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Auf ihrem Posten in den peruanischen Anden sitzen Korporal Lituma und sein Helfer Tomás wie in einer Falle. Unter ständiger Bedrohung durch Terrorkommandos und eine gewalttätige Natur sollen sie das mysteriöse Verschwinden dreier Menschen aufklären. Überall schlägt ihnen Mißtrauen entgegen, unheimliche Geschichten dringen an ihr Ohr. Hätte Tomás nicht die brennende Erinnerung an seine abenteuerliche Liebesgeschichte mit Mercedes, von der er Lituma Nacht für Nacht erzählt, die beiden müßten eingehen in dieser feindseligen, abergläubischen Bergwelt. So abweisend das Klima und so verstörend die…mehr

Produktbeschreibung
Auf ihrem Posten in den peruanischen Anden sitzen Korporal Lituma und sein Helfer Tomás wie in einer Falle. Unter ständiger Bedrohung durch Terrorkommandos und eine gewalttätige Natur sollen sie das mysteriöse Verschwinden dreier Menschen aufklären. Überall schlägt ihnen Mißtrauen entgegen, unheimliche Geschichten dringen an ihr Ohr. Hätte Tomás nicht die brennende Erinnerung an seine abenteuerliche Liebesgeschichte mit Mercedes, von der er Lituma Nacht für Nacht erzählt, die beiden müßten eingehen in dieser feindseligen, abergläubischen Bergwelt.
So abweisend das Klima und so verstörend die Bruchstücke der Wahrheit, die sie nach und nach ans Licht bringen, sie lassen nicht locker. Was in den Bergen geschah, hat die Ausmaße eines unfaßbaren Dramas.

Autorenporträt
Mario Vargas Llosa, geboren 1936 in Arequipa/Peru, studierte Geistes- und Rechtswissenschaften in Lima und Madrid. Bereits während seines Studiums schrieb er für verschiedene Zeitschriften und Zeitungen und veröffentlichte erste Erzählungen, ehe 1963 sein erster Roman Die Stadt und die Hunde erschien. Der peruanische Romanautor und Essayist ist stets als politischer Autor aufgetreten und ist damit auch weit über die Grenzen Perus hinaus sehr erfolgreich. Zu seinen wichtigsten Werken zählen Das grüne Haus, Das Fest des Ziegenbocks, Tante Julia und der Schreibkünstler und Das böse Mädchen. Vargas Llosa ist Ehrendoktor verschiedener amerikanischer und europäischer Universitäten und hielt Gastprofessuren unter anderem in Harvard, Princeton und Oxford. 1990 bewarb er sich als Kandidat der oppositionellen Frente Democrático (FREDEMO) bei den peruanischen Präsidentschaftswahlen und unterlag in der Stichwahl. Daraufhin zog er sich aus der aktiven Politik zurück. Neben zahlreichen anderen Auszeichnungen erhielt er 1996 den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels und 2010 den Nobelpreis für Literatur. 2021 wurde er in die Académie Française aufgenommen. Heute lebt Mario Vargas Llosa in Madrid und Lima.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.03.1996

Du sollst nicht töten
Mario Vargas Llosa und der Gott Dionysos · Von Gustav Seibt

Mario Vargas Llosas neuer Roman gleicht einem Akt der geistigen Notwehr. Er hat nichts Spielerisches, und von der ersten bis zur letzten Seite dienen alle seine Elemente einem einzigen Ziel. Die Spannung, die man von einem Thriller erwartet, erscheint hier als Unerbittlichkeit, mit der die Schraube immer weiter gedreht wird, bis auf den letzten Seiten die allerfürchterlichste Wendung eingetreten ist und der ganze Gang der Handlung noch einmal in ein neues Licht getaucht wird.

Schon bei Vargas Llosas letztem, vor zehn Jahren erschienenem Roman "Wer hat Palomino Molero umgebracht?" hat man beobachtet, daß Artistik und avantgardistische Experimentierlust des Autors sich von der Sprache ganz auf die Konstruktion verlegt hatten. Damals war die fröhliche Zeit der postmodernen Vernunftkritik auf ihrem Höhepunkt; auch Vargas Llosa benutzte das damals durch Eco wieder zu Ehren gekommene Genre des Kriminalromans, um das Mißverhältnis von menschlicher Vernunft und undurchschaubarer Wirklichkeit darzustellen. Sein machohafter Kommissar versagte vor einer fülligen, die ungreifbare Realität verkörpernden Frau.

