Marktplatzangebote
11 Angebote ab € 0,99 €
  • Gebundenes Buch

Joyce Carol Oates persönlichstes Buch ist eine intime und einschneidende Chronik der 60er Jahre Amerikas: elitäres Collageleben und Aufbruch in die sexuelle Freiheit.
Oates erzählt mit unvergleichlicher Intensität - unheimlich und packend.

Produktbeschreibung
Joyce Carol Oates persönlichstes Buch ist eine intime und einschneidende Chronik der 60er Jahre Amerikas: elitäres Collageleben und Aufbruch in die sexuelle Freiheit.

Oates erzählt mit unvergleichlicher Intensität - unheimlich und packend.
Autorenporträt
Joyce Carol Oates, geb. 1938 in Lockport (NY), zählt zu den bedeutendsten amerikanischen Autorinnen der Gegenwart. Für ihre zahlreichen Romane und Erzählungen wurde sie mehrfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem National Book Award. Joyce C. Oates lebt in Princeton, New Jersey, wo sie Literatur unterrichtet. Im Jahr 2012 erhielt sie den Blue Metropolis Literary Grand Prix.

Silvia Morawetz, geb. 1954 in Gera, studierte Anglistik, Amerikanistik und Germanistik und ist die Übersetzerin von u.a. Janice Galloway, James Kelman, Hilary Mantel, Joyce Carol Oates und Anne Sexton. Sie erhielt Stipendien des Deutschen Übersetzerfonds, des Landes Baden-Württemberg und des Landes Niedersachsen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.07.2005

Das Bild des Vaters im Taschenspiegel
Porträt der Autorin als rebellische junge Frau: Im Roman "Ausgesetzt" erzählt Joyce Carol Oates die Geschichte einer Karriere

Ich-Geschichten, Selbstfindungen, Literatur als autobiographisches Verwirrspiel - haben wir davon immer noch nicht genug? Immer noch nicht genug von den Variationen und Verfremdungen des Literatenlebens? Nein, haben wir nicht. Ein mitreißendes, bestürzendes, erheiterndes, erschütterndes, tragisches und komisches Buch ist anzuzeigen: der Roman "Ausgesetzt" von Joyce Carol Oates.

Ob Bürgersöhne oder Farmerstöchter, auf eine prekäre Jugend blicken viele Schriftsteller zurück, auf eine Zeit voll Unordnung, Leid, Gefährdungen und Peinlichkeiten. Künstlertum und frühes Außenseiterdasein sind schon lange unauflösbar verbunden. Die Introvertierten unter ihnen blinzeln ein wenig wehmütig nach dem Leben und seiner Gewöhnlichkeit. Bedrohlicher dagegen erscheint eine Sehnsucht nach Normalität, die zur fixen Idee wird, zu einem inneren Anpassungszwang, vor dem man sich nur in Grenzüberschreitungen, bis hin zu Wahnsinn und Raserei, retten kann.

Eine solche riskante Gratwanderung mutet die amerikanische Schriftstellerin Joyce Carol Oates der namenlosen Ich-Erzählerin ihres neuen, autobiographisch grundierten Romans zu. Die neunzehnjährige Heldin ist, ähnlich wie die Autorin selbst, in ärmlichen, bedrückenden Verhältnissen aufgewachsen, auf einer Farm in trostloser Gegend. Ihre Mutter hat sie verloren, ihre Brüder beachten sie nicht, ihr Vater, den es zu Hause nicht hält, lehnt sie ab.

Ihre Zukunft als gefeierte Schriftstellerin ist noch fern. Die erste Station ihrer Selbstsuche führt sie, Anfang der sechziger Jahre, zu der elitären Studentinnenverbindung "Kappa Gamma Pi" an der Universität Syracuse, einer "heiligen Schwesternschaft" mit überspannten Ritualen. Um jeden Preis will sie zu den schönen, reichen, glamourösen Verbindungsstudentinnen gehören. Sie bearbeitet ihr Ich wie mit einem Meißel, paßt sich chamäleonartig an und glaubt sich dabei aufzulösen wie ihre billigen Orlon-Pullover. Immer weiter wird sie von ihrem inneren Gravitationspunkt weggeschleudert, bis nichts sie mehr retten kann, auch nicht die geliebte Philosophie. Sie verliert die Kontrolle, brüllt allen ins Gesicht, daß sie nicht dazugehört, weidet sich an ihrem Schmerz, verwahrlost und klaubt in Mülltonnen nach Eßbarem.

