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"Wir kennen die Welt nicht, in der wir leben". Sein Leben lang hat Ernst Forsthoff (1902-1974) sich als heroischen Realisten dargestellt. Geprägt vom jungkonservativen Widerstand gegen die Weimarer Republik, im Einflußfeld Carl Schmitts und Ernst Jüngers sozialisiert und durch sein kurzzeitiges Eintreten für den "totalen Staat" Hitlers lebenslang belastet, wurde Forsthoff später zu einem der bedeutendsten deutschen Juristen und Staatsdenker des 20. Jahrhunderts. Die Zerstörung des bürgerlichen Paradigmas im Öffentlichen Recht durch die "elementaren Mächte" der Moderne wurde seit der…mehr

Produktbeschreibung
"Wir kennen die Welt nicht, in der wir leben". Sein Leben lang hat Ernst Forsthoff (1902-1974) sich als heroischen Realisten dargestellt. Geprägt vom jungkonservativen Widerstand gegen die Weimarer Republik, im Einflußfeld Carl Schmitts und Ernst Jüngers sozialisiert und durch sein kurzzeitiges Eintreten für den "totalen Staat" Hitlers lebenslang belastet, wurde Forsthoff später zu einem der bedeutendsten deutschen Juristen und Staatsdenker des 20. Jahrhunderts. Die Zerstörung des bürgerlichen Paradigmas im Öffentlichen Recht durch die "elementaren Mächte" der Moderne wurde seit der epochemachenden Schrift über "Die Verwaltung als Leistungsträger" aus dem Jahr 1938 zu seinem Lebensthema. Er gilt als Entdecker der staatlichen "Daseinsvorsorge" und als scharfsinniger Verfechter eines formalen, institutionenbezogenen Rechtsstaatsbegriffs. Aber Forsthoffs Werk enthält viel mehr als Dogmengeschichte, es ist ein Schlüssel zur politischen Ideen- und Verfassungsgeschichte seiner Zeit. Florian Meinels grundlegende werkgeschichtliche Untersuchung fragt nach verborgenen Bedeu-tungsschichten: Nach den geistigen Einflüssen, die in diesem Werk wirksam gewesen sind, nach den rechtsphilosophischen und politischen Überzeugungen, die es tragen, nach der Auffassung vom Ethos des Juristen. Dies geschieht auf der Basis einer Fülle neuer Quellen, insbesondere des bisher unbekannten Nachlasses Forsthoffs. In der systematischen Rekonstruktion von Forsthoffs Denken wird seine bisher kaum bekannte Rechtsphilosophie aus den Jahren des Zweiten Weltkrieges in ihren Zusammenhängen sichtbar, seine Naturrechtskritik und seine von der Sprache ausgehende Begründung einer Rechtsphilosophie der Institutionen. Der Kern des fundamentalen Paradigmenwechsel zum "Leistungsstaat" lag für Forsthoff in der strukturellen Auflösung der bürgerlichen Distanz zwischen Individuum und Staat in der modernen industriellen Gesellschaft. Um diese Aufhebung der rechtlichen Subjektivität kreist sein gesamtes Werk. Forsthoffs Frage war die ungelöste Verfassungsfrage des 20. Jahrhunderts.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 08.09.2011

