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Benutzername: 
meldsebjon
Wohnort: 
Hattingen

Bewertungen

Insgesamt 130 Bewertungen
Bewertung vom 23.04.2024
Treibgut
Brodeur, Adrienne

Treibgut


ausgezeichnet

Leichen im Keller
Nein, um wirkliche Leichen geht es nicht in diesem sehr berührenden Roman. Es geht eher um die symbolischen Leichen, die die Familie Gardener versteckt hat.
Anlässlich des 70sten Geburtstags des Senioren der Familie, Adam Gardener, soll ein Fest gefeiert werden und alles soll harmonisch verlaufen. Jedes Mitglied der Familie hat andere Erwartungen: Der manisch-depressive Adam selbst will eine großartige neue wissenschaftliche Entdeckung publik machen, sein Sohn Ken will seine politischen Ambitionen manifestieren und die Tochter Abby will ihren künstlerischen Durchbruch erreichen und verkünden. Leider ist die angebliche Entdeckung die Phantasie einer manischen Phase und um politische Karriere zu machen braucht es auch eine intakte Familie. Genau die zerfällt aber nach und nach, weil sie bisher nur an der Oberfläche existiert hat. Zu viele Geheimnisse tun einfach nicht gut. Es gibt weitere Akteure, Ehepartner, Enkelkinder, Halbgeschwister, die ihren Teil zur Wahrheitsfindung beitragen, die hier nicht genauer beschrieben werden sollen.
Wichtig ist: ein richtig gut geschriebener Roman, bei dem Schicht für Schicht der äußere Schein abgehoben wird und am Ende die echten Gefühle und Ereignisse übrigbleiben. Man kann eine Menge für das eigene Leben mitnehmen, oder alles von außen, mit Blick auf diese Familie, betrachten. Beides ist ein Gewinn!

Bewertung vom 09.04.2024
Die verkaufte Sängerin / Cristina Bd.1
Lorentz, Iny

Die verkaufte Sängerin / Cristina Bd.1


ausgezeichnet

Gauklerleben
Cristina zieht mit ihrer Sippe durch kleine Fürstentümer im jetzigen Thüringen. Wo man es ihnen erlaubt, führen sie Gauklerkunststücke und manchmal ein Theaterstück auf. Oft wird das untermalt von Cristinas Gesang. So ganz passt sie nicht in diese Truppe. Zwar war ihre Mutter die Schwester des derzeitigen Patrone, aber durch das Erbteil ihres Vaters ist sie blond und langbeinig und fällt immer auf, sehr zum Missfallen der Frau des Patrone. Da sie durch ihr zänkisches Wesen für Unfrieden in der Truppe sorgt, fällt diese immer mehr auseinander. Cristinas besondere Begabung für Gesang fällt auf. Ein Beauftragter des Herzogs von Sachsen-Meiningen, der eigentlich eine andere Sängerin engagieren sollte, sucht Ersatz für diese und kauft Cristina ihrer Familie ab. Am Hof soll sie ausgebildet werden. Eigentlich sollte sie sich freuen, nicht mehr dem ständigen Gezänk ausgesetzt zu sein, aber die Gaukler sind die einzige Familie, die sie kennt und es fällt ihr zunächst schwer, sich an das neue Leben zu gewöhnen, ist doch wirklich alles völlig anders, als sie es gewohnt ist. Lernbegierig wie sie ist, gewöhnt sie sich nach und nach ein. Auch am Hof eines Herzogs gibt es Missgunst und Kriminalität und dem ist sie ausgesetzt.
Eine Aschenbrödelgeschichte der besten Art haben wir hier vorliegen. Auch wenn man aus Gauklerkreisen stammt, ist es möglich, die Aufmerksamkeit der höchsten Herren auf sich zu ziehen, ja selbst Geheimrat Goethe ist angetan. Damit ist ein Aufstieg möglich, der aber nicht so ganz einfach von statten gehen kann, wenn die Spannung nicht auf der Strecke bleiben soll. Und das tut sie absolut nicht! Ein spannender historischer Roman, den man kaum aus der Hand legen mag.

