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"Ungeschminkt und in greller Nüchternheit erzählt." DeutschlandRadio

Produktbeschreibung
"Ungeschminkt und in greller Nüchternheit erzählt." DeutschlandRadio
Autorenporträt
Gordimer, Nadine
Nadine Gordimer, geboren 1923 in dem Minenstädtchen Springs, Transvaal, gehört zu den bedeutendsten Erzählerinnen unserer Zeit. Jahrzehntelang schrieb sie gegen das Apartheidregime an und setzt sich bis heute mit dessen zerstörerischen Folgen für die schwarze und weiße Bevölkerung auseinander. 1991 wurde ihr der Nobelpreis für Literatur verliehen. Sie starb am 13. Juli 2014 in Johannesburg, Südafrika.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 17.10.2006

Das Strahlenrisiko der Seele
Nadine Gordimers neuer Roman „Fang an zu leben”
Der Imperativ des Lebens drängt meist erst dann ins Bewusstsein, wenn das Leben gefährdet ist und jeder Augenblick kostbar wird. Der deutsche Titel des neuen Romans der südafrikanischen Nobelpreisträgerin Nadine Gordimer, „Fang an zu leben”, drückt das noch stärker aus als das 2005 erschienene Original „Get a life”. „Was willst du? Was wolltest du? Womit hast du dich begnügt”, fragt sich der 35 Jahrealte Ökologe Paul Bannerman, bei dem ein Schilddrüsenkrebs diagnostiziert wurde. Seit fünf Jahren ist er mit der Werbetexterin Berenice, wie man so sagt, glücklich verheiratet. Sie haben ein Kind, und alles war bis zu diesem Moment in Ordnung. Doch die Möglichkeit des bevorstehenden Todes wertet die bestehenden Verhältnisse um. Kann es sein, dass sie einfach nur Bett und Tisch geteilt haben, aber gar kein gemeinsames Fundament besitzen? Warum haben sie nie über die Widersprüche gesprochen, die sich aus ihren Tätigkeiten ergeben? Wie kann eine Frau, diefür internationale Konzerne wirbt, mit einem Naturschützer zusammenleben?
Gordimers erzählerische Diagnosetätigkeit setzt in dem Moment ein, in dem Paul das Krankenhaus verlässt. Weil er eine Strahlentherapie hinter sich hat, muss er für zehn Tage in Quarantäne. Er, der Ökologe, der unter anderem gegen ein neues Atomkraftwerk kämpft, ist selbst zu einemStrahlungsrisiko geworden. Seine Eltern bieten ihm in dieser Situation Asyl und sind bereit, das Risiko zu tragen, das damit verbunden ist. Sie gehören derweißen Upper-Middle-Class Südafrikas an, bewohnen ein Haus mit automatischem Einfahrtstor, langer Auffahrt durch den Garten, einem Bewegungsmelder, der Schutz vor Einbrechern bieten soll, und beschäftigen eine schwarze Haushälterin.
Das ist die Welt der Nadine Gordimer. Von hier aus erscheint das Leben als etwas, das individuellen Entwürfen folgt, denen gelegentlich ungeplante Ereignisse in die Quere kommen. Krankheit. Politik. Liebe. „Etwas geschieht”, heißt es immer wieder leitmotivisch. Untersucht wird dieFrage, ob „Geschehen” etwas ist, das eine Bereitschaft und einen Willen voraussetzt. Eine Liebesaffäre „geschieht” jedenfalls inanderer Weise als eine Krankheit, auch wenn beide als Naturereignisse empfunden werden mögen.
Die Halbwertzeit einer Ehe
Paul ist der Mittelpunkt des Romans und bleibt doch seltsam unterbelichtet, eine Leerstelle im Zentrum. Die Strahlung, die von ihm ausgeht, scheint unmerklich die Verhältnisse um ihn herum zu zersetzen. Dabei geht es Gordimer nicht umdie konkrete Situation, weder um die Krankheit noch um die Einsamkeit, die Paul,getrennt von Frau und Kind, überstehen muss. Die Quarantäne wird zu einer Generalmetapher, die sich auf das Allgemeine der südafrikanischen Gesellschaft nach der Apartheid ebenso anwenden lässt wie auf das Besondereder privaten Eheverhältnisse. Leichte Verschiebungen innerhalb des familiären Beziehungsgefüges rücken das Trennende in den Vordergrund, während zugleich die zaghaften Annäherungsbemühungenzwischen Schwarzen und Weißen auf Gartenfesten und am Arbeitsplatz geschildert werden.
