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Nach seinem Bestseller "Deutschland schafft sich ab" legt der Ex-Bundesbanker Thilo Sarrazin nach und stellt die brandaktuelle These "Europa braucht den Euro nicht" zur allgemeinen Diskussion.
Mit der drohenden Staatspleite einzelner Länder hat der Traum von der Europäischen Währungsunion seinen Glanz eingebüßt und seine Risiken offenbart. Angela Merkels Diktum "Scheitert der Euro, dann scheitert Europa" versucht die Währungsfrage in einen größeren Zusammenhang zu stellen.
Das tut auch Thilo Sarrazin in seinem neuen Buch "Europa braucht den Euro nicht", aber auf andere Weise und mit
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Produktbeschreibung
Nach seinem Bestseller "Deutschland schafft sich ab" legt der Ex-Bundesbanker Thilo Sarrazin nach und stellt die brandaktuelle These "Europa braucht den Euro nicht" zur allgemeinen Diskussion.

Mit der drohenden Staatspleite einzelner Länder hat der Traum von der Europäischen Währungsunion seinen Glanz eingebüßt und seine Risiken offenbart. Angela Merkels Diktum "Scheitert der Euro, dann scheitert Europa" versucht die Währungsfrage in einen größeren Zusammenhang zu stellen.

Das tut auch Thilo Sarrazin in seinem neuen Buch "Europa braucht den Euro nicht", aber auf andere Weise und mit anderen Ergebnissen. Er zeichnet die verheerenden Resultate politischen Wunschdenkens nach und stellt die Debatte vom Kopf auf die Füße.

Autorenporträt
Sarrazin, Thilo
Thilo Sarrazin ist einer der profiliertesten politischen Köpfe der Republik. Seine fachliche Kompetenz in Finanzfragen gepaart mit dem Mut, unbequeme Wahrheiten auszusprechen, hat ihn in viele wichtige Ämter gebracht. Als Fachökonom war er Spitzenbeamter und Politiker, er war verantwortlich für Konzeption und Durchführung der deutschen Währungsunion, beaufsichtigte die Treuhand und saß im Vorstand der Deutschen Bahn Netz AG. Von 2002 bis 2009 war er Finanzsenator in Berlin, anschließend eineinhalb Jahre Vorstandsmitglied der Deutschen Bundesbank. Zuletzt hatte er mit seinem Buch "Deutschland schafft sich ab" einen Millionenerfolg.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Thilo Sarrazin ist ein Zahlen- und Faktenhuber, sein Buch über lange Strecken zum Einschlafen, befindet der Ökonom Henrik Enderlein zunächst, und lässt sich dann doch auf einer dreiviertel Zeit-Seite darauf ein, denn Sarrazin ist nun mal Sarrazin. Und das heißt: Man kann Zahlenhuber und trotzdem Populist sein. Sarrazins Zahlenhuberei ist für Enderlein im Grunde nur Fassade, die auf ein von vornherein feststehendes Ergebnis hinsteuern soll, zu dem Sarrazin am Ende nicht mal ganz zu stehen scheint - nämlich zu der schon im Titel formulierten Behauptung: "Europa braucht den Euro nicht." Enderlein findet, dass Sarrazin auf dem Weg dahin mit all seinen Zahlen ziemlich manipulativ agiert. Zum Beispiel setze er voraus, dass Ökonomie ein Nullsummenspiel sei, in dem das eine Land verliert, wenn das andere gewinnt. Er verschweige die eigentliche Grundannahme, die dem Euro zugrunde liegt: nämlich, dass Handel mehr Wohlstand für alle bringt. Diese Annahme könne man ja bezweifeln, so Enderlein, aber eine Kritik am Euro müssen man schon an dem Versprechen messen, auf dem er basiert!

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.05.2012

Unpolitisch aufs Scheitern fixiert

Thilo Sarrazins Buch "Europa braucht den Euro nicht" verleugnet die historischen Dimensionen Europas und bietet der Wirtschaftsunion keine Perspektiven.

Von Peer Steinbrück

Nach seinem Buch "Deutschland schafft sich ab" nimmt Thilo Sarrazin ein weiteres Mal für sich die Rolle des Präzeptors in Anspruch, der das deutsche Volk pragmatisch, nüchtern und unbelastet von politischen Korrektheiten über einen Irrweg aufklärt und vor einem Niedergang warnt. Dieses Mal ist es der Euro.

Dabei weiß Sarrazin selbstredend, dass seine Mahnungen auf eine aufnahmebereite Grundstimmung stoßen, nach der viele Deutsche der D-Mark und mit ihr einer vermeintlichen Stabilität nachtrauern, in der Europäischen Union (EU) ein bürokratisches bürgerfernes Monster sehen und von den "Pleite-Griechen" ("Bild") die Faxen dicke haben.

