Marktplatzangebote
Ein Angebot für € 59,00 €
  • Buch mit Leinen-Einband

Oliver Volckart geht von der These aus, daß die Entstehung marktwirtschaftlicher Institutionen in Europa eng mit der politischen Zersplitterung des Kontinents zusammenhing. Im Mittelpunkt der Untersuchung steht das bekanntlich extrem fragmentierte Heilige Römische Reich des 11. bis 18. Jahrhunderts. Der Autor geht der Frage nach, wie sich der im Reich stattfindende Wettbewerb politischer Akteure um die Unterstützung durch potentielle Anhänger sowie der Wettbewerb territorialer politischer Autoritäten um mobile Produktionsfaktoren auf den Wandel derjenigen Institutionen auswirkten, in deren…mehr

Produktbeschreibung
Oliver Volckart geht von der These aus, daß die Entstehung marktwirtschaftlicher Institutionen in Europa eng mit der politischen Zersplitterung des Kontinents zusammenhing. Im Mittelpunkt der Untersuchung steht das bekanntlich extrem fragmentierte Heilige Römische Reich des 11. bis 18. Jahrhunderts. Der Autor geht der Frage nach, wie sich der im Reich stattfindende Wettbewerb politischer Akteure um die Unterstützung durch potentielle Anhänger sowie der Wettbewerb territorialer politischer Autoritäten um mobile Produktionsfaktoren auf den Wandel derjenigen Institutionen auswirkten, in deren Rahmen sich der Wettbewerb auf ökonomischen Märkten abspielte. Dabei konzentriert sich Oliver Volckart auf vier Schwerpunkte: den politischen Wettbewerb des Hochmittelalters, die Entstehung ständischer wettbewerbsbeschränkender Institutionen im Spätmittelalter und in der frühen Neuzeit, die gleichzeitige Bildung von Staaten mit territorialem Gewaltmonopol sowie den zwischenstaatlichen institutionellen Wettbewerb des 17. und 18. Jahrhunderts. Diese Prozesse werden nicht nur unter Heranziehung vorwiegend institutionenökonomischer Theorieelemente jeweils im einzelnen analysiert, sondern es wird auch untersucht, wie sie die Veränderung der Wirtschaftsordnung und damit die wirtschaftliche Leistung beeinflußten. Im Ergebnis wird deutlich, daß politische Fragmentierung allein die Entstehung marktwirtschaftlicher Institutionen nicht befördert. Notwendige Bedingung für diese Wirkung ist die Existenz moderner Staaten.
Autorenporträt
Geboren 1964; 1983-1990 Geschichtsstudium an der FU Berlin; 1990-1992 Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Frankfurt; 1992-94 Nafög-Stipendiat; 1995 Promotion in Geschichte an der FU Berlin; 1995-2000 Forschungsreferent am Max-Planck-Institut in Jena; 2000 Habilitation an der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Jena; z.Zt. Privatdozent in Jena.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.01.2003

Die Wurzeln des Wettbewerbs
Oliver Volckart begründet die Trennung von Staat und Gesellschaft

Oliver Volckart: Wettbewerb und Wettbewerbsbeschränkung im vormodernen Deutschland 1000-1800. Verlag Mohr Siebeck, Tübingen 2002, 269 Seiten, 69 Euro.

Oliver Volckart: Wettbewerb und Wettbewerbsbeschränkung in Politik und Wirtschaft. Deutschland in Mittelalter und Früher Neuzeit. Metropolis-Verlag, Marburg 2002, 406 Seiten, 29,80 Euro.

Die Entstehung marktwirtschaftlicher Institutionen in Europa ist maßgeblich auf die politische Zersplitterung des Kontinents zurückzuführen - das ist die These, die Oliver Volckart, Privatdozent an der Humboldt-Universität Berlin, in seinen Forschungsarbeiten überprüft. In den Mittelpunkt seiner beiden Bücher stellt der Wirtschaftshistoriker die Betrachtung des Heiligen Römischen Reiches. Dessen notorische politische Zersplitterung spiegele die Zersplitterung Europas im Kleinen wider, meint er. Deshalb müßte der folgende Zusammenhang gelten: Wenn politische Zersplitterung tatsächlich die Bildung von Marktwirtschaften befördert, dann muß diese Wirkung im zersplitterten Heiligen Römischen Reich besonders deutlich erkennbar sein. Andererseits sind aber die institutionellen Grundlagen von Marktwirtschaften in den meisten Territorien des Heiligen Römischen Reiches erst seit dem späten 17. Jahrhundert entstanden, obwohl die politische Zersplitterung auf eine sehr viel frühere Zeit zurückgeht.

