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Nichts bedeutet etwas. Als Pierre Anthon das erkennt, steigt er auf einen Pflaumenbaum und verbringt dort seine Tage. Die anderen Kinder in der Stadt finden sein Verhalten nicht nur provozierend, es macht ihnen auch Angst. Aus Trotz beginnen sie, in einer verlassenen Sägemühle Dinge zusammenzutragen, die ihnen etwas bedeuten. Doch die Aktion läuft aus dem Ruder ... Ein hochkarätig besetztes SWR-Hörspiel.

Produktbeschreibung
Nichts bedeutet etwas. Als Pierre Anthon das erkennt, steigt er auf einen Pflaumenbaum
und verbringt dort seine Tage. Die anderen Kinder in der Stadt finden sein
Verhalten nicht nur provozierend, es macht ihnen auch Angst. Aus Trotz beginnen
sie, in einer verlassenen Sägemühle Dinge zusammenzutragen, die ihnen etwas
bedeuten. Doch die Aktion läuft aus dem Ruder ...
Ein hochkarätig besetztes SWR-Hörspiel.
Autorenporträt
Janne Teller, geb. 1964, ist ehemalige UN-Mitarbeiterin und gelernte Ökonomin. Sie lebt derzeit in Paris.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 01.10.2010

Der literarische Marktplatz
Jugendbuch
in der Diskussion
In diesem Herbst erregt ein Buch Aufsehen, das es schnell auf die Bestsellerlisten schaffte und in allen Feuilleton diskutiert wird, Janne Tellers Nichts was im Leben wichtig ist. Es wird inzwischen in einem Atemzug genannt mit Morton Rhues Die Welle oder William Goldings Herr der Fliegen, als eine besondere Form des Diskurses um den Sinn des Lebens.
Es geht der Autorin um ein soziales Experiment: Wie reagiert eine in sich hermetisch abgeschlossene Gruppe, eine Klassengemeinschaft von Jugendlichen, auf das verstörende quälende Verhalten eines Außenseiters. Am ersten Schultag nach den Sommerferien entschließt sich dieser Junge, Pierre Anthon, die Schule zu verlassen und von jetzt an die Tage auf einem Baum zu verbringen. „Nichts bedeutet irgendwas, das weiß ich seit langem. Deshalb lohnt es sich nicht, irgendetwas zu tun. Das habe ich gerade herausgefunden“, schreit er ihnen jeden Tag als lebende Provokation auf ihrem Schulweg nach. Als Antwort auf seine Aggressionen und getrieben von dem Versuch, ihn vom Gegenteil zu überzeugen, um ihr Leben, ihre Pläne für die Zukunft zu rechtfertigen und ihre Hilflosigkeit zu überwinden, planen die Schüler eine spektakuläre Aktion. Jeder von ihnen muss etwas Persönliches, Privates opfern, das ihm wertvoll erscheint, und es wie eine Ikone in einem aufgelassenen Sägewerk auf einem sogenannten Berg der Bedeutung deponieren.
Was erst mit harmlosen Dingen wie Lieblingsschuhen beginnt, entwickelt sich immer mehr zu einem Wettlauf der Grausamkeiten. Da muss ein Mädchen einer Grabschändung zustimmen, der Sarg des toten Bruders wird wie eine Devotionalie auf dem „Berg der Bedeutung“ ausgestellt. Ein Junge wird zur Blasphemie gezwungen, muss in seine Kirche einbrechen, den Christus vom Kreuz abnehmen und ebenfalls im Sägewerk abliefern, genauso wie der gläubige Muslim seinen Gebetsteppich. Ein toter Hund, er wurde geköpft, landet dort. Und besonders grausam ist der Befehl an ein Mädchen, seine Unschuld als ihren wichtigsten Wert zu opfern. So wächst „der Berg der Bedeutung“. Selbsthass und Menschenverachtung machen