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»Vielleicht kennen ja sogar die Ostdeutschen ihre eigenen Erfolgsgeschichten zu wenig, um stolz auf sie und sich selbst zu sein.« »B. ist die schmutzigste Stadt Europas«, schrieb Monika Maron in ihrem Debütroman 'Flugasche' (1981). B. steht für Bitterfeld, bis heute ein Synonym für marode Wirtschaft und verkommene Umwelt. Dreißig Jahre später hat sie die Stadt wieder besucht und die Spur der Veränderungen nachgezeichnet. Sie erzählt von der Wiederauferstehung einer Region, vor allem aber vom Aufbruch einiger Kreuzberger Solarenthusiasten in die Provinz Sachsen-Anhalts, wo sie eine…mehr

Produktbeschreibung
»Vielleicht kennen ja sogar die Ostdeutschen ihre eigenen Erfolgsgeschichten zu wenig, um stolz auf sie und sich selbst zu sein.«
»B. ist die schmutzigste Stadt Europas«, schrieb Monika Maron in ihrem Debütroman 'Flugasche' (1981). B. steht für Bitterfeld, bis heute ein Synonym für marode Wirtschaft und verkommene Umwelt. Dreißig Jahre später hat sie die Stadt wieder besucht und die Spur der Veränderungen nachgezeichnet. Sie erzählt von der Wiederauferstehung einer Region, vor allem aber vom Aufbruch einiger Kreuzberger Solarenthusiasten in die Provinz Sachsen-Anhalts, wo sie eine Solarzellenfabrik mit 40 Arbeitsplätzen bauen wollten. Nur acht Jahre später ist Q-Cells der größte Solarzellenhersteller der Welt. Aus der kleinen Solarzellenfabrik ist 'Solar Valley' geworden.
Autorenporträt
Maron, Monika§
Monika Maron ist 1941 in Berlin geboren, wuchs in der DDR auf, übersiedelte 1988 in die Bundesrepublik und lebt seit 1993 wieder in Berlin. Sie veröffentlichte zahlreiche Romane, darunter »Flugasche«, »Animal triste«, »Endmoränen«, »Ach Glück« und »Zwischenspiel«, außerdem mehrere Essaybände, darunter »Krähengekrächz«, und die Reportage »Bitterfelder Bogen«. Zuletzt erschienen die Romane »Munin oder Chaos im Kopf« (2018) und »Artur Lanz« (2020). Sie wurde mit mehreren Preisen ausgezeichnet, u.a. dem Kleist-Preis, der Carl-Zuckmayer-Medaille, dem Friedrich-Hölderlin-Preis der Stadt Bad Homburg, dem Deutschen Nationalpreis und dem Lessing-Preis des Freistaats Sachsen.

Literaturpreise:

unter vielen anderen:
Kleist-Preis 1992
Friedrich-Hölderlin-Preis der Stadt Bad Homburg 2003
Ida-Dehmel-Literaturpreis 2017
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.06.2009

Von der Wuseltronik zur Weltfirma

1959 verordnete die DDR der Literatur den "Bitterfelder Weg". Fünfzig Jahre danach veröffentlicht Monika Maron die Reportage "Bitterfelder Bogen": eine originelle Rückkehr zu ihren Anfängen.

Von Jochen Hieber

Die dreißig Kilometer nördlich von Leipzig gelegene Stadt Bitterfeld hat einen festen Platz in der jüngeren Geschichte der deutschen Literatur. Das liegt an einer kulturpolitischen Aufwallung der DDR - und an der Erzählerin Monika Maron.

