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Ist das Problem der Krise das Reden über die Krise?
Kein Tag ohne Krise. Und immer geht es um alles, um den Untergang der Welt, das Ende der Menschheit. Gerhard Schulze kehrt in seinem schwungvollen und leidenschaftlichen Essay den Blick nun jedoch um: von der Krise auf das Reden über sie. Unter welchen Voraussetzungen sprechen wir von einer Krise? Welche Denkoperationen setzt das voraus? Worauf einigen wir uns, nachdem wir das Für und Wider erwogen haben? Und schließlich: Was ist überhaupt das Normale? Glänzend formuliert, öffnet seine kritische Analyse die Augen für unsere Gegenwart…mehr

Produktbeschreibung
Ist das Problem der Krise das Reden über die Krise?

Kein Tag ohne Krise. Und immer geht es um alles, um den Untergang der Welt, das Ende der Menschheit. Gerhard Schulze kehrt in seinem schwungvollen und leidenschaftlichen Essay den Blick nun jedoch um: von der Krise auf das Reden über sie. Unter welchen Voraussetzungen sprechen wir von einer Krise? Welche Denkoperationen setzt das voraus? Worauf einigen wir uns, nachdem wir das Für und Wider erwogen haben? Und schließlich: Was ist überhaupt das Normale? Glänzend formuliert, öffnet seine kritische Analyse die Augen für unsere Gegenwart zwischen Expertentum, Risiko, Alarmdilemma und Dialektik der Vorsicht. Damit uns Krisen nicht überfordern, brauchen wir den Blick auf uns selbst. Eine Dosis Skepsis, zeigt Gerhard Schulze, könnte helfen
Autorenporträt
Schulze, GerhardGerhard Schulze, geb. 1944, studierte Soziologie zuerst in München und dann in Nürnberg, wo er auch promovierte und sich habilitierte. Seit 1978 ist er - mittlerweile emeritierter - Professor für Methoden der empirischen Sozialforschung und Wissenschaftstheorie an der Universität Bamberg. Einer großen Leserschaft ist er durch seinen Bestseller »Die Erlebnisgesellschaft« bekannt geworden. Zuletzt sind von ihm als Fischer Taschenbuch erschienen: »Die beste aller Welten« (2004) sowie »Die Sünde. Das schöne Leben und seine Feinde« (2008).
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 14.02.2011

Keine Angst vor
Banalitäten
Sie wollen ein Buch zur Krise veröffentlichen? Gerhard
Schulze zeigt, wie man die Welle auf dem Trittbrett reitet
Hat die Krise die Bücher, die sie verdient? Klar. „Dieses Mal ist alles anders: Acht Jahrhunderte Finanzkrisen“ von Kenneth Rogoff und Carmen M. Reinhart oder hierzulande vielleicht Joseph Vogls „Das Gespenst des Kapitals“. Sind die Läden trotzdem voller Bände, die versuchen, die Welle auf dem Trittbrett zu reiten? Allerdings. Ein besonders erstaunliches Exemplar hat am vergangenen Freitag der Frankfurter S.-Fischer-Verlag veröffentlicht: „Krisen. Das Alarmdilemma“.
Autor ist der 66-jährige Soziologe Gerhard Schulze, der bis zu seiner Emeritierung in Bamberg Professor für empirische Sozialforschung war und in den frühen neunziger Jahren mit der Diagnose bekannt wurde, dass ein erlebnisreiches Leben zu haben der zentrale Imperativ der Zeit sei. Das 1992 erschienene Buch zur These, „Die Erlebnisgesellschaft“, das das griffige Etikett gleich im Titel lieferte, wurde ein Bestseller und Gerhard Schulze ein gefragter Zeitdiagnostiker.
Es folgte mit „Kulissen des Glücks“ (1999) ein Buch zur „Eventkultur“ der ausgehenden Neunziger („Betrachten wir Guildo Horn, der 1998 für kurze Zeit zum öffentlichen Ereignis wurde und schnell wieder in Vergessenheit geriet.“), danach eines zur Frage, wohin sich die Gesellschaft im 21. Jahrhundert bewegt („Die beste aller Welten“, 2003) und 2006 schließlich „Sünde – Das schöne Leben und seine Feinde“, eine Verteidigung des massenhaften individuellen Glücks der westlichen Konsumgesellschaft. Und jetzt also „Krisen. Das Alarmdilemma“.
