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R.E.R.

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Insgesamt 283 Bewertungen
Bewertung vom 17.09.2013
Die Reisegesellschaft
Arnim, Elizabeth von

Die Reisegesellschaft


ausgezeichnet

Elizabeth von Arnims spitze Zunge war gefürchtet. Die Schriftstellerin die mit Romanen wie “Elisabeth und ihr Garten” oder “Verzauberter April” zu Weltruhm gelangte und vor allem durch ihre gefühlvollen Landschafts- und Naturbeschreibungen und humorvolle menschliche Studien überzeugte, konnte auch anders. In ihrem Roman “Vera” verarbeitet sie das Scheitern ihrer zweiten Ehe, indem sie die charakterlichen Abgründe ihres Exmannes in mitreißender Prosa offenlegt. Ihrem Werk “die Reisegesellschaft” liegt ebenfalls eine persönliche Zäsur zugrunde. Die Trennung von ihrem ersten Ehemann. Sechzehn Jahre war die Engländerin mit australischen Wurzeln mit einem preußischen Grafen verheiratet. Jahre die zumeist auf dem abgelegenen idyllischen Landgut Nassenheide verbracht wurden, wo sich auch der Garten befand, der von Arnim zu ihrem ersten und berühmtesten Roman inspirierte. Jahre aber auch, in denen ihr Gatte, oft nur “der Grimmige” genannt, für Verdruss sorgte.

Ihre Verdrossenheit schreibt sie sich in “die Reisegesellschaft” von der Seele. Sie erfindet die fiktive Figur des Barons Otto von Ottringel. Diesen etwas zu klein und etwas zu dick geratenen preußischen Offizier lässt sie einen Monat lang im Wohnwagen durch England reisen. In Gesellschaft eines zusammen gewürfelten Haufens bestehend aus seiner Frau, eines englischen Ehepaares von Adel nebst reizender verwitweter Schwester, einem einfachen Geistlichen, der aus vornehmster Familie stammt, einem verwahrlosten Sozialisten und einiger kichernder Backfische.

Wie Gier und Geiz den konservativen Ottringel dazu treiben dieses Himmelfahrtskommando überhaupt anzutreten, ist allein des Lesens wert. Dazu kommt die abenteuerliche Realität einer Wohnwagentour zu Anfang des 20. Jahrhunderts. Elisabeth von Arnim hat wie immer aus dem eigenen Erfahrungsschatz geschöpft. Sie selber unternahm im Sommer 1907 eine solche Reise. Für damalige Verhältnisse in mehr als einer Hinsicht ein waghalsiges Unterfangen. Die Erlebnisse und Erfahrungen spiegeln sich in dem 1909 erschienenen Buch wieder. Caravan Touristen von heute mit Interesse für die Anfänge dieser Reiseform, sei das Buch darum auch wärmstens empfohlen.

Vor allem aber rechnet sie mit der Spezies männlicher Chauvinist Anfang des letzten Jahrhunderts ab. So sarkastisch, dass der Roman während des ersten Weltkrieges in Deutschland auf die schwarze Liste gesetzt wurde, wie man der Arnim Biographie von Jüngling und Roßbeck entnehmen kann. In dieser Biographie wird auch “eine für die Zeit erstaunlich besonnene Pressestimme” zitiert: “ Nichts missfällt uns mehr als Literatur, die anti-deutsch ist. Aber die Satire in diesem Buch ist so brillant, der komischen Einfälle so viele, dass wahrscheinlich auch die Deutschen selbst, mit Ausnahme einer engstirnigen Kaste, ihre Freude daran haben werden.”

Es sind dies nicht nur erstaunlich besonnene sondern auch sehr zutreffende Worte. Mein gelber Textmarker flog beim Lesen mit über die Seiten. Irgendwann gab ich auf, denn die Sottisen waren so zahlreich, dass am Ende mehr gelber als schwarz-weißer Text übrig geblieben wäre. Der Klappentext verheißt: “Dünkelhaft, deutschnational, Demokratie- und Frauenfeindlich mokiert sich Ottringel über nahezu alles, was ihm in England begegnet, und tappt in seiner Borniertheit in jedes Fettnäpfchen, ohne es zu merken”. Ich habe schon einige Werke von Elisabeth von Arnim gelesen. Bei keinem habe ich mich so amüsiert und gleichzeitig unwohl gefühlt. Von Arnims Spott ist in seiner Bösartigkeit erbarmungslos aber gleichzeitig so großartig formuliert, dass man ihre Schreibkunst einfach bewundern muss dabei aber fast ein wenig Mitleid mit dem “armen Otto” hat, den sie gnadenlos der Lächerlichkeit preisgibt.