1959, vor einem halben Jahrhundert, rief der in Halle ansässige Mitteldeutsche Verlag im Verein mit der Staatspartei SED um die hundertfünfzig Schriftsteller aus der DDR und etwa dreihundert schreibende Arbeiter, sogenannte "Volkskorrespondenten", zu einer Konferenz in den sogenannten Kulturpalast des realsozialistischen Chemiekombinats Bitterfeld. Walter Ulbricht, Erster Sekretär des ZK der SED, hielt das Grundsatzreferat, in dem er die enge Verbindung von literarischem und wirtschaftlichem Fortschritt beschwor und dekretierte. Aus Ulbrichts Prämisse folgten zwei Devisen. Die erste ermutigte unter dem Motto "Greif zur Feder, Kumpel! Die sozialistische Nationalkultur braucht dich!" die Werktätigen des Landes zu eigenem poetischen Schaffen. Die zweite Devise beorderte die Berufsliteraten in die Betriebe und Brigaden - Erfolg, so hieß es, könne nur derjenige Schriftsteller haben, "der den Menschen in der Produktion kennt, mit ihm fühlt und mit ihm lebt". So also sollte er sein, der "Bitterfelder Weg". Jede seiner beiden Spuren führte rasch in die Sackgasse.

Eineinhalb Jahrzehnte später beschritt die junge Journalistin Monika Maron den Weg aufs Neue. 1959 hatte sie Abitur gemacht und danach für ein Jahr als Fräserin in einem Flugzeugwerk bei Dresden gearbeitet. Nach dem Studium und ersten beruflichen Stationen schrieb sie vom Beginn der siebziger Jahre an Reportagen zunächst in der Frauenzeitschrift "Für Dich", dann für die Ost-Berliner "Wochenpost". Bitterfeld wurde dabei zur größten Herausforderung im Kampf mit der inneren und äußeren Zensur, ließ sie als Journalistin schließlich resignieren - und machte sie zugleich zur Schriftstellerin.

Vom dreckschleudernden und menschenschindenden Chemiekombinat in einer Stadt mit Namen "B." und von den Schwierigkeiten, darüber eine Reportage zu schreiben, handelt ihr erster Roman "Flugasche", der 1981 erschien - wie alle Bücher Marons bis zur Wende ausschließlich im Westen. Am Ende des zweiten Kapitels spannt Josefa Nadler, die Ich-Erzählerin und Heldin des Erzähldebüts, einen neuen Bogen Papier in ihre Schreibmaschine und tippt den ersten Satz: "B. ist die schmutzigste Stadt Europas." Am Ende des Romans wird sie, zermürbt, aber nicht zerbrochen, bei der "Illustrierten Woche" kündigen - den Kompromissen, die man von ihr fordert, ist sie nicht gewachsen, ihrem Wissen um die Wahrheit aber schon.

Es gehört zur höheren Ironie, aber eben auch zur glückhaften Seite der deutschen Gegenwart, dass Monika Maron fast zwanzig Jahre nach dem Ende der DDR und zunächst wider Willen an den Ort zurückgekehrt ist, der ihr vor fast drei Jahrzehnten ihr literarisches Debüt abverlangte. Und es ist verblüffend, in welch hohem Maße sie in der neuen Reportage die einstigen politischen Forderungen an die Literatur erfüllt - und sie zugleich so beiläufig wie souverän erledigt.

Was Monika Maron schreibt, ist in nicht wenigen Passagen pure und präzise Produktionsprosa. Wir erfahren, was "Wafer" für die Solartechnik bedeuten, was mit ihnen an der "Siebdruckanlage" passiert, wie "der Trockner" funktioniert und welche Aufgabe "der Zelltester" hat. Mehr als ein Jahrhundert Bitterfelder Industriegeschichte lässt sie prägnant Revue passieren, Daten, Zahlen, Fakten. Und es gibt eine ganze Reihe durchaus einfühlsamer Porträts vom "Menschen in der Produktion": Von Uwe Schmorl etwa, der in der DDR Schlosser war, nun als Produktionsleiter und Aufsichtsratsmitglied beim "größten Solarzellenhersteller der Welt" fungiert, von Dagmar Vogt, der Ingenieurin aus Berlin, die 2006 "zur mutigsten Unternehmerin Deutschlands" gekürt wurde, oder von Ingrid Weinhold, die von 1990 an in Bitterfeld eine Maschinenfabrik aufbaut, ohne je einen Pfennig aus den Fördertöpfen der Treuhand zu erhalten.