„Das bürgerliche Zeitalter wird liquidiert“
Vom Nazi-Denker zum Theoretiker des Wirtschaftswunder-Staates: Florian Meinels imponierende Werkbiographie des Juristen Ernst Forsthoff
Zu den großen Leistungen der Bundesrepublik dürfte zählen, dass sie ihre konservativen Verächter der Frühphase nicht nur ausgehalten, sondern auf liberale Weise integriert hat. So genossen dezidierte Antibürger ironischerweise die Segnungen pluralistischer Toleranz. Zu ihnen gehören neben den esoterischen Waldgängern Ernst Jünger und Martin Heidegger als wichtigste akademische Potenzen der Philosoph und Soziologe Arnold Gehlen (1904-1976) sowie der Staatsrechtler Ernst Forsthoff (1902- 1974). Gehlen hat auch aufgrund seines überragenden schriftstellerischen Ranges mittlerweile den Status eines Klassikers erreicht. Forsthoff hingegen ist nur noch Fachgelehrten ein Begriff. Seine Überlegungen zur Daseinsvorsorge im Staat der Industriegesellschaft wie auch seine drastische Ablehnung jeder normativen Staatsbegründung bleiben jedoch eine Herausforderung für die Rechts- und Politikwissenschaft.
Der Jurist Florian Meinel hat nun eine gewichtige und in jeder Hinsicht imponierende Werkdeutung dieses bedeutendsten Schülers von Carl Schmitt veröffentlicht. Meinels Dissertation präsentiert einen Denker, dessen ressentimentgetriebene ideologische Verirrungen und analytische Eiseskälte in einem eigenartigen Spannungsverhältnis stehen. Forsthoffs unappetitliche politische Entgleisungen während des NS-Regimes, als er mit Engagement den Nazis einen geistigen Unterbau liefern wollte, waren bereits in Teilen bekannt. Bei Meinel ist jetzt auf solider Quellengrundlage nachzulesen, wie der Jünger-Jünger Forsthoff in rechtsradikalen Blättern gegen das Weimarer System hetzte. Forsthoff, dem Milieu einer nationalkonservativen evangelischen Pfarrfamilie entstammend, bewegte sich im breiten Strom der „Konservativen Revolution“. Wie viele andere Aktivisten drängte er in der Krise der Republik auf die Entscheidung für eine autoritäre Staatsführung – ohne freilich genauere Vorstellung von Weg und Ziel zu haben. Er sah mit Genugtuung den „völligen Bankerott jenes scheinpolitischen liberalen Staatsdenkens, dem die Einheit des Staates über logizistische Spielereien in ein Nichts zerrann“, wie er 1931 im der einschlägigen Zeitschrift Deutsches Volkstum schrieb. Diesen Text und viele andere publizierte er anonym, um sich seine Karrierechancen als Jurist nicht zu verbauen – immerhin war der Staatsrechtler Verfassungsfeind.
Forsthoff begrüßte die „nationalsozialistische Revolution“ und gab ihr mit seiner berüchtigten Schrift „Der totale Staat“ sofortigen Flankenschutz. „Das bürgerliche Zeitalter wird liquidiert, und es ist die Verheißung einer besseren Zukunft, daß es mit rücksichtsloser Entschlossenheit und dem Mut zur äußersten Konsequenz geschieht“, ist dort 1933 zu lesen. Auch wenn Forsthoff späterhin die antisemitischen Exzesse seines Lehrers zu weit gingen: Anfangs stand er Carl Schmitt in nichts nach und adaptierte dessen Freund-Feind-Denken, forderte das „Bewusstsein der Artgleichheit“ und wollte die völkische Substanz „durch Ausmerzung aller undeutschen und das Deutschtum verfälschenden Beimischungen“ erneuern. Forsthoffs Kollegenkritik am Obernazi Otto Koellreutter, der die Konzentrationslager nicht als rechtsstaatliche Einrichtungen anerkennen wollte, hätte eigentlich den Anlass geliefert, hernach aus Scham für immer zu schweigen.
Die in der zweiten Hälfte der 1930er Jahre einsetzende Distanzierung Forsthoffs vom Nationalsozialismus ging eher still vor sich. Er musste erkennen, dass der Unrechtsstaat keinen Wert auf formaljuristischen Beistand legte, und machte die Erfahrung, dass er sich mit der Bejahung der NS-Ideologie die Grundlage seines Berufsstandes selbst entzogen hatte: In der Diktatur herrschten Gewalt statt Ordnung, Willkür statt Recht, Zuständigkeitschaos statt öffentlicher Verwaltung. So war es für Forsthoff schon aus rein intellektuellen Gründen unmöglich geworden, sich auf Dauer mit dem NS-Staat zu identifizieren. Seine Unzufriedenheit mit der Kirchenpolitik tat das Übrige, um die Sympathien für das Regime abzukühlen. Dessen ungeachtet legte Forsthoff an den Universitäten des Führerstaates eine steile Karriere hin, lehrte als Professor in Frankfurt, Hamburg, Königsberg und Wien.
