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Ismail Kadare, Albaniens berühmtester Autor und seit Jahren Anwärter auf den Literatur-Nobelpreis, war Ende der 50er Jahre Student am berühmten Maxim-Gorki-Literaturinstitut in Moskau. In dieser Zeit wurde er Zeuge der beispiellosen Hetzkampagne in allen Medien gegen Boris Pasternak, der den Nobelpreis nicht entgegennehmen durfte. Illusionslos zeichnet Ismail Kadare ein Bild der Schriftsteller aus allen Teilen des großen Sowjetreichs, denen er im Rahmen seines Studienaufenthaltes am Maxim-Gorki-Institut begegnete. Zu seiner bodenlosen Enttäuschung trifft er überwiegend auf Konformisten,…mehr

Produktbeschreibung
Ismail Kadare, Albaniens berühmtester Autor und seit Jahren Anwärter auf den Literatur-Nobelpreis, war Ende der 50er Jahre Student am berühmten Maxim-Gorki-Literaturinstitut in Moskau. In dieser Zeit wurde er Zeuge der beispiellosen Hetzkampagne in allen Medien gegen Boris Pasternak, der den Nobelpreis nicht entgegennehmen durfte.
Illusionslos zeichnet Ismail Kadare ein Bild der Schriftsteller aus allen Teilen des großen Sowjetreichs, denen er im Rahmen seines Studienaufenthaltes am Maxim-Gorki-Institut begegnete. Zu seiner bodenlosen Enttäuschung trifft er überwiegend auf Konformisten, ultraloyale Schmeichler, frustrierte Sozialisten und korrupte Informanten. Die eigenartige Stimmung aus Beklemmung, Misstrauen und gegenseitger Bespitzelung unter den Studenten fängt er in zum Teil surreal anmutenden Szenen ein. Gesteigert wird die klaustrophobische Atmosphäre noch durch den Ausbruch einer Epidemie, die zu einer vollständigen Quarantäne führt. Ein Sinnbild der politischen Isolation, in der sich die Sowjetunion nach der Tauwetterperiode unter Chruschtschow befindet, und ein ahnungsvoller Vorgriff auf die Isolation Albaniens nach der Loslösung vom »Großen Bruder«.

»Ismail Kadare hat mehr über das 20. Jahrhundert und seine Dunkelheit zu erzählen als jeder andere zeitgenössische Autor.« Daniel Kehlmann
Autorenporträt
Ismail Kadare, Albaniens berühmtester Autor, wurde 1936 im südalbanischen Gjirokastra geboren. Er studierte Literaturwissenschaften in Tirana und Moskau. Seine Werke wurden in vierzig Sprachen übersetzt, er gilt seit Jahren als Anwärter auf den Literaturnobelpreis. 2005 erhielt Kadare den Man Booker International Prize. 2015 wurde er mit dem Jerusalem Prize ausgezeichnet. Er ist Mitglied der französischen Ehrenlegion und lebt heute in Tirana und Paris. Joachim Röhm lebt als freier Übersetzer in Stuttgart, München und Tirana. Nach einem mehrjährigen Aufenthalt in Albanien Ende der 70er Jahre, kehrte er 1980 nach Deutschland zurück. 2010 wurde er mit dem Jusuf Vrioni Übersetzerpreis der Republik Albanien ausgezeichnet.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.10.2016

Das gespenstische Moskau der fünfziger Jahre ist uns nicht fern

Der große albanische Autor Ismail Kadare offenbart sich in diesem Roman wie selten zuvor: "Die Dämmerung der Steppengötter" sind ein Hauptwerk.

Von Beqë Cufaj

Es ist an der Zeit, einige Dinge über den wichtigsten albanischen Schriftsteller zu sagen, über Ismail Kadare. Geboren wurde er in der felsigen Stadt Gjirokastra im Süden Albaniens. Dieselbe Stadt übrigens, in der auch zwei andere wichtige "Söhne der Adler", die beiden anderen bekanntesten Persönlichkeiten der albanischen Geschichte der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts, zur Welt kamen: der Diktator Enver Hoxha und der Begründer des literarischen Albanisch, Eqrem Çabej. Kadare überlebte sie beide und gilt heute als einer der bedeutendsten Autoren auf dem europäischen Kontinent.