Mit den Mitteln des "Bitterfelder Wegs" also erzählt Monika Maron nun kapitalistische Erfolgsgeschichten aus dem Osten Deutschlands, zumal jene der Firma Q-Cells, deren erste Gebäude 2001 in der Nähe des einstigen und nach der Wende mit 850 Millionen Mark sanierten Areals des Chemiekombinats errichtet wurden. Vierzig Mitarbeiter nahmen damals den Betrieb auf, mittlerweile sind es allein am Stammsitz mehr als dreieinhalbtausend, das Unternehmen agiert global, ist längst an der Börse notiert, leidet gegenwärtig nicht nur unter den Folgen der Finanzkrise, sondern auch am weltweiten Preisverfall für Solarzellen, wird aber auch 2009 die Produktion steigern.

Endlich einmal ein wahrhaft positives Buch also? Jedenfalls eines, das "den Ostdeutschen" nahelegt, statt nostalgisch zurückzublicken lieber realistisch auf Erreichtes zu schauen, darauf sogar "stolz" zu sein: Der titelgebende "Bitterfelder Bogen", eine im Jahr 2000 mit Mitteln der Expo von Claus Bury errichtete Brücke über die Goitzsche, dient dafür als weithin wahrnehmbares Zeichen. Mit Petra Wust, der Oberbürgermeisterin des jetzigen Bitterfeld-Wolfen, teilt die Reporterin Maron die Erfahrung, dass "depressive Stimmung" meist länger anhalte "als die Umstände, die sie hervorgerufen haben". Gegen Günter Grass verteidigt sie vehement das reale Geschehen in den Jahren nach 1989 - wäre man seinem Konzept einer allmählichen Konföderation der beiden deutschen Staaten gefolgt, wären "hinter unserem Rücken" vor allem "die alten Genossen in die neuen Posten aufgerückt".

Im Roman "Flugasche" hatte Josefa Nadler über "die Gewalttätigkeit industrieller Arbeit" räsonniert und von den "Verkrüppelungen" erzählt, die sie in den Köpfen und Körpern anrichte. Auch jetzt ist die Autorin Monika Maron weit davon entfernt, die Wirklichkeit der nun etwa dreihundertsechzig Betriebe zu idealisieren, die an die Stelle des Bitterfelder Chemiegiganten und der DDR-Filmfabrik in Wolfen getreten sind. Jedes Unternehmen, sagt ihr Dagmar Vogt, die Mitbegründerin von Q-Cells, verliere "mit dem Börsengang seine Seele". Mit spürbarer Sympathie schildert Monika Maron deshalb vor allem die Urzeit der Firma: Sie datiert zurück ins West-Berlin der siebziger Jahre, als sich unter dem 2006 gestorbenen Erfinder-Anarchisten Reiner Lemoine "ein sozialistisches Ingenieurskollektiv" bildete, das sich "Wuseltronik" nannte und nach Alternativen zur verhassten Atomenergie suchte.

1976 war die Reporterin Maron vor den Zumutungen des Staates an ihren Beruf in die Literatur geflohen. Sechs Romane sind seither entstanden, zudem der autobiografische Band "Pawels Briefe", zahlreiche Einreden und Essays zur Zeit. Als Autorin gehört Monika Maron zu den Repräsentanten unserer Literatur. Als Bürgerin war und ist sie eine engagierte Verfechterin des keineswegs Selbstverständlichen, also eine Propagandistin von Freiheit und Demokratie. Für den "Bitterfelder Bogen" hat sie zu ihrem ersten Genre, der Reportage, zurückgefunden. Das war nicht nur naheliegend - Bitterfeld braucht keine Camouflage mehr -, sondern ist auch höchst originell: So hat sie, animiert von ihrem Freund, dem Q-Cells-Architekten Andreas Hierholzer, ein journalistisches Thema entdeckt, das der Journalismus bisher weitgehend übersah.