Bewertung vom 15.09.2013
Die Blütezeit der Miss Jean Brodie
Spark, Muriel

Die Blütezeit der Miss Jean Brodie


gut

In einem Zeitungsartikel fiel mir kürzlich ein Foto der jungen Maggie Smith auf. Für diejenigen die mit dem Namen nichts anfangen können: Sie spielt Professor Minverva McGonagall in den Harry Potter Verfilmungen. Auf dem Bild war Sie als Miss Jean Brodie zu sehen, in der Verfilmung des gleichnamigen Romans für den sie 1970 auch ihren ersten Oscar erhielt. “Die Blütezeit der Miss Jean Brodie” gilt (unter Kritikern) als das Werk das den “Weltruf” der Schriftstellerin Muriel Spark begründet hat. Meine Neugier war also geweckt, denn ich kannte Muriel Spark bislang nur von ihrer Biographie der Bronte Schwestern (die ich bei Interesse für die Werke von Charlotte und Emily Bronte sehr empfehlen kann) und von ihrem Buch “Dr. Wolfs Methode” (dessen Inhalt sich mir nicht nachhaltig eingeprägt hat).

Auf dem Buchrücken hieß es: “Miss Brodie, eine Lehrerin in den besten Jahren, benutzt fünf junge Mädchen dazu, sich ihre politischen, ästhetischen und auch erotischen Wünsche zu erfüllen. Nur Sandy, das Mädchen mit den kleinen Augen, durchschaut Miss Brodie. Sie versteht, dass Miss Brodie wie die Vorsehung die Geschicke der Menschen lenkt”. Das klang vielversprechend, entpuppte sich aber, wie leider häufig bei Klappentexten, als ebenso vollmundige wie leere Versprechung.

Sparks Roman spielt in Edinburgh in der Zeit von 1931 bis kurz vor Ausbruch des Krieges 1939. Jean Brodie lehrt an einer Mädchenschule wo sie die Kinder der Unterstufe, das heißt bis etwa zum Alter von 12 Jahren unterrichtet. “Dies war der erste Winter der zwei Jahre, in denen die Klasse von Miss Brodie unterrichtet wurde. Das Jahr 1931 hatte inzwischen begonnen. Miss Brodie hatte ihre Lieblingsschülerinnen ausgewählt, bzw. diejenigen, denen sie vertrauen konnte; oder besser gesagt diejenigen, deren Eltern sie vertrauen konnte, keine Beschwerden über die fortgeschrittenen und umstürzlerischen Ansichten ihrer Erziehungsmethode zu führen.”

Die “Clique” von Miss Brodie umfasst 6 Schülerinnen, die ihr auch nach dem Wechsel von der Unter- zur Oberstufe ergeben bleiben. Monica Douglas, das jähzornige Zahlengenie. Rose Stanley, die Sexappeal mit Instinkt vereinbart. Eunice Gardener, die Turnkünstlerin und gläubige Katholikin. Jenny Gray, die Schauspielerin werden will. Mary McGregor, “ein Niemand der man alles in die Schuhe schieben kann“. Und Sandy Stranger, das Mädchen mit dem psychologischen Gespür und den “Schweinsäuglein“, denen nichts entgeht.

Es stimmt, dass die Lehrerin die Mädchen benutzt und instrumentalisiert, aber es gelingt ihr nicht sich mit ihnen ihre Wünsche zu erfüllen. Sie versucht beispielsweise eine Liaison zwischen der Schülerin Rose und dem Kunstlehrer zu arrangieren, in den sie selbst verliebt ist, dem sie aber “entsagt” weil er verheiratet ist. Während Miss Brodie sich stattdessen mit dem ledigen Musiklehrer abgibt, ist es nicht etwa Rose die eine sexuelle Beziehung zu dem Objekt der Begierde von Miss Brodie beginnt. Sondern das Mädchen, dass Miss Brodie am Ende verrät. Ein Verrat der sich als roter Faden durch das Buch zieht, denn Spark setzt das Stilmittel der Vorwegnahme ein. So erfährt der Leser gleich zu Beginn, dass Miss Brodie am Ende “verraten“ wird und auch von wem. Spannend ist also einzig die Frage um welche Art von Verrat es sich handelt und ob Miss Brodie herausfindet, welches ihrer Mädchen den Vertrauensbruch begangen hat und warum.

Leider vermochten mich diese Fragen nicht zu fesseln. So gut mir die Biographie “In sturmzersauster Welt” von Spark gefallen hatte, so sehr verzweifelte ich an diesem Roman, der doch von der Kritik so hochgelebt wurde. Im Internet kann man sich auf Youtube die Verfilmung des Romanstoffs mit Maggie Smith ansehen. Was ich bisher davon gesehen habe, erscheint mir wesentlich verständlicher als das was ich gelesen habe. In diesem Fall ist vielleicht einmal der Film besser als das Buch.

Bewertung vom 08.09.2013
Irisches Tagebuch
Böll, Heinrich

Irisches Tagebuch


ausgezeichnet

“Es gibt dieses Irland: wer aber hinfährt und es nicht findet, hat keine Ersatzansprüche an den Autor.” Diesen Hinweis stellt Heinrich Böll seinem “Irischen Tagebuch” voran. Ersatzansprüche geltend zu machen, wäre schwierig. Der deutsche Nobelpreisträger von 1972 ist schließlich seit fast dreißig Jahren tot. Und es ist auch nicht notwendig, denn dieses kleine, feine Büchlein erklärt auch heute noch auf wunderbare Weise den Zauber der grünen Insel und ihrer Bewohner.

