"Terroir"-Küche mit den Gedanken der Grünen zur Verbindung von ökologischer Landwirtschaft und ökologischer Politik. Auch wenn die Rezepte den größten Teil ausmachen, stört doch die Form der Ersatz-Instrumentalisierung vom ökonomischen Statussymbol der S-Klasse zum ökologischen der Eß-Klasse. Allzu häufig - und so auch hier - liegt über dem zweifelsfrei richtigen Ansatz leider eine gewisse protestantische Temperierung, weht der Hauch einer Idee vom gerechten Genuß. Es bleibt unklar, ob die Energie mehr dem Kampf gegen das Schlechte oder dem Einsatz für das Gute gilt, was durchaus keine philologische Spitzfindigkeit ist: Am Ziel könnten sie sich treffen, die Hedonisten und die Ökologisten, unterwegs mag es sein, daß man - zähneknirschend - eine gewisse Distanz verspürt. Der Koch Manfred Kurz sieht da mehr die Realität, und die läßt ihn konstatieren, daß ein Politiker bei uns sich nur in großer Entfernung vom nächsten Wahltag als Gourmet outen könnte. Vielleicht brauchen wir ja doch zuerst den gastronomischen Umbau der Gesellschaft. Aber zunächst Schnitt, total und kraß. "A table avec les politiques" von Kathleen Evin und Etienne de Monpezat (Mit Illustrationen von Noelle Herrenschmidt. Editions Nouveaux-Loisirs, Paris 2002. 223 S., geb., 25,- [Euro]) berichtet über das kulinarische Leben von dreißig französischen Spitzenpolitikern, und die sind - Politik hin, Politik her -, was das Essen betrifft, grundsätzlich nur Menschen und Franzosen. Das bedeutet, daß wir es hier nicht etwa mit einem Psychogramm des Politikers unter ausnahmsweiser Berücksichtigung seiner Eßvorlieben zu tun haben, sondern eher mit einem Gastrogramm. Es geht ums Essen (sehr interessant: inklusive Lieblingsrestaurants und Lieblingsrezepten) und um sonst kaum etwas, oft enorm differenziert und kenntnisreich, das Dokument eines dezidiert guten Verhältnisses zur Eßkultur als "Basis aller Kultur". "Die Küche ist das Leben", und "wer das Essen nicht liebt, liebt das Leben nicht. Auf jeden Fall liebt er die anderen nicht", heißt es da. Aber selbst diese Emphase wird - aus deutscher Sicht - von geradezu Unvorstellbarem übertroffen. Robert Hue, Chef der französischen Kommunisten, hebt völlig ab: "Foie gras, Sauternes, Wild, das ist - Gott möge mir verzeihen - die Heilige Dreifaltigkeit." Aber gemach, dies ist kein aberwitziges Buch und die Einlassungen oft von klarem Verständnis in einem Land, in dem auch nicht mehr alles selbstverständlich ist: "Man versteht in Frankreich - endlich -, daß der Geschmack eine Frage der Kultur ist. Also auch eine der Erziehung. Also auch, daß er nicht angeboren ist", so ist der Premier Raffarin zu vernehmen. Man muß vielleicht auf eine mögliche Unschärfe in der Wahrnehmung französischer Eßbeschreibungen hinweisen, die für uns schnell wie Haute Cuisine klingen, auch wenn oft "nur" gediegene Regionalküche das Thema ist. Ansonsten gibt es einen faszinierenden Einblick in die Mechanik der französischen (Eß-)Kultur. Den Unterschied zu uns könnte ein kleines Wortspiel verdeutlichen. Da ist das kulinarisch Sinnlose, das Sinnvolle und das Sinnliche. "Die neue Eß-Klasse" wirkt politisch korrekt, vernünftig, sinnvoll. Was uns die Franzosen vorführen, wirkt vor allem sinnlich, das alte Klischee ist keines. Insofern ließe sich die Entwicklung der deutsch-französischen Beziehungen nach der Wahl ziemlich exakt aus den Präferenzen der nächsten Regierung voraussagen.
JÜRGEN DOLLASE
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