Mit ökonomischer Akkuratesse, die bei vielen Lesern einen Grundkurs in Finanz- und Währungspolitik voraussetzen dürfte, aber deshalb umso profunder und unbestechlicher wirkt, zielt Sarrazin letztlich auf den Bauch der Leute: Schmeißt die Hellenen (oder gleich alle Südländer, deren Mentalität ihm, gemessen an "preußischen Tugenden" und "deutschen Standards", unverbesserlich zu sein scheinen) aus dem Euro, und werft ihnen schon gar nicht unser gutes Geld hinterher. Das Ganze unterlegt er mit einer Auswahl und Interpretation von Statistiken, die der alten Devise Winston Churchills entsprechen, nach der dieser nur die Statistiken verwendete, die er sich selbst auf sein bereits feststehendes Urteil zurechtgebogen habe.

Das Buch ist allerdings kein Pamphlet. Ökonomischer Sachverstand ist Sarrazin nicht abzusprechen. Und in nicht wenigen Einzelpunkten erntet er auch nicht meinen Widerspruch. Mit Empörungswellen wird man diesem Buch jedenfalls nicht beikommen können, sondern nur durch begründeten Widerspruch. Mein Generaleinwand gegen dieses Buch lautet, dass es geschichtsvergessen und perspektivlos ist.

Europa und damit auch die gemeinsame Währung des Euro dürfen und lassen sich nicht mit einer rein ökonomischen Rationalität und Fixierung auf Zahlungsbilanz- und Staatsdefizite erfassen. Die europäische Integration ist die Antwort auf die Katastrophen des 20. Jahrhunderts und auf das 21. Jahrhundert.

Aus den Erfahrungen des Dreißigjährigen Krieges von 1914 bis 1945 entsprang das Ursprungsmotiv der europäischen Integration: die Einbindung Deutschlands in eine westliche Staatengemeinschaft, um den Fehler des Versailler Vertrages mit einer gefährlichen Isolierung Deutschlands nicht zu wiederholen und um ein zusätzliches Bollwerk gegen die expansiven Gelüste der Sowjetunion zu haben. Nach der deutschen Wiedervereinigung trat das Motiv hinzu, die starke D-Mark des politisch, ökonomisch, finanziell und bevölkerungsmäßig wiedererstarkten Klotzes im Zentrum der europäischen Geographie (neun direkten Nachbarn, die nicht durchgängig gute Erfahrungen mit uns gemacht haben) einzubinden.

Dieser Integration verdankt Deutschland eine historisch beispiellose Phase des Friedens und der Sicherheit, der gutnachbarschaftlichen Beziehungen, des Wohlstandes und der Marktöffnung - und nicht zuletzt der Demokratie und Freiheit. Deutschlands Wiederaufstieg nach der Katastrophe von 1933 bis 1945 war nur in und mit Europa möglich. Dieser Einbettung in die europäische Völkergemeinschaft und die konstruktive Mitwirkung und Verlässlichkeit Deutschlands in den europäischen Institutionen verdanken wir letztlich auch den Glücksfall unserer Wiedervereinigung.

Aus alldem ergeben sich für die deutsche Politik eine europäische Mitverantwortung und damit verbunden Verpflichtungen, die in vielerlei Hinsicht durchaus mit unseren nationalen Interessen identisch sind. Hinzu kommt unabweisbar die moralische Hypothek aus den beiden Weltkriegen und dem Holocaust, die keine deutsche Regierung ignorieren kann und die sich nicht nonchalant wegdefinieren lässt. "Wer dies nicht verstanden hat, dem fehlt eine unverzichtbare Voraussetzung für die Lösung der gegenwärtig höchst prekären Krise Europas", sagt Helmut Schmidt.

Sarrazin sieht nur Geld und Kapital, aber nicht die Gesellschaft

Thilo Sarrazin hat dies erkennbar nicht verstanden. Sonst würde er nicht an mehreren Stellen abfällig davon schreiben, dass vielen in der deutschen Politik der objektive Blick und das Verständnis einer soliden staatlichen Finanzwirtschaft deshalb fehlten weil sie "von jenem sehr deutschen Reflex (getrieben sind), wonach die Buße für Holocaust und Weltkrieg erst endgültig getan ist, wenn wir alle unsere Belange, auch unser Geld, in europäische Hände gelegt haben". Dieser Versuch Sarrazins, die Frage nach der deutschen Solidarität für Europa (und die Stabilisierung der Eurozone) dadurch zu sterilisieren, dass ein deutscher Beitrag als Opfergang aus Schuld und Sühne diskreditiert und die Geschichte des 20. Jahrhunderts banalisiert wird, findet sich an mehreren Stellen des Buches.

