Marktplatzangebote
20 Angebote ab € 2,90 €
  • Buch mit Leinen-Einband

1 Kundenbewertung

1954 begann Robert Gernhardt, der Gymnasiast im Ton von Trakl und Benn, zu reimen, heute ist er ein bedeutender Lyriker der deutschen Sprache. Seine Meisterschaft: der elegante Balanceakt zwischen Leichtem und Schwerem, zwischen der Komik des Lebens und dem bitteren Ernst menschlichen Strebens. Er ist ein Virtuose, dessen Reim auf unserer Zeit die Gegenwart aufs Genaueste widerspiegelt. Der Schmuckband in bester Ausstattung führt das ganze Werk des Dichters vor Augen, ein hinreißendes Lesebuch mit Gedichten, von denen viele schon zu Klassikern geworden sind.

Produktbeschreibung
1954 begann Robert Gernhardt, der Gymnasiast im Ton von Trakl und Benn, zu reimen, heute ist er ein bedeutender Lyriker der deutschen Sprache. Seine Meisterschaft: der elegante Balanceakt zwischen Leichtem und Schwerem, zwischen der Komik des Lebens und dem bitteren Ernst menschlichen Strebens. Er ist ein Virtuose, dessen Reim auf unserer Zeit die Gegenwart aufs Genaueste widerspiegelt. Der Schmuckband in bester Ausstattung führt das ganze Werk des Dichters vor Augen, ein hinreißendes Lesebuch mit Gedichten, von denen viele schon zu Klassikern geworden sind.
Autorenporträt
Robert Gernhardt studierte Malerei und Germanistik in Stuttgart und Berlin. Er lebte als freier Schriftsteller, Maler, Zeichner und Karikaturist in Frankfurt am Main. Er veröffentlichte zahlreiche Gedichtbände und wurde für sein Werk mit mehreren Preisen ausgezeichnet, u. a. mit dem Bertolt-Brecht-Preis, dem Erich-Kästner-Preis und dem Heinrich-Heine-Preis.
Gernhardt starb am 30.06.2006 in Frankfurt im Alter von 68 Jahren an einer schweren Krankheit. Posthum wurde er mit dem Wilhelm-Busch-Preis geehrt.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.12.2005

Versarbeit am Leben
Robert Gernhardts Lyrik aus fünf Jahrzehnten

Es ist fast dreißig Jahre her, daß Robert Gernhardt in dem Gedichtband "Besternte Ernte" (1976) eine sechszeilige Botschaft "An einen Arzt" absandte: "O du, der du die Kranken / heilst und ständig in Gedanken / deren Schlaftabletten frißt -: / Ahnst du denn in deinem Schlummer / etwas vom Patientenkummer, / der bei Nacht am größten ist?"

Jahrzehnte später taucht der Arzt wieder auf. Aber nun befindet er sich in Begleitung eines anderen, der größer ist als der Mediziner, mächtiger. Es ist der "Dämon des Patienten", so der Titel des Gedichts, der tagsüber den Ärzten das Feld überläßt, gelangweilt ihre und des Patienten Bemühungen beobachtet und auf seine Stunde wartet. Die kommt des Nachts: "Gähnend hört der Dämon zu / denn bald geht man ja zur Ruh, // was für ihn heißt: Ab zur Kammer / der diversen Vorschlaghammer. // Prüfend wiegt er die Geräte: / Ob's nicht heut der kleine täte? // Wie auch immer: Bis zum Tagen / wird dann wieder zugeschlagen. // Nicht aus Bosheit. Mit Bedacht. / Tag ist Tag, und Nacht ist Nacht."

