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Die "Nibelungen" sind ein Breitwand-Stoff, mit allem, was dazugehört: starke Helden, schöne Frauen, scharfe Schwerter, schweres Gold. Deshalb erzählen Heinrich Steinfest und Robert de Rijn die alte Geschichte auch ganz modern als Film, in einem rasanten Storyboard. Das Kopfkino bringt es ans Licht: Blonder Superheld Siegfried? Eher dunkel, eher klein, dafür vom Größenwahn beseelt, eher so der Typ Tom Cruise. Liebliche Maid Kriemhild? Rasende Rächerin viel eher. Finsterling Hagen? Der einzige, der eine Ahnung davon hat, was er tut, auch wenn es Verbrechen sind. Königinnen-Streit in Worms? Eher…mehr

Produktbeschreibung
Die "Nibelungen" sind ein Breitwand-Stoff, mit allem, was dazugehört: starke Helden, schöne Frauen, scharfe Schwerter, schweres Gold. Deshalb erzählen Heinrich Steinfest und Robert de Rijn die alte Geschichte auch ganz modern als Film, in einem rasanten Storyboard. Das Kopfkino bringt es ans Licht: Blonder Superheld Siegfried? Eher dunkel, eher klein, dafür vom Größenwahn beseelt, eher so der Typ Tom Cruise. Liebliche Maid Kriemhild? Rasende Rächerin viel eher. Finsterling Hagen? Der einzige, der eine Ahnung davon hat, was er tut, auch wenn es Verbrechen sind. Königinnen-Streit in Worms? Eher Zickenkrieg auf der Kirchentreppe. Und Nibelungentreue? Rücksichtslos durchgesetzte Gefolgschaft. Wo muss das alles enden, wo endet es immer, und mit einem Sog, dem sich noch kein Hörer und Leser der Geschichte je entziehen konnte? Im Untergang.
Autorenporträt
Heinrich Steinfest, geboren 1961 in Albury (Australien) und aufgewachsen in Wien, lebt in Stuttgart. Inzwischen schreibt er nicht 'nur' Kriminalromane, die mehrfach mit Preisen ausgezeichnet wurden. Der Heimito-von-Doderer-Preis 2010 wurde ihm im Namen des Schutzheiligen aller sprachverliebten und phantasievollen Erzähler verliehen. Zuletzt erschien sein Roman 'Der Allesforscher'. Robert de Rijn wurde 1964 am Rand des einschlägig sagenhaften Odenwalds geboren. Er entdeckte seine Neigung zum Illustrieren früh genug, um nach vorgetäuschtem BWL-Studium dem Drachen der FH Mainz im Fach Kommunikationsdesign mit der Illustration eines Romans von H. P. Lovecraft das Diplom zu entreißen. Seit 25 Jahren in der Werbung als Art- und Creative Director, leistet er sich immer wieder künstlerische Extratouren und ist privat ganze 40 km weitergekommen, zu einem Lebensmittelpunkt im langen Schatten der Wormser Domtürme.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.01.2015

Die Sage, in der Siegfried zum Zwerg wurde

Der Schriftsteller Heinrich Steinfest, bekannt für seine Krimis, hat das Nibelungenlied nacherzählt. Dafür hat er sich allerlei Beistand geholt, von Tom Cruise bis zu Michael Jackson. Und die Tarnkappe erklärt er zum Fetisch. Kann das gutgehen?

War Siegfried kleinwüchsig? In der Nacherzählung des Nibelungenliedes, die der Reclam-Verlag seiner verdienstvollen zweisprachigen Ausgabe des mittelhochdeutschen Epos an die Seite gestellt hat, wird es für möglich gehalten. Der Autor Heinrich Steinfest spekuliert, ob er "zu jenen" gehört, "deren Fähigkeit darin besteht, klein zu sein, jedoch groß zu wirken, vergleichbar einem Typ unserer Tage: Tom Cruise". Der Kenner der Sage vernimmt es mit Staunen. Die alten Texte heben im Gegenteil Siegfrieds Übergröße hervor, in einigen ist er ein veritabler Riese. Der Erzähler des Nibelungenliedes charakterisiert ihn als "stark und lang", und in der Fassung des Epos, die im Mittelalter am meisten gelesen wurde, wird angemerkt, dass es eines "langen Sarges" bedurfte, um ihn beizusetzen.