In Deutschland ist der Schriftsteller durchaus kein Unbekannter. Schon während der Zweiteilung des Landes wurden seine Werke sowohl beim Verlag Volk und Welt in Ost-Berlin veröffentlicht als auch im Westen im Malik- und im Residenz-Verlag sowie später mit Taschenbuchausgaben bei dtv. Doch vor allem nach dem Fall des Eisernen Vorhangs geschah mit dem albanischen Autor etwas Seltsames, um nicht zu sagen Unerhörtes. Damals, nach dem Sturz des Enver-Hoxha-Regimes, begannen bekannte und weniger bekannte albanische Autoren, solche, die Repressionen erfahren hatten, und andere, die als sich als solche ausgaben, über ihre verfassten und noch nicht erschienenen Werke zu sprechen und darüber, wie nun, da die Zeit der Demokratie angebrochen sei, sie allein die kommunistische Hölle erklären könnten, in denen die Albaner vier Jahrzehnte lang gelebt hatten. Überdies verbreiteten sie mitunter die Behauptung, die einzigen Dissidenten im Land gewesen zu sein, obwohl so etwas in Albanien gar nicht möglich war - wie es heute unmöglich wäre, Dissident unter Kim in Nordkorea zu sein.

Mit solchen Erklärungen aber sind Kasëm Trebeshina oder Kapllan Resuli aus Albanien, aber auch Arshi Pipa, Bilal Xhaferri und Martin Camaj allesamt nach Amerika oder Deutschland ausgewandert. Obwohl sie dort jede Chance hatten, ebenso wie andere in der Emigration lebende osteuropäische und südosteuropäische Autoren ihre Werke publik zu machen, hat doch kaum einer von ihnen je nennenswerte Erfolge erzielt. Erfolg sahen einige bereits in der Tatsache, dass sie überhaupt etwas veröffentlichten.

Zur Literatengruppe nach dem Zusammenbruch des Regimes gehörten auch junge Autoren der neueren Generation, die ihre Bildung noch unter Enver Hoxha erhielten und nun veröffentlichen konnten. Nach Hoxhas Tod wurden sie trickreich von der Witwe des Diktators hofiert. Aufgabe der Jüngeren sollte es sein, die bedrohlichen, weil implizit und hochraffiniert regimekritischen Werke des legendären alternden Ismail Kadare zu diffamieren, sowohl in der Öffentlichkeit wie in den Literatursalons von Paris oder Frankfurt, München, Wien oder Zürich. So kam es, dass man die jungen Autoren, Anfang der neunziger Jahre noch allesamt Unbekannte, zunächst mit erwartungsvoller Hoffnung las, darunter Besnik Mustafaj, Ardian Klosi, Fatos Lubonja. Als Haupthindernis für ihren Ruhm, ob mit einem Glas Wein oder mit lehmfleckigen Manuskripten in Händen, die bald teils auf Deutsch, Französisch oder Englisch gedruckt wurden, erwies sich gleichwohl, dass sie recht kraftlose Literatur verfassten.

Der Schaden aber war angerichtet. Die Jüngeren hatten sich, bewusst oder unbewusst, instrumentalisieren lassen und Ismail Kadare als Protegé von Enver Hoxha gebrandmarkt, ja als angeblichen Vorzeige-Kulturschaffenden des kommunistischen Regimes. Erst als man erkannte, dass die neuen Sterne am literarischen Himmel Albaniens kaum Leuchtkraft entwickelten, begann der große, alte Kadare schmerzlich fühlbar zu fehlen - vor allem auf dem deutschen Büchermarkt und nicht zuletzt während der neunziger Jahre wie während des Kosovo-Krieges Ende des vergangenen Jahrhunderts.

Inzwischen nämlich stand Kadare, der einst privilegierte Albaner mit Verlagen in der DDR und in Westdeutschland, gänzlich ohne deutsche Verleger da. Noch heute ist es für Kenner der albanischen Literatur eines der großen Geheimnisse, wie es dazu kommen konnte, dass der deutsche Literaturbetrieb Zeit, Geld und Lust genug haben konnte für mittelmäßige Autoren vom Balkan und Hoffnung in diese investierte, und dass zugleich der immer wieder für den Nobelpreis gehandelte Kadare kaum lieferbar war - fast zehn Jahre lang.

Aus heutiger Sicht kann man sagen, dass die Ignoranz gegenüber Kadare im Deutschland der neunziger Jahre auch ihre positive Seite besaß. Denn nur so kam es zu dem Glücksfall, dass das "Projekt Ismail Kadare" von dem legendären schweizerischen Verleger Egon Ammann übernommen werden konnte, noch dazu in Zusammenarbeit mit dem wohl besten deutschen Übersetzer aus dem Albanischen, dem in Stuttgart lebenden Joachim Röhm. So wurden nun doch wieder Bücher Kadares, eines nach dem anderen, Jahr um Jahr, auf Deutsch veröffentlicht. Von 2001 bis 2010 legte Amman ganze neun Titel neu auf oder veröffentlichte sie zum ersten Mal. Als Egon Ammann seinen Verlag schloss, übernahm dann der Verlag S. Fischer die Aufgabe mit gleichem, lobenswertem Engagement.

