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Ein junger Historiker auf der Suche nach der Wahrheit um Echnaton und Nofretete: Wenige Jahrzehnte nach dem Tod des geheimnisvollen Pharaos spürt er Zeitzeugen, Generäle, Priester, Künstler, Vertraute, Familienmitglieder und schließlich Nofretete selbst auf. Sie brechen ihr Schweigen und berichten mit gemischten Gefühlen von einem revolutionären Pharao, der die Menschen einem Gott gleichstellen wollte und ein utopisches Reich der Harmonie anstrebte.

Produktbeschreibung
Ein junger Historiker auf der Suche nach der Wahrheit um Echnaton und Nofretete: Wenige Jahrzehnte nach dem Tod des geheimnisvollen Pharaos spürt er Zeitzeugen, Generäle, Priester, Künstler, Vertraute, Familienmitglieder und schließlich Nofretete selbst auf. Sie brechen ihr Schweigen und berichten mit gemischten Gefühlen von einem revolutionären Pharao, der die Menschen einem Gott gleichstellen wollte und ein utopisches Reich der Harmonie anstrebte.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.10.1999

Verrat aus guten Gründen
Echnaton hängt einem Traum nach: Nagib Machfus' Parabel über die Utopie eines Pharaos / Von Navid Kermani

Wer einmal seine überlebensgroße Statue im Ägyptischen Museum in Kairo gesehen hat, dem geht die Gestalt Echnatons nicht mehr aus dem Sinn. Die lang gestreckten, wollüstigen Lippen, deren Ausdruck zunächst kontemplativ wirkt, aber auch ein provozierend selbstbewusstes Lächeln andeuten könnte, sind das Zentrum in einem auf fast schon bizarre Weise schlanken Gesicht, das wie eine Parodie auf das Schönheitsideal moderner Werbeästhetik wirkt. Getragen wird es von einem spindeldürren Nacken, der sich über einer mageren Brust und einem nach unten immer runderen Unterleib erhebt. Er sieht aus, als berge er unterhalb des Bauchnabels einen achtmonatigen Fetus. Für das pharaonische Ägypten ist die androgyne Gestalt vollkommen untypisch, rätselhaft sind die ästhetischen Normen, denen sie unterliegt.

Echnaton, der zwischen 1364 und 1347 vor Christus über Ägypten herrschte, war der ungewöhnlichste aller Pharaonen und eine der irritierendsten Führerfiguren der Menschheitsgeschichte. Er gilt als der erste Monotheist, hat Liebe verkündet, Gleichheit gepredigt, Gewaltlosigkeit beschworen und eine großartige Sonnenhymne verfasst, die den 104. Psalm vorwegzunehmen scheint. Und doch hat er Andersdenkende verfolgt, die Tempel früherer Götter unnachgiebig zerstört und seinen Staat, den er zu revolutionieren gedachte, in den Abgrund geführt. Die neunzehn Jahre seiner Herrschaft sind eine Religionsgeschichte im Schnelldurchlauf: die befreiende Botschaft, der Kampf gegen überkommene Autoritäten, aber auch die Korruptheit der neuen Priesterkaste und der inquisitorische Eifer des Ideologen, den man heute fundamentalistisch zu nennen gewohnt ist.

Nagib Machfus muss, als er sich mit dem historischen Stoff auseinander setzte, dessen Ambivalenz gespürt haben. Um sie in seinem Roman zu bewahren, hat der Nobelpreisträger einen Kunstgriff angewandt: Er lässt die gleiche Geschichte aus vierzehn Perspektiven erzählen. Einige Jahrzehnte nach Echnatons Fall suchte der junge Historiker Merimun Zeitzeugen auf, um das Leben und die Vision des Pharaos zu ergründen, der seiner Nachwelt als Ketzer gilt. Anhänger, Gegenspieler, Vertraute berichten ihm ihre Version und spekulieren vor allem über die Beziehung zwischen dem unansehnlichen, vergeistigten Echnaton und seiner ob ihrer Schönheit sagenumwobenen Frau Nofretete, die am Ende des Buches selbst zu Wort kommt. Die Ausstrahlung dieses besessenen Weltverbesserers wird spürbar, die Größe seiner Lehre, aber auch die Gründe für sein Scheitern werden offenbar und die keineswegs nur eigennützigen Motive seiner konservativen Gegner verständlich.