Der Name dieser Frau, Adriana, erscheint auch in dem neuen Roman wieder, und wieder handelt es sich um eine fette Wirtin. Auch Lituma, der zweite Mann des vorherigen Buches, tritt wieder auf, diesmal als der erste - nun ist er Kommissar und mit der Lösung des neuen Falles betraut. Aber das Klima des neuen Buches, das innere wie das äußere, hat sich völlig verändert. In den letzten Jahren geschah in der Wirklichkeit Perus, dem Land von Vargas Llosa, und in der Welt zuviel Vernunftwidriges, wurde zuviel gemordet, als daß dieser Erzähler Lust gehabt hätte, die alten Spiele fortzusetzen. Der Schriftsteller hat als Präsidentschaftskandidat einen Ausflug in die Politik gemacht, der ihn mit Gewalt und Unvernunft in engere Berührung brachte, als es Intellektuellen sonst zugemutet wird. Der "Tod in den Anden" ist ein strenges und lehrhaftes Buch, seine Sprache und Erzählweise sind so klar, hart und rätselhaft wie die Landschaft, in der er spielt.

Der Schauplatz ist entrückt und abgeschlossen. Aus dem Barackenlager einer einsamen Straßenbaustelle in den peruanischen Hochanden sind nacheinander drei Personen spurlos verschwunden. Der Kommissar Lituma und sein Helfer Tomás sehen sich bei ihren Nachforschungen mit einer Mauer des Schweigens konfrontiert. Die Arbeiter, überwiegend Indios, reagieren auf das Verlorengehen ihrer Lagergenossen teilnahmslos und ausdruckslos. Trotzdem scheint der Fall bald klar: In den Tälern des Gebirges herrscht der Terror des "Leuchtenden Pfades", der Befreiungsbewegung, deren Trupps im Morgengrauen wie Naturereignisse einbrechen, Autobusse aufbringen, Dörfer dezimieren und "Klassenfeinde" ausrotten. In dieser Luft des Schreckens überrascht auch das Verschwinden einzelner nicht. Daß der auf seinem Außenposten ohne Hilfe bleibende Lituma weiterrecherchiert, erscheint wie ein pedantischer Heroismus der Pflicht.

In dieses Vordergrundgeschehen blendet Vargas Llosa verschiedene Episoden und Geschichten ein, vor allem die Schicksale der Verschwundenen vor ihrem Verschwinden, außerdem peinigend grausame Darstellungen von Überfällen des "Leuchtenden Pfades". Sie treffen Unschuldige und Gute, zum Beispiel eine landschaftsverliebte Entwicklungshelferin, eine Dame, die ein allzu reines Bild des Positiven darstellt. Bei diesen Einblendungen erlaubt sich Vargas Llosa das einzige erzähltechnisch ungewöhnliche Verfahren seines Romans: Er verzichtet auf jegliche zeitliche Perspektive, die die Einschübe in Beziehung zur Haupthandlung setzen könnte. Sie sind ebenso scharf gegenwärtig wie alles andere auch. Besonders beeindruckend gelingt ihm dieses Ineinander in den Erzählungen der eigenen abenteuerlichen Liebesgeschichte, mit denen Tomás seinen Chef, den Kommissar, in den unheimlichen Nächten auf dem abgeschiedenen Polizeiposten bei Laune hält. Hier sind Erzählzeit und erzählte Zeit gleich nah, so wie vielleicht die scharfe Gebirgsluft der Anden keine Farbperspektive und kein fernes Verschwimmen kennt.

Der Leser erfährt also, daß die drei Verschwundenen schon im Visier des "Leuchtenden Pfades" gewesen und ihm nur knapp entronnen waren. Um so mehr scheint dafür zu sprechen, daß die Terrorarmee sich ihre Opfer diesmal endgültig geholt hat. Die Recherchen von Lituma ergeben zunächst allerdings kaum mehr als ein veristisches Gemälde des Anden-Lebens, in dem Reste des vorkolumbischen Aberglaubens, Erinnerungen an indianische Menschenopfer eine große Rolle spielen. Immer wieder aber versandet Litumas Spürsinn, vor allem am Widerstand der Wirtin Adriana, die mit ihrem Mann Dionisio eine Kneipe für die Straßenarbeiter betreibt.

Spätestens hier müßte die faire Rezension eines Kriminalromans mit der Nacherzählung aufhören, um dem Leser nicht das Vergnügen der Auflösung zu rauben. Aber Vargas Llosas Buch ist eben, wie unzweideutige Zeichen von Anfang an klarmachen, weit mehr als ein Thriller über rätselhafte Entführungen oder Morde. Daß der Wirt Dionisio seinen Namen nicht zu Unrecht trägt, ist von dem Augenblick an nicht zu übersehen, in dem von seiner Bisexualität die Rede ist. In der Nacht seien alle Katzen grau, ruft er den Bauarbeitern zu und ermuntert sie zu Tänzen und Handgreiflichkeiten. Was zuerst wie eine lästige akademische Anspielung auf den griechischen Gott Dionysos wirken könnte, entfaltet der Roman zu einer großartigen Umsetzung der Dionysos-Mythologie.