Der Dämon des Patienten, das ist der spiritus rector des 2004 erschienenen Bandes "K-Gedichte". Er verkörpert den Schmerz, die Ängste und Nöte des kranken Dichters, der hier für alle Kranken spricht. Nicht aus der Heineschen Matratzengruft, sondern aus dem Gernhardtschen Krankenlager steigen diese Verse empor, zum Teil, wie in den Gedichten "Seiltänzer" oder "Hiob vor dem Spiegel", in altbewährten Bildern, zum Teil den Alltag in der Krebsklinik direkt beim Namen nennend. Mit Titeln wie "Diagnose Krebs oder Alles wird gut", "Die Chemo spricht" oder "13. Dezember, Computertomographie" geht der Dichter den Gegner direkt und mit offenem Visier an: Wenn Liebe und Tod der Poesie älteste Themen sind, warum sollte ein Robert Gernhardt dann nicht die eigene Krebstherapie besingen können?

Die Melancholie, jene alte Krankheit zum Tode, hat hier wenig zu melden, denn auch der kranke Gernhardt begreift die Dichtkunst als Arbeit am Leben. Elegien sucht man hier vergebens, denn der Elegische ist der ins Schicksal Ergebene. Gernhardt hingegen begreift mit Lance Armstrong, dem ehemaligen Krebspatienten und fünfmaligen Gewinner der "Tour de Frangse", die "Krankheit als Schangse". So sind die K-Gedichte ein wirkmächtiges Autotherapeutikum, das in seinem steten Wechsel von intimster Nähe und distanzierter Selbstbeobachtung, nüchternstem Realismus und schwärzestem Humor jeden Dämon zurück in die Flasche zu treiben vermag.

Die "K-Gedichte", zu denen auch einige aus Anlaß des Irak-Krieges entstandene Sonette gehören, sind die jüngsten Werke, die der schöne Band "Gesammelte Gedichte. 1954-2004" vereint. Ein halbes Jahrhundert Gernhardtscher Lyrik läßt sich hier bewundern, angefangen mit vier Gedichten aus der Schul- und Studienzeit, über Verstreutes aus "Welt im Spiegel" und "Titanic" bis zu den Gedichtbänden "Körper in Cafés" (1987), "Weiche Ziele" (1994), "Lichte Gedichte" (1997) und "Im Glück und anderswo" (2002). Es ist der ganze Gernhardt eben, auf Dünndruckpapier gedruckt und in handlichem Format in grünem Leinen gebunden: ein Buch, das man gern in die Hand nimmt, um sich in allen Lebenslagen davon begleiten zu lassen. Und tatsächlich ist kaum eine Situation denkbar, für die sich auf den über tausend Seiten des Buches nicht das rechte Gernhardt-Wort finden ließe: der "Grüne Gernhardt", ein Hausbuch.

Der Vorgängerband, "Gedichte 1954-94", erschienen 1996 im weiland Haffmans Verlag, war nur gut halb so umfangreich wie sein Nachfolger. Fast fünfhundert Seiten sind also hinzugekommen in nur neun Jahren. Das spricht für eine Produktivität, die ihresgleichen sucht. Wie fruchtbar dieser Künstler ist, zeigt auch ein Blick in Gernhardts Werkverzeichnis: Allein im S. Fischer Verlag, der sich vorbildlich um das Werk des Frankfurter Dichters kümmert, sind zur Zeit 32 verschiedene Bände lieferbar, einen von Lutz Hagestedt herausgegebenen Sammelband "Alles über den Künstler" nicht einmal eingerechnet.

Da stellt sich die Frage, wie es denn mit der Sekundärliteratur aussieht. Ist nicht Gernhardt längst ein Fall für die Germanistischen Seminare? Mag sein, aber einstweilen dürften die aufschlußreichsten Anmerkungen noch vom Autor selber stammen. Der Anhang der "Gesammelten Gedichte" umfaßt 72 Seiten und sei hiermit wärmstens zur Lektüre empfohlen. Wer wissen will, was die Anwaltskanzlei Kling & Kollegen dem Dichter aus Anlaß seines Gedichts "Mühlheim/Main-Blues" mitteilte oder was ein bekannter Literaturkritiker, der "arg abgefüllte Peter Hamm" nämlich, Gernhardt anläßlich eines Buchmessenempfangs "mit einer Stimme, darin sich Abscheu und Neid die Waage zu halten schienen", Frivoles hinterherrief, der kommt um Robert Gernhardts Anhang ebenso wenig herum wie um seine Gedichte.