Der Schriftsteller verbrachte 1957 einige Monate mit seiner Familie im County Mayo, genauer auf Achill Island an der dortigen Küste. Sein ehemaliges Cottage gibt es noch. Es wird seit 1992 als Gästehaus für irische und internationale Künstler genutzt. Im Vorwort der Ausgabe von 1993 findet sich ein Zitat aus der Stuttgarter Zeitung: “Das Geheimnis dieses Buches ist, dass kaum ein Wort über die verzwickte Ökonomie und die noch verzwicktere Geschichte dieses kleinen Staates gesagt wird und dass dennoch das ganze Irland in diesem Tagebuch eingefangen zu sein scheint.” Dieser Satz trifft es nach meinem Empfinden recht gut, denn Böll beschreibt seine Erlebnisse und die Gefühle die sie in ihm hervorrufen: “Das Frühstück war gut, der Tee des Ruhmes würdig, und kostenlos hinzu gab es da Lächeln der jungen Irin, die ihn servierte.” Auf ein freundliches Lächeln der Einheimischen stießen wir bei unserem diesjährigen Besuch allenthalben. Aber es gibt noch mehr Punkte, die sich heute und damals finden.

Im Kapitel “Als Gott die Zeit machte” beschreibt Böll das gelassene Verhältnis der Iren dazu. “Der Kinobeginn ist auf 21.00 Uhr angesetzt, doch wenn irgend etwas unverbindlich ist, dann diese Uhrzeit. Selbst unsere vagste Verabredungsformel, wenn wir so gegen 9.00 Uhr sagen, hat den Charakter äußerster Präzision, denn unser so gegen 9.00 Uhr ist um halb zehn zu Ende, dann fängt so gegen 10 an; dieses 21.00 Uhr hier, ist die reine Hochstapelei. Seltsam genug, dass sich niemand über die Verspätung ärgert. Nicht im geringsten.” In unserem Feriendomizil fragten wir nach einem Pub mit Live-Musik. Wir bekamen einen guten Tipp mit dem Hinweis, das Konzert sei zwar für 21.00 Uhr angesetzt, aber wir sollten uns nicht wundern, wenn es erst gegen 23.00 Uhr oder gar noch später anfinge. Das sei normal. Wunderten wir uns? Nein, wir hatten schließlich Böll gelesen!

Auch das Kapitel “Redensarten“ fand ich sehr treffend: “Passiert einem in Deutschland etwas, so sagen wir: Schlimmer hätte es nicht kommen können. Immer ist das was passiert, gleich das Schlimmste, bei den Iren ist es fast umgekehrt. Sie sagen: It could bei worse - es könnte schlimmer sein. Was passiert ist nie das Schlimmste, sondern das Schlimmste ist nie passiert. Brennt der Hof ab, die Hühner werden aber gerettet, so hätten ja auch die Hühner noch verbrennen können. Die Zwillingsschwester von Es könnte schlimmer sein, ist die Redensart, ebenso häufig gebraucht: I shouldn’t worry- ich würde mir keine Sorgen machen, und das bei einem Volk, das allen Grund hätte, weder bei Tag noch bei Nacht auch nur eine Minute ohne Sorge zu sein.”

Bezieht Böll die Sorgen noch auf die Auswirkungen der große Hungersnot und ihrer Dezimierung der Bevölkerung, sind es heute beispielsweise die sichtbaren Hinweise auf das Platzen der Immobilienblase oder die strukturschwachen Landstriche, die aufgrund der Finanzkrise nicht mehr gefördert werden können, die man nennen könnte. Aber auch hier siegt der unerschütterliche Optimismus und im Gespräch mit Einheimischen wird der Status quo zwar thematisiert aber nie beklagt. Es ist, wie es ist. Don’t worry - kein Grund zur Sorge.

“Das irische Tagebuch” kann ich jedem Irlandfahrer als Reiselektüre empfehlen. Es ist ein Begleiter der besonderen Art, in dem es weniger um Orte und Sehenswürdigkeiten, als um Stimmungen geht, die man immer noch findet wenn man Irland Herz und Augen öffnet.

Bewertung vom 05.09.2013
Frei und inspiriert
Blubacher, Thomas

Frei und inspiriert


sehr gut

Der Welt entrückt

Was für eine schöne Idee zur Ferienzeit, ein Buch herauszubringen, dass Reiseziele der Welt in ihren historischen Rahmen setzt. Beginnend mit Ascona, dem "Weltdorf und Eldorado für Glückssucher" führt die literarische Reise zum „Künstlerparadies„ Bali, zum Ostseebad Hiddensee, den mondänen Wintersportort St. Moritz, an den Attersee und auf die „Sonneninsel“ Capri. Faktenreich und interessant schildert Blubacher wie sich der Tourismus in den genannten Reisezielen entwickelt hat und was die Besonderheiten der Destinationen ausmacht. Das Augenmerk richtet sich dabei jedoch ausschließlich auf prominente Besucher und deren Bezug zu ihren Traumzielen, wie es der Titel "Frei und inspiriert - Sehnsuchtsorte der Dichter, Denker, Künstler und Aussteiger" nahelegt.