Gordimer interessiert sich bald weniger für Paul und Berenice als für das Elternpaar, die Rechtsanwältin Lyndsay und ihren Mann Adrian, deren so harmonisch-aufgeklärtes Zusammenleben plötzlich in Frage steht. Einst hat sie ihm eine Affäre gestanden, die sie nach vier Jahren beendet hatte. Seine Antwort: „Ich dachte, du wolltest mir sagen, dass du gehst”, ist ein weiteres Leitmotiv des Romans. Der Satz, in dem so viel Ungesagtes zum Vorschein kommt, verändert seine Bedeutung im weiteren Verlauf. Am Ende istes Adrian selbst, der sich entscheidet zu gehen, auf eine Art und Weise, mit derniemand rechnen konnte, auch nicht er selbst.
Staunend nimmt Gordimer zur Kenntnis, wie wenig selbst diejenigen Menschen voneinander ahnen, die einander unendlich vertraut sind. Wie könnten sie auch etwas voneinander wissen, da sie sich selbst kaum kennen? Doch über diesem Staunen verliert sie das Erzählen aus dem Blick. Die Figuren bleibenkonturlos, als wären sie nur Modelle für eine Gedankenübung. Die auktoriale Erzählerstimme springt vom Einen zur Anderen, ohne irgendwo Haltzu finden, als hätte sie wie ihre Figuren den Boden unter den Füßen verloren. Eingeschoben sind, als längere und eher langweilige Exkurse, Gespräche des Ökologen Paul mit seinen Kollegen darüber, wie sich der Bau eines neuen Atomkraftwerks und der einer Autobahndurch ein Naturschutzgebiet verhindern lassen könnten. Da zeigt Gordimer pflichtgemäß ihr gesellschaftliches Engagement und ihre Sorge um die Zukunft Südafrikas.
Doch es fehlt eine Zentralperspektive, um die verschiedenen Elemente sinnvollmiteinander zu verbinden. Dass immer „etwas geschieht”, was das Leben radikal verändert, reicht dafür nicht aus. Die Kanadierin Alice Munro hätte aus der Geschichte von Lyndsay und Adrian eine dichte Erzählung von 40 oder 50 Seiten gemacht. Gordimer nimmt sich sehr viel mehr Zeit und bringt doch nur Skizzen zustande. Die wenigen eindrucksvoll präzisen Beobachtungen können über den unkonzentrierten Gesamteindruck nicht hinwegtäuschen. Jörg Magenau
NADINE GORDIMER: Fang an zu leben. Roman. Aus dem Englischen von Malte Friedrich. Berlin Verlag, Berlin 2006. 218 Seiten, 19,90 Euro
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.10.2006

Die kümmert sich um alles
Aus dem Tugendkatalog: Nadine Gordimer ist neu zu lesen

Krebs, Kidnapping, Korruptionsskandale, Geburtenrückgang, Atomtod, Aids, Alterssex - das ist nicht etwa der Sündenkatalog, den Boulevardblätter täglich ihren Lesern zum Fraß vorwerfen. Das sind die Sorgen, die sich Nadine Gordimer in ihrem neuen Roman "Fang an zu leben" um den Zustand der Menschheit macht. Kaum ein Thema, das die westliche Welt im Ernst oder Scherz beunruhigt, für das sie nicht in ihrem Buch ein Exemplum statuierte. Jede Figur hat einen Auftrag; jede hat, wie ein Angestellter im Krisenmanagement, einen bestimmten Problemfall zu bewältigen. Und immer erfüllt sie ihn auf vorbildliche Weise. Für alle Fragen, die ihm angelegen sein könnten, bekommt der Leser von irgendeiner der Rollen die fortschrittlichste Lösung angeboten. Wer diesen Ratgeber gelesen hat, kann nicht mehr fehlgehen.

