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John Dewey stellt als Mitbegründer des Pragmatismus konkrete Probleme sozialer Realität programmatisch ins Zentrum seiner Philosophie. Diese Ausrichtung kommt dem Wunsch nach Praxisrelevanz der angewandten Ethik entgegen. Doch wie pragmatisch dürfen Ethiker sein? Herwig Grimm analysiert die Relevanz und die Reichweite der Theorie der Forschung von Dewey im Kontext der problem- und anwendungsorientierten Tierethik. Denn obwohl Dewey dafür plädiert, das Modell wissenschaftlicher Untersuchungen und ihre paradigmatische Methode, das Experiment, auf die Ethik zu übertragen, findet sich keine…mehr

Produktbeschreibung
John Dewey stellt als Mitbegründer des Pragmatismus konkrete Probleme sozialer Realität programmatisch ins Zentrum seiner Philosophie. Diese Ausrichtung kommt dem Wunsch nach Praxisrelevanz der angewandten Ethik entgegen. Doch wie pragmatisch dürfen Ethiker sein? Herwig Grimm analysiert die Relevanz und die Reichweite der Theorie der Forschung von Dewey im Kontext der problem- und anwendungsorientierten Tierethik. Denn obwohl Dewey dafür plädiert, das Modell wissenschaftlicher Untersuchungen und ihre paradigmatische Methode, das Experiment, auf die Ethik zu übertragen, findet sich keine experimentelle Ethik in seinem umfangreichen Werk. Die grundlegende Frage dieser Arbeit ist deshalb, inwiefern Deweys Ansatz die angewandte Ethik und insbesondere die Tierethik auf ihrer Gratwanderung zwischen Praxisferne und Theorielosigkeit unterstützen kann. Hierauf gibt "Das moralphilosophische Experiment" eine Antwort.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.11.2011

Von guten und schlechten Sklavenhaltern
Wer kann wofür zur Verantwortung gezogen werden? Herwig Grimms Moralphilosophie der kleinen Münze

Um das Urteil fällen zu können, jemand habe sich der Verletzung einer moralischen Pflicht schuldig gemacht, genügt es nicht, die einschlägige Verbots- oder Gebotsnorm zu benennen. Es geht darüber hinaus um die Frage, ob dem Adressaten einer Verhaltensnorm deren Einhaltung im konkreten Einzelfall zumutbar war; hier ist ein breites Spektrum von Antworten denkbar. Es reicht von einer Beschränkung der Entlastungsmöglichkeit auf lebensbedrohliche Zwangslagen bis hin zu einer Einbeziehung von Sachlagen, die nur knapp oberhalb der Schwelle alltäglicher Unannehmlichkeiten liegen. Deshalb enthält von Aristoteles über Thomas von Aquin bis zu Hegel jedes auf Vollständigkeit angelegte System der praktischen Philosophie eine Fülle von häufig sehr subtilen Zurechnungserwägungen.

Herwig Grimm blendet dieses reichhaltige Erbe in seiner an der Münchener Hochschule für Philosophie entstandenen Doktorarbeit fast vollständig aus. Er wirft der herkömmlichen philosophischen Ethik vielmehr vor, sie erschöpfe sich im Wesentlichen in der Begründung moralischer Prinzipien, während sie zu der Frage, wie diese Prinzipien "in praktische Lebensvollzüge verantwortlicher Akteure integriert werden können", kaum etwas beizutragen habe. Diese vermeintliche Lücke zu schließen, erklärt Grimm zu seiner Aufgabe. Ins Zentrum seiner von der pragmatistischen Philosophie John Deweys inspirierten Konzeption einer "problem- und anwendungsorientierten Ethik" stellt er deshalb die "physischen und normativen Bedingungen der konkreten Situation". Diese Bedingungen seien von sehr unterschiedlicher Art. Es gehe bei ihnen "nicht nur um moralische, sondern eben auch um ganz alltägliche Ansprüche, wie ökonomisches Auskommen, physische Begrenzungen, rechtliche Verpflichtungen". Derlei Gegebenheiten setzten die moralischen Ansprüche zwar nicht außer Kraft und seien daher nicht imstande, ein moralisches Defizit zu rechtfertigen. Da aber "letztlich alle Ansprüche in einer Handlung eines Akteurs integriert werden" müssten, stelle sich die Frage nach der Zumutbarkeit und Umsetzbarkeit des moralisch an sich Gebotenen. Der Bereich moralisch gebotenen Handelns werde durch die konkreten Bedingungen und Zwänge "allemal begrenzt".

