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Alexander von Humboldts Wissenschaftsbegriff fand als "Humbolotian Science" Beachtung, sein Konzept wird neuerdings als wegweisend für das 21. Jahrhundert bezeichnet. Er glaubte an ein Geben und Nehmen in der Wissenschaft, proklamierte ohne Beschönigung das Prinzip "do ut des", das er aber auch als eine Art "enseignement mutuel" begriff. Homboldt führte eine riesige Korrespondenz und zitierte im "Kosmos" seitenweise aus Briefen und unveröffentlichten Schriften anderer. Mehrfach konnte er auf eine "Generalerlaubnis" von Kollegen (z.B. Charles Darwin) verweisen, ohne besonderen Nachweis zitieren…mehr

Produktbeschreibung
Alexander von Humboldts Wissenschaftsbegriff fand als "Humbolotian Science" Beachtung, sein Konzept wird neuerdings als wegweisend für das 21. Jahrhundert bezeichnet. Er glaubte an ein Geben und Nehmen in der Wissenschaft, proklamierte ohne Beschönigung das Prinzip "do ut des", das er aber auch als eine Art "enseignement mutuel" begriff. Homboldt führte eine riesige Korrespondenz und zitierte im "Kosmos" seitenweise aus Briefen und unveröffentlichten Schriften anderer. Mehrfach konnte er auf eine "Generalerlaubnis" von Kollegen (z.B. Charles Darwin) verweisen, ohne besonderen Nachweis zitieren zu dürfen. Der Autor offenbart sich in seinen Methoden sehr modern, er agiert als Zentrum eines riesigen Netzwerks, das funktional und fachübergreifend war.
Autorenporträt
Petra Werner, Schriftstellerin und Publizistin, geb. in Leipzig, aufgewachsen in Berlin, veröffentlichte Erzählungen und Monographien zur Wissenschaftsgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts. Sie arbeitet in der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften und lehrt an der Technischen Universität Berlin.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 15.09.2004

Die Welt geht in ihn ein
Heute startet das Alexander von Humboldt-Projekt der „Anderen Bibliothek”
Im gleichen Lebensalter stehend wie der unermüdlich anregende Alexander von Humboldt, veröffentlicht Hans Magnus Enzensberger, assistiert von Franz Greno und drei Herausgebern eine Neu-Edition des fünfbändigen „Kosmos” (1844-1862), zusammen mit einer ersten vollständigen deutschen Ausgabe der „Ansichten der Kordilleren und Monumente der eingeborenen Völker Amerikas” (1810) sowie einer Wiederauflage der „Ansichten der Natur” (1808) . Nach dem gewaltigen Erfolg des „Kosmos” von der Mitte bis zum Ende des 19. Jahrhunderts öffnet Enzensberger heute die Schleusen für eine zweite Welle der Rezeption. Was - zumindest in Deutschland - in der Architektur heute verpönt ist, scheint in der Buchherstellung in besonderen Fällen nicht nur möglich, sondern wünschenswert zu sein: die vollständige Rekonstruktion (und Distribution) eines in seiner ursprünglichen Gestalt nicht mehr zugänglichen Werkes.
Humboldts „Kosmos” ist ein solcher Sonderfall. Der Naturforscher hat sechzehn lange Jahre an der Metamorphose der einundsechzig Vorträge gearbeitet, die er Ende der zwanziger Jahre in der Berliner Universität und später, in geraffter Form, in der Singakademie gehalten hatte. Der öffentliche wissenschaftliche Vortrag war im Deutschland der Restauration auch ein soziales Experiment. Es sollte eine „gemeinsame Atmosphäre wissenschaftlicher Bildung”, deren Fehlen Goethe schon beklagt hatte, hergestellt werden.
Humboldt hat, um diese neue Form des Austausches im Text noch einmal zu verdichten, die gesamte gelehrte Welt Europas korrespondierend in die Niederschrift miteinbezogen. Nicht zuletzt war es der getreue, von Humboldt hoch geschätzte Zuarbeiter Eduard Buschmann, dessen Entzifferungs-, Collage- und Korrekturdienste, wie die Wissenschaftshistorikerin Petra Werner in ihrer monumentalen Monographie über den Kosmos minutiös darlegt, der dem „Zusammengeklebten” (Humboldt an Buschmann) in mühevoller, gelegentlich verschlimmbessernder Kleinarbeit erst eine ansehnliche Physiognomie zu geben half.