Als ich im vergangenen Jahr auf Rügen war, hatte ich "Elisabeth auf Rügen" von Elisabeth von Arnim im Gepäck. Eigene Erlebnisse der Autorin während ihrer Sommeraufenthalte auf der Ostseeinsel zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts sind hier auf unterhaltsame Art in einen Roman verwoben. Die spannende Frage welche wahren Erlebnisse dem Roman zugrunde lagen, habe ich seinerzeit durch die Lektüre einer Biografie der Autorin beantworten können. Diese "Neugier" bedient nun, sozusagen andersherum, das Werk von Thomas Blubacher. Hier finden sich zu jedem Reiseziel eine Fülle von Beispielen wie Künstler, Dichter oder Schriftsteller diese in ihren Werken verarbeitet haben. Wer Interesse hat, kann nachlesen.

So erfährt man zum Beispiel, dass Erich Kästner 1956 während seines Aufenthaltes in St. Moritz vorhatte einige Kapitel für sein Buch „Als ich ein kleiner Junge war“ zu schreiben. In einem Brief von damals wird er zitiert:“ Vor ein paar Tagen wurde ich mit dem 1. Kapitel fertig und las es noch am gleichen Nachmittag zu einer Weihnachtsfeier etwa fünfhundert Kindern vor.“ Oder das der Dramatiker Gerhard Hauptmann sein Prosawerk „Die Insel der großen Mutter“ wie er selber 1916 zugab „wohl nie geschrieben hätte“, wenn „ich nicht jahrelang auf Hiddensee die vielen schönen, oft ganz nackten Frauenkörper gesehen und das Treiben dort beobachtet hätte“.

Mein besonderes Interesse galt der Insel Hiddensee, die im oben erwähnten Roman „Elisabeth auf Rügen“ ebenfalls eine Rolle spielt. Leider fand Elisabeth von Arnim in diesem Kapitel keine Erwähnung, obwohl auch sie einst zu den prominenten Gästen der Insel gezählt hat. Davon abgesehen ist „Frei und inspiriert“ ein abwechslungsreiches und unterhaltsam lehrreiches Lesevergnügen. Interessante Fakten, zeitgenössische Zitate und viele Originaldokumente und Fotografien (u.a. die Rückenansicht eines nackten Hermann Hesse vor alpiner Kulisse) bieten einen wahren Fundus für geschichtsinteressierte und dem Boulevard nicht abgeneigte Leser.

„Dieses Buch will dazu einladen, sich auf die Spuren jener Künstler und Denker zu begeben und dem nachzuspüren, was sie vor Jahrzehnten fasziniert und inspiriert hat - aber auch dazu, selbst Atem zu schöpfen, sich freier zu fühlen und vielleicht den persönlichen Glücksort zu finden“ schreibt der Autor in seinem Vorwort. Die Absicht der Spurensuche ist gelungen. Das edle Ziel dem Leser zu helfen sich freier zu fühlen hingegen blieb, für mich, unerfüllt. Dazu ist das Buch zu sachlich, faktenorientiert und textlastig. „Atem schöpfen und sich frei fühlen“ kann man vielleicht beim dem einen oder anderen Werk das Blubacher zitiert, nicht aber bei seinem dichten Kompendium.

Bewertung vom 09.08.2013
Die Sturmhöhe
Brontë, Emily

Die Sturmhöhe


ausgezeichnet

“Heathcliff aus Sturmhöhe ist der bei weitem faszinierendste Bösewicht, der mir in der Literatur je begegnet ist”, schreibt Muriel Sparks in ihrem Buch über die Schwestern Brontë. Erst ihre Worte haben mich mit diesem Werk der Weltliteratur wieder versöhnt. Das erste Mal habe ich “Wuthering Heights” als zwanzigjährige gelesen. Inspiriert durch Kate Bush, die in ihrem gleichnamigen Welthit in fast hypnotischer Weise immer und immer wieder “Heathcliff. It’s me, Cathy, coming home. Let me in your window” singt. Das Werk von Emily Brontë hat mich damals fasziniert. Die Brontë Schwestern öffneten mir die Tür. Ich wurde in der englischen Literatur des 18. Und 19. Jahrhunderts heimisch.

Kürzlich sah ich mir eine Verfilmung aus dem Jahr 2011 von Andrea Arnold an. Ich fand die Umsetzung des von mir so geschätzten Romanstoffs nicht gut. Bevor ich mir jedoch ein endgültiges Urteil erlauben wollte, hielt ich es für ratsam nach zwanzig Jahren doch noch einmal einen Blick in den Roman zu werfen. Ich las “Sturmhöhe” erneut und war nun erstaunt, wie treffend der Film geraten und wie falsch mein Urteil war. Das Buch erschien mir nun so wenig gut wie der Film. Erst als ich mich, ebenfalls erneut, durch die Biographien der Brontë Schwestern von Elsemarie Maletzke und Muriel Sparks gearbeitet hatte, schloss ich wieder Frieden mit Emily Brontes leidenschaftlichem Werk. Man kann “Sturmhöhe” lesen aber ohne das Wissen um Leben und Wesen seiner Autorin, kann man es nicht verstehen.

