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Dieser Band enthält die politischen Schriften und Reden Sartres aus der Nachkriegszeit bis in die frühen siebziger Jahre. Als engagierter Publizist, Philosoph und Schriftsteller verbindet Sartre die tagespolitische Intervention mit philosophischer Reflexion. Er radikalisierte frühere Positionen und bricht mit anderen. Seine politischen Kapitel des 20. Jahrhunderts des 20. Jahrhunderts: Kalter Krieg und atomare Bedrohung, "realsozialistische" Diktatur und Entkolonialisisierung, Vietnamkrieg und Nahostkonflikt. Viele Texte waren bisher schwer zugänglich, die meisten erscheinen in neuer Übersetzung. …mehr

Produktbeschreibung
Dieser Band enthält die politischen Schriften und Reden Sartres aus der Nachkriegszeit bis in die frühen siebziger Jahre. Als engagierter Publizist, Philosoph und Schriftsteller verbindet Sartre die tagespolitische Intervention mit philosophischer Reflexion. Er radikalisierte frühere Positionen und bricht mit anderen. Seine politischen Kapitel des 20. Jahrhunderts des 20. Jahrhunderts: Kalter Krieg und atomare Bedrohung, "realsozialistische" Diktatur und Entkolonialisisierung, Vietnamkrieg und Nahostkonflikt. Viele Texte waren bisher schwer zugänglich, die meisten erscheinen in neuer Übersetzung.
Autorenporträt
Geboren am 21.06.1905, wuchs er nach dem frühen Tod seines Vaters im Jahre 1906 bis zur Wiederheirat seiner Mutter im Jahre 1917 bei seinen Großeltern Schweitzer in Paris auf. 1929, vor seiner Agrégation in Philosophie, lernte er seine Lebensgefährtin Simone de Beauvoir kennen, mit der er eine unkonventionelle Bindung einging, die für viele zu einem emanzipatorischen Vorbild wurde. 1931-1937 war er Gymnasiallehrer in Philosophie in Le Havre und Laon und 1937-1944 in Paris. 1933 Stipendiat des Institut Français in Berlin, wo er sich mit der Philosophie Husserls auseinandersetzte.Am 02.09.1939 wurde er eingezogen und geriet 1940 in deutsche Kriegsgefangenschaft, aus der er 1941 mit gefälschten Entlassungspapieren entkam. Noch 1943 wurde unter deutscher Besatzung sein erstes Theaterstück «Die Fliegen» aufgeführt; im selben Jahr erschien sein philosophisches Hauptwerk «Das Sein und das Nichts». Unmittelbar nach dem Krieg wurde Sartres Philosophie unter dem journalistischen Schlagwort

«Existenzialismus»zu einem modischen Bezugspunkt der Revolte gegen bürgerliche Lebensformen. 1964 lehnte er die Annahme des Nobelpreises ab. Zahlreiche Reisen führten ihn in die USA, die UdSSR, nach China, Haiti, Kuba, Brasilien, Nordafrika, Schwarzafrika, Israel, Japan und in fast alle Länder Europas. Er traf sich mit Roosevelt, Chruschtschow, Mao Tse-tung, Castro, Che Guevara, Tito, Kubitschek, Nasser, Eschkol. Sartre starb am 15.4.1980 in Paris.Auszeichnungen: Prix du Roman populiste für «Le mur» (1940); Nobelpreis für Literatur (1964, abgelehnt); Ehrendoktor der Universität Jerusalem (1976).
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.01.1996

Das gesunde Prinzip der revolutionären Gewalt
Verstehen nur, um zu verändern: Jean-Paul Sartres gesammeltes Engagement

Alice Schwarzer hatte ihn für "Pardon", Dagobert Lindlau für "Konkret" interviewt, die Nachdrucke solcher Gespräche, die in Frankreich noch nie publiziert wurden, verleihen der deutschen Ausgabe von Jean-Paul Sartres politischen Schriften einen besonderen Reiz. Seit Jahren bemüht sich der Rowohlt Verlag in vorbildlicher Weise um sein Gesamtwerk, das hierzulande besser ediert und leichter zugänglich ist als in Frankreich. "Gesammelte Werke in Einzelausgaben" nennt sich das ehrgeizige Unterfangen. Seit Traugott Königs Tod, der das Konzept noch mit Sartre zusammen entwickelt hatte, zeichnet Vincent von Wroblewsky als Herausgeber verantwortlich.