Robert Gernhardt: "Gesammelte Gedichte 1954-2004". S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2005. 1063 S., geb., 15,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 07.01.2006

Der echte Herr Hecht und die Hunde
Ein Besuch in der Welt der geglückten Stürze: Robert Gernhardt und seine „Gesammelten Gedichte 1954-2004”
Das Haus des Dichters und Malers Robert Gernhardt liegt auf halber Höhe über dem Tal des Arno. Sein Publikum weiß, was man sieht, wenn man vor dem Haus auf der Terrasse steht und über die Landschaft schaut. Denn es kennt Robert Gernhardts Bilder, vor allem die Ölgemälde aus den achtziger Jahren, ihm sind die graugrünen Linien des gegenüberliegenden Bergrückens vertraut, die Olivenbäume, die niedrige Mauer aus Bruchstein. Wer ihn gelesen hat, der weiß, dass quer durch dieses Bild mediterraner Schön- und Gelassenheit schwere Lastwagen zu einem Steinbruch dröhnen, er kennt die Putenfarm auf dem benachbarten Hügel im Norden. Ein schmaler Grat verläuft zwischen der Begeisterung für das südliche Glück und dem Schmerz über die technisierte Barbarei. Auf diesem Grat steht der Dichter.
Lacht er? Ja, aber er lacht in Erwartung kommender Widernisse. Denn die Neigung dieses Künstlers gilt dem Unangemessenen. Ihm, sowie dem daraus resultierenden Stolpern, Stürzen und Fallen, dem Verfehlen und Verpassen, ist der größte Teil von Robert Gernhardts Œuvre gewidmet. Wie es zugeht in diesen Verhältnissen, zwischen den schlanken, dunklen Zypressen und den Lagerhallen in der Flussebene, wird in dem Gedicht „Das vierzehnte Jahr”, veröffentlicht im Band „Körper in Cafés” (1987), geschildert. Zwei Zeilen schwankt die Strophe auf dem Grat: „Hab ein Haus in der Toskana”, heißt es da, und ein Chor antwortet dieser Stimme: „Der Glückliche! Hätten wir auch gern!” Dann, im Wechsel zwischen lyrischem Ich und Chor, wird gestürzt: „Hab es schon seit dreizehn Jahren / So lange? Na, dann gratulieren wir aber! / Hab in dieser Zeit erfahren / Was denn? Jetzt wird’s spannend! / Wie alles den Bach runtergeht / Ach herrje! Doch wieder die alte Leier!” Wird so eine kulturkritische Klage verspottet?
Wenn die Ratte Kellner sein will
Nein. Denn hier sprechen zwei Stimmen gleichzeitig, die Sentimentalität und ihr Dementi, und wenn auch diese das letzte Wort hat, so ist jene doch nicht völlig bezwungen. Als gebrochene, gestürzte, ihrer Macht beraubte „alte Leier” ist die Klage über den Lauf der Dinge weit wirkungsvoller, weil zum Verlust die Scham über den Verlust kommt, zur Niederlage die Peinlichkeit - und weil, was dann übrig bleibt, allen Erbarmens, aller Empathie würdig sein muss.
„Es ist erwiesen, / daß die Ratte / sehr wenig Glück / als Kellner hatte”, heißt es in einer Bildergeschichte Robert Gernhardts, auf der man ein aufgeregtes Nagetier sieht, wie es zuerst stolz ein Tablett balanciert und dann eine Treppe herunterstürzt. Der Betrachter lacht, weil es hier, ideell wie praktisch, einiges an Fallhöhe auszumessen gibt. Doch spätestens auf dem Sockel der Treppe macht er sich zum Kumpan dieses unglücklichen Wesens, zum ironischen Gefährten seiner Verzweiflung. Darauf, auf diesen zwiespältigen Moment, hat es Robert Gernhardt abgesehen.