Auf dieser Linie liegt auch das Unverständnis des Autors dafür, dass Europa eben mehr ist als ein Binnenmarkt, eine Währungsunion und ein Zentralbanksystem. Man kann darüber streiten, ob es "ein wesenhaftes Substrat europäischer Identität gibt". Aber es gibt eine europäische Zivilisation, die endlich wieder und neu erzählt werden muss, um dem Wiedererklingen nationalistischer Töne zu begegnen, die Menschen für das europäische Projekt wieder mit- und einzunehmen sowie die Zustimmung zu solidarischen Leistungen für hilfsbedürftige Nachbarn nicht zu verlieren.

Diese europäische Zivilisation besteht aus dem Erbe der Aufklärung, der Trennung von Staat und Kirche, Sozialstaatlichkeit, einer unabhängigen Gerichtsbarkeit, der Geltung der Menschenrechte, der Geltung rechtsstaatlicher Verfassungen, Freizügigkeit, Meinungsfreiheit, Pressefreiheit, eine wunderbare kulturelle Vielfalt - und der Unvorstellbarkeit kriegerischer Konflikte zwischen europäischen Staaten, wenn denn die Lektionen der europäischen Geschichte an nachfolgende Generationen weitergegeben werden und nicht in einem platten Ökonomismus verschwinden.

Sarrazin schafft es nicht, den Blick über die Ströme von Geld und Kapital hinauszurichten. Ihm fehlt die Vorstellung, dass wirtschaftliche Depression die politische und gesellschaftliche Ordnung eines Landes aushebeln kann. Auch hier ist er geschichtsvergessen, denn an Erfahrungen fehlt es ja nicht, dass ein Austeritätskurs die soziale Balance und am Ende Demokratie zerstören kann, weil die schrecklichen Vereinfacher die Oberhand gewinnen. Not zerstört sozialen Frieden, Armut frisst Demokratie. Wer sagt ihm und uns denn, dass der Funkenflug von Demonstrationen oder sogar Barrikaden eines entmutigten und gedrückten Landes nicht in die Städte von Nachbarländern überspringt?

Die Integration Europas ist auch die Antwort auf das 21. Jahrhundert. Der exklusive europäisch-atlantische Klub büßt seine dominante Rolle im Weltgeschehen ein. Die globalen Koordinaten wirtschaftlich aufsteigender und im politischen Selbstbewusstsein erstarkender Staaten in Asien und Lateinamerika verschieben sich. Die zukünftige Rolle und das Gewicht Europas im globalen Maßstab ist unbestimmt. Zurzeit spielen wir nicht in Bestform - und das sogar unter Ausklammerung des Krisenmanagements der Eurozone.

Wenn wir aber den Anspruch haben, bei den zentralen Fragen globaler Bedeutung (Finanzarchitektur, Welthandel, Rohstoffversorgung, Umwelt- und Klimaschutz, Terrorismusbekämpfung, Abrüstung, Menschenrechte) die Stimme zu erheben und Einfluss zu nehmen, dann wird sich Europa besser organisieren, weiter integrieren und seine Institutionen stärker demokratisieren müssen. Wenn wir unsere europäische Zivilisation behaupten, sie sogar für andere Teile der Welt, die über Wohlstandsrenditen hinaus auch immaterielle Werte erstreben, als attraktives Vorbild anbieten wollen, dann bedarf dies einer gemeinsamen europäischen Kraftanstrengung. Kein europäisches Land - auch nicht Deutschland mit seinen bemerkenswerten Potentialen - wird angesichts der globalen Entwicklungsdynamik in einer Alleinstellung seinen Wohlstand sichern, seine Interessen wahrnehmen können. Sarrazin ist dieser "Überbau" erkennbar fremd oder irrelevant, weil er glaubt, dass dafür der Euro gar keine Rolle spielt. Das macht er dadurch deutlich, dass er mehrfach den Satz von Bundeskanzlerin Merkel abqualifiziert "Scheitert der Euro, scheitert Europa."

Jede Formel liefert durch Verkürzung Angriffsflächen. Sarrazin aber arbeitet mit einem vorsätzlichen Missverständnis, wenn er darauf verweist, dass Europa selbstverständlich auch ohne gemeinsame Währung fortbestehen würde. Kein Zweifel. Aber dass ein Scheitern des Euro die europäische Integration um Jahrzehnte zurückwerfen würde, dass ein Zerfall des Euro in diverse nationale Währungen - also eine monetäre Renationalisierung - auch das manifeste Risiko einer politischen Renationalisierung unter Begleitung rechter Parolen mit sich brächte, dass in einem solchen Fall mit erheblichen Wohlstandsverlusten zu rechnen wäre und eine Auf- beziehungsweise Abwertungsdynamik der renationalisierten Währungen Europa spalten würde, darauf weist die Formel der Bundeskanzlerin hin - also auf Konsequenzen, über die es keine Unklarheiten geben sollte.