Heathcliff kommt als Findelkind in die Familie Earnshaw. Der Vater zwingt Frau und Kinder “es als eine Gottesgabe hinzunehmen, wenn es auch fast so schwarz ist, als käme es vom Teufel”. Während Catherine und ihr “Stiefbruder” in kurzer Zeit eine leidenschaftliche Zuneigung zueinander fassen, verfolgt Hindley ihn von Anfang an mit Hass und Gewalt. Als der Vater stirbt, nehmen die Übergriffe zu und Heathcliff wird von Hindley zum rechtlosen Knecht degradiert. Cathy rettet sich vor einer unstandesgemäßen Verbindung in die Ehe mit Edgar Linton, einem vornehmen Gentleman aus der Nachbarschaft, obwohl sie diesen nicht liebt. Heathcliff verschwindet spurlos. Nach einigen Jahren kehrt er als reicher Mann zurück um Rache und Vergeltung für die erlittenen Demütigungen zu üben.

So wenig der Begriff Thriller zu diesem Buch passt, so schauderhaft sind dennoch einige Szenen. Zu Anfang, wenn der Berichterstatter Lokwood im einstigen Zimmer Cathys in der Nacht von der geisterhaften Hand am Fenster gepackt wird, während draußen der Sturmwind durchs Moor fegt. In der Nacht in der die Schwester Edgars mit Heathcliff flieht und die andere Ich-Erzählerin Nelli Dean den Hund Isabellas erdrosselt am Zaun findet, während erneut eine gespenstische Nacht über dem Moor heraufzieht. Die Brontes lebten nicht umsonst in dieser “sturmzersausten Welt” und besonders Emily liebte ihre Heimat. Die wilde Natur, ungezähmt und ungebändigt, prägt die Seiten wie sie vormals das Leben dieser einsamen Seele geprägt haben muss.

“Sturmhöhe” ist ein wildes Buch. So rauh die Handlung, so derb und zahlreich die Flüche und so gewaltig die Sprache. Cathy wütet in hysterischer Wut über ihr Schicksal, gefangen zwischen zwei Männern: “Du und Edgar, ihr habt mir das Herz gebrochen. Ihr habt mich getötet, ihr habt es erreicht. Ich werde euch nicht bemitleiden.“ Wohl aber sich selbst. Kurz nach diesem Ausruf, steigert sich Cathy in einen Wahn, der ihr Kind zu früh in und sie selbst zu früh aus der Welt bringt. Heathcliff, das personifizierte Böse, trauert nicht weniger wahnsinnig: “Cahterine Earnshaw, mögest du keine Ruhe finden, solange ich am Leben bin. Treibe mich zum Wahnsinn, nur lass mich nicht in diesem Abgrund, wo ich dich nicht finden kann.”.

Dieses Buch liest man nicht einfach so. Man gerät, um die Worte Heathcliffs zu verwenden, in einen Abgrund. Man kann “Sturmhöhe” und seine Abgründe lieben oder hassen, dazwischen gibt es nichts. Ich habe ihn gerade wieder lieben gelernt.

Bewertung vom 01.08.2013
Geheimes Verlangen / Shades of Grey Trilogie Bd.1
James, E L

Geheimes Verlangen / Shades of Grey Trilogie Bd.1


sehr gut

“Die Bestsellerreihe Fifty Shades of Grey” hat offenbar nicht nur das Sexleben vieler Leser belebt, sondern auch den Alltag der Londoner Feuerwehr. Seit Erscheinen der Sado-Maso-Trilogie seien die Einsatzkräfte vermehrt zu Menschen gerufen worden, die sich nicht aus ihren im Sexspiel angelegten Handfesseln befreien konnten. In den vergangenen drei Jahren mussten 79 Menschen aus einer solchen Situation gerettet werden”. Diese Meldung überraschte mich in der Süddeutschen Zeitung vom 30.Juli, als ich den ersten Band der Reihe gerade gelesen hatte. Ich musste schmunzeln, weil Christian, die männliche Hauptfigur, niemals so dilettantisch fesseln würde, dass eine Rettung von außerhalb notwendig wäre.

Anastasia Steele interviewt für die Studentenzeitung Christian Grey, den überaus attraktiven Vorstand eines weltweit operierenden Unternehmens, der nur wenig älter ist als die einundzwanzigjährige. Schon bei der ersten Begegnung knistert es zwischen den beiden. Wenige Minuten bringen die unerfahrene und schüchterne junge Frau völlig durcheinander. Aber auch der reiche und mächtige Christian scheint ein ganz eigenes Gefallen an der hübschen Reporterin zu finden. Es sind jedoch dunkle Neigungen, die ihn zu Anastasia hinziehen. Er macht ihr ein ebenso unmoralisches wie verstörendes Angebot.

Der Begriff Sadismus beschreibt Menschen, die Lust oder Befriedigung nur dadurch gewinnen, dass sie andere Menschen quälen, unterdrücken oder ihnen Schmerz zufügen. Das Gegenteil davon, Masochismus, beschreibt den Lustgewinn durch das Erleiden von Schmerz und Qual. Beides zusammen findet sich im Begriff BDSM der sexuelle Verhaltensweisen wie Dominanz, Unterwerfung, Lustschmerz oder Fesselungsspiele bündelt und das wiedergibt, was Christian von Anastasia will: Sie soll seine Lustsklavin werden.