Der Hohepriester Amons etwa steht für den Glauben seiner Väter auch dann ein, als Echnaton auf dem Gipfel seiner Macht steht und die Günstlinge sich um ihn ebenso wie die Massen scharen. Als der Stern des Pharaos zu sinken beginnt, verhindert der strenge Priester einen Glaubenskrieg, indem er heimlich die neue Hauptstadt Echnatons besucht und dessen Anhänger zur Rückkehr überredet. Auch jene Gefährten des Pharaos, die sich von ihm abgewandt haben, haben gute Gründe für ihren Verrat. Sie beschreiben das Chaos, das durch eine Politik entstanden ist, die sich ganz und gar der Religion untergeordnet hat, sie verweisen auf die Armen, die gegen die Misswirtschaft revoltierten, oder auf die äußeren Feinde, die Echnatons Abneigung gegen das Militär als Einladung verstanden, sein Reich zu überfallen. Alle - die Gegner, die Verräter, die Getreuen, die Witwe, die ihn verlassen hatte - finden Rechtfertigungen für ihr Tun, die für sich plausibel klingen, sich jedoch gegenseitig widerlegen. Der Icherzähler unternimmt keinen Versuch, die Berichte zu bewerten und sich für eine Version zu entscheiden; vielmehr will er "die Wahrheit in ihrer ganzen Vielfalt erfassen".

Nagib Machfus hat eine Parabel über ein Grundthema dieses Jahrhunderts geschrieben: das Versagen der großen Lebensentwürfe in ihrer real existierenden Anwendung. Sie lässt sich auf die kommunistische ebenso wie auf die islamistische Ideologie beziehen, aber auch allgemein als eine Reflexion über den Verlust der Utopien verstehen. Nagib Machfus scheint diesen Verlust zu bedauern und ihn dennoch für unausweichlich zu halten. In der Lehre Echnatons finden sich viele Motive wieder, die der ägyptische Schriftsteller in seinen Interviews und Artikeln als die Essenz des Religiösen beschwört: die Gewaltlosigkeit, die Nächstenliebe, die Gleichheit aller Menschen, der Monotheismus, die Poesie. Doch ist das Buch auch in dem Bewusstsein geschrieben, dass selbst die friedfertigste Lehre den Keim der Intoleranz in sich trägt, weil sie ihre Wahrheit für allgemein gültig hält.

Viermal hat der mittlerweile achtundachtzigjährige Nagib Machfus, der als Stadtschreiber des modernen Kairo berühmt geworden ist, Themen aus dem alten Ägypten aufgegriffen; in drei kaum bekannten Erzählungen zu Beginn seiner schriftstellerischen Laufbahn sowie in den achtziger Jahren, als er sich mit Echnaton beschäftigte. Es ist erkennbar nicht seine Welt; was die meisten seiner übrigen Erzählungen auszeichnet, die prallen Bilder, die plastischen Beschreibungen, die überraschenden Charaktere, die Entdeckung des Allzumenschlichen im Mikrokosmos einer Altstadtgasse, fehlt in diesem Roman, der sich zwar als "historisch" ausgibt, den aber die konkrete Wirklichkeit des pharaonischen Ägypten kaum interessiert. Die Schilderungen bemühen sich nicht um Anschaulichkeit, sondern leben von ihrem Gleichnischarakter, und auch die Sprache ist um nichts so sehr wie um Klarheit und Zeitlosigkeit bemüht.

"Echnaton" zählt gewiss nicht zu den wichtigsten Werken des Nobelpreisträgers; der Roman hat weder die Lebensfülle seiner Kairoer Stadtgeschichten noch die erzählerische Dichte der "Kinder unseres Viertels", das auf ebenfalls allegorische Weise die Geschichte der semitischen Propheten erzählt. Dennoch ist das Gleichnis, das Machfus aus dem Aufstieg und dem Fall des messianischen Pharaos entwickelt, vielschichtig und offen genug, um bis zum Ende zu interessieren. Die schnörkellose Sprache des arabischen Originals gerät allerdings in der deutschen Übersetzung gelegentlich zum Alltagsjargon, etwa wenn Nofretete "klipp und klar" erklärt, an Echnatons Gott zu glauben, wenn von einem "Mann aus echtem Schrot und Korn" die Rede ist und es von Echnaton heißt: "Fakt ist, dass er nur mit ihr konnte." Bei aller Aktualität des Stoffs: So heutig waren die alten Ägypter denn doch wieder nicht.

Nagib Machfus: "Echnaton. Der in der Wahrheit lebt". Roman. Aus dem Arabischen übersetzt von Doris Kilias. Unionsverlag, Zürich 1999. 187 Seiten, geb., 34,-DM.

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