Nach dem Untergang des „Dritten Reiches“ setzte bei Forsthoff eine Phase der Orientierungslosigkeit ein. Als Emphatiker der Ordnung versuchte er den Konservatismus als Lehre des politischen Realismus neu zu begründen sowie eine Institutionentheorie zu entwerfen, die Halt in der Würde der Tradition suchte. Beides scheiterte aus naheliegenden Gründen. Die Manuskripte blieben unvollendet in der Schublade: Weder gab es in der Stunde Null Institutionen, an die man ohne Begründungsaufwand hätte anknüpfen können, noch wartete irgendjemand auf die theoretische Reanimation einer politischen Rechten, die durch die Allianz mit dem Nationalsozialismus diskreditiert war. Forsthoff brauchte einige Jahre, um sich vom Katheder der Universität Heidelberg als kalter Analytiker der Nachkriegsordnung erneut zu profilieren. Er erkannte in der Bundesrepublik den „paradigmatischen Staat der Industriegesellschaft“. Dieser postsouveräne Staat könne auf geistige Selbstdarstellung ebenso verzichten wie auf ein bestimmtes Ethos. Seine Daseinsberechtigung ergebe sich einzig und allein aus seiner ökonomischen Leistungsfähigkeit und der Möglichkeit, Wohlstand und Sicherheit zu gewähren.
Diese Erkenntnis situiert Forsthoff retrospektiv in der Nähe der Ordoliberalen. Dabei hat er verstanden, dass es dem modernen Staat mittlerweile um weitaus mehr als Zustandswahrung geht: Seine Aufgabe wird die Zukunftsplanung. Carl Schmitts These vom Ende des Staates versagte Forsthoff die Gefolgschaft. Aus seiner Warte hatte der Staat durch die vom Wirtschaftswunder beflügelte Entwicklung der modernen Industriegesellschaft noch an zusätzlicher Stabilität gewonnen. Forsthoffs emotionsloser Blick auf die systemischen Imperative des „Verteilerstaates“ versuchte den sozialen und liberalen Gehalt des Grundgesetzes als unerheblichen Tand zu entlarven, wie Meinel anhand der Kontroverse mit Wolfgang Abendroth um den Sozialstaat zeigen kann. Es war aber paradoxerweise Forsthoffs Gesellschaftsanalyse, welche die Linke für ihre Theorie des Spätkapitalismus ausweidete. Freilich setzte die Gesellschaftskritik à la Habermas auf zusätzliche Demokratisierung, um Legitimitätsdefizite abzustellen, während Forsthoff die Verwaltung als Leistungsträger zu optimieren strebte.
Meinels luzide Werkbiographie arbeitet das Dilemma eines Staatstheoretikers heraus, dessen Totalverzicht auf Ethik ihn in eine Sackgasse geraten lässt, auch weil er keine Zuflucht im Rechtspositivismus zu finden vermag. Anders als Arnold Gehlen, mit dem er sonst die Perspektive eines technokratischen Konservatismus teilt, kann er in der Entfremdung keine Bedingung der Freiheit sehen. Sie bleibt für ihn das Drama der Moderne. Auch das teilt er mit der Linken. Forsthoffs einseitige Konzentration auf die Sachzwänge, Reglementierungen und die sozialen Regulierungen, die Staatshandeln mit sich bringt, verstellt den Blick auf die teilweise vorausliegenden, teilweise durch Politik erst bewirkten Freiheitsräume des Einzelnen. Daher lehrt die Beschäftigung mit Forsthoff, dass eine normativ entkernte Staatslehre, die weder Interesse an Freiheit und Pluralität hat, noch Gerechtigkeit zu begründen weiß, dort halt macht, wo die Debatten um politische Alternativen und die Auseinandersetzung um das „gute Leben“ in einer Gesellschaft beginnen sollten. JENS HACKE
FLORIAN MEINEL: Der Jurist in der industriellen Gesellschaft. Ernst Forsthoff und seine Zeit. Akademie Verlag, Berlin 2011. 557 Seiten, 79,80 Euro.
Der Staats- und Verwaltungsrechtler Ernst Forsthoff im Jahr 1960. Foto: dpa
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.02.2012

