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Das fesselnde Porträt des Nobelpreisträgers
Isaac B. Singer war ein Mann der Widersprüche. Der gebürtige Pole, Sohn eines frommen chassidischen Rabbiners, emigrierte 1935 nach Amerika und wurde dort zu einem der meistgelesenen Schriftsteller ` mit Werken, die sich fast ausschließlich auf die eng begrenzte Sphäre des jiddischsprachigen Judentums bezogen. Er liebte die Frauen, hatte zahlreiche Affären und hielt doch 50 Jahre lang an seiner Ehe fest.
Das fesselnde Porträt des Nobelpreisträgers
"Ich möchte, dass man mich als einen guten Autor in Erinnerung behält, nicht als einen
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Produktbeschreibung
Das fesselnde Porträt des Nobelpreisträgers

Isaac B. Singer war ein Mann der Widersprüche. Der gebürtige Pole, Sohn eines frommen chassidischen Rabbiners, emigrierte 1935 nach Amerika und wurde dort zu einem der meistgelesenen Schriftsteller ` mit Werken, die sich fast ausschließlich auf die eng begrenzte Sphäre des jiddischsprachigen Judentums bezogen. Er liebte die Frauen, hatte zahlreiche Affären und hielt doch 50 Jahre lang an seiner Ehe fest.

Das fesselnde Porträt des Nobelpreisträgers

"Ich möchte, dass man mich als einen guten Autor in Erinnerung behält, nicht als einen schlechten Autor. Ich möchte, dass man mich als einen guten Menschen in Erinnerung behält, nicht als einen schlechten Menschen. Aber ob sich das so ergeben wird, ist eine große Frage."

Er schrieb in einer Sprache, die als aussterbend galt. Im amerikanischen Exil. Wo entsprechende Buchladenbesitzer ` jedenfalls in einer seiner Geschichten ` weniger das Bestohlenwerden als das Einschmuggeln weiterer unverkäuflicher Werke fürchteten: Isaac Bashevis Singer. Nobelpreisträger für Literatur 1978.

Ein Mann der Widersprüche, von Anfang an. Der Sohn eines frommen chassidischen Rabbiners, der der elterlichen Welt in die Literatur entflieht, um sie mit der ganzen Kraft seines Talents schriftstellerisch wieder zu beleben. Der sich in seinen Arbeiten fast ausschließlich auf die eng begrenzte Sphäre des jiddischsprachigen Judentums bezieht und daraus Weltliteratur gestaltet.

Den rabbinischen Familienauftrag künstlerisch weiterführend, indem er die Eindeutigkeit des religiösen Gerichtshofs um die Einsicht in die Fehlbarkeit des modernen Menschen erweitert, dem keine Leidenschaft und Schwäche fremd ist, wenngleich er um die Scheidung von Gut und Böse weiß. Ein Leben lang in komplizierte Liebesbeziehungen verwickelt und 50 Jahre glücklich verheiratet. Am eignen Hang zur Zeitvergeudung leidend und Schöpfer eines belletristischen Werks, das an Vielfalt und Umfang seinesgleichen sucht.

Rezension:
"Mit enzyklopädischem Eifer, dabei detailverliebt bis weitschweifig, hat sich Stephen Tree auf die Suche nach Isaac B. Singers Lebensspuren gemacht. Vor allem in Amerika, wohin der Autor von Meschugge 1935 emigrierte, durchkämmte Tree die Archive. Er befragte ehemalige Weggefährten und Mitarbeiterinnen des notorischen Schwerenöters und mischte ihre Aussagen mit Zitaten aus den Romanen. So schildert er Singers phänomenales Schreibtalent, das er auch als Zeitungskolumnist bewies." NDR Kultur

"Assimiliert war Singer, aber nicht angepasst, wie der Journalist Stephen Tree in einer flott geschriebenen Biografie nacherzählt. Tree kombiniert Erinnerungen von Familienangehörigen und Freunden Singers mit Zitaten aus dem Werk und versucht sowohl das osteuropäische jüdische Milieu als auch die Atmosphäre des jüdischen New York nachvollziehbar zu machen." Neue Zürcher Zeitung

"Tree hat für seine Singer-Biographie umfangreiches Material gesichtet und spannend aufbereitet, nicht nur zum 100. Geburtstag ein wirkliches Lesevergnügen." n-tv.de

