mögen. Doch was sind schon die Sterne und Sternchen aus der Prominenzretorte gegen die geheimnisvolle Minderheit derer, die richtig viel Geld haben und gerade deshalb im Verborgenen bleiben? Wer ist ihnen wirklich einmal nähergekommen oder hätte gar ihr Inneres erkundet? Die wirklich Herrschenden sind der breiten Masse in jeder Hinsicht unbekannt. Wir wissen aus der Literatur so viel über die Befindlichkeiten des Mittelstands und seines Nachwuchses, dass wir uns schon wieder gegen die neuesten Nachrichten aus dieser Sphäre im nächsten Bücherherbst wappnen. Aber wer brächte uns die Charaktere jener wenigen Spieler im globalen Neofeudalismus nahe, die mit Bestimmtheit zu sagen wüssten, was Geld aus dem Menschen macht?
Marlene Streeruwitz hat in ihrem neuen Roman "Kreuzungen" versucht, mit den Mitteln der Fiktion in diese Sphäre vorzustoßen. Was aber kann man über dieses Milieu und seine Charaktere überhaupt in Erfahrung bringen? Der Verlag hat im Klappentext darauf hingewiesen, dass Marlene Streeruwitz drei Wochen nach der Wahl von Nicolas Sarkozy zum französischen Staatspräsidenten mit den Recherchen zu ihrem neuen Buch begonnen habe. Mit diesem Hinweis soll wohl dem Leser eine Brücke gebaut werden. Gerade diese aber führt in die Irre, denn einen Roman über Sarkozy hat man keineswegs vor sich. Alles, was es über Sarkozy zu sagen gäbe, vom postideologischen Machtmenschentum bis hin zu dessen ästhetischer Überzuckerung mittels Carla Bruni, würde nicht hinreichen, den beunruhigenden Kosmos der männlichen Hauptfigur zu erreichen, den Marlene Streeruwitz entwirft.
Dem Milliardär Max, um den sich die Geschichte dreht, genügt nicht der Verklärungseffekt des schönen Scheins, um seinem seit jeher ganz auf Profitmaximierung abgestellten Leben eine neue Bedeutung zu geben. Ja, das Ästhetische und damit die Kunst sind in seinen Augen selbst diskreditiert. So versucht der Held, über das Geld einen Weg in eine Sphäre jenseits des Ästhetischen zu finden. Doch ist das Geld zugleich das Problem: Es hat alles wegschmelzen lassen, was den Menschen ausmachen könnte. Nicht nur ist alles Stehende und Ständische verdampft, auch alles gediegen Neurotische und erregend Perverse ist zu einer bloßen Karikatur verkommen.
Dass ihn nichts, aber auch gar nichts mehr erreicht, außer die idiosynkratischen Spiegelungen seiner phallischen Größenfantasien, gekreuzt mit dem Gesicht der gehassten Ehefrau und den beiden in ihren Dirndln spielenden Töchtern Hetty und Netty, erscheint nur in Ansätzen als Perversion von Belang. Entscheidend ist, dass hierin jene Selbstbespiegelung stattfindet, die das System Max ebenso wie das System Geld am Laufen hält. Der Spiegel ist die zentrale Metapher des Buches. Im unbeirrbar sich behauptenden Phallus spiegelt sich der Machtwille, und in diesem spiegelt sich wiederum die gesamte Person, reduziert auf eine einzige Regung, auf die Hydraulik der Organe und ihre imaginäre Übersteigerung ins Monumentale. Das Buch selbst begegnet als Spiegel; der Schutzumschlag zeigt dem Leser in silbern schimmernder Verfremdung zunächst einmal das eigene Gesicht.
Das Phallische, so dröhnt es auch wieder aus diesem Werk der Streeruwitz, ist der Fluch, der auf der Menschheit liegt. Hinter dem Geld und der Macht steht unverändert das priapeische Prinzip der Selbstverherrlichung des Mannes. In ihrem neuen Buch wird die Erde selbst zu einem kugelrunden Phallus, der ziellos durch den kosmischen Kapitalismus rast. Der Planet ist nicht mehr zu stoppen, seine Navigatoren sind nicht mehr bei Sinnen, und doch rufen sie sich im Privatjet zwischen Zürich und London stumm einen letzten Rilkeschen Satz zu, der die Rettung bringen soll: Du musst dein Leben ändern!
