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Die Korruption im "Dritten Reich" hatte viele Facetten: Reichsminister, die mit öffentlichen Mitteln Schlösser und "Herrensitze" erwarben und beträchtliche Steuerprivilegien genossen; Höhere SS- und Polizeiführer, die Marmorbäder aus französischen Schlössern demontierten, um ihre Diensträume damit auszustatten; Gestapobeamte, die ihre jüdischen Opfer bei "Haussuchungen" ausplünderten; und, nicht zu vergessen, eine riesige Zahl von Parteigenossen und Funktionären, die Mitgliedsbeiträge und Sammlungseinnahmen unterschlugen. Allein von 1934 bis 1941 strengte der NSDAP-Reichsschatzmeister 10.887…mehr

Produktbeschreibung
Die Korruption im "Dritten Reich" hatte viele Facetten: Reichsminister, die mit öffentlichen Mitteln Schlösser und "Herrensitze" erwarben und beträchtliche Steuerprivilegien genossen; Höhere SS- und Polizeiführer, die Marmorbäder aus französischen Schlössern demontierten, um ihre Diensträume damit auszustatten; Gestapobeamte, die ihre jüdischen Opfer bei "Haussuchungen" ausplünderten; und, nicht zu vergessen, eine riesige Zahl von Parteigenossen und Funktionären, die Mitgliedsbeiträge und Sammlungseinnahmen unterschlugen. Allein von 1934 bis 1941 strengte der NSDAP-Reichsschatzmeister 10.887 Strafverfahren an. Korruption war kein isoliertes Randphänomen, sondern ein zentrales Strukturproblem der NS-Herrschaft. Der Autor macht nicht nur den Umfang der Korruption deutlich, sondern geht vor allem ihren Ursachen nach: der NS-Bewegung, die in Cliquen zerfiel und durch Patronage und materielle Gefälligkeiten zusammengehalten wurde; den diktatorische Verhältnissen, in denen es weder eine wi rksame Machtkontrolle noch eine kritische Öffentlichkeit gab; der engen Verbindung von Rassismus mit absoluter Macht, die ein auf Bereicherung orientiertes "Herrenmenschentum" förderte.
Autorenporträt
Frank Bajohr, geb. 1961, studierte Geschichte, Sozial und Erziehungswissenschaften in Essen; Staatsexamen; seit 1989 wissenschaftlicher Mitarbeiter der Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg; Dr. phil. 1997; seit 1997 Lehrbeauftragter am Historischen Seminar der Universität Hamburg; 2000/01 Fellow am International Institute for Holocaust Research in Yad Vashem/Israel. Verfasser zahlreicher Bücher und Aufsätze.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 09.07.2001