Im Grundsatz würde diesen Befund freilich niemand bestreiten. Der Teufel steckt, wie meistens, im Detail. In dieser Hinsicht hat Grimm indessen weitaus weniger zu bieten als die klassischen Zurechnungslehren. Seine Formel von den "situativen Begrenzungen" individueller Verhaltensoptionen und sein Kriterium des "Nicht-anders-handeln-Könnens" bleiben diffus. Insgesamt lässt sich den Ausführungen Grimms daher kaum mehr entnehmen als die wenig aufregende Empfehlung, alle Umstände, die für den Handlungsentschluss eines mit einem moralischen Problem konfrontierten Akteurs bedeutsam seien, zu berücksichtigen und sie irgendwie gegeneinander abzuwägen.

Noch gravierender ist es, dass Grimm die systematische Selbständigkeit der Zurechnungs- gegenüber den Verhaltensnormen nicht erkennt. Dies führt ihn dazu, für den Bereich seiner Untersuchung den kategorischen Charakter der Verhaltensnormen zu leugnen und sie auf den Status bloßer "Optimierungsgebote" zu reduzieren, "die graduell bzw. nur so weit erfüllbar sind, wie es die Situation erlaubt". Dass diese Betrachtungsweise sich nicht verallgemeinern lässt, zeigt sich an Fällen, in denen die nach Lage der Dinge bestmögliche Verhaltensoption noch immer gegen fundamentale moralische Gebote verstößt. So bleibt Sklaverei auch dann ein schweres Unrecht, wenn der einzelne Sklavenhalter sich nach Kräften darum bemüht, das Los seiner Sklaven erträglich zu gestalten. Wären moralische Normen nichts anderes als Optimierungsgebote, so ließe sich ein solcher Befund nicht einmal formulieren.

Grimm selbst räumt ein, dass unter solchen Umständen die situationsbedingte Reflexion der konkreten Optimierungsmöglichkeiten nicht ausreiche, da ein anderes Erkenntnisinteresse im Raum stehe. "An diesem Punkt wechselt das Erkenntnisinteresse von der Suche nach Lösungsvorschlägen innerhalb bestehender Rahmenbedingungen zur ethischen Reflexion der Rahmenbedingungen. Denn die Rahmenbedingungen müssen es den Akteuren erlauben, moralisch richtig zu handeln. Ansonsten handelt es sich um moralisch verwerfliche Strukturen."

Eine ethisch begründete Strukturkritik dieser Art ist freilich nur möglich, weil der Verbindlichkeitsanspruch moralischer Gebote nicht von der Erörterung der Bedingungen beeinflusst wird, unter denen ihre Erfüllung im Einzelfall erwartet wird. In einer systematisch geschlossenen moralphilosophischen Konzeption muss das Gleiche dort gelten, wo - wie bei Grimm - jene Strukturen nicht als solche in Zweifel gezogen, sondern als für den Einzelnen unverfügbare Vorgaben seines individuellen Entscheidens behandelt werden.

MICHAEL PAWLIK.

Herwig Grimm: "Das moralphilosophische Experiment". John Deweys Methode empirischer Untersuchungen als Modell der problem- und anwendungsbezogenen Tierethik.

Verlag Mohr Siebeck, Tübingen 2010. 300 S., br., 39,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Nein, Rezensent Michael Pawlik ist mit dieser Doktorarbeit nicht zufrieden. Erstens gibt es - anders als Autor Herwig Grimm behauptet - von der Antike bis heute eine ganze Reihe von Schriften zur Frage, wann moralische Handlungsgebote unter ganz konkreten Umständen umgesetzt werden können oder nicht. Zweitens bleiben dem Rezensenten Grimms Bewertungskriterien dafür, wann moralisches Handeln zwingend geboten ist und wann es der Umstände wegen nicht verlangt werden kann, zu unbestimmt. Drittens schließlich, und das stört Pawlik eigentlich am meisten, degradiert Grimm gewissermaßen den "kategorischen Charakter der Verhaltensnormen" zu "Optimierungsgeboten" (Grimm). Mit dieser Auffassung könnte man Sklaverei entschuldigen, solange der Sklavenhalter versucht, seinen Sklaven das Leben so leicht wie möglich zu machen, so der abwehrende Rezensent.

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