Da ist aber schon fast alles wieder den Bach hinunter, was das neue Leben ausmachen sollte. Die Scheidung geht zwar über die Bühne, aber die geplante inszenierte Vertragsehe mit einer englischen Jungadligen, die nicht einmal weiß, dass Champagnergläser vor dem Genuss mit zerstampftem Eis gekühlt werden, ist unmöglich geworden. Max, der mit der jungen Francesca alles noch einmal, diesmal aber ohne Risiken, ohne Alltag und ohne Kommunikation wollte, besteht doch tatsächlich auf einem einzigen auf sein altes Leben zurückweisenden Punkt: Er versucht vertraglich festzulegen, dass die zwei mit Francesca geplanten Töchter durch körperliche Zeugung zustande kommen sollten. Das aber widerspricht fundamental dem Grundplan, auf den sich Francesca einlassen wollte: einer Reißbrettexistenz, in der das Geld das ganze Leben in eine virtuelle Sphäre heben sollte.
Streeruwitz führt mit ihrem von Seite zu Seite unwiderstehlicher werdenden Sound, einem gnadenlosen Stakkato der Sätze und Satzfetzen, die Leser an einen Abgrund heran, dessen Tiefe der Roman gründlich und schonungslos auslotet. So unabsehbar die Wüste des Geldes auch ist, so tauchen doch auch unablässig Bruchstücke von Perspektiven aus dem psychischen Schrott auf, der sich in Max zur Sprache verdichtet. Alle Erzählungen vom Menschen, die großen und die kleinen, sind längst zu Ende, ja selbst die Erinnerungen an sie sind verloren. Doch ausgerechnet dieses anthropologische Rudiment namens Max will plötzlich für sich, was eine der letzten großen Erzählungen vom Menschen gefordert hatte. Es beansprucht eine ganz spezifische, mit Geld nicht zu kaufende Freiheit, die Freiheit des Künstlers. Diese Vision der Freiheit erst und nicht die Virtualität der durchgeplanten neuen Existenz soll Max schließlich über das Leben selbst hinausheben.
Im siebenunddreißg Tage währenden Zusammenleben mit dem undurchsichtigen Gianni in Venedig entdeckt Max eine ungeahnte Technik, den Menschen zu zelebrieren. Bei Gianni sind Kunstwille, asketische Haltung, Produktion und Produkt ganz und gar auf seinen eigenen Körper konzentriert. Gianni ist Kotkünstler. Was er, hochkonzentriert vorbereitet und kunstvoll angerichtet, ausscheidet, ist sein Werk. Auch die Sexualität, für die er beliebige Frauen von den Straßen Venedigs heranzieht, wird von Gianni als ein Akt der reinen Technik betrieben und hat nichts mehr mit dem so vertrauten Poesiealbum aus Liebe und Sex zu tun.
Geld ist kreativ, sagt sich Max. Es wird kreativ, wenn es in Dienst für die Entstehung eines neuen Typus genommen werden kann. Und doch ahnt man, dass auch dieses späte Aufflammen einer Vision mehr eine Reminiszenz ans Abgelebte als eine Perspektive auf die Zukunft sein muss. Es ist alles in der Sprache, aber es ist auch alles nur noch Sprache. Jenseits der Satzketten lässt sich kein kohärenter Bezug mehr aufrechterhalten. Jenseits der monologischen Tiraden des aus allen Zusammenhängen sich lösenden Protagonisten herrscht eine fürchterliche Leere.
Man kann darüber diskutieren, wie vorausweisend oder wie rückwärtsgewandt die Suggestionen sind, die Marlene Streeruwitz in ihrem Roman ausstreut. Auch wenn man die Prämissen nicht teilt, von denen Streeruwitz ausgeht, muss man immerhin zugeben, dass es sich um ein Glanzstück experimenteller Literatur handelt, das nicht einen Funken Hoffnung übrig lässt. Doch liegt über dem Ganzen zugleich auch ein subtiler Humor, wie ihn nur die Hoffnungslosigkeit und die mit ihr einhergehenden Verzerrungen und Übertreibungen hervorbringt. Es ist das hintergründige, manchmal sehr laute Lachen, das die großen Werke des Nihilismus seit den "Nachtwachen" des Bonaventura begleitet. Dieser schmale Grad zwischen Abgrund und Selbstparodie ist der Steg, auf dem Marlene Streeruwitz in diesem Roman mit großer artistischer Leidenschaft balanciert.
- Marlene Streeruwitz: "Kreuzungen". Roman. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2008. 250 S., geb., 18,90 [Euro].
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