Bewertung vom 03.04.2024
Die Tote am Kai / WaPo Cuxhaven Bd.2
Storm, Bente

Die Tote am Kai / WaPo Cuxhaven Bd.2


ausgezeichnet

Verzwickter Küstenkrimi
Vieles in diesem ausgezeichneten Krimi könnte überall spielen: Ein Polizist wird angeschossen, eine Leiche wird aufgehängt in einem Container gefunden, Kompetenzgerangel zwischen verschiedenen Polizeidienststellen und anderes mehr. Allein das ist lesenswert und spannend. Dazu kommt aber noch der Ort der Handlung, der sich auf manchmal subtile Weise mit einbringt. Vieles spielt auf dem Wasser, manchmal geht es um Krabbenkutter und um Krabbenhandel, und das geht eben nur am Meer und macht alles besonders. Verschiedene Verdächtige geraten in den Fokus, manche Kollegen der Hauptfigur Agatha Christensen entpuppen sich als völlig anders als zunächst dargestellt - sowohl im positiven als auch im negativen Sinne.
Sehr spannend geschrieben, nehmen die Autoren den Leser mit auf falsche Fährten, führen ihn aber nie direkt in die Irre. Die am Ende trotzdem etwas überraschende Lösung war bei genauem Hinsehen gut vorbereitet. Schön ist auch, dass Polizisten Menschen sind, die auch nicht immer alles ganz richtig machen, aber versuchen, alles zu einem gerechten Ende zu führen.

Bewertung vom 17.03.2024
Annas Lied
Koppel, Benjamin

Annas Lied


ausgezeichnet

Höhen und Tiefen eines langen Frauenlebens
Als Leser nehmen wir teil am Leben von Hannah Koppelman. Man lernt sie kennen, als sie in den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts in Kopenhagen aufwächst. Mit ihren vier älteren Brüdern, ihren Eltern und vielen Onkeln und Tanten kennt sie ein harmonisches Familienleben. Ursprünglich stammt die Familie aus Polen, wollte wegen der dortigen Pogrome eigentlich nach Amerika auswandern, sind dann aber aus Geldmangel in Dänemark geblieben und fühlen sich dort inzwischen heimisch. Auch dort gibt es bereits erste Hinweise auf Aktionen gegen Juden, man fühlt sich aber sicher, wähnt sich unter dem Schutz der dänischen Regierung. Obwohl das Einkommen der Familie aus einer Schneiderwerkstatt stammt, ist doch die Musik allgegenwärtig. Alle Brüder sind begabte Musiker, leben als Erwachsene auch von dieser Kunst. Hannah selbst träumt von einer Karriere als Pianistin, bekommt sogar einen der begehrten Plätze am Konservatorium.
Und dann wird alles anders. Der Krieg macht alle Pläne zunichte, der Kampf ums nackte Überleben beginnt; nicht alle können ihn gewinnen.
Später verschlägt es Hannah nach Frankreich, in eine arrangierte Ehe. Träume werden begraben, aber der Musik, ihrer größten Liebe, bleibt sie treu. Und diese hilft ihr auch, viele Rückschläge zu überstehen.
Eine sehr beeindruckende Lebensgeschichte, ganz ausgezeichnet aufgeschrieben mit vielen Einblicken in den jüdischen Alltag. Auch wenn nicht ganz klar ist, wieviel tatsächlich real ist, kann man das Buch sicher auch in die Rubrik "Zeitzeugen" einordnen. Etwas irritierend fand ich, dass die Hauptfigur "Hanna" heißt, der Titel des Buches aber "Annas Lied" ist. Aufgeklärt wird das ganz am Ende des Buches.
Ich kann die Lektüre wärmstens empfehlen!

Bewertung vom 04.03.2024
Das Schweigen des Wassers
Tägder, Susanne

Das Schweigen des Wassers


ausgezeichnet

Offene Fälle
Die Wende ist noch nicht so lange her, Ost und West müssen sich nach der ersten Euphorie erst einmal finden und die Vergangenheit muss aufgearbeitet werden. Das ist die Ausgangssituation für Kommissar Groth aus Hamburg. Nach einigen Problemen privater und beruflicher Natur soll er in Mecklenburg dazu beitragen, die Polizei im Osten auf den Stand des Westens zu bringen. Größter Beliebtheit erfreut er sich bei den Kollegen nicht, hat man doch auch vor der Wende etwas vom Beruf verstanden. Gleich zu Beginn wird ein toter Bootsverleiher gefunden. Ein Unfall scheint es gewesen zu sein. Vielleicht aber auch nicht, denkt Groth und gräbt tiefer. Vor zehn Jahren war der Tote Beschuldigter in einem Mordfall, wurde freigesprochen. Einiges an dem damaligen Fall erscheint ihm seltsam. Zumindest einer der neuen Kollegen hilft ihm bei der Recherche, einiges tritt zu Tage, ist aber immer noch zu dünn, wie ein Vorgesetzter meint.
Ein wirklich guter Krimi liegt hier vor, spannend, teilweise tiefgründig und politisch. Einiges geht aber auch darüber hinaus. Gefühle werden einfühlsam geschildert, man kann sich in einige Protagonisten gut hineinfühlen, verstehen, in welchem Gedankenkarussell man steckt, wie langfristig sich Wunden auswirken. Gerne würde ich mehr von dieser Autorin mit dem ganz eigenen Schreibstil lesen!

