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Top-Rezensenten Übersicht

Benutzername: 
erdlink
Wohnort: 
Karlsruhe/Berlin

Bewertungen

Insgesamt 4 Bewertungen
Bewertung vom 05.04.2013
Das Wochenende
Schlink, Bernhard

Das Wochenende


ausgezeichnet

Ich muss dem ersten Rezensenten völlig widersprechen. Der Romanautor kann nichts für die Erwartungen eines Lesers, deshalb muss er sie auch nicht bedienen. Der Leser muss stattdessen umgekehrt sich auf den Roman und den Autor einlassen.
Nach meiner Ansicht geht es hier in keinster Weise um eine (schon gar nicht "objektive") historische Behandlung des Themas RAF / 70erJahre / Terrorismus etc. Es geht darum, was die Taten und die Ereignisse der Vergangenheit mit den damaligen Protagonisten gemacht haben, wer sich wie entwickelt hat und wer unter wem und unter welchen Taten zu leiden hatte und hat. Und wenn sich der Leser ein wenig mit dem Thema beschäftigt hätte (z.B. mit den Büchern und Zeitungsartikeln, die von den Kindern der RAF-Aktivisten geschrieben worden sind) dann würde er den "aus dem Hut gezauberten" Sohn des Protagonisten verstehen.
Das ist ja gerade der Fehler der 68er-Zeit und der deutschen Linken in den 70er Jahren gewesen: Alles auf die Politik zu reduzieren und jedes Individuum als Charaktermaske, als Teil einer zwei-Klassengesellschaft zu betrachten.
Bernhard Schlink entwirrt dieses Knäuel und lässt die Personen, ihre Verstrickungen und Irrtümer sichtbar werden. Und ja, die Welt ist 1) so kompliziert und hat sich 2) so sehr weitergedreht und zerfällt 3) in so viele unterschiedliche Beweggründe und Interessen, dass es keine endgültige Wahrheit und keine vollständige Verarbeitung der alten Geschichten gibt.
Aber wie auch? Was kann jemand tun, der so viel Schuld auf sich geladen hat? Er kann die Toten nicht wieder auferwecken. Und das gilt auch für die kleinere Schuld, für jedes Verhalten der Vergangenheit. Bin nicht auch ich heute ein völlig anderer Mensch als damals?
Manchmal tut es mir verdammt weh, wenn jeder (...) über so einen guten und intelligenten Schriftsteller wie Bernhard Schlink es ist, sein abwertendes Urteil meint veröffentlichen zu dürfen. Man sehe doch nur einmal nach, wie viele Analysen, Interpretationshilfen, Unterrichtsmaterialien es zu Der Vorleser!! gibt. Und der Roman ist unschlagbar gut, ebenfalls ohne den Nationalsozialismus endgültig einzuordnen oder zu bewerten! Auch dort geht es nicht um die historischen Ereignisse, denn die sind Historie und insofern VORBEI. Es geht bei ihm darum, was mit den Protagonisten der Historie inzwischen passiert ist und wie die Nachgeborenen ihr Urteil, ihre Verurteilung mit einem unglaublichen Unverständnis fällen, bei gleichzeitiger moralischer Selbstsicherheit und bei eigener unbewusster Verstrickung in die neue Zeit und ihre Irrtümer. Die Geschichte geht weiter und vielleicht lädt die nächste Generation neue, andere Schuld auf sich, indem sie die vorige so nachlässig verurteilt oder vielleicht ebenso nachlässig freispricht.

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 13.03.2009
Wie man unsterblich wird
Nicholls, Sally

Wie man unsterblich wird


ausgezeichnet

Fröhliche Traurigkeit, heitere Melancholie

Zwei Jungen im Alter von 11 und 13 Jahren haben Leukämie.