Konservativ ist das Gegenteil von Revolution
Florian Meinels große Studie zum Werk von Ernst Forsthoff

Ein wahrhaft großer Jurist zeichne sich durch Tugenden wie geschichtliches Bewusstsein, Vertrauen in die Verlässlichkeit der Normalität, festes Staatsethos und unverstellte, freie Vaterlandsliebe aus, würdigte Ernst Forsthoff im Januar 1967 seinen Heidelberger Amtsvorgänger und ungleichen Freund Gerhard Anschütz zum hundertsten Geburtstag. Knapp fünfundvierzig Jahre später erinnert Florian Meinel auf der Schlussseite seiner Biographie des Staats- und Verwaltungsrechtslehrers Ernst Forsthoff an dessen Tugendkanon. Wenige Zeilen zuvor heißt es über den Laudator, dessen eigene, von radikaler Skepsis gegenüber der Entwicklung der Bundesrepublik getrübte Perspektive habe sich damals auf zwei Pole verengt: Erinnerung und Polemik.

Wenn Meinel seine Abhandlung nicht mit polemischen Attacken des Juristen schließt - von denen der Autor an anderen Stellen seines Buchs umfangreiches Zeugnis gibt - sondern mit nachdenklichen Erinnerungen des späten Forsthoff, so spricht daraus gewiss auch Respekt des Doktoranden Meinel für den "in seiner Generation . . . bedeutendste(n) Vertreter des Öffentlichen Rechts in Deutschland". Vor allem aber wird in den fast elegischen Schlussakkorden Meinels noch einmal deutlich, wie ernst es dem Autor damit ist, Forsthoffs staats- und verwaltungsrechtliche Auseinandersetzung mit den Umbrüchen im zwanzigsten Jahrhundert zu durchdringen und dabei auch Bedeutungsschichten unter der Oberfläche polemischer Tiraden des Rechtsprofessors freizulegen.

Für sein ambitioniertes Vorhaben einer "entwicklungsgeschichtlichen Deutung der Ideenwelt Forsthoffs" hat Meinel großes Lob bekommen, auch von renommierten Staatsrechtslehrern und Forsthoff-Kennern wie Hans-Hugo Klein und Michael Stolleis. Außergewöhnlich ist Meinels "Forsthoff" schon wegen des intensiven Quellenstudiums. So ist es Meinel gelungen, für seine Arbeit umfassenden Zugang zu Forsthoffs Nachlass zu bekommen; ein Privileg, welches die Familie bis dahin niemandem gewährt hatte. Sensationen, die das Bild Forsthoffs revolutioniert hätten, förderte die Durchsicht freilich nicht zutage.

Der junge Forsthoff wird zunächst geprägt durch den konservativen, national gesinnten Vater, einen evangelischen Pfarrer und eifrig publizierenden Theologen, der während des zeitweiligen Bündnisses des Protestantismus mit dem Nationalsozialismus höhere Ämter innehatte. Es folgt Forsthoffs "Entscheidung für den totalen Staat", wie Meinel das Kapitel über das Bekenntnis des jungen Staatsrechtlers zum Nationalsozialismus, in Anlehnung an dessen propagandistische Schrift "Der totale Staat" von 1933 nennt. Diesem ersten entwicklungsgeschichtlichen Teil der Biographie schließt sich ein Abschnitt über Forsthoff den Verwaltungsrechtswissenschaftler und "Entdecker" der Leistungsverwaltung an. Zu dieser herausragenden Rolle Forsthoffs ist Meinel eine Analyse gelungen, die eine gewisse Sprödigkeit ihres Stoffes durch das lebhafte, zuweilen bewundernde Interesse an der bahnbrechenden wissenschaftlichen Leistung des Verwaltungsrechtlers beim Paradigmenwechsel zur Daseinsvorsorge überwindet.