Die ersten Hundert Seiten des Romans stecken den sachlichen Rahmen der Beziehung der beiden Protagonisten ab und “wimmeln” daher von “Fachausdrücken” die der unkundige Laie ebenso wenig kennt wie die unerfahrene Anastasia. Sie googelt, nachdem ihr Christian ein Vertragswerk vorgelegt hat, das ihre sexuelle Beziehung mit Rechten und Pflichten dokumentiert. Das liest sich keineswegs langweilig, was zum einen am flüssigen Schreibstil der Autorin liegt und zum andern natürlich am pikanten Inhalt.

Zur Sache geht es ab der Stelle, an der Christian Anastasia fragt, ob Sie seinen “Hard Limits” noch etwas hinzufügen möchte (dieser Begriff wird im Buch erläutert). “Ich habe noch nie mit jemandem geschlafen, also weiß ich es nicht”, gestehe ich kleinlaut. Als ich den Blick hebe, sehe ich, dass er leichenblass ist und mich mit offenem Mund anstarrt.” Obwohl ihm die Kinnlade hinuntergefallen ist, hat sich Christian sofort wieder soweit unter Kontrolle, dass er die “Situation bereinigt”, indem er (ausnahmsweise) mit Anastasia “Blümchensex” hat. Ein Begriff, den ich davor auch erst einmal gehört hatte und zwar im Film “Rubbeldikatz” von Detlef Buck.

Auf den folgenden 500 Seiten werden dann diverse Sexszenen (intensiv aber nicht wirklich grausam) vom Versuch Anastasias unterbrochen mit dem bindungsunfähigen Christian eine “normale” Beziehung zu führen. Sie will mehr von ihm und er ist bereit es ihr zuliebe zu versuchen. Der Wechsel zwischen “hartem Sex” und purer Romantik ist wahrscheinlich das Geheimnis des Erfolges. Es wird bald klar, dass der adoptierte Christian ein dunkles Geheimnis hütet, dass mit seiner frühesten Kindheit zusammenhängt. Gelüftet wird es hier natürlich nicht, was man sich denken kann, wenn die Reihe aus drei Bänden besteht. Der erste Band ist in jedem Fall ein Schmöker und zwar nicht wegen der vielen Sexszenen (die manchmal in ihrer Häufigkeit sogar eher nerven). Anastasia und Christian sind interessant und intelligent, ebenso ist die Handlung konstruiert. Ich werde auf jeden Fall Band zwei und drei noch lesen.

15 von 22 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 26.07.2013
Tierische Profite / Commissario Brunetti Bd.21
Leon, Donna

Tierische Profite / Commissario Brunetti Bd.21


sehr gut

Während und nach der Lektüre von Donna Leons “Tierischen Profiten” wird so mancher Leser wohl auf den Genuss von Fleisch und Fleischprodukten verzichten. Die blutigen Stellen im Krimi stammen diesmal nicht von menschlichen Opfern grauenvoller Gewaltverbrechen. Brunetti durchwatet sie mit Gummischuhen an der Seite seines getreuen Vianello im Schlachthof von Mestre. Der Mord an einem Veterinärmediziner führt sie dorthin. Was aber hat den für seine Tierliebe bekannten Mediziner dorthin verschlagen, in diese Hölle für Vierbeiner?

Die Lektüre eines Falles mit Commissario Brunetti wirkt immer beruhigend. Sei der Inhalt auch noch so abscheulich. Woran liegt das? Vielleicht daran, dass Donna Leon mit dem sensiblen Venezianer eine Figur geschaffen hat, die an das Beste im Menschen appelliert und dabei keine allzu menschlichen Züge vermissen lässt, vor allem im Hinblick auf lukullische Genüsse. “Fast ein Heiliger” um es mit den Worten bzw. einem Buchtitel der Pulitzer Preisträgerin Anne Tyler zu sagen.

Der 21. Band beginnt unspektakulär. Ein Toter wird aus dem Kanal gefischt und mehr als sein gewaltsames Ableben sorgt sein Aussehen bei Brunetti für Irritationen. Bis ihn der Pathologe darüber aufklärt, das das Opfer lunter dem sogenannten Madelung Syndrom litt. Einer seltenen (chronisch unheilbaren) Krankheit, bei der sich Fett an bestimmten Körperstellen sammelt. Der Hals des Toten war bereits so breit wie sein Kopf. Trotz dieses außergewöhnlichen Merkmals ist es zunächst nicht möglich ihn zu identifizieren. So beginnt der typische Donna Leon Flair.

Brunetti spaziert sinnierend durch seine Heimatstadt. Trinkt Kaffee, isst Antipasti und genießt Weißwein oder Prosecco. Lässt sich mittags und abends wahlweise mit Drei-Gänge-Menüs seiner Frau Paola oder ausgewählter Lokalitäten verwöhnen. Zwischen diesen Wellness Oasen für Gaumen und Seele löst er seine Fälle. Die Ruhe, die er dabei (fast) immer behält, überträgt sich irgendwann auf den Leser. Seine philosophischen Gedankengänge, immer untermalt mit den literarischen Auszügen seiner Lieblingswerke (diesmal Aurel und Aischylos) tragen zudem dazu bei, sich in dem wohligen Gedanken zu gefallen, dass man trotz leichter Lektüre etwas für seinen Intellekt tut. Und nicht nur savoir vivre für den nächsten Italien Urlaub übt.