Für höhere Leser
Diese mehrfach geschichteten und einander durchdringenden Netze aus unersättlichen Anfragen, Lieferungen, neuen Messdaten und immer weiter vorangetriebenen Fragestellungen geben dem Kosmos sein einzigartiges Gepräge. Insgesamt lassen sich, laut Werner, heute im Kosmos 246 Stellen zuordnen, die auf direkte Zuarbeiten von Humboldts Kollegen zurückzuführen sind. Dass dieser vielgestaltige Text ohne derartige hyperlinks, ohne ein hochkomplexes networking nicht hätte gelingen können, lässt sich schon an dem in der Tat maßlosen Anspruch gegenüber der bedrohlich anschwellenden Stofffülle und dem unausrottbaren Vervollkommnungsdrang ablesen, den Humboldt bereits in den ersten Jahren der Niederschrift in einem Brief an Varnhagen von Ense formulierte. „Ich habe den tollen Einfall, die ganze materielle Welt, alles, was wir heute von den Erscheinungen der Himmelsräume und des Erdenlebens, von den Nebelsternen bis zur Geographie der Moose auf den Granitfelsen wissen, alles in einem Werke darzustellen, und in einem Werke, das zugleich in lebendiger Sprache anregt und das Gemüth ergötzt. Jede große und wichtige Idee, die irgendwo aufglimmt, muß neben den Thatsachen hier verzeichnet sein. Es muß eine Epoche der geistigen Entwicklung der Menschheit (in ihrem Wissen von der Natur) darstellen.” Als der erste Band schließlich 1844 fertiggestellt war - zwischendurch hatte er es einen „Augiasstall” genannt, den zu säubern etliche Kollegen ihm geholfen hatten - konstatierte er durchaus selbstkritisch: „Man kämpft zwischen Ruhmsucht und affectirter Bescheidenheit.”
In der jetzt erscheinenden Neu-Edition wird zum ersten Mal der seinerzeit für das Werk geplante „Physikalische Atlas zum Kosmos” von Heinrich Berghaus mit aufgenommen sein. Dies ist besonders zu begrüßen, nicht nur weil das schöne Kartenwerk ursprünglich als Supplement zum „Kosmos” geplant war, sondern auch weil es auf sehr anschauliche Weise das wirklich Neue dieses „zweiten Entdeckers” Amerikas (Ottmar Ette) zur Geltung bringt - nämlich ein genuines, von Humboldt selbst immer wieder betontes Verweisungsverhältnis zwischen Schrift, Karte/Kartographie und Bild.
Humboldt selbst hatte, demütig unbescheiden, Berghaus noch während der Zeit der Berliner Vorträge gebeten, ein Werk zu schaffen, das „Karten enthält für die Vertheilung der Pflanzen und Thiere über die Erde, für Meer- und Flussgebiete, für Verbreitung der thätigen Vulkane, für Declination und Inclination der Magnetnadel, Intensität der magnetischen Kraft, für Meeresströme und Ebbe und Fluth, Luftströmungen, für Züge der Gebirge, Wüsten und Ebenen, für Verbreitung von Menschenracen, ferner für Darstellung der Gebirgshöhen, Stromlängen, . . .”.
Doch wie sollen wir Humboldt heute lesen? Welche Leser sind zu erwarten? Zu bewundern ist der Mut der Herausgeber, eigensinnig und unverzagt werbend auf die Rezipierbarkeit eines hoch zerklüfteten Werkes zu setzen, das zu erschließen und zu durchsteigen immer noch jenen „höheren Leser” voraussetzt, den vor achtzig Jahren Rudolf Borchardt in seiner Anthologie „Der Deutsche in der Landschaft” vor Augen hatte. „Die Welt geht in ihn ein, indes er in die Welt aufgeht” - auf wen träfe diese Charakterisierung besser zu als auf Alexander von Humboldt? Der kosmopolitische Humboldt liefert uns die Physiognomie eines Gelehrten, dessen „Ansichten” in eine Sprache gefasst sind, die man mittlerweile als eine uns verlorene, zumindest aber als eine für die (natur-)wissenschaftliche Prosa uneinholbare begreifen muss: „Alexander, wenn er in einem gegebenen Lebensmomente, den Chimborazo besteigend, fast als die leibhaftig gewordene naturwissenschaftliche Encyclopädie in actu, Meteorologe und Geologe, Botaniker und Orograph und Geograph, mit versagendem Atem und blutflüssigen Augen noch stoischer Beobachter und lieblicher Beschreiber des größten und kleinsten, bis zum Augenblicke des Nec Ultra.”