Die Romanhandlung beschäftigt sich mit den zwei Generationen einer Familie. Das junge Ehepaar, Mitte Dreißig, hat eine echte Partnerschaft, denn beide sind erfolgreich im Beruf. Ihre Eltern, etwa sechzig Jahre alt, sind ihrer Zeit voraus, denn auch hier hat die Frau ein erfülltes Berufsleben hinter sich. Diese Menschen sehen sich mit Krebs und Strahlentod konfrontiert. Paul Bannermann, der junge Ehemann, wird gegen den Schilddrüsenkrebs, der ihn mit fünfunddreißig Jahren anfiel, mit radioaktiven Strahlen behandelt. Er ist "buchstäblich strahlend" und also die Inkarnation von Segen und Unsegen der Nuklearenergie. Für die Zeit seiner Genesung muß er von den Mitmenschen isoliert werden; die Eltern opfern sich und nehmen ihn zur Pflege auf. Diese währt zwar nur ein paar Wochen; Zeit genug jedoch, um die Probleme anbranden und romanhafte Katastrophen entstehen zu lassen.

Paul Bannermann kehrt bald auf seine "Stelle in einer Stiftung für Artenerhaltung und Umweltschutz" zurück, um gegen die Zerstörung der afrikanischen Natur zu kämpfen. Seine Liebe zu Frau und Kind hat durch die Quarantäne keineswegs gelitten, er beweist es in der Prüfung, die auf ihn wartet und die er mit Auszeichnung besteht. Seiner Frau nämlich macht das wiedergewonnene Glück nach überstandener Krankheit bewußt, daß sie ein zweites Kind haben sollte: "Sie erwähnte gar nicht, daß es auch eine Karriereentscheidung war. Sie war bereit, etwas von ihrer Energie aufzugeben", entscheidet sich also vorbildlich im Sinne des von der Politik ausgedachten neuesten Lebensentwurfs für erfolgreiche Frauen: "Es ist ihr Beitrag zum Beginn einer neuen Lebensform." Dadurch erhält ihr Mann Gelegenheit, Größe zu beweisen. Nach einer Strahlenbehandlung nämlich sträubt sich seine Natur gegen die Erschaffung neuen Lebens; er kann den Kinderwunsch seiner Frau nicht erfüllen - eine Warnung der Autorin auch an die Atommächte, die mit ihren Tests und Raketen lange über die Zeit der Strahlungen hinaus Leben unmöglich machen werden. Paul Bannermanns Frau allerdings findet eine schlanke Lösung: Ein anderer Mann springt ein, und das Glück des Paares ist perfekt. Mittlerweile aber ist Bannermanns Mutter in eben die Schwierigkeiten geraten, die jeder Frau Ende Fünfzig drohen, auch wenn sie zuvor die "Totalität" der Liebe ihres Mannes genossen hat, den "allumfassenden Sex, den er ihr gewährte, weit mehr als das bloße Ficken [...]. Liebe mit den Gegenströmungen der Kinder, die aus dieser Hingabe erwuchsen, aus diesem Bündnis innerhalb und gegen die Gefährdungen der Welt."

Selbst so ein mustergültiger Ehemann verliebt sich in eine junge Frau. Die Verlassene, nicht weniger geschickt als ihre Schwiegertochter, adoptiert zum Trost ein Mädchen, "schwarz, mißbraucht, infiziert, namenlos", ein Mädchen, dessen Biographie beispielhaft alle Verfehlungen der westlichen Welt und alle Probleme der Dritten Welt bündelt: Imperialismus, Kindsmißbrauch, Aids, Bildungsnotstand. Die einzige Figur des Romans, die nicht immer nur das Wahre und Gute erkannt hat, sondern auch das Schöne suchte, der alternde Mann, der eine junge Frau gewinnt, wird gerichtet. Der Ungetreue stirbt in den Armen seiner Geliebten; die verlassene Ehefrau besitzt die Größe, das Angebot der Geliebten, den Toten zu ihr zu überführen, abzulehnen.