Monika Maron: "Bitterfelder Bogen". Ein Bericht. Mit Fotos von Jonas Maron. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2009. 173 S., geb., 18,95 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 11.07.2009

Auf besseren Feldern
Ein Stoff wie von Zola: Monika Marons beeindruckender Bericht über die Verwandlung der Chemiestadt Bitterfeld in ein Zentrum der Solarenergie
Bitterfeld in Sachsen-Anhalt – von flämischen Einwanderern des Mittelalters so genannt, die hier „bessere Felder” fanden – ist einer der großen Gedächtnisorte der deutschen Industriegeschichte: Was die Saar für die Schwerindustrie, die Ruhr für die Kohle, das waren Ludwigshafen und Bitterfeld für die Chemie. Von vielen dieser Industriegebiete muss man heute in der Vergangenheitsform sprechen, was einen gewaltigen historischen Prozess bezeichnet: In kaum anderthalb Jahrhunderten erlebten die produktivsten, auch verschleißendsten Wirtschaftsformen der Geschichte Aufstieg und Fall.
Nirgendwo war die Geschichte dramatischer als in Bitterfeld: Hier entstand vor dem Ersten Weltkrieg ein vielgliedriger Wirtschaftsraum, dessen Vorzüge – Wasser- und Kohlereichtum, verkehrsgünstige Lage, dünnbesiedeltes Land – die Ansiedlung ineinander verzahnter Produktionszweige von der Wasch- und Düngemittelproduktion bis zum Massenkonsumgut Fotografie erlaubte. Bald regierten hier monopolartige Großbetriebe wie die IG-Farben, die selbstverständlich auch in den Kriegswirtschaften der beiden Weltkriege große Aufgaben mit enormen Gewinnen zu erfüllen hatten.
Die trübe Welt der „Flugasche”
Diese politischen Verflechtungen und die Teilung Deutschlands machten aus Bitterfeld das größte deutsche Gebiet der auf zentrale Steuerung und rücksichtslose Naturausbeutung setzenden sowjetischen Wirtschaftsweise, die trotz ungeheurer natürlicher Kosten und immer eklatanterer Ineffizienz bis 1989 fortgesetzt wurde. In den achtziger Jahren war Bitterfeld zu einem ökologischen Katastrophengebiet geworden, dessen Himmel gelbgrau verschleiert war, wo die Fassaden schmutzigfarben und die Fensterscheiben klebrig verschliert waren. Wer als Westdeutscher um 1980 bei Tageslicht mit dem Zug durch diese Region fuhr, musste sich fragen, wie lange so ein Zustand aufrechtzuerhalten sein würde.
Monika Marons erster Roman „Flugasche” war 1981 eine bedrückende Bestätigung solchen Augenscheins: Hier wurde die Geschichte einer Berliner Journalistin erzählt, die über das Leben im Bitterfelder Gebiet Reportagen schreiben soll und angesichts der Naturkatastrophe an den Möglichkeiten der gelenkten Presse und zugleich an ihren eigenen Gewissensskrupeln scheitert. Das war in seiner Verbindung von selbstbewusster weiblicher Sensibilität mit einem längst als systemübergreifend wahrgenommenen Thema ein beeindruckendes Buch. Es begründete den Ruhm der Autorin und hat bei jüngeren Westdeutschen mehr zur Delegitimierung der DDR beigetragen als politische Vorwürfe. Dass die Wahl des Schauplatzes Bitterfeld eine drastische Anspielung auf ein wichtiges Kapitel der DDR-Kulturpolitik enthielt – den unter dem Titel „Bitterfelder Weg” firmierenden Versuch der Ulbricht-Zeit, eine offiziöse Literatur von Arbeitern für Arbeiter zu schaffen – war damals im Westen nicht jedem bewusst. „Flugasche” erschien passend zur Wendung der bundesdeutschen, vom Deutschen Herbst desillusionierten Linken ins Innerliche und Grüne: einer der frappanten Parallelverläufe in den beiden deutschsprachigen Literaturräumen.
Seit 1990 musste die veraltete Bitterfelder Industrielandschaft abgeräumt werden. Der gebildete Gesamtdeutsche fährt hier inzwischen durch, um zum Wörlitzer Gartenreich oder zur Leipziger Messe zu kommen. Der Himmel ist weit und ostdeutsch blassblau, man kann wunderbar durchatmen, ohne am süßlich-fettigen Geruch der Braunkohle mit ätzenden Zusatzstoffen zu ersticken.
