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In dem düsteren Salon Boris Makavers an der New Yorker Upper West Side treffen sich Überlebende des Holocaust. Sie debattieren über Freud und Moses, über Marxismus und Stalinismus. Es ist ein Abend wie jeder andere und für zwei der Anwesenden doch ein besonderer Abend. Denn Anna, die Tochter Makavers, und der einstige Talmudgelehrte und derzeitige Börsenmakler Hertz Grein beschließen, sich von ihren Partnern zu trennen und in Florida ein neues Leben zu beginnen. Doch die Schatten der Vergangenheit holen sie ein.

Produktbeschreibung
In dem düsteren Salon Boris Makavers an der New Yorker Upper West Side treffen sich Überlebende des Holocaust. Sie debattieren über Freud und Moses, über Marxismus und Stalinismus. Es ist ein Abend wie jeder andere und für zwei der Anwesenden doch ein besonderer Abend. Denn Anna, die Tochter Makavers, und der einstige Talmudgelehrte und derzeitige Börsenmakler Hertz Grein beschließen, sich von ihren Partnern zu trennen und in Florida ein neues Leben zu beginnen. Doch die Schatten der Vergangenheit holen sie ein.
Autorenporträt
Isaac Bashevis Singer wurde 1904 in Radzymin (Polen) geboren und wuchs in Warschau auf. Er erhielt die traditionelle jüdische Erziehung und besuchte ein Rabbinerseminar. Mit zweiundzwanzig Jahren begann er Gedichte zu schreiben, zunächst auf hebräisch, dann auf jiddisch. 1935 emigrierte er in die USA. Im Jahr 1978 wurde ihm für sein Gesamtwerk der Nobelpreis für Literatur verliehen. Singer starb 1991 in Surfside, Florida.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.01.2001

Ein Abend bei Boris
Nachzügler: Isaac Bashevis Singer legt Schatten über den Hudson

Nach einer siebenjährigen Schreibblockade schrieb der 1935 aus Warschau eingewanderte Isaac Bashevis Singer im Frühjahr 1943 in New York sein künftiges literarisches Programm nieder. Der jiddische Schriftsteller in Amerika, erklärte er, müsse auf die Gegenwart zugunsten der Vergangenheit verzichten. Er könne nur über Osteuropa schreiben, wo sich die jiddische Sprache aus dem alltäglichen religiösen und weltlichen Leben speiste. Allerdings muß er die Vergangenheit im Zeichen der Gegenwart beleben. Das hieß für Singer, den Einsichten der Psychoanalyse Rechnung zu tragen. Anerkennung erfuhr Bashevis erst, als Saul Bellow auf Drängen der Kritiker Eliezer Greenberg und Irving Howe die Erzählung "Gimpl tam" ins Englische übertrug und 1953 in der Kulturzeitschrift "Partisan Review" veröffentlichte. Was Greenberg, Howe und Bellow, Söhne ostjüdischer Einwanderer, dabei an Singer faszinierte, war die Kombination von niederem Sujet und gehobenem Stil - Dirnengeschwätz in rabbinischer Diktion. Das war anspruchsvoll, aber es war nicht das, was das amerikanische Publikum wollte: Es wollte einen altmodischen Erzähler, in dessen Werken die verlorene Welt der Ostjuden erstand - Bahevis Singer gab diesem Bedürfnis nach. Mit Skepsis beobachteten Singers Kollegen in den folgenden Jahren die Anpassung des großen Pessimisten an die amerikanischen Vorstellungen.