Nach dem ausgedehnten Ausflug ins Verwaltungsrecht blickt Meinel zunächst wieder zurück auf das Jahr 1935. Enttäuscht und abgestoßen von der Entwicklung des Nationalsozialismus bemüht sich Forsthoff um Neuorientierung - eine Suche, die abermals in Enttäuschung mündet. Denn von dem politischen Ideal, das dem Staatsrechtler für Nachkriegsdeutschland vorschwebte, einem dezentralisierten Verwaltungsstaat auf genossenschaftlicher Grundlage, war die parlamentarisch-rechtsstaatliche Neuordnung Deutschlands weit entfernt. Wenngleich Forsthoffs Vorstellungen von Meinel als "restaurativ" kritisiert werden, wehrt der Autor sich entschieden gegen Deutungen, als Staatsrechtler habe sich Forsthoff im Grunde nur auf die Bewahrung traditioneller Bestände beschränkt. Die Rolle des "harmlosen Nostalgiker(s)", die man ihm damit zugewiesen habe, werde Forsthoffs Einfluss auf die staatsrechtliche Diskussion der fünfziger und sechziger Jahre nicht gerecht. Obwohl oder vielleicht auch gerade weil Forsthoff das Grundgesetz "mit dem kalten Blick des Ungläubigen" betrachtet habe, sei er als einer der gefragtesten Rechtsgutachter und Regierungsberater seines Fachs an den Kontroversen über den Sozialstaat und die Verfassungsauslegung beteiligt gewesen.

Aber je mehr sich Forsthoffs Blick auf die heranwachsende sozialstaatliche Industriegesellschaft verdüsterte; je stärker er technischen Fortschritt als Bedrohung wahrnahm und die Rolle des Staates und der Rechtswissenschaften gefährdet sah; je wütender er gegen die "Situationsjurisprudenz" des Bundesverfassungsgerichts polemisierte und je ohnmächtiger er sich gegenüber alldem fühlte, desto mehr geriet Forsthoff dann tatsächlich zum Außenseiter. Über dieses letztlich vergebliche Ringen des Staatsrechtlers mit der neuen Verfassungswirklichkeit ist in dem vierten und letzten Teil von Meinels Werkbiographie zu lesen.

Charakteristisch für das Buch ist, in welcher Breite und Tiefe Meinel das Denken und Werk des Juristen Forsthoff ausleuchtet - und sich dabei als ausgezeichneter Kenner der Verfassungs- und Ideengeschichte des zwanzigsten Jahrhunderts erweist, der sorgfältig intellektuelle Strömungen und gesellschaftliche Entwicklungen analysiert, zahlreiche Verbindungslinien und Parallelen zwischen Forsthoff und anderen Gelehrten zu ziehen weiß und zugleich ein sicheres Gespür für intellektuelle Nuancen, Abgrenzungen und Differenzen hat.

Meinels scharfer Blick für Veränderungen und Unterschiede kennzeichnet auch seine Analyse zum Verhältnis zwischen Ernst Forsthoff und Carl Schmitt. Mehr als eine - wenngleich für höchst wichtig erachtete - Nebenrolle gesteht der Autor dem Lehrer Schmitt freilich nicht zu. Schmitt wird von ihm nur sporadisch einbezogen, etwa um das unterschiedliche Denken und Verhalten der beiden Juristen im Nationalsozialismus und beim späteren Umgang mit der eigenen nationalsozialistischen Verstrickung hervorzuheben.

Meinel akzentuiert aber auch "geradezu gegensätzliche" staatsrechtliche Auffassungen in jenen Jahren, in denen Forsthoff den 1933 abgebrochenen Kontakt zu Schmitt wiederaufgenommen hatte. Zuspitzend schreibt der Autor, Schmitt sei "ein Theoretiker der Gegenrevolution" gewesen, Forsthoffs Ideal dagegen "das Gegenteil einer Revolution". Knapp und kühn folgert Meinel: "Forsthoff war ein Konservativer, Schmitt nicht."