Gordimer würzt ihre Exemplensammlung moderner Tugenden mit einer Anzahl von Lebensweisheiten, die der lakonischen Erzählung erst die Fülle eines Romans verschaffen: "Die Gegenwart des Todes macht auch aus schwachen Bindungen ein Sakrament." Oder: "Nur das Opfer hat die Macht, dem Täter die Rückkehr in die historische Kontinuität eines Lebens zu bahnen." Schließlich: "Als Mutter und Vater trägt man in sich selbst eine Katastrophenausrüstung, die praktische und psychologische Werkzeuge bereithält, um mit einer allgemein bekannten Liste von existentiellen Krisen im Leben der Kinder fertig zu werden."

Der Roman der zweiundachtzigjährigen Nobelpreisträgerin wird zum Erbauungsbuch, die schon im Titel "Fang an zu leben" (im Original: "Get a Life") eine besinnliche Ermahnung enthält. Nadine Gordimer, die von dem Glauben des Lesers zehrt, sie sei fähig, ihn in eine exotische Welt zu entführen, gibt sich in ihrem neuen Buch keine Mühe, diese Fähigkeit zu beweisen. Kein Hauch von Atmosphäre einer anderen Kultur entsteht durch den Text. Der Kieselbettreaktor, die Staudämme, das Okavango könnten ebensogut in Neckarwestheim stehen, die Partys der afrikanischen Familien auch in Bad Homburg stattfinden. Nichts von den Beschreibungen Tanja Blixens etwa. Der Ruhm, eine Erzählerin exotischer Himmel und Höllen zu sein, müßte Nadine Gordimer abgesprochen und ihr statt dessen der Titel einer europäischen Erbauungsschriftstellerin verliehen werden. Zu viel Moral ist unmoralisch.

HANNELORE SCHLAFFER.

Nadine Gordimer: "Fang an zu leben". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Malte Friedrich. Berlin Verlag, Berlin 2006. 219 S., geb., 19,90 [Euro].

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"Nadine Gordimers Stärke liegt in der Beschreibung zwischenmenschlicher Beziehungen: anhand von Gesten und Ritualen gelingen ihr immer wieder Verdichtungen der gesellschaftlichen Atmosphäre, markante Übersetzungen eines diffusen Empfindens." - Süddeutsche Zeitung

Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension

Nicht wirklich gelungen findet Rezensentin Cornelia Gellrich diesen Roman. Zu groß ist darin für ihren Geschmack die Entfernung zwischen Leser und Figuren, zu dick die bürgerliche Watte, in die sie gepackt und vom Leben und seinen Erfahrungen abgeschottet sind. So fangen sie dem Eindruck der Rezensentin zufolge mit dem Leben, wie es der Titel verspricht, gar nicht an. Es geht um einen Mittdreißiger, der an Krebs erkrankt. Nach überstandener Therapie scheint seine Wahrnehmung geschärft, was aber Gellrich zufolge nicht wirklich zu tragenden Einsichten führt - und zwar sowohl, was den Blick auf seine weiße bürgerliche Lebenswelt, als auch auf das Post-Apartheid-Südafrika betrifft. In Pastellfarben male Nadine Gordimer die bürgerliche Wattewelt ihrer Protagonisten. Nur ab und zu lasse sie den Schrecken der Wirklichkeit in ihren "Hochglanzbildern ohne viel Hintergrund" aufblitzen. Am Ende überlasse sie es leider den Lesern, die entstandenen kaum sichtbaren Risse im schönen Bild weiterzudenken.

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