Einen Pappkameraden bastelt sich Sarrazin dort, wo er den Anhängern der gemeinsamen Währung die romantisch anmutende politische Auffassung unterstellt, darüber unvermeidlicherweise in einem europäischen Bundesstaat zu landen. Ich kenne keine ernst zu nehmende Stimme im politischen Chor Europas, die eine Auflösung der Nationalstaaten in einem europäischen Bundesstaat für möglich oder wünschenswert hält. Europa wird auch im 21. Jahrhundert weiterhin aus Nationalstaaten mit eigener Sprache, eigener Geschichte und Tradition, eigenem Territorium und eigener Kultur bestehen. Aber das schließt einen sich dynamisch entwickelnden Verbund eben nicht aus.

Die Perspektivlosigkeit des Buches kommt anschaulich in dem Abschnitt zum Ausdruck, der "Wie geht es weiter?" überschrieben ist. Nachdem uns auf 370 Seiten erläutert worden ist, dass Europa den Euro angeblich nicht braucht, ist man gespannt auf die Schlussfolgerungen: unter welchen Nebenwirkungen der Euro wieder eingestampft werden soll und welche Handlungsempfehlungen der Autor parat hat, um uns in den "glücklichen" Zustand vor Unterzeichnung des Maastrichter Vertrags zurückzuversetzen.

Tatsächlich umfasst dieser Abschnitt magere drei Seiten, die darauf hinauslaufen, den Euro zu behalten! "Natürlich kann und soll man nicht einfach aussteigen", heißt es hier, so wie an anderer Stelle der Satz zu finden ist: "Darum muss man alles tun, was im Rahmen des Vernünftigen geboten ist, um das Überleben des Euro zu sichern, aber eben nicht um jeden Preis." Fragt sich, was "alles" zu bedeuten hat, was "vernünftig" und was ein angemessener Preis wäre. Darauf erhält man keine Antwort. Immerhin durchziehen das Buch drei Leitlinien: keine weitere Refinanzierung überschuldeter Staaten durch solvente Mitgliedstaaten der Eurozone; keine Transferunion; keine Fortsetzung der EZB-Politik, die Haushalts- und Leistungsbilanzdefizite von Krisenländern durch eine übermäßige Lockerung der Geldpolitik zu unterstützen oder zu ermöglichen sucht. Offen bleibt, ob diesen Leitlinien abrupt und mit welchen Auswirkungen Rechnung getragen werden soll.

Über Geschichtsvergessenheit und Perspektivlosigkeit hinaus bin ich bei der Lektüre des Buches auf eine Reihe von Widersprüchen und Ungereimtheiten gestoßen, von denen ich nur einige exemplarisch aufgreifen will:

Sarrazin treibt das Risiko einer Kettenreaktion im Fall von Auflösungserscheinungen des Euro erkennbar nicht um. Recht geringschätzig weist er die "Theorie der Ansteckung" zurück, die keinen ökonomischen Gehalt habe, sondern vielmehr im Kern eine politische Theorie sei. Frage: Galt das auch im Fall der Bankenkrise seit 2007? Oder mussten auch nach seiner Auffassung Banken kapitalisiert oder über Garantien stabilisiert werden, um einen Dominoeffekt damals zu vermeiden? Wieso ist der Bail-out eines Krisenlandes samt seiner Einwohnerschaft verwerflich, der Bail-out einer "systemrelevanten" Bank zu Lasten der Steuerzahler nicht?

Die Krise der Eurozone wird ausschließlich auf die Überschuldung von Mitgliedstaaten und ihren Verlust an Wettbewerbsfähigkeit zurückgeführt. Die Bankenkrise von 2007 mit ihren Übersprungseffekten auf die Realwirtschaft und einem tiefen Konjunktureinbruch in fast allen Ländern der Eurozone - Deutschland mit mehr als minus fünf Prozent! - sowie die politischen Antworten mit kreditfinanzierten Konjunkturprogrammen und Maßnahmen der Bankenstabilisierung fallen bei Sarrazin nicht ins Gewicht. Zwar behandelt er die "Weltfinanzkrise" nachvollziehbar und listet an einer Stelle ihr finanzielles Desaster insbesondere in den Vereinigten Staaten und vielen europäischen Ländern über Einnahmeverluste, kreditfinanzierte Konjunkturprogramme, Arbeitslosigkeit und Bankenrettung auch auf. Aber dessen ungeachtet ist er einseitig auf den Euro als Treibsatz für die Verschuldenskrise fokussiert.