Aber inwieweit hat das Denken Forsthoffs, der sich doch selbst mehr und mehr als letzter Jurist in der industriellen Gesellschaft empfand, für die Gegenwart noch Bedeutung? Die juristischen Lebensideen Forsthoffs, die Suche nach Sinnstiftung für Staat, Gesellschaft und Rechtswissenschaft in der modernen Massendemokratie erklärt Meinel für gescheitert. Und große Debatten, die Forsthoff geprägt habe, seien "historisch, um nicht zu sagen: antiquarisch". Gleichwohl bleiben aktuelle Fragen und Probleme mit Forsthoffs Werk verknüpft: Die Idee der Daseinsvorsorge, die heutzutage unter dem Stichwort Gewährleistungsstaat diskutiert wird; der Einfluss von Partikularinteressen im modernen Gewand des Lobbyismus; das Ringen des Staates um Gestaltungsmacht in der technisierten Massengesellschaft, das durch Europäisierung und Globalisierung noch komplizierter geworden ist; und schließlich die andauernde Debatte über die Rolle des Bundesverfassungsgerichts zwischen Recht und Politik. Meinels Buch ist deshalb nicht nur eine historische Abhandlung. Es schärft zugleich den Blick für alte und neue Herausforderungen des modernen Verfassungsstaates.

KATJA GELINSKY.

Florian Meinel: "Der Jurist in der industriellen Gesellschaft". Ernst Forsthoff und seine Zeit.

Akademie Verlag, Berlin 2011. 557 S., geb., 79,80 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Zum Glück lässt das Buch andere Meinungen als die seines Autors zu, die des Rezensenten etwa, der den Carl-Schmitt-Schüler Ernst Forsthoff nicht gar so konservativ finden kann (wie seinen Lehrer), ihn eher in der Tradition einer bürgerlich-liberalen Rechtskultur sieht. Stefan Breuer kann das anhand der in der Monografie von Florian Meinel aufgeführten Lebens- und Wirkensstationen und der Arbeiten Forsthoffs erkennen, die der Autor kontextuell und bis in den Nachlass hinein vorstellt. Neben dem gut erörterten Werk hätte Breuer zwar gern Näheres über Forsthoffs Beziehungsgeflecht erfahren (zu den Jungkonservativen zum Beispiel), insgesamt aber überzeugt ihn die souveräne Darstellung dieses bedeutenden Juristenlebens.