Auch ist der Held mit Riesenwaffen ausgestattet: Die Metallspitze seines Speers ist zwei Spannen breit, das sind gut vierzig Zentimeter, und die Blätter seiner Pfeile messen eine Handbreit. Dass Steinfest partout den "eher kleingewachsenen Tom Cruise" ins Spiel bringen will, gehört zu einer Strategie forcierter Aktualisierung, die die Erzählung mit Assoziationen von Gegenwartswissen durchsetzt. Siegfried wird auch mit Elvis Presley und Michael Jackson verglichen, und seine Tarnkappe erinnert "sehr an einen der heutigen Fetischanzüge". Man hat das Zauberding bisher für ein Cape gehalten, einen weiten ärmellosen Umhang. Steinfest besteht darauf, dass es sich um ein "schwarzes, mit einer Kopfmaske versehenes Gummikleid" handelt. Und er legt Wert auf die Feststellung, dass dieser "Anzug eine Art Hosenlatz besitzt, der es Siegfried ermöglicht hätte, Brünhild beizuwohnen".

Steinfest erzählt die Geschichte flott herunter und mischt sich mit Kommentaren ein, wo immer ihm etwas auf- oder einfällt. Die Sprache, aktualisierend auch sie, ist auf einen schnoddrig-munteren Alltagston gestimmt, der schon mal ins Vulgäre abkippt: "Brünhild ist keine Lesbe, sondern sie macht sich nichts aus Sex"; Siegfried ist "ein Schönling, aber letztendlich auch nur ein Prolet"; Dietrich von Bern hat "in diversen tollen Geschichten seine Auftritte" (die Geschichte seines Unglücks, die das mittelalterliche Publikum fasziniert hat und ohne deren Kenntnis man den Schluss des Epos nicht versteht, hat sich Steinfest entgehen lassen); Volkers Verhöhnung der Hunnen ist "eine eloquente Gegnerverarschung im Stile des Muhammad Ali"; bevor es zwischen Amelungen und Burgunden zum Kampf kommt, "entspannt (!) sich noch ein verbales Hickhack". So geht es Seite um Seite, beinahe Satz um Satz. Gnadenloser konnte die Geschichte nicht trivialisiert werden.

Steinfest ist ein eiliger Erzähler. Streckenweise hastet er förmlich durch die Geschichte von Siegfried. Das führt dazu, dass manches nur flüchtig in den Blick gerät oder gar nicht wahrgenommen wird. Der Bischof Pilgrim von Passau etwa, der seine Nichte Kriemhild auf ihrem Weg nach Osten ein Stück weit begleitet, kommt nicht vor. Das wird die Passauer, die stolz sind auf die nibelungische Vergangenheit ihrer Stadt, gar nicht freuen. Auch wäre es, ein anderes Beispiel, nicht ganz unwichtig gewesen zu sagen, wann Hagen sich das erste Mal offen zum Mord an Siegfried bekennt (in der berühmten Szene nämlich, in der er und Volker nicht vor Kriemhild aufstehen). In der Eile vergisst Heinrich Steinfest auch einmal, was er selbst erzählt hat. Rüdiger soll sich "als missbrauchtes Werkzeug einer schmutzigen Intrige" empfunden haben, weil man ihn mit der verräterischen Einladung nach Worms schickte. Keine dreißig Seiten vorher war zu lesen, wie es auch im Epos steht, dass man diesmal gerade nicht Rüdiger mit der Botschaft betraut hat, sondern die Spielleute Wärbel und Swemmel.