alle Beteiligten gleichzeitig zu Tätern und Opfern. Abgeschottet wie in einem Versuchslabor, obwohl scheinbar ein normaler Schulalltag abläuft, ist die Gruppe ihren Obsessionen ausgeliefert, und weder Eltern noch Lehrer spielen dabei eine Rolle. Jeder kennt den anderen seit Kindertagen und weiß, wie er ihn körperlich und seelisch verletzen kann. Die Handlung erinnert immer mehr an die aus Splatter-Filmen bekannten Szenen, die Horror und Ekel hervorrufen und mit der Übertretung sozialer Normen und Tabus für das Genre Jugendbuch ungewöhnliche Grenzüberschreitungen wagen.
Bemerkenswert ist, wie die Autorin am Ende ihre Geschichte in einer schrillen und dann absurd grausamen Folgerichtigkeit auslaufen lässt. Als der Junge, dem ein Finger abgehackt wurde, damit er nicht mehr Gitarre spielen kann, die Aktion öffentlich macht, folgen keine wirklichen Konsequenzen durch Eltern oder Lehrer. Das Ganze verwandelt sich in einen Medienhype. Nicht nur die Zeitungen, auch ein Museum in New York wird aufmerksam und will den „Berg der Bedeutung“ als Kunst erwerben. Doch er verbrennt, zusammen mit Pierre Anthon, den die Gruppe tötet, und die Ich-Erzählerin hört Jahre später noch seine höhnisch überlegenen Worte: „Und wenn der Tod keine Bedeutung hat, dann deshalb, weil das Leben keine Bedeutung hat. Aber amüsiert euch gut!"
Ob der Text bewusst mit Schockwirkungen spielt, um aus einer Abwehrhaltung heraus eine ethische Diskussion zu beginnen? Die Handlung selbst gibt dazu keine Antwort. Denn keine der jugendlichen Figuren gewinnt eine wirkliche Identität, mit der eine Auseinandersetzung beginnen könnte. Sie folgen aufeinander wie in einem Reigen der Gewalt, austauschbar, nur voneinander zu unterscheiden durch ihre Taten. Die einzige Person, bei der als Folge der Grausamkeiten eine Verstörung geschildert wird, das Mädchen, das seine Unschuld verliert, und später in die Psychiatrie eingewiesen wird, wirkt seltsam deplatziert.
Der Text macht viele Fragen möglich, und weil die Geschichte sie nicht beantwortet, lässt er jede Auseinandersetzung so ins Leere laufen und regt zu beliebigen Assoziationen an. Jeder hat die Möglichkeit in dieses „Nichts“ hinein seine Gedanken zu projizieren, erkennt das, was er sehen will. Es gibt keinen Widerspruch, jede Behauptung ist möglich, weil nichts an etwas festgemacht werden kann. Wie war doch die Erkenntnis des Jungen in Des Kaisers neue Kleider: „Er hat ja nichts an.“ ROSWITHA BUDEUS-BUDDE
JANNE TELLER: Nichts was im Leben wichtig ist. Aus dem Dänischen von Sigrid C. Engeler. Hanser 2010. 140 Seiten, 12,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.10.2010

Der Nihilist im Pflaumenbaum

Janne Tellers "Nichts" ist das umstrittenste Jugendbuch der Saison - weil es mehr Fragen stellt als Antworten gibt.

Von Heidi Strobel

Die existentielle Frage, was im Leben eigentlich wichtig sei, beantwortet Pierre Anthon, der Held von Tellers Parabel "Nichts", in juveniler Radikalität: "Nichts bedeutet irgendetwas". Rigoros zieht er daraus den Schluss: Also hat es auch keinen Sinn, irgendetwas zu tun. Ob dieser Gewissheit macht er sich eines Tages auf und davon und entzieht sich der schulischen Plackerei, um ein "Teil von nichts zu werden."