"Ein fesselndes Porträt des Nobelpreisträgers." Schweriner Volkszeitung

"Doch diese Biografie geht weit über eine reine Lebensbeschreibung hinaus und wird in ihrer anschaulichen Schilderung der Lebensverhältnisse und der Kultur des polnischen Judentums sowie des US-amerikanischen Exilantendaseins zum exemplarischen Bild eines jüdischen Lebens im 20. Jahrhundert." Nordsee-Zeitung

"Und in den Anekdoten und Details, die sein Biograph Tree um die Zeugnisse von Singer und Zeitzeugen ausstreut, entsteht ein Lebensbild, ähnlich farbig wie das in Singers Geschichten." Kieler Nachrichten

Ein "ausdrucksstarkes Porträt". Profil

Eine "charmante Mischung aus poetischer und atmosphärisch dichter Charakterstudie sowie streng sachlicher, historisch genauer Berichterstattung eines bunten Dichterlebens, aus sympathiegetragenem Mitempfinden und behutsamer Wertung, die jedoch nur zwischen den Zeilen zu erspüren ist...
Stephen Tree zeichnet mit präzisem wie elegantem Pinselstrich ein fesselndes Porträt des großen Mannes, dem der Aufstieg zum Nobelpreisträger nicht in die Wiege gelegt war."
Die"herausragende erste deutsche Biographie über den Literaturnobelpreisträger von 1978."
Weser Kurier

"Trees Darstellung widmet sich dem Autor wie auch dem Menschen Singer, der Zeit seines Lebens in komplizierte Liebesbeziehungen verstrickt war. Doch diese Biographie geht weit über eine Lebensbeschreibung hinaus und wird in ihrer anschaulichen Schilderung der Lebensverhältnisse und der Kultur des polnischen Judentums sowie des US-amerikanischen Exilantendaseins zum exemplarischen Bild eines jüdischen Lebens im 20. Jahrhundert." literatur-report.de

Leseprobe:
Verloren in Amerika

New York

Obwohl wir noch nicht weit von Warschau entfernt waren ... kam es mir vor, als sei ich schon im Ausland. Ich wusste, dass... Warschau, Polen, der Schriftsteller-Klub, meine Mutter, mein Bruder Mosche... schon in den Bereich der Erinnerung eingegangen waren.

Es wird eine lange Reise. Er muss - damit der Preis nicht ins gänzlich Unerschwingliche steigt - über Deutschland fahren, das damals, 1935, bereits Nazi-Deutschland ist.

Viele Juden haben ihre erste Begegnung mit der Hakenkreuzflagge beschrieben und den Schock, den diese in ihnen auslöste. Von einer Regierung zu lesen, die Juden systematisch beschimpft, verfolgt und erniedrigt, ist das eine; sich ihrem realen Symbol gegenüberzusehen und ihm auf Gedeih und Verderb ausgeliefertzu sein, etwas anderes. Wir hatten das Land der Inquisition betreten. Wie bei allen anderen Inquisitionen blieb die Sonne auch heute neutral. Sie ging auf, und ihr Licht beschien Balkone, die mit Naziflaggen geschmückt waren. Es war der siebenundvierzigste Geburtstag des "Führers".

Ein magischer Moment in Berlin - als im Zugabteil sein Name ausgerufen wird. Der Reiseagent aus Warschau hat dafür gesorgt, dass sein eigentlich areligiöser Kunde mit dem vorgeschriebenen ungesäuerten Matze-Brot versorgt wird. Eine Packung desselben hat sich Singer später, zur Zeit der acht Tage des Pessachfestes, immer auf den Tisch gestellt.

Ein magischer Moment in Paris, wo er ebenfalls erwartet wird -diesmal von einem jüngeren Adepten der jiddischen Literatur, der ihn, den Autor des Satan in Goraj, am Bahnhof empfängt und in Paris herumführt.

Die Überfahrt wird zur Qual. Der arrivierte junge Literat aus Warschau fallt auf der Schiffsreise in eine tiefe Depression. Er fühlt sich wieder wie im Rabbiner-Seminar in jeder Hinsicht fehl am Platz, vergisst die Nummer seiner Kabine, muss sie mühsam suchen, behauptet hartnäckig, er sei Vegetarier (was er damals noch gar nicht ist), ist sich für den Koscher-Tisch zu gut, legt sich mit anderen Passagieren an, lässt sich trotzig den einen, miesen Einzeltisch zuweisen - und kommt sich in seiner Einzelkabine, einem dunklen, fensterlosen Loch, das an die Zimmer seiner Anfangszeit in Warschau erinnert, vor "wie eine Seele ohne Körper".