Vor kurzem ist, auf Dünndruckpapier gesetzt und zu einem handlichen grünen Band gebunden, Robert Gernhardts bisheriges lyrisches Œuvre in einem Band erschienen („Gesammelte Gedichte. 1954 - 2004”. S. Fischer Verlag, Frankfurt 2005. 1068 Seiten, 15 Euro). Fünfzig Jahre und viele hundert kleine bis mittelgroße Werke umfasst dieses Buch, vom ersten, ebenso heiteren wie schlichten Poem auf den Lateinlehrer Otto Kampe aus dem Jahr 1954 über das „vergebliche Wünschen” aus dem Band „Wörtersee” von 1981 - „O wenn ich jubeln könnte wie ein Adler! / Jedoch - er jubelt nicht, / kann ja nur krächzen” - bis zu den „K-Gedichten” des Jahres 2003, in denen sich der persönliche Kampf gegen den Krebs mit dem Widerspruch gegen den Krieg im Irak mischt. Die Kommentare hat der Dichter selbst geschrieben.
So viel Robert Gernhardt, von vorne bis hinten gelesen, hat eine ganz eigene Wirkung. Am Anfang ist ganz leicht zu erkennen, wie aus dem Spielerischen das Virtuose hervortritt, und bald auch, welche poetische Funktion die Beherrschung von Reimen und Versfüßen annimmt. Denn es geht in dieser Meisterschaft der Form ja nicht nur darum, eine alte und im neunzehnten Jahrhundert bis in das feinste Detail ausgeschöpfte Tradition fortzusetzen. Dem Umstand, dass das ernste Gedicht in der klassischen Moderne die Bindung an feste Formen abwarf, entkommt auch Robert Gernhardt nicht - und er will ihm auch nicht entkommen, weil Reim und Versfuß erst durch diese Trennung ihre subversiven Qualitäten entfalten. Sie werden zu Figuren in einem Spiel der Masken, zu einem Repertoire, das - weil die Pointe immer auch in der Form besteht - selbst dann noch als heiteres funktioniert, wenn wieder der Ernst unter dem Reimschema hervorlugt.
Wenn Robert Gernhardt am südlichen Rand seiner Terrasse in Montaio steht und dem Besucher die Landschaft erklärt, kommen zwei intellektuelle Motive zusammen: die Gliederung und ein philosophisches Bedürfnis nach Innehalten. Vor einem liegt eine ebenso mannigfaltig wie (immer noch) harmonisch und fein gestaffelte Landschaft, ein subtil geordneter Prospekt, in dem der höchst willkommenen Cinta-Salami aus Gaiole eine ähnlich feste Funktion zukommt wie dem eher als Störung wahrgenommenen Geknatter der Motorsense im Gebüsch. Und neben einem steht ein Dichter, der auf die Stelle weist, an der noch vor wenigen Jahren eine stolze Zypresse stand, die aber, aus Gründen, die man zwar nicht genau kennt, die aber dennoch einer tiefen und genauen Erörterung wert sind, nicht mehr da ist. Steht der Besucher neben dem Dichter auf dem Balkon seiner Wohnung im Frankfurter Nordend, ahnt er das Gleiche - dass es bei Robert Gernhardt eine lebenspraktische Entsprechung zur poetischen Beherrschung der Form gibt.
„Hunde und Bilder”, ein Gedicht aus dem Band „Im Glück und anderswo” (2002), ist eine exemplarische Gernhardt’sche Engführung. Es vergleicht das Gebell und die Gemälde Italiens, um zu dem Schuss zu kommen: „Die Toskana ist voll von Fremden, / Wegen der Bilder, nicht wegen Tieren. / Doch gehen Bilder manchmal am Arsch vorbei / und die Hunde voll an die Nieren.” Der Dichter vollzieht hier eine doppelte Bewegung: Die eine führt vom Allgemeinen ins Allgemeinste, spannt die Unendlichkeit auf, an der alle Einzelheit zuschanden gehen muss. Die andere konzentriert sich auf das Eine und Einzelne, schaut ihm umso mehr in die Augen, je gewaltiger sich das All über dem Einzelnen aufspannt.