Und doch - obwohl Kadare also seit gut fünfzehn Jahren im deutschsprachigen Raum wieder präsent ist, eines fehlt, einer fehlt: Ismail Kadare selbst! Wo im deutschen Fernsehen, im Radio, in den Feuilletons, über Literatur und Bücher gesprochen wird, fehlen ausführliche Kritiken. Kaum je wird der Literat eingeladen in deutsche Literaturhäuser oder auf Literaturfestivals. Ebenso fehlen die großen Preise, vor allem in Deutschland doch so reichlich vorhanden. So ist Kadare in Frankfurt, Berlin, Leipzig zwar wieder ein großer Bekannter, den man aber zugleich lieber in Ruhe lässt, mit dessen Werk man sich nicht konfrontiert. Es sind denn auch fast immer dieselben Zeitungen (einschließlich dieser) und so ziemlich jedes Mal dieselben Literaturkritiker, die sich seit Jahren mit Ismail Kadare beschäftigen und versuchen, den Lesenden die Welten des großen Autors näher zu bringen.

Gleichwohl, der Literaturbetrieb liegt, was ihn betrifft, im Schlaf. Warum nur? Es tut weh, und es ist verwunderlich: Kadare, der Ritter der Ehrenlegion in Frankreich, Kadare, der erste Träger des Man Booker International Literary Prize, Kadare, ausgezeichnet mit dem Prinz-von-Asturien-Preis, Kadare, Gewinner des Jerusalem Prize, und Kadare, seit Jahren ein Top-Favorit für den Nobelpreis für Literatur, war noch nirgendwo in Deutschland einen Preis gewonnen.

Genug der fragenden Klagen, denn es gilt auch, etwas zu feiern. Eine neue Erstübersetzung eines Buches von Kadare ist da. Diesem Buch geht es genau um unser Thema, um die Literatur und deren Betrieb, um die Autoren und deren Welt. Und, wieder, wie könnte das anders sein, um sein Lebensthema, um die Diktaturen, den Totalitarismus. Mit Kadares vorzüglich von Röhm übersetztem Roman "Die Dämmerung der Steppengötter" erscheint jetzt also erstmals in deutscher Sprache, was ich für eines seiner zentralen Werke halte.

Kennenlernen können wir hier einen völlig anderen Kadare, vor allem, da kein anderer seiner Romane so autobiographisch angelegt ist wie dieser. Der albanische Denker spricht hier über sich als Schriftsteller im zwanzigsten Jahrhundert. Erzählt wird von Moskau Ende der fünfziger Jahre, wo die Vertreter der Literatur der Sowjetunion und ihrer Republiken unter dem Dach eines Literatur- oder Schriftstellerhauses vereint sind, des Maxim-Gorki-Instituts. Alle sind sie beladen mit zweierlei Wahnsinn. Sie sollen einerseits den Schreibberuf erlernen und ausüben, der sie als Individuum zu Unsterblichkeit führt. Und sie sollen andererseits selbstlos der kommunistischen Ideologie dienen, dem Kollektiv. So sehr die Ideologie von außen auch als rot und grell dargestellt wird, in ihrem Inneren birgt sie nichts weiter als ein depressives Grauen, das überall zu spüren ist. Im Roman zu erleben ist die Atmosphäre in den Apartments der Schriftsteller, die in der Moskauer Nachbarschaft des Protagonisten wohnen, zu hören ist von ihren Alkoholeskapaden und den Wechselfällen der Liebe zu ihren Gespielinnen. Hier, im Maxim-Gorki-Institut, sollten sie das disparate Handwerk der kreativen Propaganda erlernen, der individuellen Nicht-Individualität: Eine Unmöglichkeit, an der jeder schreibende Mensch nur verzweifeln kann.

Das hier Dargestellte war zuerst erschienen als Erzählung in einer literarischen Zeitschrift, und erst 1981 in einer längeren Fassung als Roman in Frankreich. Nach dem Lektüre wurde mir klar, wie sehr der Aufenthalt in Moskau für Kadare eine Lehre war, die seine Weltsicht veränderte, ihm beibrachte, wie das Wort zu wiegen ist, und ihm vor allen Dingen die Notwendigkeit vermittelt hat, sich von diesem Manuskript nicht zu trennen. Über achtzehn Jahre hinweg sprach Kadare darüber, mit welch einer Geographie und welchen Göttern er es zu tun hatte - mit den russischen Steppen und denen, die sich dort für die Schöpfer hielten.