Zu Recht bekam dieses Buch den Luchs 2008 (anders als der Luchs 2007 an Tamara Bach: "Jetzt ist hier", der ein Fehlgriff war). Der Autorin gelingt es, die Problematik des Sterbens wunderbar leicht in Kindersprache zu gießen. Dabei scheut sie weder kindgerechte Albernheiten (wenn man tot ist, wird man ein Gespenst), noch tiefschürfende Analysen („Es ist nichts anderes, als dahin zurückzukehren, wo man vor der Geburt war, und niemand fürchtet sich vor der Zeit vor der Geburt.“ – Das ist reinster Arthur Schopenhauer, nur dass Schopenhauer für die Entwicklung dieses Gedankens zwei Seiten braucht.)
Das Buch ist weder traurig, noch ist es flach. Es drückt sich nicht um die schweren Probleme herum, noch lässt es sich davon in Verzweiflung stürzen.
Selbst die Theodizee-Diskussion, die seit dem späten Mittelalter tobt, ist breit vertreten. Hier lautet die Abwandlung: Wieso lässt Gott Kinder krank werden? Auf diese Frage finden die beiden Jungen 7 mögliche Antworten. Dazu gehören, dass Gott gar nicht existiert, dass er in Wirklichkeit böse ist, dass Krankheiten eine Lehre Gottes sind, die uns heilen soll wie die giftige Chemotherapie der Ärzte, dass Kranksein eine Freikarte für den Himmel ist, etc. Je nach Glaubenslage kann sich die junge LeserIn die angenehmste Antwort aussuchen, kann sich aber auch mit den weniger erträglichen auseinandersetzen.
Nichts für strenge Christen also, aber alles für aufgeschlossene Skeptiker.
Einige andere Fragen, die das Buch behandelt, sind: Tut Sterben weh? Wie sieht ein Toter aus, wie fühlt er sich an? Woher weiß man, dass man gestorben ist?
Ein Buch für alle Erwachsenen, die glauben, dass man mit Kindern nicht über solche Themen sprechen kann. Mit diesem Buch in der Hand geht es federleicht.
Und natürlich ein Buch für alle Jugendlichen, die etwas Tiefgehenderes lesen wollen als immer dieselben lockeren Sprüche über "das erste Mal".

13 von 15 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 13.03.2009
Kissing the Rain
Brooks, Kevin

Kissing the Rain


sehr gut

Während die meisten Leser in den Foren die spannende Story loben, finde ich diese sehr problematisch: Die Ermittlungsbehörden werden als hilflos und dumm dargestellt, weil sie dem Berufsverbrecher Vine (mit mafia-ähnlicher Struktur) nichts nachweisen können. Deshalb greifen sie selbst zu verbrecherischen Methoden: Erpressung von Zeugen, Anstiftung zur Falschaussage, eigene Falschaussagen, Strafvereitelung, Rechtsbeugung, etc., ja sie begehen gar einen Mord an einem Unschuldigen, um den Mord dem Verbrecher Vine anzuhängen. Am Ende steht ein Aufruf zur Selbstjustiz.
Solch ein Szenario Jugendlichen in demokratischen Staaten zu präsentieren, kann ich nur ablehnen. Denn das untergräbt jedes demokratische Verständnis.
Doch nun ein riesiges Aber: Der innere Monolog von Moo ist grandios geschrieben. Diese ständige Gratwanderung zwischen Naivität und klugem Durchblick; die Unfähigkeit innerhalb seiner Familie, miteinander zu sprechen; die große Differenz zwischen dem, was Moo sagt (sehr wenig) und dem, was er denkt; die greifbaren Mobbing-Situationen und wie er sich dabei fühlt und zu seiner Brücke flieht; die Schicksalsgemeinschaft zwischen Brady und Moo, die sich unter dem Druck der Ereignisse langsam zur Freundschaft entwickelt, die Ausweglosigkeit: Das alles macht dieses Buch für mich zu einem großen Jugendroman, vergleichbar mit David Klass: „Du kennst mich nicht“.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.