Den Hang von Montaio führt schräg ein fast zugewachsener Feldweg hinunter durch die Olivenbäume. Nach ein paar hundert Metern erreicht er ein Gehege, in dessen Ecke ein aus Steinen, Holz, Eternit und Brettern zusammengeflickter Schuppen steht und das von einem hohen Zaun aus Maschendraht eingefasst wird. Eine weiß-schwarz gefleckte Dogge steckt ihre Schnauze durch die Maschen. Ein kleiner, einem Spitz ähnlicher Mischling springt neben ihr hin und her. Ein Bauer aus der Nachbarschaft lässt sie hier allein, zu welchem Zweck, ist nicht zu ermitteln. Wenn Robert Gernhardt in Montaio ist, läuft er jeden Tag zweimal den Hang hinunter, um Zoldar und Lilla zu füttern, das Gehege zu reinigen, mit den Tieren zu reden und sie zu kraulen. „Vita da cani” heißt das Gedicht aus dem Band „Im Glück und anderswo”, das er einem dieser verwahrlosten Hunde widmete. „Zweimal am Tag leiste ich ihm Gesellschaft”, heißt es darin. „Jedesmal kurz. Und jedesmal springt er, / der Hund, hin und her, als zerreiße ihn Freude / und Furcht vorm Wissen ums Ende der Freude. // Nein, ich behaupte nicht, daß die Freude / des Hundes mir gilt. Das Trockenfutter / in meinen Taschen macht mich diesem Tiere / angenehmer als alle Meriten.”
Er denkt an das Tier, aber es ist höchst fraglich, ob das Tier an ihn denkt. Er erkennt das Tier in dessen Verlorenheit, aber es ist höchst fraglich, ob das Tier ihn in seiner Verlorenheit erkennt. Einen solchen Hund hat Robert Gernhardt adoptiert: Bella, den gescheckten Findling vom Strand der Maremma, der den Dichter nun schon seit Jahren begleitet. Wenn dieser Hund, der einmal einer von Tausenden streunender Köter war, über die Wiese setzt, in regelmäßigen, bogenförmigen Sprüngen, in einer ebenso ausschweifenden wie gebundenen Form der Fortbewegung, die das Tier vermutlich eigens entwickelt hat, um seinem Herrn ein poetisches Vergnügen zu bereiten - wenn dieser Hund über die Wiese setzt und sein Dichter ihm dabei zuschaut, scheint das Misstrauen gegen den Lauf der Welt ausgesetzt.
Ein Bewusstsein von Willkür, das Gewissen des Wählens und Erwählt-Seins gehört zu dieser Sorge für das Leben im Allgemeinen und das eine Tier im Besonderen, die das Allgemeine auf ein individuelles Maß bringen möchte: „Wie aus frostverschonter Wurzel”, heiß es im Gedicht „Mittägliche Rast” aus dem Band „Klappaltar” von 1998, „drei Olivenstämmchen steigen, / Setz ich mich auf einen Baumstumpf / Überlaubt von Silberzweigen. // Übertönt vom Schrei der Schwalbe, / Überwölbt von Himmelsbläue: / Pan, uralter Gott des Mittags, / Überwältigst mich aufs neue.” Es ist der Geist der Individuation, der immer wieder in Robert Gernhardts Gedichte fährt. Er ist der Blitz, der eine diffuse Gemeinschaft in einzelne Figuren spaltet, die Gruppe sprengt, um jeden Einzelnen vor dem Leben in die Knie gehen zu lassen - und ihm mit der Ergriffenheit das Glück der Verzweiflung beizubringen.
Abschied vom Mördermarder
