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Produktdetails
  • Verlag: Europa Verlag
  • Seitenzahl: 271
  • Abmessung: 220mm
  • Gewicht: 478g
  • ISBN-13: 9783203840406
  • ISBN-10: 3203840405
  • Artikelnr.: 24919098
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 30.05.2001

Lara Croft ist nur Nachhut
Lyn Webster Wildes Amazonen-Buch – auf der Suche nach kriegerischen Frauen und der weiblichen verloren gegangenen Kraft
Das kriegerische Weib spukte lange vor dem Grundsatz- Urteil des Europäischen Gerichtshofs in Männer- wie Frauenköpfen herum. Lara Croft und Red Sonja, Tank Girl, Xena und Modesty Blaise – sie alle fragten nicht lange nach juristischer Approbation, sie schossen sich den Weg frei in die User- und Leserherzen. Zur geballten Kampfkraft kommt bei all diesen Heldinnen die geballte Ladung Sex – eine unwiderstehliche Kombination für viele, egal ob sie nun siegen oder unterliegen. Auch früher schon zogen die Kriegerinnen durch Sagen und Mythen: die Walküren, Kali, Athene, Artemis und zuletzt Inanna aus den mesopotamischen Göttersagen: die Sumerer nannten eine Schlacht den „Tanz der Inanna”.
Wenn diese einzelnen „Schildmaiden” (ein Terminus von Tolkien) schon Furcht und Faszination auslösen, wie viel mehr dann ein ganzes Heer von kampferprobten Amazonen. Homer erwähnt sie als Verbündete von König Priamos, und andere Autoren berichten, die Amazonen hätten fürchterlich unter den Griechen gehaust, bis Achilles ihre Königin Penthesilea mit dem Speer durchbohrte. Aus dem Mythos fanden die Kriegerinnen rasch den Weg in die bildende Kunst. Wer aber sind sie, und gab es sie wirklich? Hederichs „Gründliches mythologisches Lexicon” von 1770 gibt einen ersten verlässlichen Überblick: „Sie bildeten in Asien und Africa besondere Königreiche, in dem sie eine Königinn hatten, nach einigen, kein Mannsvolk unter sich litten, sondern sich, damit doch ihr Geschlecht nicht untergienge, zu gewissen Zeiten an die Gränzen ihrer Länder begaben, da denn das Mannsvolk aus den benachbarten Landschaften sich einfand, und sie nach ihren Wünschen bedienete. Wenn sie darauf niederkamen, so behielten sie die Mägdchen bey sich, brannten ihnen ... die rechte Brust weg und unterrichteten sie im Laufen, Jagen, Reiten, Schießen.”
Viel genauer wollte es Lyn Webster Wilde wissen. Sie machte die Suche nach der Identität der Amazonen zu ihrer eigenen Sache und reiste jahrelang durch Moldawien, die Ukraine, die Türkei und Griechenland. Sie wollte das Material aus Geschichtswissenschaft und Ärchäologie – die heute nicht mehr an einer Existenz von Kriegerinnen zweifeln – vor Ort überprüfen, das akademisch- starre Bild der Amazonen mit Leben erfüllen, Parallelen zu unserer Zeit und sogar persönliche Affinitäten finden. Dabei versuchte sie, Idealisierungen und Verniedlichungen zu vermeiden, wie sie in Teilen der Frauenbewegung en vogue sind. Ihr Werk „Amazonen – Auf den Spuren kriegerischer und göttlicher Frauen” schwankt denn auch zwischen einem Sachbuch und einem Selbsterfahrungsbericht, und die Methoden, deren sie sich bedient, oszillieren zwischen detektivischer Recherche und individuellen Assoziationen.
Lyn Webster Wilde beschreibt exakt die Grabbeigaben einer Kriegerin aus der Bronzezeit, aber dann genießt sie auch den Schauer, der sie an uralten heiligen Stätten überläuft. Vergangenheit ist ihr nicht vergangen: Die Frauengestalten des Mythos verkörpern für sie „die weibliche verloren gegangene Kraft”, die einst im kleinasiatischen und nordafrikanischen Raum geherrscht hatte, durch die Invasion der patriarchalisch geprägten dorischen Kultur verdrängt und sublimiert, nie aber vernichtet wurde. Diese Energie findet Wilde heute in kämpferischen Forscherinnen wieder oder im übermütig- gewaltsamen Gebaren einer Horde betrunkener Frauen auf einer Geschäftsparty. Für sie sind es Reste einer chthonischen weiblichen Macht, die Selbstvergessenheit, Schöpfung, Sexualität und Zerstörungslust in sich vereint.
An diesem Buch kann einiges stören: der bemühte Brückenschlag zwischen Vergangenheit und Gegenwart, zwischen Wilde persönlich und ihrem Untersuchungsgegenstand, die unscharfe Begrifflichkeit, die platte Gleichsetzung von Sachverhalten, unkritische, selektive Verwendung von Quellen und Spekulationen, vor allem aber die wilde Lust an der Verknüpfung: kretische Stierspringerinnen, neolithische Idole, sumerische und ägyptische Göttinnen, skythische Kriegerinnen. Allerdings wird es viele Lesende geben, die sich von der Liebe zum Gegenstand anstecken lassen, die die Menge an gesichertem Material über „frauengesteuerte Gesellschaften” in vorklassischer Zeit und den frei schweifende Blick über Jahrtausende hinweg bewundern werden.
Auf jeden Fall muss man Wildes Realismus loben, denn sie gibt am Ende ihrer Recherche freimütig zu, die Amazonen selbst nicht gefunden zu haben. Sie ist aber „zufrieden, ... dass es alle Komponenten des Mythos zu verschiedenen Zeiten an verschiedenen Orten gab” und dass sie zusammen der „archetypischen Amazone sehr nahe kommen”, die „erfüllt ist von Kraft, Gewalt, Glanz und Freiheit”.
ROLF-BERNHARD ESSIG
LYN WEBSTER WILDE: Amazonen. Auf den Spuren kriegerischer und göttlicher Frauen. Europa Verlag, München 2001. 272 Seiten, Abb., Karten, 36,50 Mark.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Nach Rolf-Bernhard Essig handelt es sich hier um ein recht ungewöhnliches Buch, besonders deswegen, weil die Autorin einerseits den Spuren weiblicher Kriegerinnen sehr genau nachgespürt habe, andererseits auch Bezüge zur Gegenwart herstellt und dabei auch "persönliche Affinitäten" zulasse. Das kann man durchaus kritisieren, findet Essig, ebenso wie den nicht immer präzisen Umgang mit Quellen und die ungehemmte Spekulationslust der Autorin. Doch insgesamt scheint ihm das Buch dennoch zu gefallen. So lobt er die geradezu ansteckende Begeisterung der Autorin für ihr Thema und die Tatsache, dass sie - anders als so oft in der Frauenbewegung geschehen - "Idealisierungen und Verniedlichungen" vermeidet. Gut gefällt ihm etwa, wenn die Autorin auf die weiblichen Kämpferinnen im kleinasiatischen und nordafrikanischen Raum eingeht und deren Energie auch bei heutigen Forscherinnen oder im "gewaltsamen Gebaren einer Horde betrunkener Frauen auf einer Geschäftsparty" wiedererkennt.

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