Boshaft ließe sich sagen: Kennt man einen, kennt man alle. Aber gerade das ist wohl das Rezept des Erfolges. Die immer gleiche Routine, alterniert nur durch wechselnde Verbrechen. Es macht nichts, wenn man die Reihenfolge der Bände nicht einhält. Donna Leon bleibt sich und ihrem Brunetti treu. Wer sich also mit den oben genannten Grundzutaten anfreunden kann, dem sei nur gesagt, was es in diesem Band abseits des Verbrechens zu lesen und zu überdenken gibt: Neben dem Geheimnis im Schlachthof u.a. die Überproduktion von Milch, Butter und Käse, fehlgeleitete EU-Subventionen, den üblichen Sumpf in italienischen Behörden, eine Intrige an Paolas Universität, die Arbeitslosigkeit unter italienischen Jungakademikern und den Ausverkauf Venedigs durch den Tourismus. Klingt etwas überladen? Ist es aber keineswegs! Ein Vergleich mit einer guten italienischen Pastasauce drängt sich auf. Je mehr Sahne, desto besser. Vielleicht dauert es manchmal etwas länger bis man sie verdaut hat, aber gut ist sie trotzdem.

10 von 13 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 23.07.2013
Mister Morgan und die Puppenspielerin
Tyler, Anne

Mister Morgan und die Puppenspielerin


gut

Als ich gerade “Mr. Morgan und die Puppenspielerin” las, entdeckte ich in der Süddeutschen Zeitung eine kleine Notiz, nach der sich der Schauspieler Hugh Jackmann manchmal verkleidet um seine Frau glücklich zu machen. Morgan, der Held aus Anne Tylers Roman, verkleidet sich ebenfalls. Aber nicht weil er “wieder auf etwas Action im Schlafzimmer aus ist” wie der Hollywood Star. Für Morgan “waren alle Kleidungsstücke Kostüme. Er öffnete den Wandschrank, knipste das Licht an und überlegte wer er an diesem Tag sein wollte.”

An einem frostigen Ostersonntag lernt Morgan das Ehepaar Meredith unter ungewöhnlichen Umständen kennen. Er besucht eine Puppentheatervorstellung der beiden, als bei Emily die Wehen einsetzen und ihr Mann Leon unter den Zuschauern einen Arzt sucht. Morgan, der an diesem Tag zwar nicht im richtigen “Kostüm” für diesen Beruf steckt (aber bei einem Notfall glaubt man vielleicht auch einem Mann mit Skimütze und dreckigen Fingernägeln dass er Mediziner ist) meldet sich und leistet (erfolgreich) Geburtshilfe. In den Folgejahren beobachtet der Vater von sieben Töchtern heimlich die Entwicklung der kleinen Familie, bis Emily ihn eines Tages auf offener Straße darauf anspricht. In der Folge entwickelt sich zwischen den beiden eine Freundschaft, die bald auch die Familien einschließt. Als aus dieser Freundschaft im Lauf der Jahre Liebe wird gerät das Gefüge der kleinen, scheinbar heilen, Welt von Emily und Morgan gehörig durcheinander.

Wieder einmal skizziert Anne Tyler das, wofür Sie berühmt geworden ist: Familien, deren Mitglieder und ihre Besonderheiten. Morgan sehnt sich nach Ruhe und Einfachheit. In seinem Zuhause tummeln sich neben der mütterlichen Ehefrau Bonnie, sieben Töchter, seine Mutter Louisa und die Schwester Brindle, die einen Ehemann begraben und den zweiten verlassen hat und nun die Tage ihres Lebens seufzend im Bademantel verbringt. Im Gegensatz dazu steht das karge Leben der Merediths, die eher zufällig zu Puppenspielern geworden sind und in einer nüchternen drei Zimmer Wohnung fast ohne Möbel und sonstigen Besitz leben.

Anders als in ihrem Pulitzer Preis prämierten Werk “Atemübungen” indem sie das ganze Leben des Ehepaares Maggie und Ira Moran während der Dauer von nur 24 Stunden Revue passieren lässt, umspannt die Handlung hier eine Zeit von zwölf Jahren. Zu Beginn hat mich daher besonders interessiert, wie sich die Figuren in diesem Zeitraum entwickeln würden.

Die skurrilen Fluchten Morgans, der sich durch Verkleidungen und Lügen aller Art durchs Leben spinnt, dabei aber immer liebenswürdig und sich selbst treu bleibt, sollten (so hoffte ich) doch zu irgendetwas oder irgendwohin führen. Die schüchterne Emily, die in ihrer ruhigen Sachlichkeit emotionslos wirkt und doch zu so viel selbstloser Liebe fähig ist, sollten ihr ( so dachte ich) doch etwas mehr einbringen als nur Armut und Entbehrung. Aber es ist einzig Bonnie, die verlassene Ehefrau, die sich wandelt. Von einer fürsorglichen Gattin zur Rachegöttin. Am Ende lässt sie ihren untreuen Mann per Zeitungsannonce sterben. Einen Schritt den man durchaus nachvollziehen kann. Mir ging der kauzige Morgan mit seiner farblosen Emily zu der Zeit auch schon sehr auf die Nerven.