Der Verlag sagt, es sei „pointiert“ und „essayistisch glänzend“. Nach der Lektüre wird man den Gedanken nicht los, dass der Klappentextdichter ein anderes Buch gelesen haben muss. Auf den Punkt ist allenfalls, dass es exakt zehn Kapitel hat. Aber eigentlich ist Gerhard Schulze einfach immer wieder unglücklich darüber, wie seiner Ansicht nach mittlerweile über Krisen gesprochen wird. Es sind ihm zu viele Vereinfachungen im Spiel und zu wenig Sinn für Ambivalenzen und Komplexität. Es sei vergessen worden, dass zur Wahrheit immer auch die Einsicht gehöre, dass man die Wahrheit nicht sicher habe. Letztlich sei jedoch alles, was wir tun riskant. Wir sollten deshalb anerkennen, dass wir in einem lebenslangen Dilemma leben: „Was tun bei Alarm? Soll man ihn ernst nehmen und riskieren, dass man seine Zeit verschwendet – oder soll man ihn als Fehlalarm betrachten und riskieren, dass das Auto gestohlen wird? Das ist das Alarmdilemma.“
Das ist alles. Das Buch beruht also auf einem intellektuellen Fehlschluss. Es ist in dem Glauben geschrieben, dass alles, was ein Autor als bahnbrechende Einsicht verkauft, tatsächlich eine bahnbrechende Einsicht ist. Es lässt sich allerdings sehr gut als Handbuch lesen. Für den Fall, dass man bei einem großen und angesehenen deutschen Verlag ein Sachbuch zur Krise unterbringen möchte, enthält es mindestens fünf sehr nützliche Lektionen.
Erstens. Werfen Sie zunächst zwei Kapitel, oder mindestens fünfzig Seiten lang Nebelkerzen. Tun Sie so, als kämen Sie sofort zum Thema, nennen Sie das erste Kapitel zum Beispiel „Worum es geht“, aber kommen Sie auf keinen Fall wirklich zur Sache. Erzählen Sie lieber eine uralte Geschichte, mit der Sie ihre historische Übersicht beweisen können. Irgendwas vom Untergang der Titanic vielleicht und wie fahrlässig die Passagiere auf die Katastrophe zunächst reagierten. Danach wäre etwas Kant nicht schlecht. Seine Aufforderung zum Selbstdenken vielleicht. Geht immer. Lassen Sie dann alsbald aber auch die griechische Philosophie kurz auftreten und deren Geschenk an die Moderne: die Skepsis.
Jetzt haben Sie zwei Seiten Platz, um Ihre erste diffizile Unterscheidung zu entfalten: nämlich die zwischen „warnender“ und „beschwichtigender“ Skepsis. Danach sollten Sie behaupten, dass die Skepsis „in den letzten Jahren“ vollständig diskreditiert worden sei. Sagen Sie aber auf keinen Fall, wer es war. Dann ein längeres Kant-Zitat. Am besten aus „Was ist Aufklärung?“.
Jetzt können Sie Ihren zweiten Joker aus dem Ärmel holen: Behaupten Sie einfach mal was Steiles, dass alle von Krise reden zum Beispiel, aber kaum jemand „spontan angeben“ könne, was genau gemeint sei. Dann schnell einen kleinen Allerwelts-Dualismus. Lebenswelt versus System wäre schön und noch was Härteres. Eine „allegorische Anthropologie“ etwa. Soll heißen, wir sind immer drei in einem: Besorgter, Pionier und Hausmeister.
