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Top-Rezensenten Übersicht

Benutzername: 
Julia
Wohnort: 
Münster
Über mich: 
Lehrerin für Geschichte und Ev. Reli in Elternzeit

Bewertungen

Insgesamt 8 Bewertungen
Bewertung vom 12.09.2009
Varus
Kammerer, Iris

Varus


ausgezeichnet

Ein Freund, der meinen Lesegeschmack gut kennt, drückte mir diesen Roman in die Hand, den er im Museumsshop von Kalkriese auf Empfehlung gekauft hatte. Ich war eigentlich entschlossen, nach zwei Enttäuschungen keinen Jubiläumsroman mehr zu lesen und erwartete nicht mehr als eine blutige Abenteuergeschichte. Die Empfehlung führte ich darauf zurück, dass es hier um Kalkriese als Schlachtort ging.
Weit gefehlt! "Varus" holt die Opfer der Schlacht aus dem Dunkel der Geschichte ans Licht, Offiziere, Gefreite, Soldaten, Zivilisten (auch Frauen) und gibt ihnen Gesicht und Stimme. Der Zeitraum der Handlung beschränkt sich auf weniger als zwei Monate, kurz vor, während und nach der Schlacht im Teutoburger Wald. Es werden weder kaiserlichen Palastintrigen noch Verschwörungstheorien noch erfundene Geheimnisse bemüht, sondern geschildert, wie die Verlierer diese Schlacht erlebten, an deren Verlauf kein Zweifel gelassen wird.
Iris Kammerer ist offenbar die einzige Autorin, die sich die Mühe gemacht hat, den nationalen Mythos um Hermann den Cherusker von Pathos und Hinzudichtungen zu befreien und auf den Kern der ursprünglichen Überlieferung zu beschränken. Es ist ein Roman über die Folgen von ungezügeltem Ehrgeiz, Meuterei und Verrat und über Tapferkeit, Treue und Mitmenschlichkeit, die auch damals schon Werte waren. Obwohl es um ein Ereignis geht, dass 2000 Jahre zurückliegt, ist die Botschaft des Romans von erschreckender Aktualität. Was Beigbeder in "Windows on the world" durch seinen Defätismus und seine Lust am Skandal vergibt, gelingt Kammerer mit leichter Hand durch das Teleobjektiv einer historischen Erzählung: den Schrecken schonungslos zu dokumentieren und ebenso die einzig wirksame Waffe gegen ihn aufzuzeigen, die Tatsache, dass in jedem Menschen sowohl das Böse als auch das Gute angelegt ist.
Die gute Presse, die ich nach der Lektüre aufspürte, ist wirklich verdient: Ein tatsächlich hervorragend recherchierter historischer Roman, mitreißend und bewegend, bei dessen Lektüre mir immer wieder der Atem stockte.

5 von 5 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 06.09.2009
Wer bin ich - und wenn ja wie viele?
Precht, Richard David

Wer bin ich - und wenn ja wie viele?


weniger gut

Richard David Prechts philosophische Reise beginnt mit einer ausführlichen Analyse des Verhältnisses von Philosophie, Psychologie und HIrnforschung. Der Autor hat die Verdrängung der Philosophie durch die Psychologie und die inzwischen drohende Verdrängung beider durch die Hirnforschung sehr gut aufgezeigt. Auch zeigt er sehr genau die Probleme auf, z.B. dass die Ergebnisse der Hirnforschung von ihren vollmundigsten Vertretern eher diskreditiert werden, weil sie einen grundlegenden Fehler begehen: Spätestens in der Hirnforschung fallen Subjekt und Objekt der Forschung, also Forscher und Forschungsgegenstand, schlicht zusammen, und dieses Problem ist mit den Mitteln dieser Wissenschaft nicht lösbar.

Leider folgt auf die brillante Analyse eine wesentlich umfangreichere Abfolge weitschweifiger Abhandlungen zu ethischen Fragen, die sehr beliebig gehalten sind. Damit bleiben seine Folgerungen aber nichts als beliebige Meinungen zum jeweiligen Thema. Angesichts des großen Wurfs, den er mit den ersten hundert Seiten seines Buches startet, ist der zweite Teil extrem enttäuschend, denn er regt nicht dazu an, sich mit Philosophie auseinander zu setzen, sondern nur mit der eher sehr unsystematischen privaten Ethik des Herrn Richard David Precht.

Am Ende erweist sich die philosophische Reise leider nur als Sonntagsausflug mit belanglosem Biergartengeplauder.

20 von 23 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 17.08.2009
Die Frau des Germanen
Pauly, Gisa

Die Frau des Germanen


weniger gut

Gisa Paulys erster historischer Roman greift gleich ein großes deutsches Thema auf und versucht, den Lebensweg der Frau des Arminius zu schildern. Zugrunde gelegt hat sie mehr noch als die Quellen, die ja außer ein paar Notizen nicht viel hergeben, die Legenden, die seit der frühen Neuzeit um dieses berühmte Paar gesponnen wurden. Außerdem flicht sie noch einen Strang ein, in dem eine erfundene Nichte des Augustus sich ausgerechnet in Arminius verliebt, die, weil er sie verschmäht, ihn dann mit ihrem Hass verfolgt.
Die Autorin hat sich wirklich Mühe gegeben mit der Umsetzung ihrer Recherche, aber am Ende blieb für mich kaum mehr als eine moderne und ziemlich triviale Variante von Händels Arminio oder Kleists Herrmannsschlacht in Gestalt eines reichlich modern anmutenden Frauen- und Liebesromans. Man findet hier alle Versatzstücke aus den bekannten Romanen, die zur Römerzeit spielen, Gut und Böse sind sauber verteilt und die bekannte Geschichte wird konventionell und ohne Überraschungen erzählt. Man wird ganz nett unterhalten (die Autorin schreibt ansonsten unterhaltsame Krimis und Frauenromane), aber das wars dann auch.
Gelegentlich hatte ich das Gefühl, dass sich Handlungsstränge einschleichen, die weniger der Recherche, sondern der Lektüre anderer historischer Romane, die im Umfeld des Augustus spielen, entstammen. Anscheinend bekommt etwas, das oft genug behauptet wird, irgendwann den Anschein von historischer Realität.
Das ist der zweite Roman zu diesem Thema, den ich lese, und wieder wurde ich enttäuscht, anstelle einer authentischen Geschichte dieser Frau die alte Legende aufgetischt zu bekommen und das Gefühl zu haben, dass historische Roman zu aktuellen Jubiläen oberflächlich recherchiert und mit der heißen Nadel gestrickt werden.