Die Mark würde aufwerten, und der deutsche Handel würde schrumpfen

Die Ungleichgewichte zwischen Nord- und Südländern werden monokausal auf die Einführung des Euro zurückgeführt. Aber diese Ungleichgewichte bestanden auch schon vor dem Euro! Und eine weitere Drift hätte es auch ohne den Euro gegeben, da einige Südländer ganz unabhängig vom Euro, der ihnen allerdings angesichts der Zinskonvergenz im Euroraum auf ein für sie fantastisch niedriges Niveau erhebliche Chancen bot, ihre Hausaufgaben nicht machten. Sie versäumten notwendige Strukturreformen. Sie vernachlässigten ihre Wettbewerbsfähigkeit auf der Grundlage eines breiten gewerblichen Sektors und ließen eine Lohndrift weit oberhalb der Produktivitätsentwicklung zu. Bizarr und abstrus wird es dort, wo Sarrazin die Drift zwischen Nord- und Südländern in der Eurozone auf die Intensität der Sonneneinstrahlung und Dauer der Sommer- wie Winterzeiten zurückführt.

Sarrazins These, dass Deutschland den Euro nicht brauche, um seine Wettbewerbsfähigkeit zu sichern, ist einmal mehr eine seiner lustvollen Zuspitzungen, die zu nichts führen. Klar könnte Deutschland seine Wettbewerbsfähigkeit auch ohne Euro sichern. Aber der Euro erleichtert dies und hat das seit seiner Einführung auch nachweislich getan. Ein so exportgetriebenes Wachstums- und Wirtschaftsmodell wie Deutschland, das um 40 Prozent seiner jährlichen Wirtschaftsleistung über Exportaktivitäten generiert, profitiert enorm davon, dass die Währungsunion den Binnenhandel verstärkt hat, dass Wechselkursrisiken und Kurssicherungsgeschäfte wegfallen, dass sich der grenzüberschreitende Zahlungsverkehr verbilligt, dass für Produzenten und Konsumenten Preistransparenz besteht und sich integrierte Kapitalmärkte positiv auf die Unternehmensfinanzierung auswirken.

Grotesk mutet die Verharmlosung von Aufwertungen an, denen eine D-Mark unter seinerzeitigem Verzicht auf die Währungsunion oder nun bei ihrer Abschaffung ausgesetzt wäre. Ohne den Euro müsste Deutschland wohl den Weg der Schweiz bestreiten. Die mussten ihren Franken allerdings um mehr als zwanzig Prozent gegenüber dem Euro trotz massiver Intervention ihrer Zentralbank aufwerten. Demnach müsste Deutschlands Exportsektor ohne Währungsunion diese zwanzig Prozent bei den Stückkosten ausschwitzen, um seine Außenwirtschaftsposition zu halten. Für den Fall, dass Deutschland den Euro-Raum verlassen wollte, gehen Fachleute von einer Aufwertung der neuen D-Mark um vierzig Prozent (!) aus und in der Folge von einem Handelsrückgang um zwanzig Prozent plus einer massiven Abwertung der Aktiva deutscher Banken. Vor diesem Hintergrund erscheint Sarrazins These als grober ökonomischer Unfug.

Im Übrigen stehen den abwertenden Schlussfolgerungen des Autors über die Auswirkungen des Euro auf Handelsbeziehungen, Wachstum und Beschäftigung genügend Analysen und Studien (KfW, McKinsey, UBS, Prognos) gegenüber, die zu genau entgegengesetzten Ergebnissen kommen. Danach ist Deutschland der klare Gewinner der Euro-Einführung - für manche sogar ein Gewinner in der anhaltenden Krise -, was einen Teil der Anwürfe aus den Nachbarländern gegenüber den deutschen Positionen im Krisenmanagement erklärt.

Die Annahme Sarrazins, dass die demokratisch gewählten Regierungen der Nationalstaaten wieder wirtschaften könnten, wie sie es möchten, wenn sie denn nur ihre eigene Währung wiederbekämen, erscheint naiv. Denn auch dann - und im Zuge der heutigen globalen Verflechtungen sogar mehr denn je - gelten marktökonomische Zwänge, die den Spielraum nationaler Regierungen einengen. Auch das ist der Versuch, dem Euro eine Kausalität für alle Widrigkeiten zu unterlegen, die den Euroökonomien widerfahren.