Hast du dir den Namen auch irgendwo herausgeklaubt? wird sie später von Vernor Matheius gefragt. Dem brillanten, viel älteren schwarzen Philosophiestudenten hat sie sich mit dem Phantasienamen "Anellia" vorgestellt. Die Studentin, die von ihrem Vater nur "du" genannt wurde und von einem "geheimen Kappa-Namen" träumte, erfindet sich für ihn neu, formt sich nach seinen Vorstellungen. Sie lebt, um ihn zu lieben, kopflos, überrascht, bis zur Selbstaufgabe. Einen Halt für ihr fragiles Ego findet sie nicht: "Meine sogenannte Persönlichkeit war immer eine Maske gewesen, die ich nervös nestelnd angelegt und mit unsicheren, irritierten Fingern wieder abgenommen hatte." Es gebe gar keine persönliche Identität, predigt ihr der arrogante Vernor Matheius. Er entzieht sich ihr, denn sein Zuhause sei "der gedankliche Weg, der alle anderen Wege ausschließt", auch die Liebe. "Anellia" steht wieder vor den Trümmern einer Möglichkeit, und wieder sehnt sie sich, ihres neuen Lebensinhalts beraubt, nach der Reinheit des Nichts. Von ihrer Liebe zu Vernor Matheius behält sie nur ein neues Etikett für ihr Ausgeschlossensein zurück: Als "Negerfreundin" wird sie nun in der rassistischen Kleinstadt beschimpft.

In einem dritten Kapitel wird sie, viel später, ans Sterbebett des längst totgeglaubten Vaters gerufen. Die lange Fahrt nach Utah, mit ihrem ersten Buch im Gepäck, durch die von Joyce Carol Oates so oft beschworenen weiten amerikanischen Landschaften, wird für die junge Schriftstellerin zur wichtigsten Etappe auf der Reise zur Selbsterkenntnis. Ihr Vater, von Krebs und Operationen entstellt, verbietet ihr, ihn anzuschauen, sie muß sich ihm mit geschlossenen Augen nähern. Mit Hilfe eines Taschenspiegels gelingt es ihr, ein Bild von ihm einzufangen. Erst da sind die Gespenster ihrer Kindheit und Jugend gebannt.

Mit Zauberhand fügt Joyce Carol Oates die drei Episoden aus dem Leben ihrer innerlich zerrissenen Heldin zu einer präzisen, kunstvoll gebauten Chronik einer Selbstsuche zusammen. Nüchtern, karg und rein wie die Gedankenwelt, in die sich die Protagonistin oft flüchtet, ist der Tonfall dieses sehr persönlichen Buchs. Oates stellt ihre immer wiederkehrenden Themen - junge Frauen und deren Innenleben, Rassismus und Bürgerrechte, den Kampf gegen Engstirnigkeit und verkrustete Strukturen - in den neuen Zusammenhang ihrer ureigenen Geschichte. Was dabei herauskommt, ist Entwicklungsroman und Künstlervita zugleich: Scharfsinnig analysiert die Autorin, die hin und wieder als Anwärterin auf den Literaturnobelpreis im Gespräch ist, die Krisen, aus denen, mit viel Glück, Literatur hervorgehen kann. "Ausgesetzt" ist von der ersten bis zur letzten Seite verstörend, denn immer tönt im Hintergrund der Dreiklang von Auflösung, Entfremdung und Selbstauslöschung. Doch eine Welt, in der das Schreiben als Rettung vor einer bleiernen Wirklichkeit winkt, kann auch bei Joyce Carol Oates nicht ganz schlecht sein.