Nach fünf Tagen erlöst ihn eine Frau. Er begegnet ihr, in der klassischen Pose des Überseereisenden, beim Lesen im Liegestuhl, den er sich schließlich doch gemietet hat, auf dem Promenadendeck. Ende Zwanzig oder Anfang Dreißig, weiße Bluse, grauer Rock. Dunkler Teint mit Aknenarben. Einen in Samt gebundenen Gedichtband, Fleurs du Mal von Baudelaire, in der Hand. Singer liest einen Philosophieband von Bergson. Er schenkt ihr weiter keine Beachtung - in der Annahme, dass sie, mit dem französischen Buch auf dem französischen Schiff, wohl ohnehin nur Französisch kann. Plötzlich wendet sich ihm die Liegestuhlnachbarin zu und spricht ihn in etwas zögerndem Warschauer Jiddisch an. Bergson habe sie auch schon lange lesen wollen, sei aber nie dazu gekommen. Ich war so überrascht, dass ich vergaß, verlegen zu sein. "Sie sprechen Jiddisch?"

Die Nachbarin, die seine Zeitung gesehen hat, erzählt ihm ihre Lebensgeschichte: Ihr Vater war ein frommer Jude, der zur anglikanischen Hochkirche konvertierte und nun als Missionar in Warschau tätig ist, sie selbst fühlt sich zwischen alle Kulturen geraten. Die Eltern unterhalten sich nach wie vor auf Jiddisch, ihr Vater, der Pastor, liest jedes jiddische Buch. Während man sie, die Tochter des Konvertiten, im standesbewussten England ausschließlich als Fremde und Ausländerin wahrnimmt. Ob er ein jiddischer Autor sei?

"Ich versuche, einer zu sein."
Sie will seinen Namen wissen. Den er ihr nennt.
Worauf sie sich als "Zofia oder Zosia" vorstellt. Bis zu ihrer Taufe habe sie "Reize Gitl" geheißen.

Er erzählt ihr von seiner Kabine, wo er sich nun sein Essen servieren lässt - und mit dem Kellner nicht zurechtkommt. Sie fordert ihn auf, sich an ihren Tisch zu setzen. Der ohnehin halb leer sei. Was er denn tut. An Zosias Seite bekommt er ein anständiges vegetarisches Essen vorgesetzt; und als die wenigen anderen Gäste gegangen sind, unterhalten sie sich wieder in der "Muttersprache" (wie Jiddisch auf Jiddisch heißt).

"Ich glaube nicht an Wunder, sagte ich, "aber unser heutiges Zusammentreffen ist für mich ein Wunder." Das sieht Zosia nicht anders. Die mit ihren Kabinennachbarinnen, jungen Engländerinnen, nicht kann, und kein vernünftiges Wort mit jemandem gewechselt hat.

Schließlich ziehen sie sich in Singers finstere Kabine zurück, wo verblüffenderweise zum ersten Mal ein gutes Essen auf ihn wartet - einschließlich einer Flasche Wein. Sie bleiben bis ein Uhr früh beisammen, trinken den Wein und essen den Fruchtsalat. Sie sind nun so vertraut, dass er ihr von seinen Beziehungen erzählt, von Gina, Stefa, Lena und Esther. Nach einiger Zeit fragte ich sie, und sie gestand, noch Jungfrau zu sein.

Sie erzählt von ihrer großen Liebe, einem katholischen Professor. Der sie sogar heiraten wollte. Aber dafür hätte sie zum Katholizismus konvertieren müssen. Und: "Zwei Mal zu konvertieren wäre eben selbst für eine so Ungläubige wie mich zuviel gewesen."

Mit dem Professor hat sie es eine Nacht lang versucht - aber ohne Erfolg. Sie fürchtet, zu ewigem Jungfrauendasein verurteilt zu sein.

"Jemand wird Ihnen den Gefällen tun."
"Nein, ich werde so ins Grab sinken."

Als der Dampfer in Manhattan anlegt, holt ihn Israel Joshua am Pier ab. Er wirkt gealtert, mit einem dünnen Streifen grauer Haare um die Vollglatze.