Neben den "großen" Werken - Literatur, Theater, Philosophie - präsentiert die deutsche Sartre-Edition praktisch lückenlos auch die vielen Essays und Artikel des Autors in übersichtlicher Form. Das geht von den autobiographischen Versuchen über die theoretischen Abhandlungen bis hin zu Briefen und Reiseberichten. Der "totale Intellektuelle" Sartre hat Drehbücher und Tagebücher geschrieben, sogar ein Chanson (für Juliette Gréco) und nicht nur keine Gattung, sondern - außer dem Sport - auch kein Thema ausgelassen. Jetzt ist im Rahmen dieser Ausgabe der sechste Band der politischen Schriften erschienen - in einem Augenblick, da sich niemand mehr für Sartre zu interessieren scheint, weder philosophisch noch literarisch und politisch schon gar nicht. Dennoch lohnt es sich, diese als "Plädoyer für die Intellektuellen" publizierten "Interviews, Artikel, Reden 1950 - 1973", wie der Untertitel lautet, zu lesen. Sie rekapitulieren die Stationen und Episoden des Kalten Krieges aus linker Sicht.

Beim ersten Text handelt es sich um das Vorwort zu einem Buch von Roger Stéphane, in dem sich Sartre mit der Frage des Beitritts zur Kommunistischen Partei (den er nie vollzog) befaßt. In dieser Einführung resümiert Sartre schließlich seine eigene Philosophie mit einem dieser lapidaren Sätze, die seine Breitenwirkung besiegelten: "Der Mensch ist zu schaffen, und es ist allein der Mensch, der den Menschen schaffen kann." Es folgt ein Interview, das Sartre nach dem Einmarsch in Budapest dem Nachrichtenmagazin "L'Express" gewährte: "Ich verurteile die sowjetische Aggression restlos und ohne Vorbehalt." Auch mit der KPF rechnet er ab. "So unangenehm es mir ist, mit der Kommunistischen Partei zu brechen, ich kann es tun, weil ich beizeiten den Krieg in Algerien verurteilt habe. Ich befinde mich also nicht mehr im Widerspruch zu den aufrichtigen und anständigen Menschen der Linken, auch nicht mit jenen, die in den Reihen der KP verbleiben. Unsere Solidarität bleibt bestehen, auch wenn sie mich morgen von sich weisen sollten. Die Parteiführer werden sagen, daß sie schon immer recht gehabt hätten, als sie mich vor Jahren eine ,Hyäne', einen ,Schakal' nannten, damals, als Fadejew - der inzwischen Selbstmord verübte - so sprach wie die ,Humanité' heute; aber es ist mir vollkommen gleichgültig, was sie über mich sagen werden, angesichts dessen, was sie über die Ereignisse in Budapest sagen."

Dieses Interview wurde im November geführt - ganz so entschieden waren Sartres erste Reaktionen nicht gewesen. In seinem berüchtigten Essay "Das Gespenst Stalins", der gleichzeitig in seiner Zeitschrift "Les Temps modernes" erschien (er findet sich im dritten Band der politischen Schriften: "Krieg im Frieden 2"), formuliert er bedeutend weniger radikal: "Unser Programm ist klar: trotz hundert Widersprüchen, inneren Kämpfen, Massakern ist die Entstalinisierung in Gang; das ist die einzig wirksame Politik, die im gegenwärtigen Moment dem Sozialismus, dem Frieden, der Annäherung der Arbeiterparteien dient: Mit unseren Möglichkeiten als Intellektuelle, die von Intellektuellen gelesen werden, werden wir versuchen, zur Entstalinisierung der Kommunistischen Partei Frankreichs beizutragen."

Diese Hoffnung erfüllte sich noch lange nicht, doch der Weg des treuen "compagnon de route" wich zusehends vom Parteikurs ab: Dieser Ablösungsprozeß - von einem Bruch kann man frühestens im Mai 1968 reden - begann mit Ungarn 1956. Den (gegenseitigen) Liebesentzug kompensierte Sartre mit einem Seitensprung zu den weniger dogmatischen italienischen Genossen "Die PCI ist in Italien zum besten Verteidiger der Demokratie gegen die Bourgeoisie geworden", schreibt er 1964 in seinem Nachruf auf "meinen Freund Togliatti".