Joyce Carol Oates: "Ausgesetzt". Roman. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Silvia Morawetz. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2005. 334 S., geb., 19,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 28.07.2005

Die List der Spiegelscherbe
Wie man sich selbst erobert: In ihrem neuen Roman „Ausgesetzt” erzählt Joyce Carol Oates eine Erweckungsgeschichte
Ein verstörendes Gefühl von Irrealität liegt über diesem Roman der großen realistischen Erzählerin Joyce Carol Oates. Wer andere Romane der amerikanischen Autorin kennt, etwa die zuletzt auf Deutsch erschienenen „Hudson River” und „Wir waren die Mulvanys”, ist zunächst irritiert. Die sprudelnde Eloquenz, die ihren Stil sonst so geschmeidig macht, scheint versiegt. Zwar gibt es emphatische Evokationen - „Ach, könnten Sie es nur sehen! Und zwar mit meinen Augen!” -, insgesamt aber herrscht ein trockener, manchmal beinahe ungelenker Ton. Je mehr man sich in diesen Roman hineindenkt, desto einleuchtender wird das allerdings. Denn „Ausgesetzt”, im Original unter dem Titel „I’ll Take You There” 2002 erschienen, ist eine sympathisch-unprätentiöse Erweckungsgeschichte.
Joyce Carol Oates, inzwischen eine weltweit anerkannte Autorin, erzählt von ihren Anfängen. Auch wenn man die namenlose Ich-Erzählerin nicht mit der Autorin gleichsetzen darf, so ist dieser Roman doch deutlich autobiografisch geprägt. Er erzählt die Geschichte einer jungen Frau aus einfachem Haus, die mit einem Stipendium Philosophie studiert und zu schreiben beginnt. In beeindruckender Schlichtheit beschreibt er eine unendlich zaghafte und gerade in dieser Zaghaftigkeit wahrhaftige weibliche Welt-Eroberung.
Der Roman spielt Anfang der sechziger Jahre. Wir sehen eine Frau um die zwanzig, die ihr schwieriges Elternhaus verlassen hat - die Mutter starb, als sie ein Kleinkind war, der Vater gab dem jüngsten Kind, dem einzigen Mädchen neben drei Brüdern, die Schuld am Krebstod seiner Frau und schob es zu den Großeltern ab -, um sich in der Welt einen Platz zu suchen.
Zunächst nichts als ein mageres Häuflein Schuld und Ungeschick, lernt sie allmählich, sich selbst zu vertrauen und ein Bild von sich zu entwerfen, das die Entwicklung zur Schriftstellerin erlaubt, auch wenn sie sich kaum traut, das auszusprechen. Die zahlreichen Reflexionen über Bild und Bildnis, die den Roman als manchmal etwas angestrengt wirkender philosophischer Subtext durchziehen, haben hier ihren Grund. Diese Frau wurde von ihrer Familie so tief in die Nichtigkeit gestoßen, dass ihr jeder Selbst-Entwurf wie ein Frevel vorkommt.
Einsam unter Leuchttürmen
Über die Selbstverständlichkeit, mit der ihre Kommilitoninnen „,Persönlichkeit’ ausstrahlten, wie ein Leuchtturm Signale aussendet”, kann sie nur staunen. Dennoch versucht sie zunächst, dazuzugehören. Sie tritt einer Studentinnenverbindung bei, ohne allerdings zu ahnen, auf was sie sich einlässt. Nicht nur übersteigt die Mitgliedschaft ihre finanziellen Mittel. Sie eckt an, weil sie die Codes nicht kennt, nach denen sich die „vierzig aggressiv angepassten, extrovertierten Mädchen” richten. Schuldbesessen, wie sie ist, zieht sie das Unglück an und katapultiert sich, durchaus mutwillig, aus der Gemeinschaft hinaus.
Der Roman beschreibt die Entwicklung der Erzählerin nicht als lineare Erfolgsgeschichte. Er erprobt vielmehr drei Modelle, die in einzelnen Kapiteln durchgespielt werden. Gilt das erste Kapitel dem Versuch, in eine Gemeinschaft hineinzukommen, so das zweite und längste dem Versuch, die eigene Identität ganz auf die Liebe zu einem Mann zu gründen. Dass dieser Mann, ein deutlich älterer, ausgesprochen kluger Kommilitone, sie überhaupt nicht braucht (nur irgendwann ihrem rührenden Werben nachgibt), macht die Sache für sie umso anziehender. Ihre Liebe, so sagt sie ihm, reiche für zwei: „Ich bin die, deren Identität einzig darin besteht, dass sie dich lieben kann.” Aber auch das geht nicht gut. Der Geliebte hintergeht sie und stößt sie schließlich von sich.
Erst im dritten und kürzesten, „Ausweg” überschriebenen Kapitel, kündigt sich die Möglichkeit eines gelingenden Lebensentwurfs an. Der längst totgeglaubte Vater, der inzwischen mit einer anderen Frau weit weg in Utah lebt, liegt im Sterben und möchte die Tochter noch einmal sehen. Sie, die mittlerweile in einem gemieteten Häuschen in Vermont lebt und sich ganz dem Schreiben widmet, erkennt die Gunst der Stunde. Endlich, so hofft sie, wird der Vater sie anerkennen. Nicht nur, dass sie für ihn in einem eigens gekauften Volkswagen zweitausendfünfhundert Meilen quer durch die Staaten fährt - eine lebenstüchtige Tochter auf dem Weg zu ihrem sterbenden Vater! -, sie malt sich auch seine Freude aus, wenn er erfährt, dass sein Name bald auf dem Umschlag eines Buches stehen wird: ihrem ersten Erzählungsband. Aber natürlich hält die Wirklichkeit der Phantasie nicht stand. Der Vater ist von Zungen- und Kehlkopfkrebs so entstellt, dass er zwar seine Tochter sehen, selber aber von ihr nicht gesehen werden will. Nur mit abgewandtem Gesicht lässt er sie zu sich, doch die Tochter greift zu einer List und nimmt eine Spiegelscherbe zur Hilfe. Blankes Entsetzen auf beiden Seiten. Der Vater stirbt.
In der Weite des Westens
Während die Autorin den Bildnis-Diskurs mit diesem Crescendo zum Abschluss bringt, hat sie ihrer Heldin längst einen neuen Weg eröffnet. Das Motiv des (flächigen und also unzugänglichen) Bildes wird abgelöst von dem des (dreidimensionalen und also begehbaren) Raumes. An die „perspektivisch verkürzten Landschaften und Horizonte des Ostens” gewöhnt, eröffnet sich ihr angesichts der „tiefen Räume des Westens” eine neue Welt. Mit ihrer Reise hat sie sich einen Raum erobert, in dem sie existieren kann: ebenso real wie imaginär, von einer unendlichen Weite, die sie - in bewusster Absetzung vom Schrecken Pascals - genießt. Für den Rückweg nimmt sie das Flugzeug, zum ersten Mal in ihrem Leben.
MEIKE FESSMANN
JOYCE CAROL OATES: Ausgesetzt. Roman. Aus dem Amerikanischen von Silvia Morawetz. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2005. 334 S., 19,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension

Carol Joyce Oates bleibt ihren Themen treu, meint Rezensent Jörg Magenau nach der Lektüre ihres jüngsten Romans "Ausgesetzt". Auch in dieser Geschichte um Oates' namenloses (weil noch nach seiner Identität suchendes) alter ego, eine schwarze Studentin und Außenseiterin, arbeitet sich Oates an "Emanzipation der Frau, Bürgerrechte und Rassismus in den USA, die Weite der amerikanischen Landschaft und die Engstirnigkeit provinzieller Moral" ab. Gemeinsamer Nenner aller Episoden des Romans ist für den Rezensenten die Macht der Bilder und das Bedürfnis, Bilder zu schaffen. Dies werde deutlich im Scheitern der Beziehung mit dem intellektuellen Vernon, das von ihrer zu großen Identitätsabhängigkeit von ihm verschuldet wird, besonders aber in der Begegnung mit dem todkranken Vater, als dieser der Tochter befiehlt, sich ihm abgewandt zu nähern, damit sie sein Gesicht nicht sieht. Die Tochter, berichtet der Rezensent, widersetzt sich in einer mythologischen Wendung, indem sie einen Handspiegel zuhilfe nimmt. Wenn auch in den Sechziger Jahren angesiedelt, ist "Ausgesetzt" keine Chronik dieser Epoche. So wie auch die Emanzipation der Protagonistin keine politische, sondern "eine sehr persönliche und recht einsame Angelegenheit". Mit diesem Roman, der sehr ein feines Gespür für "innere Zustände" beweist, so das wohlwollende Fazit des Rezensenten, betreibt Oates "Forschungsarbeit am eigenen, vergangenen Ich".

© Perlentaucher Medien GmbH
…mehr