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Der kleine Rest der großen Donaumonarchie, ungeliebte Notlösung: Die Republik Österreich. Seit ihrer Gründung 1918 gab es keine gemeinsame politische Kultur, kein gemeinsames Verständnis darüber, was dieses neue Gebilde eigentlich sein sollte - bis 1934 die demokratische Republik und 1938 auch Österreich am Ende war. Anton Pelinka stellt die Frage nach der Verantwortung für das politische wie kulturelle Scheitern und zeichnet den Weg in den Abgrund nach. Die junge Republik Österreich war eine Verlegenheitslösung, der Konsens zwischen den staats- und republikgründenden Parteien fragil.…mehr

Produktbeschreibung
Der kleine Rest der großen Donaumonarchie, ungeliebte Notlösung: Die Republik Österreich. Seit ihrer Gründung 1918 gab es keine gemeinsame politische Kultur, kein gemeinsames Verständnis darüber, was dieses neue Gebilde eigentlich sein sollte - bis 1934 die demokratische Republik und 1938 auch Österreich am Ende war. Anton Pelinka stellt die Frage nach der Verantwortung für das politische wie kulturelle Scheitern und zeichnet den Weg in den Abgrund nach. Die junge Republik Österreich war eine Verlegenheitslösung, der Konsens zwischen den staats- und republikgründenden Parteien fragil. Gemeinsamkeiten gab es wenige, und die Zukunft blieb ungewiss. War Österreich erst auf dem Weg zur »wahren« Demokratie, war dieses Österreich nur eine Zwischenstufe zum Sozialismus, oder war es nur eine Republik, die nicht mehr war als eben keine Monarchie? Der »deutsche« Staat Österreich, belastet mit einem Namen, der gestern noch eine Großmacht bezeichnet hatte, sollte sich emanzipieren, wollte sich aber nur höchst widerwillig vom Schatten des alten Reichs lösen. Es entwickelte sich keine politische Kultur, die der ungeliebten Staatsform durch eine systematische Politik der Machtteilung zu Stabilität verholfen hätte. Und auch die »Hochkultur« - Literatur und Wissenschaft, Theater und Musik - nahm diese Republik kaum wahr. Zwischen einer auf das Gestern eines übernationalen Reiches fixierten Nostalgie und einem erträumten Morgen in Gestalt eines »Anschlusses« setzte sich, bis auf wenige Ausnahmen, kaum jemand mit der demokratischen Republik Österreich auseinander. War ihr mörderischer Abstieg aber wirklich zwingend vorgezeichnet, und wie wäre ihr Zerbrechen zu vermeiden gewesen? Was waren die Alternativen zum Absturz?
Autorenporträt
Anton Pelinka war von 1975 bis 2006 o.Univ.Prof. für Politikwissenschaft an der Universität Innsbruck, von 2006 bis 2018 Prof. of Nationalism Studies and Political Science an der Central European University, Budapest. Publikationen zur Demokratietheorie, zum Vergleich politischer Systeme und zum politischen System Österreichs, zuletzt 2020 "Der politische Aufstieg der Frauen. Am Beispiel von Eleanor Roosevelt, Indira Gandhi und Margaret Thatcher".
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.09.2017

Nur beim Fußball waren sich alle Patrioten einig
Auf die Doppelmonarchie folgte 1918 eine Republik namens Österreich: Anton Pelinka erklärt, warum sie keine zwanzig Jahre hielt

Österreich sollte es nach 1918 gar nicht mehr geben - zumindest, wenn es nach den Österreichern gegangen wäre, nach den österreichischen Parteien. Am 3. November 1918 kapitulieren die Streitkräfte Österreich-Ungarns. Am 11. November dankt der Kaiser ab, am 12. ruft eine Provisorische Nationalversammlung der deutschsprachigen Abgeordneten des alten Reichsrats die Republik Deutsch-Österreich aus und erklärt sie zu einem Teil des Deutschen Reiches. Die große k. und k. Monarchie war zu einem Kleinstaat geschrumpft.

Alle drei Parteien der Nationalversammlung - Sozialdemokraten, Christlichsoziale und Deutschnationale - sahen für den Rumpfstaat nur eine Chance: den Anschluss an das Deutsche Reich. Doch dem schoben die Siegermächte im Staatsvertrag von Saint-Germain 1919 einen Riegel vor. Das Land hatte Republik Österreich zu heißen und wurde mit einem Anschlussverbot belegt.

Noch bevor sich das Ende des Ersten Weltkriegs zum hundertsten Mal jährt, legt der Politologe Anton Pelinka - er lehrt derzeit an der von Victor Orbán bekämpften Central European University in Budapest - ein Buch über die Geschichte des ungeliebten Staates vor: "Die gescheiterte Republik", Untertitel: "Kultur und Politik in Österreich 1918 - 1938". Doch nicht einmal diese zwanzig Jahre lang - bis zu dem von Hitler dann erzwungenen Anschluss - hat die Republik gehalten: 1934 wird sie von den Christlichsozialen in die austrofaschistische Diktatur verwandelt.

Die sogenannte Erste Republik ist wissenschaftlich mittlerweile exzellent aufgearbeitet, Pelinka kann aus dem Vollen schöpfen, wenn er ihr Scheitern erklärt. Und ein großartiger Erklärer ist Pelinka, das wissen die Österreicher aus seinen zahlreichen Fernseh- und Radio-Auftritten. Da irritiert es, wenn er in diesem Buch nun alles mehrfach erzählt, aber das liegt auch daran, dass er immer wieder die Perspektive wechselt, mal chronologisch, mal atmosphärisch, dann analytisch oder phänomenologisch.