Dass der ökonomische Umbruch für die Beteiligten als Absturz kam, als Ende von Arbeitsroutinen, Lebenssicherheit und wirtschaftlicher Subsistenz, erschien unvermeidlich. Darüber jammernde Ostdeutsche erfuhren wenig Sympathie. Das war der Lauf der Welt: Aus dem stahlschweren, stinkenden sowjetischen Wirtschaftsmodell musste die gläserne, allzeit aufbruchsbereite, also nomadisch leichtgebaute neue Technologiewirtschaft werden. Umso besser, wenn ein paar der nach Osten verschobenen Milliarden solchen Strukturwandel anzuschieben halfen.
Aber was für ein Thema ist dieser in wenigen Jahren vollzogene Umbruch! Émile Zola hätte einen 500-seitigen Roman daraus machen können, der vom Elend der Arbeitslosen, also den Volker Braunschen „Werkzeugmachern”, über die Vermögensverschiebungen in der „Treuhand” bis zu den jüngsten Börsenschicksalen ein so erschütterndes wie informatives Gemälde entwerfen würde. Es ist ein großes Verdienst, dass Monika Maron sich, gegen begreifliche Widerstände, an die Orte ihres ersten Buches zurückzukehren, der Mühe unterzogen hat, in einer knappen, trocken-unterhaltsamen Reportage auf diesen großen Stoff hinzuweisen.
„Bitterfelder Bogen” (der Titel kommt von einem Landschaftskunstwerk von Claus Bury) erzählt fast überknapp die Geschichte des Aufräumens in Bitterfeld und die Neuansiedlung moderner Betriebe, vor allem am Beispiel des erfolgreichsten deutschen Solarzellen-Unternehmens Q-Cells, daneben einiger kleinerer Betriebe zum Maschinenbau und der Foto- und Fotovoltaik-Industrie.
360 Betriebe konnten im Bitterfelder Raum angesiedelt werden, nicht zuletzt dank einer grenzenlos flexiblen örtlichen Verwaltung, die dem Berliner Ämterstumpfsinn die heutige Weltfirma Q-Cells abjagen konnte. Q-Cells ist ein Paradebeispiel für einen Zukunftsbetrieb, denn er stellt die Technologie für den Energie-Umbau her, der der Welt in den kommenden Jahrzehnten bevorsteht; der Antrieb eines seiner Gründer, des Kreuzberger Alternativen Reiner Lemoine, war es, vor allem für die rohstoffarmen, von den großen Netzen nicht erreichten armen Länder der Dritten Welt zu produzieren, um dort Sonne in Strom zu verwandeln.
Der Wagemut der Facharbeiter
Dieser nüchtern-idealistische Impuls prägte die Anfangszeit, bei deren Vergegenwärtigung die Schriftstellerin Maron ihre besten Seiten entfalten kann: Man will etwas „Richtiges machen”, Hierarchien existieren noch nicht, die Trennung von Beruf und Familie ist illusorisch, so gewinnt auch die Arbeit etwas von der Angestrengtheit und dem Glück junger Familien. Der Aufstieg ist schwindelerregend, und mit ihm der Wohlstandsgewinn einzelner wagemutiger Fachleute, nicht zuletzt aus dem hochausgebildeten Facharbeiterstamm der untergegangenen Bitterfelder Industrie. Dieser selbständig denkende, nicht intellektuelle, dabei unbeeindruckbar-intelligente Facharbeitertypus ist es viel mehr als die Ideologen, der das Urteil über die DDR und ihr Scheitern spricht. Maron schildert ihn mit unverkennbarer Sympathie.
Auch in die Abläufe der Solarzellenproduktion hat sie sich gewagt, das Aufätzen und Löten, das Polarisieren und Versiegeln, die Qualitätskontrolle und die Verpackung – freilich, der Laie ahnt mehr, worum es geht, als dass er es wirklich verstünde. Diese Vorgänge scheinen vorerst noch kaum literaturfähig zu sein. An einzelnen Biogrammen der Beteiligten – hier wird der Leser den Produktionsleiter und heutigen Aufsichtsrat Uwe Schmorl bald am liebsten haben – wird das Bitterfelder Wunder am ehesten greifbar: Der einstige Maschinenschlosser entpuppte sich nach der Wende als Mann von natural leadership, wie es im Mc-Kinsey-Sprech heißt, und ist heute Millionär, aber für seine Leute „Schmorli” geblieben.