1 von 3 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 07.08.2009
Die Varusschlacht
Märtin, Ralf-Peter

Die Varusschlacht


sehr gut

Ralf-Peter Märtin hat sicherlich das erfolgreichste Sachbuch zur Varusschlacht geschrieben, das muss man ihm lassen. Mit journalistischer Frische und einer guten Prise Humor, sehr viel Sachkenntnis und einem profundem Selbstbewusstsein breitet er das Thema vor seinen Lesern aus. Dass er sein Augenmerk auch auf die innenpolitischen Aspekte der Germanenfeldzüge richtet, macht den besonderen Reiz dieses Buches aus. Man muss ihm auch zugute halten, dass er den Schrecken des Guerillakrieges, in den Varus' Truppen gelockt wurden, zu zeigen weiß.
Allerdings ist sich Märtin meiner Meinung nach oftmals viel zu sicher, stellt ein wenig nassforsche Behauptungen in den Raum, wo die Forschung noch zögert, weil es einfach an eindeutigen Nachweisen fehlt. Das erweckt ein bisschen den Eindruck, als sei er sich ausgerechnet da, wo er nicht rechts und nicht links schaut, eigentlich schlingert. Auch die Auswahl und Erläuterung der Illustrationen scheint mit einer etwas heißen Nadel gestrickt. Deshalb leider einen Stern Abzug für dieses ansonsten überaus empfehlenswerte Buch, das man auch älteren Schülern bedenkenlos schenken kann (die Anmerkungen sind so geschickt angelegt, dass sie nicht stören).

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 07.08.2009
Die Germanin
Gordian, Robert

Die Germanin


weniger gut

Als Antikefan hab ich mich gefreut, dass in diesem Jahr ein paar historische Romane aus der Römerzeit erschienen sind. Eigentlich erstaunlich, das es so wenig sind. Gordians "Germanin" ist einer davon, und weil historische Romane heutzutage wohl über Frauen sein müssen, schreibt er über Thusnelda die Frau des Arminius oder auch Hermann.
Die "Germanin" leidet darunter, dass 251 Seiten einfach viel zu kurz sind, um die Geschichte wirklich zu erzählen. Die Figuren sind ziemlich grob skizziert, gut und böse eigentlich sauber verteilt, und die Schlacht selbst wird eigentlich einfach bloß erwähnt. Thusnelda war ja nicht dabei, außerdem bleibt Arminius so der edle Freiheitskämpfer, der tun muss, was er tut.
Die Thusnelda-Geschichte ist so wie sie jeder kennt, aber das ist eine Erfindung von deutschen Patrioten wie Grabbe und Kleist. Dabei hätte ich mir wirklich gewünscht, jemand würde mal aus diesem Schema ausbrechen.
Wirklich schlecht ist das Buch nicht, deshalb 2 Sterne.

0 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 07.08.2009
Die Kathedrale des Meeres
Falcones, Ildefonso

Die Kathedrale des Meeres


weniger gut

Der Roman, so süffig er geschrieben ist, hat mich enttäuscht! Was hier im historischen Gewand daherkommt, ist kaum mehr als bunte Kulisse, die jedes erdenkliche Klischee und Vorurteil bedient. Das beginnt mit dem angeblichen Herrenrecht, das zwar in der Geschichtsforschung in dieser Form längst vom Tisch ist, aber landauf landab noch immer für Tatsache gehalten wird. Setzt sich darin fort, dass geschichtliche Verhältnisse des 15. Jh. einfach um gute 150 Jahre vorverlegt und gleich noch ein bisschen verschlimmert werden, als entwickele sich alles immer vom Schlechteren zum Besseren (wie erklärt man sich dann eigentlich die Shoa?). Der Autor beruft sich zwar auf ein altes katalanisches Gesetzbuch (Usatges), aber in dem steht nichts von dem, was er behauptet. Was ich dreist finde, wenn man den Text leicht ergugeln kann!
Die Figuren sind stereotyp angelegt, die Handlung wiederholt sich episodisch: Arnaud kriegt Schwierigkeiten - Schwierigkeiten lösen sich - Arnaud kriegt Schwierigkeiten - Schwierigkeiten lösen sich - usw. Es gibt keine wirkliche Entwicklung, und die Dramatik entsteht ausschließlich aus diesen "unvorhergesehenen Wendungen", die Arnaud zustoßen.
Von einem Roman erwarte ich einfach mehr als die Zusammenstellung von Versatzstücken zu einer Seifenoper und von einem historischen Roman mehr als platte Klischees.
Schade deshalb, weil gerade historische Romane das Bild der Geschichte mehr prägen als kluge und fundierte Sachbücher wie zB von Jacques Le Goff, Regine Pernoud und Barbara Tuchmann.
Zwei Sterne gibt 's, weil in manchen Szenen aufblitzt, dass Falcones wenigstens solide erzählen kann.

12 von 20 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.