Diesen Widerspruch untersucht der Autor aus der marktprozeßtheoretischen Perspektive der Österreichischen Schule der Nationalökonomie und unter Zuhilfenahme der Neuen Institutionenökonomik. Anhand von drei Wettbewerbsformen analysiert er die Entwicklung des Heiligen Römischen Reiches in der Zeit von 1000 bis 1800. Neben dem Wettbewerb auf Produkt- und Faktormärkten widmet Volckart sein Augenmerk dem politischen Wettbewerb sowie dem institutionellen oder Systemwettbewerb in dieser Zeit. Unter politischem Wettbewerb versteht er "die zwischen politischen Akteuren ausgetragene Konkurrenz um die knappe Unterstützung durch potentielle Anhänger". Im Systemwettbewerb konkurrieren zudem ganze "territoriale politische Einheiten durch Anbieten unterschiedlicher Regelsysteme um mobiles Kapital oder Arbeitskräfte". Diese drei Wettbewerbsformen können jedoch nicht unabhängig voneinander betrachtet werden. Im Wettbewerb auf Produkt- und Faktormärkten treffen die Akteure auf beiden Marktseiten (Anbieter und Nachfrager) Wahlentscheidungen im Rahmen der bestehenden Verhaltensregeln (choice within rules), während im politischen Wettbewerb gerade diese Verhaltensregeln Gegenstand von Wahlentscheidungen sein können - aber nicht müssen. Im Systemwettbewerb geht es indes stets um die Wahl von Regeln und ganzen Regelsystemen (choice of rules).

Mit Hilfe dieses Theoriegerüsts gelingt es Oliver Volckart, anschaulich zu verdeutlichen, daß es in der Zeit zwischen dem 11. und 14. Jahrhundert nicht möglich war, zwischen dem politischen Wettbewerb und dem Wettbewerb auf Produkt- und Faktormärkten zu unterscheiden. Grundsätzlich konnte jeder, der über genug Boden verfügte, um Teile davon Vasallen oder Bauern zu vergeben, als Anbieter militärischer und rechtlicher Sicherheit auftreten, um Arbeitsleistungen oder Naturalabgaben als Gegenleistung zu erhalten. "Das bedeutet, daß, solange Organisationskosten hoch und Boden reichlich vorhanden waren, faktisch Vertragsfreiheit hinsichtlich des Angebots von Schutz herrschte." Hierbei sei es von entscheidender Bedeutung gewesen, daß kein Oberhaupt einer Schutzorganisation - kein Hausvater, kein Grundherr und auch kein Lehnsherr, selbst der Kaiser nicht - in seinem Wirkungsbereich ein Monopol für das Angebot militärischer und rechtlicher Sicherheit innehatte. Dadurch sei die hochmittelalterliche Gesellschaft sozial mobil und außerordentlich kompetitiv gewesen.

Der politische Wettbewerb habe angesichts der Arbeitskräfteknappheit zur Verbesserung der bäuerlichen Rechtslage geführt, die höhere Leistungsanreize und Produktivitätssteigerungen in der Landwirtschaft bewirkt hätten. Zudem sei die Gründung von Marktplätzen und Städten direkter Ausdruck des politischen und institutionellen Wettbewerbs um mobile Ressourcen. Insgesamt sei es nicht übertrieben, dem politischen Wettbewerb für das Wirtschaftswachstum zwischen 1000 und 1400 die entscheidende Bedeutung zuzuweisen.

Allerdings existierte zwischen 1000 und 1400 im Heiligen Römischen Reich auch keine Organisation, welche die Durchsetzungskraft gehabt hätte, allgemeingültige und abstrakte Regeln im Sinne von Friedrich August von Hayek durchzusetzen. Im politischen Wettbewerb "um die knappe Unterstützung potentieller Anhänger" konkurrierten die Herren um Vasallen, um Grundherren und Bauern sowie um Kaufleute und Handwerker; ihre Vasallen konkurrierten aber ebenfalls um Grundherren und Bauern sowie um Kaufleute und Handwerker; die Grundherren ihrerseits konkurrierten natürlich auch um Bauern.

Da keine dieser Instanzen ein Gewaltmonopol oder tatsächlich durchsetzbare Gesetzgebungskompetenzen innehatte, konnten Interessenkonflikte nicht durch Gesetze im Sinne allgemeingültiger und abstrakter Regeln gelöst werden, sondern nur durch bilaterale Verträge zwischen den einzelnen Akteuren. Die wesentlichen Parameter des politischen Wettbewerbs hätten deshalb aus den spezifischen Bestimmungen jener Verträge bestanden, die die einzelnen Parteien miteinander schlossen - auf Basis ihrer wirtschaftlichen Interessen.