Singer hat den Tag der Ankunft, mit vielen Schattierungen und Einzelheiten, ausführlich geschildert und dabei seine anfängliche Unbehaustheit in der Neuen Welt vermittelt, die jahrelang anhalten sollte. Polen, zwischen Hitler und Stalin eingezwängt, unter einem autoritären Militärregime stark faschisiert, mit einem immer rabiater werdenden Antisemitismus, war für den Juden und Antikommunisten Singer alles andere als ein sicherer Aufenthaltsort - darum trieb es ihn ja weg. Aber es war das Land und die Welt, wo er sich zu Hause fühlte. Wo er jede Nuance verstand. Mit einer Kultur, die, soweit sie ihn betraf, ganz selbstverständlich jiddischsprachig war. Nun ist er in einer Welt angekommen, wo das Jiddische, auch unter Juden, einen ganz anderen Stellenwert hat: den eines Minderheitendialekts. Dem kein besonders hoher sozialer Status zukommt. In Polen war er mit seinen Sprachkenntnissen - Jiddisch, Polnisch, Hebräisch, Deutsch, ein bisschen Französisch, ein bisschen Russisch - ein gebildeter Mann. Hier ein ungeschlachtes Greenhorn, das außerhalb seines Sprachghettos auf Dolmetscher und Vermittler angewiesen ist. Singers Unangepasstheit zeigt sich in der Kritik der anderen an seiner Kleidung - gewiss seine besten Sachen, da er bei den Grenzbeamten einen guten Eindruck machen wollte:

Hier trage kein Mensch einen steifen Kragen, einen so schweren Anzug wie meinen oder einen schwarzen Hut. Auch Westen trage niemand mehr. Und so bleibt ihm nichts anderes übrig, als Jackett, Kragen und Krawatte auszuziehen - eine erzwungene Lockerheit, in der sich Singer befangen und unfrei fühlt.

Nach einigen scherzhaften Bemerkungen über Singers zu breite Hosenträger kommt Israel Joshua auf die Zukunft des jüngeren Bruders zu sprechen. Er werde "so oder so" im Land bleiben. Ein, zwei Jahre werde sich das Besuchsvisum verlängern lassen "und ich werde alles tun, um dich davon abzuhalten, zurückzugehen. Drüben wird bald die Hölle los sein."

In Singers Erinnerungen weist er ihn auch auf die Möglichkeit einer Heirat mit einer Amerikanerin hin. Was eine versteckte Anspielung auf Runya, Singers bisherige Lebensgefährtin, gewesen wäre. Beide, Bruder wie Schwägerin, waren mit Singers Trennung von Runya nicht einverstanden gewesen, und Singer hat wiederholt darauf hingewiesen, dass er sich wegen seiner "Frauengeschichten" vor dem älteren Bruder genierte - ohne von ihnen lassen zu können oder zu wollen.

Israel Joshua hat einen neuen Roman geschrieben, Die Brüder Aschkenasi, der in der polnischen Textilstadt Lodz zu Anfang des Jahrhunderts spielt; über ein ungleiches Brüderpaar, dessen negativer Held, ein krankhaft ehrgeiziger, äußert intelligenter, schmaler, sommersprossiger junger Mann, nur seinen Erfolg im Sinn hat, und äußerlich wie innerlich an den jüngeren Bruder erinnert. Dass dieser allerdings der eigenen Frau, die denselben nur aus Familienrücksichten geheiratet hat, jahrelang vergeblich den Hof macht, um sie auch seelisch für sich zu gewinnen, muss in Bezug auf das potenzielle Vorbild als künstlerische Freiheit gelten. Der spannend geschriebene und klar strukturierte Roman, in dessen Schlusskapiteln der negative Held in immer freundlicherem licht erscheint, wird ins Englische übersetzt und von Alfred Knopf, dem amerikanischen Verleger Thomas Manns, herausgebracht.

Doch trotz des beruflichen Erfolges geht es der Familie des Bruders nicht besonders gut. Alle drei sind nach wie vor von dem vor zwei Jahren erfolgten Verlust des Ältesten gezeichnet.