Gerade den Verehrern Kadares wird der Roman eine völlig andere Seite seiner Selbst offenbaren - seine selbstreflexive, persönliche Seite, gepaart mit scharfem, kritisch-bitterem Humor. Kadares Gegner, die ihm Nähe zum kommunistischen Regime vorwerfen, können hier erkennen, wie sehr dieser albanische Autor mit völlig klarem Kopf und auf ebenso deutliche, wache Weise das Regime, das System erlebte und beschreibt. Staunend gepackt sein können auch diejenigen, die noch nie Kadare gelesen haben und die wissen wollen, wie sich das Leben in einem solchen kommunistischen Schriftsteller-Handwerk-Camp abgespielt hat. Sie werden sich dennoch wundern, wie wenige Unterschiede zu heutigen Creative-Writing-Centers dieses Leben vor fünfzig Jahren in einigen Aspekten aufweist. Da finden sich dieselben Träume, Ziele, Enttäuschungen. Da bekämpfen sie einander in ihren Eitelkeiten, Narzissmen, Heucheleien und Spötteleien. Allein beim Aspekt der gruseligen, gegenseitigen Bespitzelung dürfte das Maxim-Gorki-Institut die heutigen Ideenräuber unter Autoren um einiges überboten haben.

Die Rede ist von den Zeiten der Sowjetunion des vergangenen Jahrhunderts. Sehr fern, teils gespenstisch und doch - umso gespenstischer - in manchem auch vertraut. Heute indes scheint Überwachung unpersönlicher, ubiquitärer, technischer, anonymer. Und doch, wenn Kadare hier über sich und sein Erleben Auskunft gibt, berührt er nicht nur das vergangene Jahrhundert, sondern auch das Zeitalter, in dem wir gerade leben: Totalitarismus und Imperien, Propheten und Traumdeuter, Mythen und das Aufeinanderprallen von Zivilisationen. Trotz alledem, in alledem begegnet uns mit diesem wunderbaren Roman Kadares ein unvergleichliches Individuum, ein Schriftsteller, dessen schöpferische Intelligenz und menschliche Wärme über alles das triumphiert. Größeren Trost kann es kaum geben.

Ismail Kadare: "Die Dämmerung der Steppengötter". Roman.

Aus dem Albanischen von Joachim Röhm. Verlag S. Fischer, Frankfurt am Main 2016. 206 S., geb., 20,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Der hier rezensierende Schriftsteller Beqe Cufaj möchte uns den albanischen Schriftsteller Ismail Kadare vorstellen und nutzt dazu den Glücksfall einer deutschen Erstveröffentlichung, vorzüglich übersetzt, wie er findet, von Joachim Röhm. Warum dieser Autor bei uns so wenig gelesen und gefeiert wird, ist ihm ein Rätsel. Liegt es am Verdacht der Nähe zum kommunistischen System? Den möchte Cufaj entkräften, bzw. das macht der Autor schon selbst, meint er, indem er in diesem Buch eine völlig neue Seite seiner selbst aufblättert, selbstreflexiv und persönlich, kritisch und humorvoll. So beschreibt er laut Rezesent das Leben und Schreiben im System, genauer in einer propagandistischen Schreibwerkstatt, in der der Leser auf gespenstische Weise ein bisschen heutige Creative-Writing-Kurse wiedererkennen kann, wie Cufaj meint. Dieselben Träume und Ziele und Enttäuschungen, erklärt er, und mittendrin der Autor von unvergleichlicher Intelligenz und menschlicher Wärme.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 01.02.2017