Bewertung vom 02.03.2024
Leute von früher
Höller, Kristin

Leute von früher


ausgezeichnet

Ungewöhnliches Ambiente
Marlene befindet sich nach ihrem Studium in einer Art Selbstfindungsphase und nimmt einen Saisonjob auf der Insel Strand an. Dort hat sich im Laufe der Jahre aus den ursprünglich wenigen alten Häusern ein kleiner Tourismusmagnet entwickelt. Die wenigen Einwohner, verstärkt durch viele Saisonkräfte, spielen den Touristen das Leben der Menschen von früher vor. Man trägt Kleidung, die es vor hundert Jahren schon gab und geht offiziell dem Handwerk aus dieser Zeit nach. Marlene taucht ein in diese Menschengruppe, die sich teilweise schon lange kennt. Sie knüpft Freundschaften, beginnt eine Liebesbeziehung mit Janne, einer Einheimischen. Trotzdem hat sie das Gefühl, nicht ganz angekommen zu sein, glaubt, dass es Geheimnisse gibt, in die man sie nicht einweiht. Immer wieder ist die Rede von der Insel Rungholt, die vor langer Zeit untergegangen ist und angeblich alle sieben Jahre wieder auftaucht. Ein bisschen mystisch, aber trotzdem ist für Marlene alles real, wie auch für den Leser. Marlene ist die Hauptfigur, auf deren Gefühle und Gedanken intensiv eingegangen wird. Sprachlich mit Ecken und Kanten, aber genau das trägt dazu bei, sich in diese Welt einzufühlen.
Meine Meinung: Lesenswert!

Bewertung vom 05.02.2024
Murder in the Family
Hunter, Cara

Murder in the Family


ausgezeichnet

Ungewöhnlich - ungewöhnlich gut!
Ein 20 Jahre alter "Cold Case" soll aufgeklärt werden. Soweit so normal. Mit Hilfe von sechs Experten sollen die damaligen Ermittlungen noch einmal durchgegangen bzw. nachgestellt werden. Das Ganze wird eine siebenteilige Fernsehserie und damit wird es ungewöhnlich. Es wird nicht einfach erzählt, sondern ein bisschen wie ein Drehbuch gestaltet. Eingefügt sind dabei WhatsApp-Nachrichten der Beteiligten, Reaktionen aus den Social-Media auf Ausstrahlungen, Presseberichte und andere Hinweise. Schritt für Schritt tasten sich die sechs Ermittler an das vergangene Geschehen heran und decken dabei immer wieder Dinge auf, die vor zwanzig Jahren verborgen blieben.
Regisseur ist Guy Howard, der damals zehnjährige Stiefsohn des Mordopfers Luke Ryder. Viele Personen aus dem damaligen Umfeld der Familie, Freunde, Bedienstete sowie die ermittelnden Polizeibeamten kommen zu Wort und nach und nach nähert sich alles einer Lösung. Auch wenn man als Leser durchaus mit rätseln kann, ist das Ende dann doch mehr als überraschend.
Erstaunlich war für mich, wie fließend man dieses ungewöhnliche Format lesen kann, ich hatte da anfangs Bedenken. Meine Empfehlung: Einfach darauf einlassen, man wird mitgezogen!