Singer berichtet, dass ihn die Schwägerin bei seiner Ankunft nicht mit einem Abendessen erwartet hat, und dass sie alle bei ihrem Hauswirt eingeladen waren, dem Bruder eines bekannten jiddischen Literaten - dessen Kinder kein Wort Jiddisch können.
Auch Israel Joshuas Sohn Joseph, der in Polen mit Polnisch aufgewachsen ist, spricht nun Englisch, so dass sich sein Onkel kaum mit ihm verständigen kann. Kenntnisse, die Isaac Bashevis Singer, von dem er wesentliche Werke übersetzen wird, später sehr zugute kommen werden. Damals tragen sie mit zur Entfremdung bei, mit der dieser auf seine neue Umgebung reagiert. Er macht einen Spaziergang - wo er sich prompt verirrt, was er schon damals auf seine innere Befindlichkeit und nicht auf die komplizierte Topografie von Seagate zurückführt. Wo er sich denn unvermittelt wieder zurechtfindet. Er sieht dem Bruder durchs Fenster bei der Arbeit zu - und kann sich erst jetzt, aus der Distanz heraus, über seine liebe und Dankbarkeit zu ihm klar werden.
Dann begibt er sich in sein Zimmer und legt sich angezogen im Dunkeln hin. Ich hatte alle Wurzeln, die ich in Polen gehabt hatte, ausgerissen und wusste bereits, dass ich hier bis zu meinem letzten Tag ein Fremder bleiben würde.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.08.2004

Die Zuhälter am Trauhimmel
Pflichtlektüre: Nachgelassene Erzählungen von Isaac Bashevis Singer

Ehestreitigkeiten, Liebesunfälle und anderer Schlamassel - es geht hoch her in der Warschauer Krochmalnastraße 10. Fast jede der 27 autobiographischen Erzählungen des Nobelpreisträgers von 1978 - eine postume Ausgrabung ersten Ranges - beginnt auf die gleiche Weise: Die Tür geht auf, und ein fremder Mensch stürzt herein, schwer beladen mit Sorgen, und wendet sich um Hilfe an den Nachbarschaftsrabbi.

Dessen bescheidenes Heim ist das Zentrum der jüdischen Gemeinde. Es dient als Gerichtshof "Beth din") und psychotherapeutische Ambulanz, als Ort für Talmud-Debatten und Erste-Hilfe-Station für Liebeskranke. "In meinen Büchern kehre ich immer wieder in die Krochmalnastraße 10 zurück", meinte Singer einmal. "Ich kann mich noch genau an jeden Winkel und jeden Bewohner erinnern. Andere graben nach Gold, aber für mich ist diese Straße meine Goldader." Sie ist die Lebensschule des Erzählers, wie dieser Band aufs schönste zeigt.

Die Geschichten über "meinen Vater, den Rabbi" lesen sich wie die Folgen einer Serie. Dank ihrer Mischung von Vertrautem und Neuem, Wiederholung und Variation hat der Leser bald das Gefühl, in diesem Buch zu Hause zu sein. Ein kindlicher Blick wird vorgegeben. Der Erzähler erinnert sich an das, was er einst miterlebte, wenn die Erwachsenen stritten oder der Vater ihn schickte, um Beklagte vorzuladen. Aber damit ist keine Beschränkung aufs Infantile verbunden. Ungezwungen wechselt die Perspektive zwischen kindlichem Einst und erzählerischem Jetzt, zwischen Naivität und Gewitztheit.

Männer oder Frauen kommen zum Rabbi, um ihre Partner zu beschuldigen. Da kümmert sich einer zuwenig und bringt der Gattin nie Geschenke mit, da knutscht eine andere mit dem Hund - jedenfalls lieber als mit dem Angetrauten. Zwei wollen ganz schnell verheiratet werden, zerstrittene Paare verlangt es umgehend nach der Scheidung. Der Junge macht sich auf vieles, was er zu hören bekommt, seinen ersten Reim. Bei allzu heiklen Angelegenheiten heißt es: "Geh aus dem Zimmer." Versteht sich, daß er trotzdem eine Möglichkeit findet, die Verhandlungen mit einem Ohr zu verfolgen. Süße und schauerliche Geschichten zeichnen sich in seiner angeregten Phantasie ab: "Nicht nur oben im Himmel gab es Geheimnisse, sondern auch hier unten auf der Erde. Ich wünschte mir, möglichst schnell erwachsen zu werden . . ."

