, was irgendwie als Knabe zählen mag, 2004 wickelte der Historiker Wolfgang Schmale seine „Geschichte der Männlichkeit” um die ganze europäische Kultur seit 1450, und nun legt der Salzburger Geschichtsprofessor Ernst Hanisch unter dem Titel „Männlichkeiten” nichts Geringeres als „eine andere Geschichte des 20. Jahrhunderts” vor. Es ist eine Gesellschaftsgeschichte um das „Drama der Männlichkeit im 20. Jahrhundert am österreichischen Beispiel”. Weil, so Hanisch, das rechte Maß für die Zutaten des Männlichen abhanden kam, geraten die Männerrollen zwischen fatale Extreme: Der Soldat steht zwischen Feigling und Schlächter, der Liebhaber zwischen Don Juan und Schlappschwanz, der Vater zwischen Tyrann und Nullnummer. Die Männlichkeit wird in diesen Zwiespälten so hin- und hergewalkt, dass sie am Ende einem guten Strudelteig gleicht, in den sich alles wickeln, durch den sich alles lesen lässt: die Geschichte des Kriegers , des Vaters, des Liebhabers und allerlei mehr.
Lässt man einmal beiseite, was Hanisch etwa über Pop („Handke hob die Beatles in die Höhe der Literatur”) oder den Feldherren Hitler („er konnte eines - Krieg führen”) zu sagen hat, so haben tatsächlich alle Beispielen mit Männern und ihren Eigenschaften zu tun, wie Ehre, Disziplin, Autorität. Dass Hanisch nichts davon spröde definiert, indem er es zum Beispiel historisch eingrenzt, ist ein Grund, warum sein Männlichkeitsbegriff so geschmeidig bleibt.
Penis, Phallus, große Wörter
Zudem hält eine äußerst lockere Argumentation die Thesen und Begriffe weich: „Der männliche Körper trägt biologisch einen Penis, der sich, sozial, häufig als Phallus aufführt und die Rhetorik der großen Wörter liebt.” Eine tolle Metamorphose, als deren Enzym die im Satzbezug kühnen, deshalb dehnbaren Adverbien „biologisch” und „sozial” fungieren. Diese Aussage ist übrigens theoretisch fundamental, ebenso wie folgende: „Die virile Sexualität motiviert eine spezifische Mischung aus Lust, Angst, Neid und Hass gegenüber Frauen.” Hier steckt die (nie erfolgende) Spezifizierung der Klischees in einer Endlosschleife: Was motiviert da was? Zwar untermauert Hanisch die tollkühne These „Seit jeher gehört die Liebe zu den großen Themen der Kunst” mit drei Fußnoten, doch woher das „uralte Männergesetz der Tapferkeit..., der urtümliche Instinkt, zu töten” kommt, bleibt dunkel. Da hilft auch der Hinweis nicht, dass die „Krise des Mannes im Fin de Siècle begann” - denn wie müsste man sich eigentlich den krisenfreien Mann vorher vorstellen?
All dies läuft auf eine Restauration des Männlichen in kriselnder Zeit hinaus, welche beispielsweise eine postmoderne Geschlechterforschung verunsichere, die angeblich das Geschlecht zur beliebig wählbaren Eigenschaft erkläre. Das ist das Zerrbild des Befundes, dass es keine schöpfungsplanmäßigen Geschlechterrollen gibt. Hanisch teilt es mit einigen anderen Männlichkeitsautoren und ignoriert wie sie all jene Forschung, der es um präzise historische Beschreibung statt um die „zentrale anthropologische Männerrolle der drei Sch - Schwängern, Schützen, Schaffen” (Hanisch) geht. Man könnte dem Buch die heillose Überbewertung der analytischen Kategorie „Geschlecht” bescheinigen, doch das wäre wohl auch überinterpretiert. Denn selbst wenn man die Ungereimtheiten, die der Lektüre wie Fußangeln im Weg liegen, überliest, ist Männlichkeit hier eben keine analytisches Instrument, sondern eine Art akademischer Strudelteig.
Durch diesen hindurch in einem spätfridellschen Kompilationswahn die österreichische Gesellschaftgeschichte des 20. Jahrhunderts lesen zu wollen, ist so erkenntnisreich wie jene Graphik, die laut Hanisch ein „Fünfeck kritischer Knotenpunkte” zeigt: man kann das Fünfeck drehen und wenden wie man will, es hat keine Knoten. Zugleich ist die wirklich drastische Machogeste, Männlichkeit als universelles Erklärungsparadigma hinzustellen, aber auch ein erstaunlicher Beleg dafür, wie sich der von Hanisch gefürchtete, von postmodernen Beliebigkeit infizierte Männlichkeitsbegriff bewahrheitet. WILHELM TRAPP
ERNST HANISCH: Männlichkeiten. Eine andere Geschichte des 20. Jahrhunderts. Böhlau Verlag, Wien 2005. 459 Seiten, 35 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Um seine Generalkritik und letztlich seinen Generalverdacht anschaulich zu machen, greift Rezensent Wilhelm Trapp zum Bild des österreichischen Strudelteigs. Wohlgemerkt für ein Buch, das das "Drama der Männlichkeit im 20. Jahrhundert am österreichischen Beispiel" aufrolle. Männlichkeit als "universales Erklärungsparadigma" diene bei Hanisch nämlich als ähnlich "geschmeidiges" Medium, um alles und jedes einzupacken und lesbar zu machen. Entsprechend "locker" gerate bei Hanisch die Argumentation rund um die Kategorie "Geschlecht", und der Autor "ignoriert" aus Sicht des Rezensenten auch bisherige und weit präzisere Forschungsbemühungen. Trapps Generalverdacht, neben Hinweisen auf Banalthesen und unbeantworteter Grundfragen, ist nun der, dass der Autor die Attribute der Männlichkeit wie "Penis, Phallus, große Wörter" mehr re- als dekonstruiert. Allein der Männlichkeitsbegriff als umfassender Erklärungshorizont für das 20. Jahrhundert sei eine "drastische Machogeste".

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