© Perlentaucher Medien GmbH
"Die umfangreiche, nicht ohne Grund bereits nach kurzer Zeit in zweiter Auflage vorgelegte Biografie, für die Florian Meinel erstmals ohne Vorbedingung den wissenschaftlichen Nachlass Ernst Forsthoffs auswerten durfte, gibt ein eindrucksvolles Bild über dessen Leben und Werk. [...] ein hoffnungsvolles Zeichen dafür, dass [...] auch heute noch wie früher an deutschen Universitäten erstklassige, originär erarbeitete, die Wissenschaft voranbringende Doktorarbeiten entstehen." Herman Weber in: NvwZ 20 (2012), S. 1301f. "[...] Meinel [ist] seinem Gegenstand auf eine Weise gerecht geworden, wie das bisher noch nirgends zu lesen war. Wer sich für die Geistes- und Wissenschaftsgeschichte Deutschlands im 20. Jahrhundert interessiert, müsste dieses Buch studieren; denn es handelt keineswegs 'nur' von einem Juristen." Michael Stolleis in: Juristen Zeitung, 66 (2011) 22, S. 1111 "Man darf das Buch guten Gewissens als Standardwerk und bleibende Leistung bezeichnen." Hans-Christof Kraus in: Die öffentliche Verwaltung, 20 (2012), S. 809-812 "Insgesamt handelt es sich bei dem Band um einen großen Wurf. Ausgehend von Forsthoffs Biografie entwirft Florian Meinel ein weites Panorama der Fach- und Ideengeschichte des Öffentlichen Rechts von den 1920er bis zum Beginn der 1970er Jahre, das auf dem Gebiet der juristischen Zeitgeschichte seinesgleichen sucht. Auch in sprachlicher Hinsicht bewegt sich die Studie auf höchstem Niveau. Wer also über einen 'lästigen Juristen' mehr erfahren will, dessen Werk die Brüche, Widersprüche sowie die ungemeine Dynamik des "Zeitalters der Extreme" (Eric Hobsbawm) wie kaum ein anderes widerspiegelt, dem kann Florian Meinels Buch nur mit Nachdruck empfohlen werden." Frieder Günther in: Neue politische Literatur, 56 (2011) 3, S. 516f. "Florian Meinel ist eine glänzende intellektuelle Biographie gelungen. Sein "Forsthoff" wird nicht nur mit allen Details des OEuvres, sondern auch mit seinem Netzwerk, seinen legendären Ebracher Seminaren, seinen Idealen und Obsessionen kritisch, aber nicht ohne Sympathie gezeichnet. Mit dieser Arbeit sollten die gängigen Schwarzweißbilder von Forsthoff endgültig verschwinden." Michael Stolleis in: Historische Zeitschrift, 294 (2012) 3, S. 824f. "Wenn Meinel seine Abhandlung nicht mit polemischen Attacken des Juristen schließt [...] sondern mit nachdenklichen Erinnerungen des späten Forsthoff, so spricht daraus gewiss auch Respekt des Doktoranden Meinel für den "in seiner Generation ... bedeutendste(n) Vertreter des öffentlichen Rechts in Deutschland". Vor allem aber wird in den fast elegischen Schlussakkorden Meinels noch einmal deutlich, wie ernst es dem Autor damit ist, Forsthoffs staats- und verwaltungsrechtlichen Auseinandersetzungen mit den Umbrüchen im 20. jahrhundert zu durchdringen und dabei auch Bedeutungsschichten unter der Oberfläche polemischer Tiraden des Rechtsprofessors freizulegen." Katja Gelinsky in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 23. Februar 2012, S. 34. "Wenn man diesem Buch einen Vorwurf machen will, so allenfalls den, dass es für eine Dissertation fast schon zu gut ist; [...] Es zeigt, was junge Wissenschaftler auch heute noch leisten können - wenn man sie nur lässt. [...] Ein Stück Wissenschaftsgeschichte des 20. Jahrhunderts, glänzend geschrieben und für den, der nur das geringste Interesse aufbringt für die Fragen, die dort behandelt werden, spannend wie ein Kriminalroman." Reinhard Zimmermann, Neue Juristische Wochenschrift, 3557 (2011) "Wer sich für die Geistes- und Wissenschaftsgeschichtee Deutschlands im 20. Jahrhundert interessiert, müsste dieses Buch studieren; denn es handelt keineswegs "nur" von einem Juristen." Michael Stolleis, JuristenZeitung, 22 (2011) "[...] eine eindringliche und überzeugende Charakterisierung eines der bedeutendsten deutschen Öffentlichkeitsrechtler des 20. Jahrhunderts [...]" Gerhard Köbler in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, 129 (2012) 72 "Der Jurist Florian Meinel hat nun eine gewichtige und in jeder Hinsicht imponierende Werkdeutung dieses bedeutendsten Schülers von Carl Schmitt veröffentlicht." Jens Hacke, Süddeutsche Zeitung, 08.09.2011 "Insofern dürfen wir nach der Lektüre von Meinels einfühlsamem, gedankenreichem und bisweilen auch bedrückendem Buch, reich beschenkt, die Akte Forsthoff schließen. Nach diesem Buch ist zu Forsthoff alles gesagt." Oliver Lepsius, Die Verwaltung. Zeitschrift für Verwaltungsrecht und Verwaltungswissenschaften, Bd. 45, Heft 4 2012, S. 610-612.…mehr