Dionisio, fett, alterslos, geschlechtlich unbestimmt, grenzenlos promiskuitiv, Weinschenk und Schausteller, Tänzer und Zauberkünstler, vereint auf sich alle Eigenschaften des griechischen Gottes Dionysos, des Schutzherrn des Rausches und der Entgrenzung, des Widerparts aller vernünftigen, apollinischen Prinzipien. Die Schilderung dieses Dionisio, halb Tyrann, halb Vettel, ist fraglos von Nietzsches Konzeption in der "Geburt der Tragödie" geprägt. Aber wie Vargas Llosa ihn auf den Anden-Boden stampfen, wie er ihn über die Berge ziehen und die Leute verführen läßt, wie er seine Opfer vergessen läßt, wer und was sie sind, ob Männer oder Weiber, das verknüpft auf glanzvolle Weise hellenische Erinnerungen mit südamerikanischer Gegenwart. Der dämonische Dionisio ist der eigentliche Widerpart des Kommissars Lituma, des Aufklärers, der Licht ins Dunkel seines Falles bringen muß.

Der von der Küste stammende Kommissar läßt sich staunend und voller Widerwillen in den Aberglauben der Bergbewohner einweihen. Und allmählich erkennt er, daß Dionisio und seine Frau sich diesen Aberglauben zunutze gemacht haben. Der Aberglaube sagt, daß die Indianer früher beim Anlegen eines Weges die Berggeister mit Menschenopfern besänftigten. Und Lituma erweist sich als wahrer Aufklärer, weil er hier mit dem Schlimmsten rechnet. Freilich kann er allein das beunruhigende Einverständnis der Wirtsleute mit den schweigenden Bauarbeitern nicht durchdringen. Die Natur selbst muß ihm zu Hilfe eilen, um das Schweigen zu brechen. Erst als ein Erdrutsch die Baustelle unter sich begräbt und die Arbeitsplätze vernichtet, machen die ihre Baracken Verlassenden zaghafte Andeutungen. Lituma glaubt sich schon am Ziel und sieht das Menschenopfer vor seinem inneren Auge: Dionisio hat die Arbeiter gezwungen, die drei Verschwundenen in einen Abgrund zu stürzen.

Der Leser hält das um so eher für möglich, als der Erzähler ihn zuvor mit den grausamen Szenen vertraut gemacht hat, in denen unter dem Terror des "Leuchtendes Pfades" ganze Dorfgemeinschaften zu Mörderbanden wurden, die über einen Teil ihrer Mitbürger herfielen und sie steinigten. "Sie waren keine Opfer mehr, sie verwandelten sich in Befreier", lautet der lakonische Kommentar des Erzählers. "Ich frage mich oft", sagt eines der Opfer, "ob das, was in Peru geschieht, nicht eine Wiederkehr all dieser untergründigen Gewalt ist. Als wäre sie irgendwo verborgen gewesen und käme plötzlich aus irgendeinem Grund erneut an die Oberfläche." Diese Anschauung der Gewalt verbindet die beiden Handlungen in Vargas Llosas Roman, die Geschichte des Terrorismus und die Geschichte des Wirtes Dionisio.

Das Menschenopfer hat nichts geholfen, und am Ende siegt mit der sich glücklich auflösenden Liebesgeschichte des kleinen Tomás doch noch die abendländische, einen Menschen wählende und hochhaltende Minne über den antiken Rausch der Entgrenzung. So harmlos und moralisch könnte das Buch enden. Da dreht Vargas Llosa auf den letzten Seiten die Schraube noch einmal weiter, dreht sie ins Schrille und Grausige, zeigt, wie Dionisio die Lagerbewohner mitschuldig werden ließ, wie er sie nicht nur verführte, sondern auch beherrschte, daß er nicht nur der Gott des Rausches, sondern auch der Dämon der Macht ist. Etwas nicht Wiedergutzumachendes ist geschehen, nicht nur Mord, sondern Zerstörung der Seele durch Schuld, durch den äußersten Tabubruch - aber diese letzte, prekäre Auflösung soll nicht verraten werden.

Mario Vargas Llosa: "Tod in den Anden". Roman. Aus dem Spanischen übersetzt von Elke Wehr. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1996. 383 Seiten, geb., 49,80 DM.

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»Der Tod in den Anden ist ein strenges und lehrhaftes Buch, seine Sprache und Erzählweise sind so klar, hart und rätselhaft wie die Landschaft, in der er spielt.« Gustav Seibt Frankfurter Allgemeine Zeitung