Zweitens. Tun Sie im zweiten Viertel des Buches mit großer Geste so, als hätten Sie zum Thema alles gelesen, und müssten leider konstatieren, wie skandalös lückenhaft die Debatte noch immer ist. Schreiben Sie zum Beispiel: „Beginnen wir mit der Finanzkrise. Dazu wurde seit 2008 unendlich viel gesagt und geschrieben. So gut wie niemand kam auf die Idee, das jeweils gerade vorausgesetzte Modell der normalen Weltwirtschaft überhaupt zu erwähnen.“
Drittens. Meta, meta, meta! Bleiben Sie als auf keinen Fall auf dem Boden. Ziehen Sie sich als Beobachter auf eine erste, besser noch auf eine zweite Meta-Ebene zurück: „Wie aber soll man im Krisenfall mit dem Vermutungscharakter des Wissens umgehen? Wie kann man sich ein Urteil bilden? Ist es unmöglich? Nein, denn eines kann man tun: Man kann die Diskurse von außen betrachten, von der Meta-Ebene.“
Viertens. Stellen Sie Fragen. Unbedingt auch öfters mehrere hintereinander. Sie wissen ja, eine gute Frage ist die halbe Miete. Mindestens. Aber stellen Sie sie so, dass die Antwort immer sofort klar ist. Das hat zwei unschlagbare Vorteile: Sie können sich die Antwort sparen und der Leser glaubt sofort, er denke selbst: „Wissen sie (die Diskursteilnehmer; Anm. d. R.), was sie tun, wenn sie über Krisen reden? Wollen sie es überhaupt wissen? Kultivieren sie vernünftige Regeln, denen sich alle unterwerfen? Lassen sie zu, was sie am meisten ärgert und gleichzeitig am meisten voranbringt – Gegenargumente, Zweifel, Kritik?“
Fünftens. Keine Angst vor Banalitäten. Wenn Sie nur genug davon unterbringen, stehen die Chancen gut, dass man es Ihnen letztlich als Liebe zur Weisheit auslegen wird. Schreiben Sie zum Beispiel: „Gerade dann, wenn vieles unklar ist, braucht man eine Diskussion auf hohem Niveau.“ Oder: „Krisen – wie wir sie erleben – sind Normalitätsbrüche und manchmal Normalitätskatastrophen.“ Oder auch einfach: „Nicht nur das Wissen wächst, sondern auch die Ungewissheit.“
Bei Adorno hieß es einmal, dass in einem philosophischen Text alle Sätze gleich nahe zum Mittelpunkt stehen sollten. „Krisen“ ist ein Buch, dessen Autor den Satz etwas zu ernst genommen und sich dann auch noch für den falschen Mittelpunkt entschieden hat.
Ein Buch wird nicht daraus, nur ein Steinbruch aus Banalitäten, der so tut, als riskiere er etwas. In seiner etwas orientierungslosen Redundanz ist „Krisen. Das Alarmdilemma“ selbst Teil der Diskurskrise, auf die es vorgibt, eine Antwort zu sein. Alles, was gesagt werden soll, ließe sich bequem in einem kurzen Zeitungsartikel schreiben. Nichts wäre falsch in diesem Artikel, aber auch nichts wirklich interessant.
JENS-CHRISTIAN RABE
GERHARD SCHULZE: Krisen. Das Alarmdilemma. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2011. 251 Seiten, 19,95 Euro.
Soll man den Alarm ernst nehmen
oder als Fehlalarm betrachten –
das ist das Alarmdilemma
„Krisen – wie wir sie erleben – sind
Normalitätsbrüche und manchmal
Normalitätskatastrophen.“
„Gerade dann, wenn vieles unklar
ist, braucht man eine Diskussion
auf hohem Niveau.“
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Kein gutes Haar lässt Jens-Christian Rabe an Gerhard Schulzes Buch über Krisen und Alarmismus . Er erkennt bei dem jüngsten Wurf des Soziologen, der in den 90er Jahren mit der "Erlebnisgesellschaft" bekannt wurde, auf reine Schaumschlägerei. Das Buch scheint ihm jedenfalls in jeder Hinsicht aufgeblasen, banal, redundant und im Grunde uninteressant. Mit einer ironischen Wendung kann er dem Werk dann doch noch etwas Gutes abgewinnen: er liest es, durchaus süffisant, als Anleitung, wie man bei einem großen deutschen Verlag ein Sachbuch über Krisen unterbringen und veröffentlichen kann. So extrahiert er aus Schulzes Krisenbuch Tipps wie: Werfen Sie die ersten 50 Seiten Nebelkerzen, ziehen Sie sich immer auf die Metaebene zurück, schreiben Sie Banalitäten, die Ihnen als Hang zur Weisheit ausgelegt werden können. Und so weiter. Letztlich ist das Buch in Rabes Augen selbst "Teil einer Diskurskrise", auf die es vorgeblich die Antwort sein will.

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