Dabei belässt er es allerdings nicht, sondern will als Beispiel wirken. Also sitzt der modern gewandete Diogenes nun im Geäst eines Pflaumenbaumes und provoziert die Mitschüler auf ihrem Schulweg mit seinen Sentenzen über die Sinnlosigkeit allen menschlichen Strebens. Die freilich wollen sich zunächst nicht aufschrecken lassen. Aber Pierres Nihilismus entfaltet doch seine subversive Wirkung, und die Mitschüler beginnen sich dagegen zu wehren. Erst mit Gewalt, mit gezielten Steinwürfen, soll der Rebell auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt werden. Am nächsten Tag sitzt er wieder in seinem Baum.

Nun wollen sie ihn überzeugen, ihn beeindrucken durch einen schieren "Berg aus Bedeutung": Sie beginnen diejenigen Dinge aufzuhäufen, die ihnen am meisten am Herzen liegen. Immer kühner und krasser werden die Forderungen, die sie einander abverlangen, da es einer dem anderen heimzahlen will, weil der ihm das Wichtigste abgepresst hat. So führt die jugendliche Sinnsuche zu einem erbarmungslosen Kampf um Macht, dem schließlich auch der provokante Außenseiter Pierre Anthon zum Opfer fällt.

Janne Tellers preisgekrönte Parabel, die bereits vor zehn Jahren in Dänemark erschienen ist, beeindruckt mit ihrem geistreichen Szenario, das die Autorin stilistisch wirkungsvoll unterstreicht durch wiederholte Dreierformeln aus Positiv, Komparativ und Superlativ. Sie zeigt, wie die Suche nach Sinn von einem Extrem ins nächste fallen und dabei völlig entgleisen kann, weil sie, nach der radikalen Entzauberung der Welt, weiter auf das Absolute zielend keine Zwischentöne zulässt und jede Neugier und Lust auf Entdeckung auszulöschen droht. Tellers Erzählung bricht jedoch vermittels der Form die Schwärze der Extreme. Agnes, die mittlerweile erwachsene Ich-Erzählerin, beschreibt retrospektiv das verbissene Ringen der Jugendlichen um Sinn und findet darin in der Erzählgegenwart für sich Bedeutung.

Doch zwischen dem glänzenden Auftakt und dem überzeugenden Schlussteil hängt die Parabel an der Passage durch, wo der "Berg aus Bedeutung" zusammengetragen wird. Sie wirkt stumpf, da die immer monströser werdenden Scheußlichkeiten dem Leser den Sinn der Erzählung geradezu plakativ an den Kopf zu knallen suchen. Sind es zunächst nur die geliebten grünen Sandalen, soll später ein Mädchen seine Unschuld opfern, muss dann die Leiche eines Kindes auf dem Friedhof ausgegraben und eine vom Kreuz genommene Jesusfigur von einem Hund mit Kot und Urin besudelt werden, dessen abgeschlagener Kopf schließlich den "Berg aus Bedeutung" krönt. Man fragt sich wozu die Ästhetik von Gewalt und Ekel dient. Kann nur dann etwas von Bedeutung sein, wenn der jugendliche Leser starke Eindrücke erfährt?

Andererseits geht es Janne Teller in ihrer Parabel offensichtlich auch darum, Jugendlichen Eigentümlichkeiten und Folgen derjenigen zeitgenössischen Protestbewegungen und Ideologien ästhetisch erlebbar zu machen, die im Kampf um die absolute Bedeutung immer rücksichtsloser über andere hinweggehen und abweichende Lebensentwürfe bekämpfen. So kann Pierre Anthons "Nichts bedeutet etwas" auch doppelsinnig als "Nein" gelesen werden: zu jeder Verabsolutierung von Ideen, die ins Totalitäre abgleiten. Kein schlechter Ansatz für ein Jugendbuch.

Janne Teller: "Nichts". Was im Leben wichtig ist. Aus dem Dänischen von Sigrid C. Engeler. Hanser Verlag, München 2010. 139 S., geb., 12,90 [Euro]. Ab 14 J.

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