In den sechziger Jahren rücken neben dem Vietnam-Krieg die Probleme der französischen Politik und die Auseinandersetzung mit dem Gaullismus in den Vordergrund. Im Mai 1968 versucht Sartre, der schon das historische Rendezvous mit der Résistance verpaßt hat, ziemlich verzweifelt, Anschluß an die Jugendrevolte zu finden (obwohl sie überhaupt nicht der Revolution ähnelte, die er gepredigt hatte). "Es gibt keinen guten Gaullismus", schreibt er in seinem Zorn auf de Gaulle, der im Gegensatz zu ihm ein antifaschistischer Held gewesen war. Sartre verteidigte die Maoisten und wurde Direktor ihrer Zeitschrift "La cause du peuple", als man sie verbot. Prompt weigerte sich de Gaulle, den Philosophen zu verhaften (Sartres zwei Vorgänger waren zu mehrmonatigen Gefängnisstrafen verurteilt worden), und tat in diesem Zusammenhang seinen berühmten Ausspruch "On n'arrête pas Voltaire".

Zu Gesprächen empfing Sartre fortan vorwiegend sympathisierende Vertreter gleichgesinnter Publikationen. 1970 sagte er zum Maoisten André Glucksmann: "Ohne Praxis läßt sich Theorie nicht denken. Wir gehören zu denen, die die Welt verändern wollen, verändern und verstehen - verstehen aber nur, um sie zu verändern." Dieses "Verständnis" der gesellschaftlichen Verhältnisse erfolgte weiterhin durch die Optik des Marxismus, den Sartre nach 1945 zum "unüberschreitbaren Horizont" erklärt hatte. Noch 1979, als die epochale Abkehr von ihm in vollem Gang war, bezeichnete er die Maoisten als Marxisten "in dem Sinn, wie mir Guevara '60 sagte: ,Es ist nicht unsere Schuld, wenn die Wahrheit marxistisch ist.'"

In dieser ideologischen Tonlage ist der ganze Band gehalten. Er enthält nicht die großen politischen Essays Sartres, sondern Umstandsartikel und Interviews, die sich eng an die Aktualität halten. Gerade dieser Aspekt macht sie auch wieder lesbarer: als Chronik des Kalten Kriegs, dessen Front quer durch Frankreich verlief. Zu fast allen politischen Ereignissen der Epoche hat sich der Philosoph der Existenz und Prediger des Engagements geäußert. Die legendäre Rede, die Sartre auf einem Faß - vor den Arbeitern der Automobilfabrik Renault - hielt, ist hier ebenso abgedruckt wie sein Protest gegen den Burgos-Prozeß und der Essay über "Wahlen, Idiotenfallen".

Man hat es nach dem Ende der Studentenrevolte auch dem Einfluß von Integrationsfiguren wie Sartre zugeschrieben, daß in Frankreich kein innenpolitisch motivierter Terrorismus entstand, mit dem zumindest die Maoisten liebäugelten. Es blieb bei der Bewunderung für die RAF-Attentäter, die Sartre später sogar im Gefängnis von Stammheim besuchte. Die Gewalt, von der in den Beiträgen aus den fünfziger Jahren kaum die Rede ist, wird zusehends zu einem Thema - nicht nur in Form der damals vielpropagierten "Gegengewalt" gegen die politische Repression und die "strukturelle Gewalt" des Systems. Sartre bekennt sich zusehends zu ihr. In "Die Maoisten in Frankreich" (1972) verteidigt er "das gesunde Prinzip der revolutionären Gewalt".

Seinen schlimmsten Text verbrach er im gleichen Jahr - und er wurde sträflicherweise nicht in diese Anthologie, in die er unbedingt gehört, aufgenommen. Vermutlich (und hoffentlich) aus Unkenntnis; auch in Frankreich wird er gerne verdrängt, ist in keinem Buch zugänglich. Aber er existiert, und er stellt kein Ruhmesblatt für den Philosophen dar. Ein einziges Mal bekannte sich Sartre zur Gewaltanwendung nicht nur historisch und theoretisch, sondern auch noch, nachdem sie gerade Tote gefordert hatte: in "La cause du peuple" (Nummer 29, 15. Oktober 1972) rechtfertigte er das Palästinenser-Attentat auf die israelischen Athleten bei der Olympiade in München. JÜRG ALTWEGG

Jean-Paul Sartre: "Plädoyer für die Intellektuellen". Interviews, Artikel, Reden 1950 - 1973. Aus dem Französischen von Hilda von Born-Pilsach u. a. Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek 1995. 503 S., br., 22,90 DM.

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