Die Dunkelheit um Pasternak
In seinem Roman „Die Dämmerung der Steppengötter“
erzählt Ismail Kadare von seiner Zeit als junger Autor in Moskau
VON TOBIAS LEHMKUHL
Dubulti. Ein Hauch Schwermut schwingt in diesem Namen mit. Dubulti am Baltischen Meer. Eine Sommerfrische bei Riga. Man denkt an Turgenjew, Keyserling, an sehnsüchtige Blicke, lange Spaziergänge am Strand, an die unweigerliche Trennung, noch bevor das Laub zu Boden sinkt. So ist es auch im ersten Kapitel von Ismail Kadares „Die Dämmerung der Steppengötter“. Nur befinden wir uns nicht im späten 19., sondern in den Fünfzigerjahren des 20. Jahrhunderts. Ein junger Schriftsteller, Student am Moskauer Maxim Gorki-Literaturinstitut, verbringt die Weißen Nächte an den Ufern der lettischen Sowjetrepublik, spielt mit anderen jungen Sommerfrischlern Tischtennis, fängt den Blick einer jungen Frau auf und spaziert schließlich mit ihr über den hellen Sand. Kurz kehren sie ein und unterhalten sich mit ein paar Kriegsveteranen, dann machen sie sich auf die Suche nach einer Villa, die der einstige albanische König sich hier hat bauen lassen.
Der junge Schriftsteller nämlich stammt aus Albanien, und wenn auch auf dem Buchumschlag „Roman“ steht, so handelt es sich bei dem Erzähler doch zweifellos um Ismail Kadare, der selbst Ende der Fünfzigerjahre in Moskau studiert hat. „Erinnerungen“ aber wäre für dieses faszinierende Buch ein unangemessener Titel gewesen, handelt es sich doch nicht um eine chronologische Gesamtschau, sondern um fünf hochkomprimierte, feinkomponierte Momentaufnahmen, angefangen mit dieser einen Nacht in Dubulti. Sie endet damit, dass Kadare, ein Meister der Lakonie, die Lettin wieder zu ihrer Ferienvilla begleitet: „Und an der Haustür geschah das, was zu erwarten gewesen war.“
Auch das zweite Kapitel spielt im Halbdunkel eines Moskauer Abends. Der Schriftsteller kehrt zurück ans Institut, aber bei niemandem außer einem ungeliebten Kollegen brennt Licht (denn dieses Institut ist zugleich eine Art Internat). Und so streift Kadare durch die seltsam stille Hauptstadt, liest die Leuchtschrift an der Front des Iswestija-Gebäudes (N-I-X-O-N steht da), beobachtet die Menschen, die noch im Kaufhaus GUM einkaufen, und versucht vergeblich, während Telefonistinnen „Magadan, Astrachan oder noch märchenhaftere“ Namen aufrufen, seine Freundin Lida zu erreichen.
Die Weite des sowjetischen Reiches bildet in dieser Prosa einen Hallraum, in dem der Erzähler seine eigene Einsamkeit immer stärker zu spüren bekommt. Als Ausländer unter seinen Mitstudenten gehört er zwar nicht zu jenen, die ihre eigene Sprache zugunsten des Russischen aufgeben und darüber verzweifeln. Aber auch er spürt die Macht des Kollektivs, dem die zum Individualismus neigende Schriftstellerpersönlichkeit stets suspekt ist. Wie eine Naturgewalt bricht diese Macht über Boris Pasternak herein. Eine Kopie des Manuskripts von „Doktor Schiwago“ hatte Kadare eben noch in einem verlassenen Raum des Instituts gefunden, da wird sein Autor schon mit Verleumdungen überzogen. Tagelang ist in allen Zeitungen, auf jedem Sender von nichts anderem die Rede als vom niederträchtigen Pasternak.
Wenn im Titel auch von einer Dämmerung der Steppengötter die Rede ist und der Roman fast ausschließlich im Halbdunkel spielt, so neigt sich spätestens hier, mit der Verfemung Pasternaks, auch Kadares Zeit in Moskau dem Ende zu. In seinen Kollegen wächst ebenfalls das Gefühl der Sinnlosigkeit, und statt zu schreiben, veranstalten sie immer schlimmere Trinkgelage. Ruft die Notfallklinik an, heißt es da. Ein Mongole ist aus dem Fenster gesprungen. Mit dem Albaner endet es nicht ganz so schlimm. Aber als Enver Hoxha sich mit Chruschtschow überwirft, muss er Moskau endgültig verlassen.
Fast unmittelbar nach seiner Rückkehr beginnt Kadare, diese Erinnerungen niederzuschreiben und einen vielschichtigen Roman aus ihnen zu formen. Eine erste Fassung erschien 1981 auf Französisch. Nun endlich liegt, auf Basis der endgültigen albanischen Fassung von 1998, also über ein halbes Jahrhundert nach den Ereignissen, dieses im Dunkeln leuchtende Buch auch auf Deutsch vor.
Ismail Kadare: Die Dämmerung der Steppengötter. Aus dem Albanischen von Joachim Röhn. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2016. 208 Seiten, 20 Euro. E-Book 18,99 Euro.
Manche Mitstudenten geben ihre
eigene Sprache zugunsten des
Russischen auf, Kadare nicht
Der Rote Platz in Moskau mit der Basilius-Kathedrale in den Fünfzigerjahren.
Foto: Süddeutsche Zeitung, Kurt Schraudenbach
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(...) geht es (...), um die Literatur und deren Betrieb, um die Autoren und deren Welt. Und (...) um sein Lebensthema, um die Diktaturen, den Totalitarismus. Beqe Cufaj Frankfurter Allgemeine Zeitung 20161015