Mit dem Verdikt, dass der Kern jedes Marktversagens stets Staatsversagens und damit politisches Versagen sei, betreibt Sarrazin die Legendenbildung, dass es doch die Deppen in Regierungen und Parlamenten gewesen seien, die uns den ganzen Schlamassel an den Hals gezogen haben. Das befreite Auflachen von Bank- und Fondsmanagern samt ihren marktorthodoxen Truppenteilen in der Wirtschaftspresse und an wirtschaftswissenschaftlichen Lehrstühlen kann ich mir bereits vorstellen. Keine Rede von Risikoignoranz, krassen Fehlentscheidungen, Kurzsichtigkeit und Kurzfristigkeit, Marktexzessen, Kontrollverlusten, blanker Zockerei und plumper Renditejagd. So, als ob Politik alleiniger Herrscher des Geschehens sei (was im marktliberalen Verständnis gar nicht vorkommen darf) und nicht in einem Kräftefeld operiert, das von vielen Einflüssen geprägt ist. Bis zum Ausbruch der Finanzkrise 2007 wird man kaum in Abrede stellen können, dass unter dem Einfluss eines angloamerikanischen Marktverständnisses die Definitionshoheit in Politik, Wirtschaftspresse, Wirtschaftswissenschaften und Wirtschaftsverbänden eindeutig bei jenen lag, die das Paradigma der Deregulierung vertraten und alle gegenläufigen Versuche mit dem Bannstrahl unzulässiger Markteingriffe belegten.

In Kollision mit seinem Verdikt findet sich dann zwei Absätze weiter die luzide Feststellung: "Natürlich findet die Formulierung von Regulierung und Aufsicht nicht in einer interessenfreien Sphäre statt, sondern im konkreten Willensbildungsprozess des Staates und der Gesellschaft. Die Interessenten wirken mit, und sie haben oft einen größeren Einfluss, als der Sache guttut." Na also! Warum dann die nun selbst falsifizierte Ausgangsthese?

Ob die Finanzkrise bis hin zu ihrer jetzigen Ausprägung als Refinanzierungkrise souveräner Staaten der EWU nicht doch die Systemfrage auf den Plan ruft, scheint mir Sarrazin zu unterschätzen. Wo Haftung und Risiko nicht mehr zusammenfallen, wo Steuerzahler für Verluste von Banken einstehen müssen, während Gewinne privatisiert und Managern unverhältnismäßig Boni gezahlt werden, wo der Bail-out "systemrelevanter" Banken vertreten, aber der Bail-out von Staatsbürgerschaften ordnungspolitisch abgelehnt wird, wo Politik als getrieben und erpressbar erscheint und die Frage, ob der Primat bei demokratisch legitimierten Institutionen oder entgrenzten anonymen Märkten liegt, unentschieden wogt, wo massive Umverteilungsprozesse ablaufen - da sollten wir nicht blindäugig gegenüber der Systemfrage sein, sondern uns rechtzeitig um die Renaissance der Sozialen Marktwirtschaft kümmern. Sonst wird sie uns von anderen aggressiver gestellt, als uns lieb sein kann.

Wo Sarrazin Recht hat und wo er trotzdem den Euro unterschätzt

Natürlich gibt es in diesem Buch Passagen, denen nicht widersprochen werden kann. Sarrazins Vorstellungen zur Regulierung des Finanzsektors sind weitgehend nachvollziehbar. Seine Darstellung von Verstößen gegen europäisches Recht und Verabredungen stimmt leider, wenngleich ich auch die Erläuterung des jeweiligen politischen Kontextes vermisse. Seinem vielfachen Hinweis, dass die Krise der Euro Zone im Kern eine Leistungsbilanzkrise sei, sollte mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden.

Neben der Bankenkrise, der staatlichen Verschuldungskrise und der hohen Auslandsverschuldung von Staaten wie Privaten ist das ein wesentliches Moment, das sich im gegenwärtigen Krisenmanagement nicht abbildet. Richtig ist auch sein daran anschließendes Monitum, das die realwirtschaftlichen Ursachen der Krise nicht beseitigt würden. Womit wir bei der Frage nach wirksamen Impulsen für ein stetiges Wachstum und wettbewerbsfähige Strukturen in den Krisenländern landen.

Schließlich teile ich seine Kritik und Skepsis an den mehrfachen Verstrickungen der EZB in Rettungsmaßnahmen durch den Aufkauf von Staatsanleihen, die Mechanik des Target-Systems, über das die Zahlungsbilanzdefizite der Krisenländer de facto vorfinanziert werden, und an den beiden Kreditprogrammen von 480 Milliarden Euro im November 2011 und 530 Milliarden Euro Ende Februar 2012. Die Geldpolitik kann zweifellos nicht die strukturellen und fiskalischen Probleme der EWU lösen. Die EZB ist in ein "Zwischenreich" der indirekten Staatsfinanzierung durch politische Unterlassungen gedrängt worden. Sie sollte daraus wieder befreit werden.