Der Literatur des zwanzigsten Jahrhunderts sind mit den geschlossenen, eng zusammenhaltenden Gemeinschaften oft auch die deutlichen Charaktere verlorengegangen: lauter Männer und Frauen ohne Eigenschaften, die jede Festlegung scheuen. In Singers Geschichten, die in der Großstadt spielen, glaubt man sich manchmal wie auf dem Dorf - so sehr bestimmt eine genießbare Deutlichkeit den Ton, die an den Menschenkenner Tschechow erinnert. Singers Figuren sind oft typenhaft, aber doch keine Hampelmänner an den Schnüren der Absehbarkeit; eine allzu beschauliche Abrundung wird vermieden. Vor allem vergißt Singer über der plastischen Menschenschilderung nicht, daß der "Typ" oder "Charakter" oft schief und schmerzhaft auf der Seele sitzt.

Reb Sainwele kann in seiner Geschichte ein Lied davon singen: Er gilt als "Tumtum" - das talmudische Wort bezeichnet einen Mann mit unsicherer Geschlechtsidentität. Seine Wangen sind glatt wie die eines Kindes. Welch eine "Demütigung, mit nacktem Gesicht in einer ganzen Gemeinde bärtiger Juden herumlaufen zu müssen". Die Jugend ruft dem gelehrten Mann spottende Worte hinterher, Reb macht fröhliche Miene dazu. Aber in seinen Augen steht die kummervolle Frage, die in mitleidigen Momenten auch den Autor umtreibt: "Sind so die Menschen?"

Zur rabbinischen Gelehrsamkeit gehören die Bestimmungen, die den Alltag bis ins kleinste regeln. Aber ringsum verändert sich die Welt, fordert die Modernisierung Tribut, fallen die Menschen vom Glauben ab. Auch der Junge, so deutet sich an, wird die vorgegebene Spur verlassen: "Vielleicht würde auch ich mir die Schläfenlocken abschneiden." Der Vater jedoch schnürt gegen die Auflösungserscheinungen in der jüdischen Gemeinde den Gebetsriemen enger. Singer ist ein gleichermaßen von Komik und Respekt bestimmtes Vaterbildnis gelungen. Nur einmal platzt dem geduldigen Mann, der von Frauen aus Gründen der Versuchungsvermeidung prinzipiell den Blick abwendet, der Kragen - als er es nämlich in der Titelgeschichte mit einem Heiratsschwindler zu tun bekommt, der gleich zwei unansehnliche Bräute zum Narren hält.

Ansonsten ist ihm nichts Menschliches fremd. "Meine Frau ist eine Hure", beklagt sich ein Mann und beginnt zu erzählen. "Sie müssen sich scheiden lassen", lautet der Rat des Rabbis: je schneller, desto besser. Nun aber beginnt der Mann selbst die Sache herunterzuspielen und steigert sich immer mehr hinein ins Verständnis für seine Frau - der Rivale sei ja auch ein so ungemein liebenswürdiger Mensch. "Bei uns zu Hause ist es trübsinnig, und wenn er kommt, bringt er ein bißchen Freude mit." Bis am Ende alles so bleiben darf, wie es ist. Vielleicht noch schöner, auf jeden Fall skurriler ist die Geschichte "Eine ungewöhnliche Hochzeit". Man könnte sie sich mit viel Täterätä à la Kusturica verfilmt vorstellen. Ein ehrbarer Mann heiratet eine Prostituierte, und es wird groß gefeiert in der Wohnung des Rabbis, auch wenn die Mutter des Erzählers sich sehr geniert. "Jeden Augenblick ging die Tür auf, und ein Dieb oder Zuhälter kam hereinspaziert. Die meisten Gäste aber waren Freudenmädchen, feingemacht in Samt und Seide und mit Straußenfederhüten. Auch die Puffmütter erschienen . . . Vier Zuhälter hielten die Stangen des Trauhimmels."

Am Ende dieser Geschichten wird der Leser nicht mit Gewißheiten, sondern mit offenen Fragen entlassen. Und mit einem Sinn für Toleranz, denn er lernt bei Singer - und wenn er es weiß, lernt er es noch ein wenig besser -, daß im Garten des Menschlichen vieles ziemlich schief gewachsen ist. Der soziale Hintergrund wird nur angedeutet, aber es ist nicht zu verkennen, daß die Verhältnisse am Rand der Armseligkeit angesiedelt sind. In "Eine Kindheit in Warschau" hat Singer beschrieben, wie das schmutzstarrende Außenklo im Hinterhof der Schrecken seiner jungen Jahre gewesen sei. Zwischen 1910 und 1917 lebten die Singers in der Krochmalna. Dann zwang die nackte Not sie, Warschau zu verlassen.