Über Jahrzehnte war dieser Geist der Individuation meist komisch und brachte den Kragenbär und den Mördermarder und den echten Herrn Hecht hervor - das Grüngürteltier, das Robert Gernhardt vor kurzem modellierte, um dem Frankfurter Grüngürtel ein Wappenwesen zu geben, ist noch ein Abkömmling des heiter-absurden Sinnes für das Unangemessene. Unbeschwert schwammen Reime wie Pointen im „Wörtersee”. Doch spätestens mit den „Lichten Gedichten” (1997) und der darin enthaltenen, einer Operation am eigenen Leibe abgerungenen Sequenz „Herz in Not” werden die Pointen seltener, hinter denen sich das verzweifelte Selbst auch zuvor stets nur halb verborgen hatte. Es mag nun nicht mehr viele Experimente veranstalten, nicht mehr den Deutschen von fünfzig Jahren bedichten oder davon erzählen, wie es auf der Buchmesse einst Siegfried Unseld übersah. Es will nicht mehr den Herrscher ohne Land spielen müssen, den Virtuosen des Witzes, den Regenten über nichts. Sondern es kommt unumwunden zur Sache wie in den „K-Gedichten” am Ende der Sammlung: „Beim Tomatenpflücken bleibt / mein Hemd an einer der Stangen / hängen und reißt. / Ritsch. // Beim Ausziehen bleibt / mein Blick am Etikett des Hemdes / hängen und liest: ,Eterna’. / Ratsch.” Auch das ist eine philosophische Reduktion, obwohl in sehr engen Maßen, ein Fall ohne Höhe, ein Sturz in der Tiefe. Gegen das Vergnügen an der Pointe ausspielen lässt sich die Reduktion auf das Existenzielle nicht.
Vor einigen Jahren publizierte der mit Robert Gernhardt befreundete Schriftsteller Martin Mosebach eine Würdigung von dessen malerischem Werk. „Was die Toscana ist, soll sie im kleinstmöglichen Detail erweisen”, heißt es darin zu jenen Gemälden aus den achtziger Jahren. „Wie Schachbretter sind die sich verjüngenden Straßen toscanischer Idealstädte gepflastert. Aus ihnen erheben sich die Rotunden der Baptisterien und Tempel. Solche sich verjüngenden Flächen sind auch auf der Terrasse des Gernhardtschen Bauernhauses zu beobachten; statt einem Baptisterium erhebt sich an ihrem Ende ein Blumentopf.” In solchen Reduktionen schreitet Mosebach voran, vom Blumentopf auf Terracotta zur italienischen Renaissance: „Das ist die Sujet-Wahl eines Lyrikers: eine Welt in die Nußschale eines Wortes, Bramante und Piero della Francesca in einen Blumentopf zu packen.” Ja, aber dieser Lyriker muss einen Sinn haben für das Glück und die Verzweiflung der Begrenztheit, und das eine ist ohne die andere nicht zu haben.
THOMAS STEINFELD
Also lautet eu Beschluss: dass der Hund was lernen muss.
Foto S. Fischer Verlag / Sven Paustian
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

"Mit einiger Begeisterung hat Rezensent Hubert Spiegel in dieser Edition "ein halbes Jahrhundert Gernhardtscher Lyrik" bewundert, und zwar angefangen mit Gedichten aus Robert Gernhardts Schul- und Studienzeit bis hin zu seinen letzten Gedichten über den Irak-Krieg und seine Krebserkrankung. Was der Rezensent besonders an diesen letzten Texten beeindruckt, ist die Abwesenheit jeder Melancholie. Auch der kranke Gernhardt begreift die Dichtkunst noch als "Arbeit am Leben", schreibt Spiegel. Auch sonst gibt es aus Sicht des Rezensenten wenige Situationen im Leben, für die sich auf den über tausend Seiten des Buches "nicht das rechte Gernhardt-Wort finden ließe", um sich "in allen Lebenslagen davon begleiten zu lassen". Das macht den auf Dünndruckpapier gedruckten und in "handlichem Format in grünes Leinen gebundenen", gesammelten Robert Gernhardt für den Rezensenten als "Grünen Gernhardt" insgesamt zum Hausbuch.

© Perlentaucher Medien GmbH"