Eigentlich hat es mit dieser Republik Österreich, die so niemand gewollt hatte, gar nicht so schlecht begonnen. Man gab sich 1920 einen republikanischen Grundkonsens, eine Verfassung. Die gilt in ihrer damaligen Form, mit Ausnahme der Jahre 1934 bis 1945, bis heute. Aber während sich heute eine breite Mehrheit der österreichischen Nation zugehörig fühlt, blieben damals die politischen Lager unter sich, schreibt Pelinka: "Es gab eine sozialistische, es gab eine politisch-katholische, es gab eine deutschnationale Subnation. Es gab keine Nation Österreich. Und Demokratie, das war bestenfalls ein Mittel auf dem Weg zum großen Sieg, der Österreich entweder zu ,God's own country' oder zum sozialistischen Modell gemacht hätte - oder eben das Aufgehen Österreichs in (. . .) Deutschland bedeutet hätte."

Die österreichischen Sozialdemokraten strichen die Anschluss-Forderung erst 1933 aus ihrem Parteiprogramm, als Hitler in Deutschland an die Macht gekommen war. Sie hatten auch 1926 den Namen Österreich noch nicht akzeptiert und schrieben: "Die Sozialdemokratie betrachtet den Anschluss Deutschösterreichs an das Deutsche Reich als notwendigen Abschluss der nationalen Revolution von 1918."

Die militärische Niederlage der Monarchie und das Diktat der Siegermächte als Revolution zu sehen, das ist schon Realitätsverweigerung. Von der ersten Nationalratswahl 1920 an blieben die Sozialdemokraten stabil in der Opposition, gegen den "Bürgerblock" aus Christlichsozialen und Deutschnationalen erreichten sie nie eine Mehrheit, außer im "Roten Wien", wo sie ihre gesellschaftspolitischen Vorstellungen verwirklichen konnten - vom kommunalen Wohnbauprogramm über die Reformen im Schul- und Gesundheitswesen bis hin zu den von Anton Webern geleiteten Arbeiter-Sinfoniekonzerten.

Und nur in Wien war es möglich, ein Republikdenkmal aufzustellen, das nur die Büsten und Namen der drei sozialdemokratischen Gründungsväter trägt. Die Republik wurde als der Besitz nur eines Lagers wahrgenommen. Pelinka: "Die anderen machten der Sozialdemokratie diesen Besitz der Republik auch gar nicht streitig. Die anderen wollten diese Republik überwinden." Die Austrofaschisten trugen das Denkmal dann ab, zuvor verhüllten sie die Büsten mit den Kruckenkreuzfahnen der Vaterländischen Front - ein Foto dieser grotesken Aktion ziert den Buchtitel.

Das tief verwurzelte Lagerdenken der Ersten Republik vermochte nur ein Phänomen zu überbrücken, der Fußball, das sogenannte "Wunderteam", das internationale Erfolge feierte. Ein die Lager verbindender Patriotismus der Alltagskultur, die auch die Akzeptanz eines Teamchefs jüdischer Herkunft mit einschloss. Keine Selbstverständlichkeit, denn auch der Antisemitismus war ein Element, das die Lager gemeinsam hatten, am wenigsten das sozialdemokratische.

Dann Schattendorf: in der burgenländischen Ortschaft gab es einen Zusammenstoß zwischen einer politisch rechten Frontkämpfervereinigung und dem linken Schutzbund, der zwei Todesopfer auf der Seite der Linken forderte. Die Täter wurden freigesprochen. Eine empörte Masse stürmte am 15. Juli 1927 den Wiener Justizpalast, der in Brand geriet, die Polizei setzte Schusswaffen ein, neunundachtzig Tote blieben auf dem Straßenpflaster zurück. Karl Kraus ließ in ganz Wien eine Adresse an den Polizeipräsidenten plakatieren: "Ich fordere Sie auf, zurückzutreten!"

Dazu schreibt Pelinka: "Die am 15. Juli 1927 in Gang gesetzte Gewaltspirale war die erste Etappe der Republik auf ihrem Weg in den Untergang." Die nächsten Etappen: 1930 proklamieren die christlichsozialen Heimwehren ihre Abkehr vom Parlamentarismus. 1933 nimmt der christlichsoziale Kanzler Dollfuß eine Geschäftsordnungspanne im Parlament zum Anlass, dies als "Selbstausschaltung" des Nationalrats zu definieren. Einige Monate später sagt er, nicht mehr zu den Grundlagen der Verfassung von 1920 zurückkehren zu wollen. 12. Februar 1934: Aus einem Zusammenstoß zwischen Polizisten und Mitgliedern des sozialdemokratischen Schutzbundes in Linz entwickelt sich ein Bürgerkrieg, den das Bundesheer in kürzester Zeit niederschlägt. Die sozialdemokratische Partei wird verboten. Der Abstieg Österreichs in die Diktatur ist vollzogen. Am 12. März 1938 marschieren deutsche Truppen in Österreich ein.

Im Frühjahr 1945 beginnt die Erfolgsgeschichte der Zweiten Republik "mit einer Amnesie", schreibt Pelinka: "Die politischen Eliten (. . .) versuchten keine Analyse des Versagens der Ersten Republik (. . .) die Amnesie betraf auch die Verflechtungen Österreichs mit der NS-Terror- und Kriegsmaschine." Aber die Eliten zeigten Lernfähigkeit und schufen eine gescheitere Republik.

MICHAEL SCHROTT.

Anton Pelinka: "Die gescheiterte Republik". Kultur und Politik in Österreich 1918-1938.

Böhlau Verlag, Köln, Wien 2017. 319 S., Abb., geb., 29,99 [Euro].

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