Doch die gesellschaftlichen Bedingungen änderten sich; die Bevölkerung wuchs rapide. Und so habe diese Praxis von 1400 an dazu geführt, daß die im Hochmittelalter entstehende Marktwirtschaft wieder abgewürgt wurde, schreibt Volckart. Aufgrund sinkender Organisationskosten seien im Spätmittelalter und in der frühen Neuzeit vielfältige und zum wirksamen kollektivem Handeln fähige Organisationen entstanden (wie innerstädtische Genossenschaften, Zünfte, Städtebünde, Vasallenorganisationen), die im Zuge der Praxis bilateraler Verträge eigenständige Gesetzgebungskompetenzen für ihre Organisationen erlangen konnten. Dadurch seien nahezu alle Bevölkerungsgruppen in der Lage gewesen, sich Privilegien und Sonderrechte zu sichern, die sie vor Wettbewerb schützten. Da keine Gesetze im Sinne allgemeingültiger und abstrakter Regeln existierten und da die politischen Autoritäten als Wirtschaftssubjekte stets selbst auf Produkt- und Faktormärkten aktiv waren, konnten diese vielfältigen "directly unproductive profit-seeking activities" - auch "rent-seeking" genannt - nicht unterbunden werden. "Damit fehlten in der vormodernen Wirtschaftsordnung zentrale marktwirtschaftliche Funktionselemente, was erklärt, warum es unmöglich war, den hochmittelalterlichen Aufschwung fortzusetzen."

Diese Lage änderte sich erst, als sich im 18. und 19. Jahrhundert eine Trennung von Staat und Gesellschaft herausbildete: eine Trennung des politischen und institutionellen Wettbewerbs auf der einen Seite, vom Wettbewerb auf Produkt- und Faktormärkten auf der anderen Seite (funktionale Ausdifferenzierung gesellschaftlicher Handlungssysteme). Unter Staat ist nach Volckart dabei eine Organisation zu verstehen, die auf das Angebot von formellen Institutionen und militärischer Sicherheit spezialisiert ist und dafür ein Gebietsmonopol beansprucht. Zudem mußte der Staat ein Interesse an der Beseitigung der standesspezifischen Privilegien und Sonderrechte entwickeln und in der Lage sein, allgemeine und abstrakte Regeln gegen den Widerstand organisierter Interessengruppen durchzusetzen. "Damit unterscheiden sich moderne Staaten grundlegend von allen vormodernen politischen Autoritäten."

Ist die Entstehung marktwirtschaftlicher Institutionen in Europa nun maßgeblich auf die politische Zersplitterung des Kontinents zurückzuführen? Nein, schließt Volckart, Zersplitterung allein konnte die Entstehung marktwirtschaftlicher Institutionen nicht befördern. Hinzu kommen mußte als notwendige Bedingung die Entstehung moderner Staaten, die sich sowohl eigener wirtschaftlicher Tätigkeiten auf Produkt- und Faktormärkten enthalten als auch "alle Systeme der Begünstigung und Beschränkung" (Adam Smith) bekämpfen.

Obwohl Oliver Volckart in seinen sehr lesenswerten Arbeiten diesen normativen Zusammenhang zwischen Markt und Staat (Interdependenz der Ordnungen nach Walter Eucken) eindrucksvoll durch die Analyse von Empirie bestätigt, wagt er nicht, die wertende Verbindung zu heutigen Problemen der Wirtschaftspolitik in Deutschland und Europa herzustellen. Aber wahrscheinlich gilt auch hier, daß der heutige Wettbewerb - oder vielmehr die Wettbewerbsbeschränkungen auf dem Wissenschaftsmarkt - diese akademische Freiheit nicht mehr erlauben.

NORBERT TOFALL

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Die zentrale Frage, die der Wirtschafthistoriker Oliver Volckart in beiden Bänden stellt, ist die nach den Gründen für die Entstehung einer wettbewerbsorientierten Marktwirtschaft. Eine der allgemein verbreiteten Thesen dazu lautet: die politische Zersplitterung Europas, insbesondere des Heiligen Römischen Reichs war eine mehr oder weniger hinreichende Voraussetzung. Bei seiner Überprüfung unterscheidet Volckart erst einmal drei Wettbewerbsformen: Wettbewerb auf Produkt- und Faktormärkten, politischen und institutionellen Wettbewerb. Zwischen dem 11. und 14. Jahrhundert, zeigt Volckart, war eine klare Unterscheidung zwischen politischem und Produkt- und Faktor-Wettbewerb nicht möglich - es herrschte jedoch "Vertragsfreiheit hinsichtlich des Angebots von Schutz". Mangels verbindlicher Instanzen dominierten bilaterale Verträge - es kam zu einer Frühform von Marktwirtschaft, die nach 1400 durch die Bildung von weit ausgreifenden Organisationen (etwa: Zünfte) wieder abgewürgt wurde. Eine entschiedene Weiterentwicklung und, darin stimmt der Rezensent Norbert Tofall der "eindrucksvollen Analyse" Volckarts zu, notwendige Voraussetzung wirklicher Marktwirtschaft war die Trennung von Staat und Gesellschaft um 1800.

© Perlentaucher Medien GmbH