Maron hat weder eine modernisierte Neuauflage von kantiger Arbeiterliteratur geschaffen, noch ist sie in dem autoaggressiven, Stellungnahmen in Schilderungen verpackenden Sensibilismus der ostdeutschen Reportagetradition verblieben. Ihr Buch ist zupackend und meinungsfreudig, man fühlt sich angenehm an angelsächsische Vorbilder erinnert. So malt sie auch nicht alles freudig und hell in ihren Erfolgsgeschichten. Die unbegreifliche Benachteiligung ostdeutscher Firmengründer durch die Treuhand wird sichtbar; ein veritabler Wutausbruch gilt der Sprache der Werbung, die nicht Erfolge konkret benennt, sondern die Ohren mit dummen Sprüchen zukleistert; und verhangen ist der Blick auf die seelenlose und kurzfristige Irrationalität, die mit dem Börsengang solcher Startups einhergeht: Die Q-Cell-Aktie steigt und fällt mit dem Ölpreis, als sei der Zwang zum Umstieg auf erneuerbare Energien vom Tagespreis des fossilen Rohstoffs abhängig.
Auch wurde durch die Abwicklung der Umweltkatastrophe in Bitterfeld nicht alles gut: Die Innenstadt bleibt absehbar verödet, weil die Einkaufszentren im Umland die Entstehung einer anspruchsvollen Geschäftswelt verhinderten; hier hätte überlegte Ansiedlungspolitik umsteuern können. Und die Leute sind hier vor allem zum Arbeiten, Zuzügler wollen bald wieder weg: Es fehlt an Kultur, an bürgerlicher Gesellschaft, selbst an einer eigenen Forschungstradition. Mancher pendelt lieber.
Mit nahezu ratloser Wut quittiert Maron rückblickend den selbstgerechten, „herzlosen” Defätismus von Günter Grass’ Bitterfelder Rede von 1991, in der der kurz eingeschwebte Dichter seinen Zuhörern ihr Unglück als Folge davon vorrechnete, dass sie seinen Ratschlägen nicht gefolgt seien. Aber was hätte, ein Jahr nach der Vereinigung mehr geschehen sein sollen als der Beginn des Abräumens, fragt Maron. Und so verärgert sie auch die Medienpräsenz der „Commedia-dell’Arte-Figur” des renitenten, untüchtigen Jammer-Ossis, während die Zähen und Zupackenden im Dunkeln bleiben und so zum Selbstbewusstsein in den neuen Ländern nichts beitragen. Mit so kräftigen Akzenten schließt das durch Jonas Marons kühle Fotografien beeindruckend illustrierte Buch. GUSTAV SEIBT
MONIKA MARON: Bitterfelder Bogen. Ein Bericht. Mit Fotos von Jonas Marton. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2009. 173 Seiten, 18,95 Euro.
Auferstanden aus Industrie-Ruinen: das Solarfeld in Thalheim bei Wolfen Foto: Jonas Maron / S. Fischer Verlag
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Fast ein wenig überrascht ist Christoph Schröder von Monika Marons neuem Buch "Bitterfelder Bogen". Er sieht die Autorin einen Bogen schlagen zu ihrem Roman "Flugasche" von 1981, in dem eine Journalistin eine überaus kritische Reportage über die B. Schreibt - "die schmutzigste Stadt Europas". Vorliegendes Werk scheint ihm zweierlei: Spurensuche und Chronik einer Region, die kurz vor dem ökologischen Kollaps stand und ein Plädoyer gegen die Klagen eines in Depression und Resignation versinkenden Ostens. Q-Cells, eine Firma für Solaranlagen, vor der Wende gegründet von linken Idealisten aus Kreuzberg, heute der größte Solarzellenhersteller der Welt, verkörpere für die Autorin den Aufbruch Bitterfelds. Den Weg dieses Unternehmens zeichne Maron bis in die Gegenwart nach. Auch wenn "Bitterfelder Bogen" keinen Idealzustand, kein Idyll zeichnet, von Maron hätte er ein solches Buch nicht erwartet, das er einen "Therapieversuch gegen den von den Medien potenzierten ostdeutschen Selbsthass" nennt.

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