"Europa braucht den Euro nicht" lautete der Buchtitel. Aber auf die Frage "Na und?" findet sich nichts im Buch. Dem Titel folgend, werden keine Konsequenzen nahegelegt, den Euro abzuschaffen, ihn langsam einzuschläfern oder im nationalen deutschen Interesse zu verlassen. Nicht einmal der "Rausschmiss" Griechenlands wird klar postuliert. Im Gegenteil finden sich mehrere Stellen, aus denen das volle Bewusstsein Sarrazins über die Risiken eines Auseinanderbrechens der Eurozone spricht - bis hin zur Mahnung, der Euro dürfe erst recht nicht an der Nahtstelle zwischen Deutschland und Frankreich platzen. Aber warum dann dieses Buch mit diesem Titel?

Über den Dreiklang "Begrenzung der Target-Salden zwischen den nationalen Notenbanken, gleich hohe Qualität von Sicherheiten im Währungsraum und Rückkehr der EZB zur ausschließlichen Sicherung der Geldwertstabilität" hinaus finden sich in diesem Buch keine weiteren Handlungsempfehlungen - schon gar nicht zum akuten Krisenmanagement in der konkreten Lage des Jahres 2012. Insofern ist das Buch perspektivlos.

Die Bedeutung des Euro als gemeinsame Währung ist untrennbar mit der europäischen Integration verknüpft: politisch, wirtschaftlich und kulturell. Indem Sarrazin in dieser Einschätzung lediglich eine "pflichtschuldige Verbeugung vor der europäischen Idee" sieht, gibt er seine Geringschätzung der politischen Dimension der Gemeinschaftswährung als eine tragende Säule der europäischen Integration zu erkennen. Sarrazin verkürzt den Euro auf die eine Funktion einer Währung, was er auch ist - aber eben nicht nur. Er versucht dann eher missionarisch als "ganz pragmatisch", den Euro in dieser Währungsfunktion hinzurichten. Insofern ist er mit diesem Buch am Scheitern orientiert. Verantwortungsbewusste Politik muss sich aber aufs Gelingen richten.

Thilo Sarrazin: "Europa braucht den Euro nicht". Wie uns politisches Wunschdenken in die Krise geführt hat.

Deutsche Verlags Anstalt, München 2012. 464 S., geb., 22,99 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 22.05.2012