Zwischen Januar 1957 und Januar 1958 veröffentlichte Singer im "Forverts" einen Roman, der das Leben osteuropäischer Juden im New Yorker Exil nach dem Krieg darstellte. "Shotns baym hodson" erschien auf jiddisch nie in Buchform, wurde erst 1998 ins Englische übersetzt und liegt jetzt als "Schatten über dem Hudson" auf deutsch vor. Die erste Szene erzählt von einer Abendgesellschaft in der Wohnung des Kaufmanns Boris Makaver: eine Bestandsaufnahme jüdischen Lebens im Winter 1947. Viel jüdische Substanz haben Aufklärung, Assimilation und Holocaust nicht übriggelassen. Makaver ist auf der Talmudschule in Ger gewesen. Er heiratet reich, wird 1924 Witwer, zieht mit seiner Tochter Anna von Warschau nach Berlin und flieht von dort vor den Nationalsozialisten nach New York. "Hitlers shekhites" (Schlächterei) führte Makaver zur alten Frömmigkeit zurück.

Sein Freund auf der Gerer Jeschiwa, Solomon Margolin, wird Arzt und heiratet in Berlin eine Deutsche, die ihn 1938 um eines Nationalsozialisten willen verläßt. Dieser Verrat und die Ermordung der europäischen Juden lassen Margolin vollends zum Atheisten werden. Für ihn ist das vom Ritual bestimmte Leben der Ostjuden nur eine radikale Verneinung der menschlichen Natur. Den Unterschied zwischen Juden und Nichtjuden hält er für "eine reine Gedankenkonstruktion, ein Ding, das keine Substanz hat". Aus Scham verschweigt Margolin seinem Freund, daß er in New York wieder mit seiner deutschen Frau zusammenlebt.

Professor Schrage, ein Nachfahre Warschauer Chassidim, ist Mathematikprofessor geworden; seine Frau kommt in einem Konzentrationslager um. Schrage wendet sich der Parapsychologie zu. In Séancen hofft er, mit seiner toten Frau in Kontakt zu treten. Auch der Jurist Stanislaw Luria verlor Frau und Kinder im Holocaust. Jetzt ist er mit Anna, der Tochter Makavers, verheiratet, die sich zu Beginn des Romans in ihren früheren Berliner Nachhilfelehrer Hertz Grein verliebt hat. Grein, der geniale Sohn eines Torah-Schreibers, wählt ein säkulares Studium, meldet sich 1920 freiwillig zur polnischen Armee und brennt mit einem armen Mädchen nach Amerika durch, wo er es zum Börsenmakler bringt.

Als Anna um ihn wirbt, ist Grein verheiratet und hat eine Geliebte. Seine Zerrissenheit zwischen drei Frauen treibt die spärliche Handlung, die in der Selbsteinkerkerung des Protagonisten endet. Grein zieht sich im Staat Israel in das orthodoxe Viertel Mea Shearim in Jerusalem zurück, wo er sich durch ein ritualisiertes Leben zu disziplinieren sucht. Greins Rückzug ist eine geistige Bankrotterklärung. Singers Charaktere können ihre Prägung durch die jüdisch-polnische Provinz nicht überwinden. Die kreative Adaption des Judentums an die Moderne, die ihnen in Amerika vorgelebt wird, ist für sie keine befriedigende Option.

Es verwundert nicht, daß dieser Roman 1958 weder auf jiddisch noch auf englisch einen Verleger fand. Sprachlich war der Roman reizlos, denn Singer bediente sich eines der kulturellen Verflachung seiner Charaktere angemessenen amerikanisierten Jiddisch, das er 1943 als Symptom des Verfalls der jiddischen Literatur kritisiert hatte. Man vermißt Bashevis' nuancierte Kadenzen, die Fülle von idiomatischen Wendungen, Sprichwörtern und Maximen, die für Frauen typischen Sprachmuster und die linguistischen Differenzen zwischen Juden und Nichtjuden. Kurzum: Der Roman hatte durch die Übersetzung ins Englische kaum etwas zu verlieren. Im Jahr 1998 legte Joseph Sherman mit "Shadows over the Hudson" eine moderne Vision vor, die nur jene jiddischen Idiome beibehielt, die anderweitig Eingang ins Amerikanische gefunden hatten. Shermans radikal ent-jiddisierte Fassung brachte einen kulturkritischen Roman hervor, der links und rechts genehm war und gut besprochen wurde.