Ganz normale Geldgier
Wie Korruption im Dritten Reich wucherte
FRANK BAJOHR: Parvenüs und Profiteure, Korruption in der NS- Zeit, S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2001. 256 Seiten, 44,90 Mark.
Wilhelm Tegeler legte eine Bilderbuchkarriere hin. Der gelernte Buchhalter wurde im Oktober 1933 bei der hamburgischen Finanzverwaltung eingestellt. Im Jahr darauf war der NSDAP-Kreisleiter bereits Regierungsrat, 1939 wurde er zum Senatsdirektor ernannt. Wiederum nur drei Jahre später hatte Tegeler als Senatssyndikus eine der höchsten Beamtenpositionen der Hansestadt erreicht.
Ein solches Hinauffallen auf der Karriereleiter war für „alte Kämpfer” in den Jahren der NS-Diktatur zwar nicht die Regel, aber auch „kein Einzelfall”, wie der Historiker Frank Bajohr feststellt. Mit seiner Untersuchung über Korruption im „Dritten Reich” schlägt er ein Kapitel vernachlässigter Geschichtsschreibung auf, das von Hans Mommsen schon Ende der sechziger Jahre als Forschungslücke bemängelt worden war.
Der Autor zeigt deutlich, dass sich Korruption wie ein roter Faden durch alle Gesellschaftsschichten zog. Folgerichtig geht Bajohr bei seiner Darstellung nicht allein von den so genannten großen Fällen aus. In einem der insgesamt fünf Kapitel befasst er sich unter anderem mit dem Patronagesystem, das alte Parteigenossen wie Tegeler nach der Machtübernahme für ihre Treue zur NSDAP zu entschädigen suchte. „Die vermeintlich durch politisches Engagement verursachte Benachteiligung der nationalsozialistischen Anhänger sollte nun durch politische Maßnahmen ‘wiedergutgemacht‘ und ihr ‘ideeller‘ Einsatz auch materiell belohnt werden.” Der rasche Aufstieg zahlreicher früher Parteigenossen in hohe kommunalpolitische und privatwirtschaftliche Führungspositionen war das Resultat dieser Entschädigungspraxis.
Darüber hinaus beschäftigt sich Bajohr mit dem engsten Führungskreis in Partei und Staat. Dass Göring sich im Laufe der Jahre eine umfangreiche Kunstsammlung aneignete und Martin Bormann sowie Robert Ley sich „diesem Sog nicht entziehen wollten”, ist bekannt. Ebenso wenig mag es überraschen, dass nach Kriegsbeginn im Zuge „der nationalsozialistischen Rassen- und Vernichtungspolitik” „riesige Vermögenswerte zusammengeraubt” wurden, auf die „relativ leicht” zurückgegriffen werden konnte.
Die dabei von hoch gestellten Parteifunktionären vertretene Haltung, ihre Arbeit sei uneigennütziger Dienst am Vaterland, kaschierte lediglich ihre Gier nach Macht und Besitz. „Alles Unsinn mit Ihren Idealen. Geld müssen Sie verdienen”, erwiderte Göring dem späteren Rüstungsminister Albert Speer, als dieser ihm mitteilte, auf Architektenhonorare für seine Parteibauten verzichten zu wollen. Hitlers Lieblingsbaumeister nahm sich das zu Herzen und erwirkte vom Reichsfinanzministerium die Befreiung von der üblichen Gewerbesteuer.
Bajohr schildert anhand einer Fülle von Beispielen eine Vergabe- und Entlohnungspraxis, die Theodor Eschenburgs Feststellung, Korruption sei „dank der guten Tradition des deutschen Beamtentums eine verhältnismäßig seltene Erscheinung” gewesen, ins Gegenteil verkehrt. Durch die Beseitigung von Kontrollmechanismen nach dem 30. Januar 1933 hatte nahm die Staatsführung hin, „dass die Korruption im Dickicht der nationalsozialistischen Diktatur” ungehindert wucherte.
Schweigegeld
Bajohr gelingt ein informatives Sittenbild, das die Schamlosigkeit der braunen Machthaber und subalternen Parteifunktionäre offenbart. Dabei lag die Praxis, geleistete Dienste durch aufwendige Geschenke zu entlohnen, in einer individualpsychologischen Logik begründet: „An der Spitze der institutionalisierten Korruption im ‘Dritten Reich‘ stand die Person Hitlers, der seine charismatische Stellung durch ein System von Vergünstigungen und Zuwendungen zusätzlich absicherte und die moralische Korrumpierbarkeit seiner Umgebung zur Grundlage eines zynischen Herrschaftskalküls machte”, so Bajohr. Auf diese Weise konnten die Beschenkten in moralischer Abhängigkeit gehalten werden. Eine in Diktaturen durchaus gängige Vorgehensweise zur Herrschaftsabsicherung.
Der Autor kommt zu einem dezidierten Urteil über die Mitschuld weiter Kreise der deutschen Bevölkerung: „Begreift man die NS-Herrschaft nicht als Diktatur von oben nach unten, sondern als soziale Praxis, an der die deutsche Gesellschaft in vielfältiger Weise beteiligt war, dann verschränkte die Korruption Herrschaft und Gesellschaft miteinander, verstrickten sich viele ‘ganz normale Deutsche‘ durch Bereicherung in die nationalsozialistische Unterdrückungs- und Vernichtungspolitik.”
OLIVER SCHMIDT
Der Rezensent ist Journalist in Osnabrück.
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Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Klaus Hildebrand konstatiert, dass über Korruption in totalitären Systemen meistens geschwiegen wird, obwohl diese, mangels öffentlicher Kontrolle, gerade dort einen besonders fruchtbaren Nährboden finde. Insofern hat das Buch von Bajohr eine neue Perspektive auf den Nationalsozialismus, meint Hildebrand: es stellt Korruption und "Bonzenwirtschaft" im NS-Staat dar. Die Nazis waren angetreten, angeblich gegen diese Missstände der Weimarer Republik vorzugehen und bildeten selbst korrupte Strukturen - basierend auf "Kameraderie und Cliquenwirtschaft" - erfolgreich aus. Hildebrand betont die solide und anschauliche Arbeit Bajohrs, schlägt aber ergänzend einen Vergleich mit anderen Diktaturen des 20. Jahrhunderts vor, um Korruption in totalitären Systemen im Allgemeinen und im Nationalsozialismus im Besonderen zu erarbeiten. Der Rezensent ist auch skeptisch gegenüber einigen Vermutungen, die der Autor am Ende des Buches äußert. Dass der Nationalsozialismus weniger eine Diktatur von oben als eine soziale Praxis war, an der auch "ganz normale Deutsche" beteiligt waren, scheint dem Rezensenten weniger ein Ergebnis der Studie Bajohrs als eher eine weiterführende These zu sein.

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