Nachlesen kann man solche Hintergründe in Stephen Trees Singer-Biographie, der es unter verzeihlicher Vernachlässigung der Werke gelingt, die spannungsvollen Ambivalenzen dieses Lebens darzustellen. Singer blieb der Autor des orthodoxen Judentums, ohne selbst orthodox zu sein. Er war einerseits zu weltlich für die Synagoge, andererseits zu religiös geprägt, um in der säkularen Welt aufzugehen. Als Amerikaner wahrte er die gute, alteuropäische Form. Das Übernatürliche mit seinen Kobolden und Dämonen faszinierte ihn - und noch mehr das Natürliche, die Sexualität, deren Bann er mit unverblümter Vehemenz darstellte.

Das Schreiben gehörte für ihn zum Lebensvollzug wie das Atmen. In manchen Jahren produzierte er mehr Texte als andere Schriftsteller in Jahrzehnten. Statt der Beliebigkeit und Nachlässigkeit, die man angesichts solcher Vielschreiberei erwarten könnte, findet man in "Ein Bräutigam und zwei Bräute" eine beiläufige, aus dem Handgelenk geschüttelte Meisterschaft. Keinerlei Genrezwang der short story engt den Erzähler ein, auf perfekte Abrundung und finale Knalleffekte kann er verzichten. Man hat den Eindruck, eine naturbelassene Scheibe Leben vorgelegt zu bekommen - Indiz dafür, daß hier große Kunst am Werk ist.

Veröffentlicht wurden die Erzählungen in der jiddischen Zeitung "Forverts" zwischen 1955 und 1960. Singer schrieb für sie seit 1935, dem Jahr, in dem er in die Vereinigten Staaten auswanderte, um dem Antisemitismus zu entgehen, der auch unter der polnischen Militärregierung rabiater wurde. Er blieb der Zeitung als renommierter Beiträger über fünfzig Jahre lang treu, auch als ihre Auflage von einer Viertelmillion auf ein Zehntel sank. "Forverts" war die Probebühne für Hunderte von Erzählungen und eine ganze Reihe seiner Romane, bevor sie ins Amerikanische übersetzt wurden. Manches, was in den Archiven der Zeitung ruhte, ist erst in den letzten Jahren wiederentdeckt worden - einige schwächere Romane darunter, aber auch diese wunderbaren Erzählungen, deren Veröffentlichung mehr als eine Pflichtübung anläßlich des hundertsten Geburtstags ist.

WOLFGANG SCHNEIDER

Isaac Bashevis Singer: "Ein Bräutigam und zwei Bräute". Geschichten. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Sylvia List. Hanser Verlag, München 2004. 216 S., geb., 17,90 [Euro].

Stephen Tree: "Isaac Bashevis Singer". Deutscher Taschenbuch-Verlag, München 2004. 200 S., br., 14,50 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Zum "Heulen und zum Wehklagen" findet Rezensentin Gabriele Killert die Biografie, die Stephen Tree jetzt anscheinend "unter Terminzwang" geschrieben hat. Zwar hat Killert schon gewusst, dass gegen biografischen Voyeurismus "kein Kraut gewachsen" ist; dass Tree sich aber in weiten Teilen den Ess-, Schlaf- und Beischlafgewohnheiten Singers widmet, ohne einen Blick auf die "literarische Textur, die obsessiven Parameter" des Erzählwerks zu werfen, ärgert sie dann doch. Zwar lasse der Autor Singers Werk ausgiebig "als vermeintlich authentische Quelle" sprudeln, verkürze es dabei aber ums "Ästhetische". Die Quellenlage der Biografie scheint der Rezensentin ebenso verstümmelt - sie besteht vorwiegend aus zwei amerikanischen Biografien - wie die Sprache. In "teilweise aberwitzigem" Deutsch ist das Buch geschrieben, das dem Deutschen Taschenbuchverlag, der mit solchen "biografischen Schnellschüssen" schon mehrfach seinen Ruf aufs Spiel gesetzt habe, nicht zur Ehre gereicht, findet Killert.

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