Anne Tyler ist eine Autorin deren Werke ich gerne und mit Vergnügen lese. Intelligent und humorvoll beschreibt Sie das Leben in und mit Familien. Gerade die leisen Töne, die Kleinigkeiten im alltäglichen liegen ihr besonders. Eine Art sich in Details zu verlieren, die man heute in Büchern nur noch selten findet. Anne Tyler nimmt sich Zeit Situationen auszumalen. “Mr. Morgan und die Puppenspielerin” das 1980 zum ersten Mal erschien, hat viel von diesen Alltäglichkeiten. Als Kind der 1970er Jahre war es für mich fast schmerzlich schön, die Dekade von 1967 bis 1979 im Buch wiederzufinden. Dennoch hat mir der Roman nicht so gut gefallen, wie die anderen Werke der Autorin die ich bisher gelesen habe.

Bewertung vom 17.07.2013
Ins Gras gebissen / Pippa Bolle Bd.4
Auerbach & Keller

Ins Gras gebissen / Pippa Bolle Bd.4


ausgezeichnet

Harry Bornwasser, seines Zeichens Gerichtsvollzieher der schon zu Lebzeiten in dem Ruf stand, den Hals nicht voll zu kriegen, liegt tot unter einem tropfenden Bierfass. Tragisches Unglück oder Mord: »Der Mann hat sich unter das Fass gelegt, um das Bier zu probieren, das er beschlagnahmen wollte. Leider überschätzte er sein Fassungsvermögen. Betrunken, wie er war, wollte er wieder hochkommen, stieß mit der Stirn gegen den eisernen Zapfhahn, prallte zurück und fiel mit dem Kopf auf den Steinfußboden. Bewusstlos lag er da, wie ein Käfer auf dem Rücken. Das Bier ist immer weiter in seinen offenen Mund gelaufen, und so ist er schlicht ertrunken.« Der junge Kommissar Hartung scheint die Lösung des Falles schon gefunden zu haben, als ihn die Patriarchin des Ortes aufklärt: »Unsinn, junger Mann. Was hier passiert ist, nennt sich Water … Beerboarding – in diesem Falle selbstverschuldet.« Aber ganz so einfach ist die Sachlage nicht. Denn im idyllischen Storchwinkel wird nicht gefoltert, sondern getötet und der gierige Gerichtsvollzieher bleibt nicht das einzige Opfer.

Die Serie um Pippa Bolle lässt sich mit den Fernsehkrimis von Pfarrer Braun vergleichen. Mord in immer neuen Gegenden. Reiseführer, Urlaubsplaner und spannende Unterhaltung in einem. Die bisherigen Fälle führten die sympathische Mittvierzigerin aus ihrer Heimatstadt Berlin schon auf die fiktive Insel Schreberwerder, nach Stratford-on-Avon und in ein Anglerparadies nach Toulouse. Diesmal verschlägt es die Übersetzerin in ein malerisches Dorf. "Storchwinkel ist ein Rundlingsdorf mitten in der Altmark.« Karin geriet ins Schwärmen. »Die Landschaft ist Erholung für die Seele: Caspar-David-Friedrich-Himmel über weiten Feldern, blitzblanke Dörfer und uralte Feldsteinkirchen.« Pippa wird für zwei Wochen als Gesellschafterin der fast hundertjährigen Christabel Gerstenknecht engagiert, die in Personalunion die örtliche Gartenzwergfabrik besitzt und leitet und als Bürgermeisterin über die Geschicke des idyllischen Storchenparadieses wacht. Kaum ist Pippa angekommen, geschieht ein zweiter Mord. Und ehe sie es sich versieht, ist sie wieder einmal mitten im Ermitteln.

In "Pippa Bolle" Krimis schwelgt man. Immer spielt die Handlung inmitten einer herrlichen und geschichtsträchtigen Landschaft, immer wird gut und typisch gegessen, immer wird viel und gerne gelesen und über das gelesene intelligent resümiert. Atmosphärische Landschafts-beschreibungen, interessante Figuren, fesselnde Dialoge und eine abwechslungsreiche Handlung lassen einen die Lektüre nur ungern unterbrechen.

Das Autorenduo Auerbach und Keller zeichnet sich für mich aber auch besonders durch die Güte der Ideen aus. Gemordet wird raffiniert aber unblutig. Was liegt näher, als in einem Roman in dem die Produktion von Gartenzwergen eine Rolle spielt, jemanden in Gips zu verewigen? Oder in der Heimat der Baumkuchen, diese nicht nur auf fast jeder Seite genüsslich zu verzehren, sondern auch die spezielle Backvorrichtung der Leckederei als Mordinstrument zu instrumentalisieren? Die Geschichte kombiniert zudem anheimelnden Lokalkolorit mit echten Problemen. Im Gebiet der ehemaligen DDR in dem der Roman spielt sind Altlasten aufzuarbeiten (Zwangsadoptionen von Kindern) und Zukunftsentscheidungen zu treffen (Familienfreundlichkeit und Naturbelassenheit oder boomendes Wirtschaftszentrum).

Am Ende wird alles gut. Mit gesundem Menschenverstand, Menschlichkeit und Pippa Bolle lassen sich eben nicht nur Kriminalfälle sondern auch (fast) alle anderen Fälle lösen.