Wie alle neueren Bearbeiter muss Steinfest damit fertig werden, dass es im Epos keine Figurenpsychologie im modernen Sinn gibt. Er hat sich für das übliche Verfahren entschieden und den Gestalten ein zeitgemäßes Innenleben verpasst. Als routinierter Verfasser erfolgreicher Kriminalromane mit Psychotouch ist er da in seinem Metier. Ein Beispiel: Als Rüdiger gegen Ende der Kämpfe am Etzelhof auf dem Schauplatz erscheint, tritt ihm ein hunnischer Krieger entgegen und wirft ihm, dem Günstling des Hunnenkönigs, der sich bis dahin aus den Kämpfen herausgehalten hat, Feigheit vor. Darauf streckt ihn Rüdiger mit einem tödlichen Faustschlag nieder. Der spontane Faustschlag, mit dem der Held eine Beleidigung rächt, ist ein altepisches Motiv. Steinfest macht aus dem einen Schlag eine Prügelei, in der Rüdiger "heftig und ausdauernd auf den Mann" einschlägt: "Das mag er seiner Ehre schuldig sein, aber man könnte ebenso sagen, er versuche zusammen mit diesem Menschen auch die Wahrheit zu Tode zu prügeln." Die Wahrheit: Wenn damit gemeint sein sollte, dass Rüdiger sich nicht eingestehen will, dass er feige ist, es im Grunde seines Herzens aber weiß, widerspräche das eklatant dem Bild vom guten Markgrafen, das im Epos entworfen wird. Aber es hätte eine eigene Logik, die psychologische Pointe der umgeformten Szene wäre plausibel. Leider bleibt es bei dem einen Einfall, aus dem weiter nichts hervorgeht. Die Rüdigergestalt ist, wie vieles in dieser Nacherzählung, nicht wirklich ausgearbeitet. Man ahnt nur, was vielleicht möglich gewesen wäre, wenn Steinfest sich mehr Mühe gegeben hätte.

Dem Text sind Zeichnungen von Robert de Rijn beigegeben, die als friesartiges Band am Fuß der Seiten herlaufen. Sie bilden weniger ein "Storyboard", wie der Titel verspricht, als eine Art Dekorationsleiste. Mit expressiven Strichen, die entfernt an die Nibelungenblätter von Ernst Barlach erinnern, deuten die Darstellungen Szenen und Auftritte an. Sie gehen jeweils über eine Doppelseite und sind durchgehend vom unteren Blattrand, meistens auch von den seitlichen Rändern her angeschnitten. Die Fragmentierung ermöglicht Zoom-Effekte: zwei Fäuste, ein Schwertknauf, eine Augenpartie, zwei Vogelköpfe (Adler und Falke aus Kriemhilds Traum) in Großaufnahme. Zum Verständnis der Erzählung tragen die Zeichnungen nichts bei. Man denkt wehmütig an die wunderbaren Illustratoren des neunzehnten Jahrhunderts, die mit ihren Bilderfolgen eigene Geschichten erzählt haben, Geschichten in der Geschichte, die der Lektüre eine Richtung gaben.

Das Fazit bleibt trübe. Steinfest hat nicht nur Siegfried geschrumpft, er hat das ganze Epos verzwergt. Mag sein, dass er damit einen Nerv getroffen hat. Jede Zeit hat das Nibelungenlied, das sie verdient.

JOACHIM HEINZLE

Heinrich Steinfest: "Der Nibelungen Untergang". Mit einem Storyboard von Robert de Rijn. Reclam Verlag, Ditzingen 2014. 130 S., geb.,

19,95 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Joachim Heinzle stellt betrübt fest, dass jede Zeit wohl das Nibelungenlied hat, das sie verdient. In diesem Sinn liefert Heinrich Steinfest für ihn die zeitgemäße Nacherzählung der Geschichte, forciert aktualisiert mit Gegenwartswissen. Wenn Steinfest nun Siegfried mit Elvis und Michael Jackson vergleicht, die Tarnkappe zum Fetischanzug macht und vulgär-schnoddrig von Siegfried dem Proleten berichtet, schluckt Heinzle und wünscht sich den Urtext zurück. Zumal Steinfests temporeiche "Trivialisierung" vieles nur streift, Figuren nicht ausarbeitet und auch durch die beigefügten Zeichnungen nicht wirklich dazu gewinnt, wie Heinzle anmerkt.

© Perlentaucher Medien GmbH