Gegen den Euro, gegen Europa
Das neue Buch von Thilo Sarrazin ist voller Detailhuberei, Widersprüche und wohlfeiler Provokation
Der Mann mit dem Schnauzer meldet sich zurück in der Welt der deutschen Themenhäckselmaschinerie. Ein Auftritt in der ARD-Talkshow „Günther Jauch“, ein Vorabdruck in der Zeitschrift Focus – Thilo Sarrazin, promovierter Volkswirt und langjähriger Sozialdemokrat, versucht die Wiederholung seines Bestsellers „Deutschland schafft sich ab“ mit allen Mitteln des Auflagen-Marketings. Wieder geht es um ein Dauerthema der deutschen Debatte, dem der auf Provokation gestylte Autor vorgeblich Neues abringen will: um Europa.
Hier führt sich Sarrazin, der Marketender in eigener Sache, mit zwei Grundthesen ein, die in dem Konvolut immer wieder vorkommen. Die eine These ist schon vom einstigen Industrieverbands-Präsidenten Hans-Olaf Henkel durchgewalkt worden, der den Medien beizeiten als „Euro-Sarrazin“ erschien. Sie liefert dem Echt-Sarrazin nun den Buchtitel: „Europa braucht den Euro nicht“. Danach ist die Krise nicht auch Folge finanzpolitischer Großwirren, sondern allein das Ergebnis politischer Illusionen; Deutschland habe sich „zahlreiche neue unüberschaubare Risiken und Zukunftslasten aufgehalst“.
Die andere These handelt vom Soupçon, Deutschland arbeite sich an seiner Kriegsschuld ab und lasse sich deshalb auf europäische Einheit und Euro-Bonds ein. Deren Befürworter seien angeblich „getrieben von jenem sehr deutschen Reflex, wonach die Buße für Holocaust und Weltkrieg erst endgültig getan ist, wenn wir alle unsere Belange, auch unser Geld, in europäische Hände gelegt haben“. Und Sarrazin rät, Deutsche müssten sich in Bezug auf Europa vor einem „etwas perversen Sendungsbewusstsein“ hüten, das sich „in seiner Verkrampfung nur aus der deutschen Geschichte erklären lässt“. Hier krampft nur einer, und das ist der Autor. Sarrazins Talkshow-Gesprächspartner Peer Steinbrück sieht manches davon schlicht als „Bullshit“.
Provo-Sätzchen sollen wohl jenes Skandalon schaffen, das dem Ganzen erst geldwerte Aufmerksamkeit beschert; nur so wird der Sarrazinismus sendefähig. Sie kontrastieren jedoch mit der vorgelegten volkswirtschaftlichen Detailhuberei, die viele Redundanzen aufweist und oft so spannend ist wie der Monatsbericht der Bundesbank. Der Mann, der sich in seinem vorherigen Buch in Rassen-Theorien verirrte, sucht diesmal akademische Anerkennung, und das 15 Jahre, nachdem er schon einmal zum Thema schrieb („Der Euro: Chance oder Abenteuer“). Über viele Seiten hinweg müht sich Sarrazin um das Graubrot der Statistik und den Nachweis, dass die Euro-Zone den Deutschen nichts nutze, da der Anteil der Exporte in die Euro-Länder leicht gefallen sei, von 45 Prozent in 1998 auf nun 39 Prozent. Das Wachstum der nördlichen Euro-Länder sei nicht stärker als das von Großbritannien und Schweden, während die gemeinsame Währung dem Süden geschadet habe.
Was aber sagt das aus? Im Grunde nur, dass woanders das Wachstum noch stärker war, in China etwa, dem gelobten Land deutscher Exporteure. Und keiner kann sagen, wie es mit dem Europa-Geschäft aussähe, wenn es den Euro nicht gäbe – weil dann wohl eine starke und immer stärker werdende D-Mark die deutschen Waren erheblich verteuern würde. Solche Einwände, wie etwa eine Studie der Beratungsfirma McKinsey, wonach ein Drittel des deutschen Wachstums dem Euro zu verdanken sei, wischt Sarrazin mit leichter Hand weg. Seine Beweistechnik ist, ausgiebigZeitungsartikel zu zitieren, die in seine Gedankenwelt passen, und die anderen auszusparen. So schließt sich ein Kreis, der keiner ist.
Sarrazin folgert aus seiner Arbeit nicht, so wie es Henkel tat, der „Euro-Sarrazin“, dass ein weicher Süd-Euro und ein harter Nord-Euro einzuführen sei – sondern der streitbare Autor findet, die Währungsunion müsse ihre Grundprinzipien wieder härten, wozu für ihn vor allem der Verzicht darauf gehört, anderen Staaten aus der Patsche zu helfen („No-bail-out-Prinzip“). Griechenland und ähnliche Problemstaaten („welches andere Südland auch immer“) sollten sich daran erfreuen, über Euro zu verfügen – aber es sollte sich „um selbst verdiente Euro und nicht um Geschenke oder Darlehen der Nordländer handeln“. Einerseits kritisiert Sarrazin, was alle kritisieren, nämlich die Währungsunion ohne politische Union begonnen zu haben. Andererseits lehnt er genau diese politische Union ab und spricht von „europäischer Eschatologie“, von einem politisch gewollten End-Schicksal. Er findet es ideologisch, wenn Politiker wie einst Helmut Kohl die Vereinigten Staaten von Europa via Euro fördern wollen, ist aber in Wahrheit genauso ideologisch mit der Ablehnung einer europäischen Identität. Das ist die Prämisse seiner Arbeit. Er ignoriert den Wert politischer Gestaltungsarbeit, wie sie bei Robert Schuman, Konrad Adenauer oder Jacques Delors üblich war. Stattdessen hämt er, die politische Klasse sei mit ihrer „Wette“ gescheitert, dass mit dem Euro quasi naturgesetzlich die politische Union komme.
Am interessantesten wird es, wenn der langjährige Spitzenbeamte aus der Reihe „Sarrazin und wie er die Welt sah“ erzählt. So erfährt die Nachwelt, wie er 1973 am Langzeitprogramm der SPD arbeitete und dabei begriffen habe: „Wer schreibt, der bleibt“ – und dass er es war, der unter Arbeitsminister Herbert Ehrenberg (SPD) 1978 auf die Idee des Mutterschutzes für Arbeitnehmerinnen kam. Thilo Sarrazin: Fernsehgast und Wohltäter.
HANS-JÜRGEN JAKOBS
THILO SARRAZIN: Europa braucht den Euro nicht. Wie uns politisches Wunschdenken in die Krise geführt hat. DVA, München, 462 Seiten, 22,99 Euro.
Seine Beweistechnik ist, Artikel
zu zitieren, die ins Bild passen.
Die anderen lässt er weg.
Hier krampft der Autor: Thilo Sarrazin (r.) warb am Sonntag in der ARD für sein Werk. Peer Steinbrück hält manches darin für „Bullshit“. Foto: Berry/dapd
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»Er analysiert glasklar als Experte und gibt seine eigenen Illusionen wieder. Das Ergebnis ist das klügste, aktuellste und nüchternste Buch zum Euro.« NZZ - Bücher am Sonntag (CH), 27.05.2012