Bewertung vom 24.01.2024
Das Mörderarchiv
Perrin, Kristen

Das Mörderarchiv


ausgezeichnet

Klassisch zum Mitdenken
Ganz viele Geheimnisse gibt es in dem kleinen englischen Örtchen Castle Knoll. Hier hat Frances Adams gelebt und die meisten Bewohner mit ihrem scheinbar unbegründeten Verfolgungswahn verrückt gemacht. Seit einer Weissagung glaubt sie fest daran, einmal ermordet zu werden und sieht daher ständig Gefahren. Und tatsächlich stirbt sie mit 77 Jahren ganz plötzlich. An diesem Tag ist ihre Großnichte Annie angereist, da Frances plötzlich ihr Testament geändert hat und Annie zu ihrer Haupterbin gemacht hat. Das Ganze hat natürlich einen Haken: Annie erhält den ganzen, beträchtlichen Nachlass nur, wenn sie den Mörder ausfindig macht und das innerhalb von einer Woche. Anders als der mögliche andere Erbe hat sie scheinbar schlechte Karten, da sie weder ihre Großtante noch einen der Menschen in ihrem Umfeld kennt. Andererseits sieht sie sich aber auch als künftige Krimiautorin und beginnt, akribisch zu recherchieren. Mit Hilfe von Frances Tagebuch deckt sie ein Geheimnis nach dem anderen auf und begibt sich damit selbst in Gefahr.
Nach und nach kommt Annie und damit auch der Leser den Dingen auf den Grund. Ein richtig schöner Krimi für Leser, die gerne mitdenken. Er ist sehr gut geschrieben und es gibt zwar eine Menge falsche Fährten, aber keine falschen Informationen. Mir hat das Lesen richtig Spaß gemacht!

Bewertung vom 11.01.2024
Die Hexen von Cleftwater
Meyer, Margaret

Die Hexen von Cleftwater


ausgezeichnet

Bedrohung und Aberglaube
Mitte des siebzehnten Jahrhunderts war die Hochzeit der Hexenverfolgungen. Aus heutiger Sicht ein Aberglaube, der aber damals wissenschaftlich verbrämt wurde. Bei der Lektüre dieses Romans erkennt man, dass damals von der breiten Bevölkerung geglaubt wurde, was die Hexenjäger verkündeten, selbst die als Hexen bezeichneten Frauen suchten die Fehler bei sich, glaubten, Satan habe sich ihrer bemächtigt.
In der vorliegenden Geschichte ist Martha die Hauptfigur, eine ältere Magd und Hebamme, die sich auf Kräuter versteht und nicht sprechen kann. Obwohl sie sich selbst für gefährdet hält, wird sie vom Hexenjäger als Helferin rekrutiert. Ein wenig Hexerei betreibt sie selbst, benutzt nicht nur ihre Kräuter sondern auch ein kleines Wachspüppchen, um zu helfen oder Schaden zuzufügen. Sie ist hin- und hergerissen zwischen Angst und Mut, Hilfsbereitschaft und innerem Widerstand. Eigentlich glaubt sie, dass es Hexen gibt, hat aber Zweifel am Hexentum ihrer Freundinnen.
Ein ungewöhnliches Buch, anders als andere historische Romane. Es wird nichts verklärt, aber einiges erklärt. Gut geschrieben, so dass der Leser ständig die Bedrohung fühlt, die da auch viele Menschen zukommt.

Bewertung vom 01.01.2024
Lichtungen
Wolff, Iris

Lichtungen


ausgezeichnet

Wie das Leben
Vieles an diesem Buch ist ungewöhnlich: Die Geschichte wird praktisch "rückwärts" erzählt, beginnt mit Kapitel 9 heute und geht immer weiter zurück in die Vergangenheit, bis der heute dreißigjährige Lev 11 Jahre alt ist und seine Freundschaft mit Kato beginnt. Genauso leben wir, immer im heute und verstehen die Vergangenheit erst aus der heutigen Sicht richtig. Die einzelnen Kapitel aus der Vergangenheit werden durch interessante Einblicke in die Geschichte Rumäniens bereichert, die hierzulande in ihrer Gänze eher unbekannt sind.
Ungewöhnlich ist auch die Art der Betrachtung: Die Autorin beschreibt weniger Vorgänge und Empfindungen, vielmehr werden äußere Wahrnehmungen aus der Sicht Levs geschildet, so wie wir alle eigentlich leben. Das ist ein wenig anstrengend für den Leser, weil er praktisch die Gefühle nachempfinden muss, sie werden ihm nicht fertig serviert. Genau das macht das Buch so lesenswert!
Ganz besonders muss man die Sprache hervorheben, die sich ebenfalls deutlich von normaler Prosa abhebt: Poetisch, einfühlsam, lautmalend. Die Autorin geht mit Sprache um, wie Kato mit Farben.
Fazit: Ein äußerst empfehlenswertes Buch für Leser, die gerne gefordert werden. Eines, das man mindestens zweimal lesen muss, um es in seiner ganzen Breite verstehen zu können.