Die Zeiten, jenen höheren Leser wieder zu wecken - einmal unterstellt, er sei nicht verschwunden, sondern schlummere nur -, sind vielleicht gerade deshalb günstig, weil ringsum beredte Sprachlosigkeit und wohlfeile Verzagtheit anschwellen.
Weil die Sprache solcher Forscher - in unserem Jahrhundert wäre noch der Biologe Ernst Mayr zu nennen - hilft, die Welt aus ihren Entwürfen zu begreifen, so wie ein Geograph anhand eines Reisewegs und der daraus resultierenden Karte eben weit mehr als den bloß befahrenen Weg, sondern „das ganze Land” zu (be)schreiben imstande ist. Wenn Humboldt tatsächlich „das Beste” repräsentiert, „das unser Land den Kulturen der Welt zu bieten hat” (Wolf Lepenies), dann ist es an der Zeit, seine Gegenwart wieder zu der unsrigen zu machen. Es wird nicht geringer Mühen bedürfen, Humboldts unerschrockenen Bildungsimpuls und seine unbändige Lust, aufs Ganze zu gehen, con amore in den jungen Forschern, wie Enzensberger anregt, wieder zu entfalten.
HANNS ZISCHLER
ALEXANDER VON HUMBOLDT: Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung. Ediert von Ottmar Ette und Oliver Lubrich. Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 2004. 960 Seiten, 99 Euro.
ALEXANDER VON HUMBOLDT: Ansichten der Kordilleren und Monumente der eingeborenen Völker Amerikas. Aus dem Französischen von Claudia Kalscheuer. Eichborn Verlag, Frankfurt am Main, 2004. 450 Seiten, 69 Euro.
ALEXANDER VON HUMBOLDT: Ansichten der Natur. Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 2004. 512 Seiten, 33 Euro.
PETRA WERNER: Himmel und Erde. Alexander von Humboldt und sein Kosmos. Akademie Verlag, Berlin 2004. 350 Seiten, 59,80 Euro.
Alexander von Humboldt, gemalt von Joseph Stieler (1843).
Abb.: Stiftung Preußische Schlösser und Gärten, Potsdam
Floß auf dem Fluss Guayaquil, aus „Ansichten der Kordilleren und Monumente der eingeborenen Völker Amerikas”.
Abb.: Eichborn Verlag
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Dem Rezensenten Thomas Thiel gefällt diese Studie über Alexander von Humboldt und seinen Versuch, alle Naturwissenschaften in sein Werk vom "Kosmos" zu integrieren. Der Autorin Petra Werner sei es gelungen, "sachlich präzise und nicht uncharmant" von dieser ebenso beeindruckenden wie erfolglosen Unternehmung des Wissenschaftlers zu berichten. Ein interessanter Plan war es durchaus, den Humboldt da verfolgte und "ein grandioses logistisches Unternehmen", für das der Wissenschaftler viele Helfer einspannte, doch der wissenschaftliche Zeitgeist war gegen ihn: "Vergeblich versuchte Humboldt, sein holistisch inspiriertes Lebenswerk ins Gefüge einer auf Spezialisierung drängenden Zeit zu schieben." Schon zu Lebzeiten war Humboldts Arbeit an dem Buch deshalb ein Wettlauf gegen die Zeit, nach seinem Tod gab es niemanden, der das Erbe hätte weiter verwalten können oder wollen. Werners Umgang mit dem umfangreichen Material gefällt dem Rezensenten: "Elegant schultert sie die Last eines überquellenden Archivmaterials und verliert bei aller kritisch-ironischen Distanz nicht die Sympathie zu ihrem Forschungsobjekt." Thiels Meinung nach setzt sie damit der "Feiertagsrhetorik, die Humboldt heute wieder umwölken" etwas Sinnvolles entgegen.

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"Elegant schultert sie [Petra Werner] die Last eines überquellenden Archivmaterials und verliert bei aller kritisch-ironischen Distanz nicht die Sympathie zu ihrem Forschungsobjekt [...]." Süddeutsche Zeitung 17.09.2004 "Die Leser können sich der Begegnung mit einer außergewöhnlichen Gestalt und einem großen Werk, nicht zuletzt einer bibliophilen Edition erfreuen." Badische Zeitung, 11.09.2004