Die über weite Strecken hervorragende deutsche Übersetzung von Christa Schuenke, die auf Shermans Text basiert, nimmt die amerikanische Modernität Singers zurück und restauriert die ostjüdische Atmosphäre. Schuenke flicht viele jiddische Idiome in ihre Fassung ein, um, wie sie erklärt, deutsche Leser in die Welt der polnischen Juden hineinzuziehen. Daß Schuenke, ohne selbst direkten Zugang zum Jiddischen und damit zum Originaltext zu haben, mit Ausdrücken wie "base jechide" (einzige Tochter) oder "batlen" (unpraktischer Mensch) oft ins Schwarze trifft, verdankt sie einem erstaunlichen Sprachgefühl. Einige stilistische Fehler wären vermeidbar gewesen.

In seiner Dankesrede vor der Schwedischen Akademie im Dezember 1978 sagte Singer: "Meine alten Freunde vom Café in der Nähe des Forverts halten mich für pessimistisch und dekadent; doch Resignation beruht auf einem Fundament des Glaubens. Ich habe Trost bei anderen Pessimisten und Décadents gefunden, bei Baudelaire, Verlaine, Edgar Allan Poe und Strindberg." In dieser literarischen Gesellschaft, die wie er das Übersinnliche als Metapher für die menschliche Getriebenheit benutzte, hätte sich Singer gern gesehen.

Der Roman "Schatten über dem Hudson" mit seiner Vielzahl von gebrochenen Gestalten ist künstlerisch kein großer Wurf, doch beeindruckend als Beschreibung jenes desorientierenden Moments, da eine Kultur versucht, ihren Weg aus einer erstarrten Tradition in die Moderne zu finden.

SUSANNE KLINGENSTEIN

Isaac B. Singer: "Schatten über dem Hudson". Roman. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Christa Schuenke. Hanser Verlag, München 2000. 645 S. geb. 49,80 DM.

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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Katharina Raabe hält diesen Roman neben "Familie Moschkat" für Singers bedeutendestes Buch: "wie ein Zentralgestirn" verhalte sich dieser umfangreiche Roman zu den nachfolgenden Satellitenbüchern, die das "opus magnum", so Raabe, bloß umkreisten und dabei flacher, kolportagehafter wirkten. Formal sei "Schatten über dem Hudson" keineswegs gelungen, da dieses Buch genau wie die anderen als Fortsetzungsroman in einer jiddischsprachigen Zeitschrift erschienen ist. Aber es verfüge über ein unverwechselbares Figurenarsenal, schwärmt Raabe; ihr erscheinen die Protagonisten wie den Bildern Max Ernsts oder James Ensors entstiegen: grell, schräg, witzig. Ausgestattet seien sie mit einer unverwechselbaren Stimme, die auch dank der hervorragenden Übersetzung im Deutschen nichts eingebüßt hätte. Angesiedelt ist die Geschichte kurz nach 1945 in der jüdischen Emigrantenszene New Yorks, für die sich der Schatten über dem Hudson, schreibt Raabe, als der lange Schatten von Auschwitz erweist.

© Perlentaucher Medien GmbH
"Das voluminöse Opus enthält die zentralen Themen des Nobelpreisträgers in radikaler Zuspitzung und erzählt von der Geburtsstunde der modernen Neurose."
Iris Buchheim, Der Falter, 24.03.00

"Dieser frühe Roman Singers ist düster und bitter, mit einer ruhigen und starken Verzweiflung, wie eine tragischere Version seines späteren Buches >Feinde<. Aber das Buch strahlt auch einen grotesken Humor aus, der über den materiell wohlhabenden und emotional armen Helden schwebt. Es ist ein schöner, breiter, ausführlicher, sicher erzählter Roman. Ein klassischer Singer, der letzte seiner Art."
Georg Patzer, Allgemeine Jüdische Wochenzeitung, 13.04.00